Bayreuth, 110. Bayreuther Festspiele 2022, DER RING - im Stil einer Netflix-Serie, IOCO Kritik, 09.10.2022

Bayreuth, 110. Bayreuther Festspiele 2022, DER RING - im Stil einer Netflix-Serie, IOCO Kritik, 09.10.2022
Festspielhaus Bayreuth © Patrik Klein
Festspielhaus Bayreuth © Patrik Klein

Der Ring des Nibelungen - 2022

Polarisierte Medien und Besucher

Richard Wagner Bayreuth © IOCO
Richard Wagner Bayreuth © IOCO

Nach 29 Aufführungen gingen die 110. Bayreuther Festspiele am 28. August 2022 zu Ende. Über 50.000 Zuschauer*innen  besuchten diese Festspiele. Im Mittelpunkt standen die Neuinszenierungen von Der Ring des Nibelungen und Tristan und Isolde. Die Neuproduktion vom Ring des Nibelungen war mit großer Spannung erwartet worden; sie war bereits für 2020 vorgesehen.  2022 gelange der Ring dreimal als Zyklus zur Aufführung und polarisierte gleichermaßen Medien, Besucher wie das Fernsehpublikum.

IOCO berichtete über Tristan und Isolde, Lohengrin, Tannhäuser, und den Fliegenden Holländer. Die neue 2022-Produktion des Ring des Nibelungen, die 13. Inszenierung .in Festspielhaus Bayreuth publiziert IOCO aufgrund der großen Beachtung, welche diese Produktion in der Öffentlichkeit erfuhr, hiermit erneut.

Der Ring des Nibelungen - 2022

Valentin Schwarz, Regisseur, erzählt den Ring bildgewaltig im Stil einer Netflix-Serie

von Karin Hasenstein

Besprochene Vorstellungen: Vorabend - Das Rheingold - 10.08.2022, Erster Tag - Die Walküre - 11.08.2022, Zweiter Tag - Siegfried - 13.08.2022, Dritter Tag - Götterdämmerung - 15.08.2022

Er wollte den Ring des Nibelungen im Stile einer Netflix-Serie erzählen, so war es im Vorfeld der Bayreuther Festspiele immer wieder von dem jungen österreichischen Regisseur Valentin Schwarz zu hören.

Nun muss ich einräumen, dass ich mich nicht unbedingt zur "Generation Netflix" zähle und in meinem ganzen Leben noch keine einige Folge einer Netflix-Serie gesehen habe. Eine solche Serie besteht im allgemeinen aus mehreren Staffeln und jede Staffel aus mehreren Folgen.

Der Ring des Nibelungen ist ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend. So könnte man Das Rheingold vielleicht als Pilotfilm zu den drei anderen Teilen betrachten, da zumindest musikalisch alle Leitmotive, die uns an den drei weiteren Tagen wieder begegnen, bereits im Rheingold angelegt sind. Richard Wagner hat diese musikalischen Motive als "Erinnerungsmotive" bezeichnet, was sehr zutreffend ist, da sie immer mit Personen, Gegenständen oder Gefühlszuständen verknüpft sind. Mich hat die Inszenierung eher an eine amerikanische Vorabendserie der 1980er Jahre erinnert, also eher im Stil von "Dallas"oder "Denver-Clan".

Richard Wagner - aber in Venedig © IOCO
Richard Wagner - aber in Venedig © IOCO

Valentin Schwarz zeigt auf der Bühne eine Menge Dinge, arbeitet sehr detailverliebt. Es ist eine große Zahl an Eindrücken, die auf den Zuschauer wirken, manchmal ist es auch einfach eine Reizüberflutung. Vieles kann man beim ersten Sehen gar nicht aufnehmen, was sehr schade ist, weil viele dieser kleinen Details psychologisch sehr klug gewählt sind.

Anderes lässt er einfach weg. So gibt es keinen Ring, kein Gold, keinen Speer, kein Schwert und vieles andere nicht, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne, wie es die Zuschauer aus anderen Inszenierungen kennen und erwarten. Somit "enttäuscht" Valentin Schwarz viele Sehgewohnheiten, was auch zu großer Verärgerung im Publikum geführt hat.

Diese Besprechung bezieht sich auf den Ring II. Nach dem Premiere-Durchlauf und auch nach den einzelnen Ringteilen, aber erst recht nach der Götterdämmerung waren bereits viele negative und aggressive Stimmen zu hören. Aber jeder Zyklus hat seine eigene Dynamik und jeder Zuschauer, jede Zuschauerin hat einen eigenen Zugang zum Werk und ganz eigene Erwartungen.

Ich möchte an dieser Stelle nicht in das allgemeine Zerreißen und Schlechtmachen der Neuproduktion einfallen sondern bekennen, dass sie mir durchaus gefallen hat. Wer jetzt nicht weiterlesen mag, dem sei das unbenommen, die Geschmäcker sind nun einmal unterschiedlich.

Worum geht es denn, wenn ein Werk auf die Bühne gebracht wird? Es geht um Unterhaltung, Auslegung, Interpretation und Deutung. Es geht im Jahr 2022 nicht mehr darum, ein Werk eins zu eins so darzustellen, wie es sich der Komponist und Autor ausgedacht oder gewünscht hat, auch wenn insbesondere im Falle Richard Wagners anscheinend alle wissen, wie der Meister es gerne gehabt hätte. Das ist einseitig und anmaßend.

Viel interessanter ist es doch, wenn sich ein Regisseur, in diesem Fall eben ein recht junger Regisseur (aber auch die Großen haben einmal jung angefangen) eigene Gedanken macht und Ansätze weiterentwickelt und interpretiert. Diese seine Interpretation ist genau wie beim Zuschauer ein sehr subjektiver Prozess. Die Kunst ist, sich auf diesen Prozess einzulassen.

Valentin Schwarz erzählt in seinem Ring die Geschichte einer Großfamilie, einer wohlhabenden Dynastie. Er beleuchtet, woher die Personen kommen, wohin sie gehen und welche Traumata sie erleiden und weitergeben. Es sind Menschen in ihrer ganzen Tragik aber auch Komik. Menschen, die mit all ihren Ängsten und Träumen an der Wirklichkeit scheitern.

Bayreuther Festspiele 2022 / DAS RHEINGOLD © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / DAS RHEINGOLD © Enrico Nawrath

Das Rheingold - Vorabend

Das Rheingold beginnt mit einem Video. Zu den Es-Dur-Klängen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen, sehen wir zwei Zwillings-Embryos, deren Nabelschnüre sich umeinander schlingen. Plötzlich fangen sie an, miteinander zu kämpfen. Der eine schlägt dem anderen mit der Faust ins Gesicht, woraufhin dessen Auge anfängt zu bluten. Er wehrt sich und tritt dem Bruder zwischen die Beine, der krümmt sich zusammen. So erklärt Schwarz die Defizite von Wotan, der nur ein Auge hat, und Alberich, der seiner Manneskraft beraubt ist.

Als nächstes sehen wir Alberich mit den Rheintöchtern an einem flachen Pool. Die Rheintöchter tragen kurze blaue Dienstmädchenkleider, Alberich Jeans und eine Lederjacke (Kostüme: Andy Besuch).

Kinder spielen am und im Pool, von den Dienstboten beaufsichtigt, ein kleiner Junge bleibt abseits, hat mit den anderen Kindern nichts zu tun. Er trägt eine dunkle Hose und ein leuchtend gelbes T-Shirt. Diese Accessoires werden uns im weiteren Verlauf des Rings immer wieder begegnen. Die Rheintöchter necken Alberich. Er geht zu dem Jungen, der mit einer Wasserpistole auf die anderen Kinder zielt. Der Pool verschwindet, eine karge Landschaft bleibt zurück.

Bayreuther Festspiele 2022 / DAS RHEINGOLD © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / DAS RHEINGOLD © Enrico Nawrath

Das nächste Bild zeigt uns, wie es bei Göttern zuhause eingerichtet ist. Oder eben bei einer reichen Dynastie, deren Familienoberhaupt sich gerne mit teuren Dingen umgibt und anderen zeigt, dass man es sich leisten kann. Schön und geschmackvoll ist anders, eher teuer und protzig (Bühne: Andrea Cozzi), aber auch mit einem hohen Wiedererkennungswert.

Eine Bibliothek, eine opulente Sitzecke mit Kamin und ein Terrarium beherrschen den Raum. Wotan (Egils Silins) trägt weiße Tenniskleidung, seine Gattin Fricka (Christa Mayer) ein elegantes langes Kostüm und üppigen Schmuck. In der angrenzenden Garage hält ein protziger schwarzer SUV, Fasolt und Fafner steigen aus, sie erinnern an Mafiosi (stimmgewaltig: Jens-Erik Aasbö und Wilhelm Schwinghammer).

Die "kleinen" Götter Froh (Attilio Glaser im grünen Sakko), Donner (Raimund Nolte im blauen Anzug mit Golfschläger anstatt Hammer) und Loge (herrlich schmierig: Daniel Kirch im blauen Anzug) komplettieren den Götter-Clan.

Die Götter feiern eine ausschweifende Party und demonstrieren ihren Reichtum. Wotan stellt fest "Den Ring muss ich haben!", aber wie? Alberich schlägt vor "Durch Raub!". Die Riesen waren schon wieder in ihrem Auto, steigen jedoch wieder aus und nehmen Freia als Geisel mit sich, weil Wotan den vereinbarten Preis für den Bau Walhalls nicht zahlen will. Ohne Freias goldene Äpfel verlassen die Götter jedoch ihre Kräfte - "Den sel'gen Göttern, wie geht's?" - Während Loge einen faulen Apfel aus der Obstschale auf dem Wohnzimmertisch nimmt und ihn ausquetscht, thront Wotan in seinem Zimmer auf der Galerie und betrachtet die siechenden Götter von oben. Er beschließt, sich auf die Suche nach dem Gold zu machen: "Nach Nibelheim fahren wir nieder!"

Der obere Teil kommt näher, die Drehbühne setzt sich in Bewegung und die beweglichen Kulissenteile verschieben sich und ordnen sich neu (Bühne: Andrea Cozzi) Auf der linken Bühnenseite erscheint nun ein separates Zimmer in einem Glaskasten. Es ist weiß und wirkt steril. Zu den Klängen der Ambosse wuselt Mime zwischen Kindern umher. Hier wird nicht das Geschmeide geschmiedet, sondern Kinder erzogen oder gehütet. Der Kinderhort steht für den Hort, das Gold. Es sind acht kleine Mädchen, siehe Foto oben, mit blonden langen Zöpfen in rosa Kleidern, wie geklont ("alles fertig geschmiedet"). Sie erinnern ein bisschen an die Kinder aus dem Film "Das Dorf der Verdammten" von John Carpenter.

Es liegt nahe, dass es sich bei diesen acht Mädchen um die späteren Walküren handelt. Die Mädchen spielen mit Pferden und auch Mime hat ein Spielzeugpferd. Sie sind eifrig damit beschäftigt, Bilder zu malen. Es handelt sich um ein Porträt Wotans, auch dieses Wotan-Porträt wird uns im Verlauf der Tetralogie immer wieder begegnen.

Bayreuther Festspiele 2022 / DAS RHEINGOLD © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / DAS RHEINGOLD © Enrico Nawrath

Von jenseits der Glasscheibe betrachtet Wotan die Mädchen. Dienstboten bringen Schüsseln mit Essen und Lätzchen. Der abseits stehende Junge im gelben Shirt fängt an zu toben, wirft Hocker um und schmeißt das Essen an die Scheibe. Die Mädchen vertreiben den Jungen und verprügeln ihn, bis Alberich ihn schließlich rettet. Er gibt dem Jungen eine Pistole und hat auch selbst eine. Der Junge randaliert jedoch immer weiter, versucht mit Gegenständen die Überwachungskamera an der Wand zu treffen.

Als Loge Alberich prüfen will, benutzt dieser den Jungen als Tarnhelm. Zu den Worten "Riesenwurm winde sich ringelnd!" setzt er sich den Jungen auf die Schultern und macht sich dadurch größer. Das reicht Loge nicht und Alberich zeigt, dass er auch ganz klein werden kann: "Krumm und grau krieche Kröte!" Hierbei zieht sich der Junge seine graue Kapuze über den Kopf und beide machen sich ganz klein. Schließlich packt Wotan sich den Jungen, raubt also den Tarnhelm.

Zum Klang der Ambosse folgt ein schneller Umbau, gerade noch in Nibelheim erscheint Wotan mit dem Kind in seinem Götter-Wohnzimmer, während Alberich in Unterwäsche dasteht, durch Loge auch seiner Pistole beraubt.

Wotan bringt den Jungen in seinem Zimmer auf der Galerie unter und gibt ihm einen verdrehten Zauberwürfel, den dieser binnen kürzester Zeit löst. Alberich, immer noch in Unterwäsche, ist an die Treppe gefesselt. Eines der Mädchen wird gebracht. Wotan will auch noch den Ring und Loge entreißt Alberich das Kind (den Ring), der daraufhin Wotan verflucht "Behalt' ihn nun, hüte ihn wohl: meinem Fluch fliehest du nicht!" Die Riesen kehren zurück und bringen Freia mit. Die Arme hat in der Zeit ihrer Entführung etwas gelitten und ist ein wenig zerzaust.

Wotan, nun im Besitz des Hortes, ist gewillt, Freia auszulösen: "So stellt das Maß nach Freias Gestalt!"  Loge bringt das Mädchen, den Hort, das sodann im Auto der Riesen verschwindet. Da aber noch ihr Haar schimmert, soll noch der Helm auf den Hort, also der Junge, der inzwischen den Zauberwürfel gelöst hat. Erda (beeindruckend warm im Timbre und textverständlich: Okka von der Damerau). Ihre Ansprache an Wotan beendet Erda mit den Worten "Dir rat' ich, meide den Ring!" Daraufhin nimmt sie das Mädchen (den Ring) mich sich. Wotan ruft Freia zu sich und überlässt den Riesen ihren Lohn (den Jungen), die darüber in Streit geraten. Schließlich erschlägt Fafner Fasolt.

Donner (stimmgewaltig: Raimund Nolte) ruft das Gewitter herauf ("Heda! Heda, hedo!") und schlägt mit seinem Golfschläger die Äpfel durch die Gegend. Eine leuchtende Pyramide, die hier vielleicht für das vollendete Walhall steht und uns auch immer wieder begegnen wird, wird ins Wohnzimmer getragen. Erda verlässt die Götterburg mit dem Mädchen, Loge legt eine Schallplatte auf, die Rheintöchter beklagen den Verlust des Goldes  - und Wotan tanzt. Die Götterwelt geht unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen.

Der Vorhang fällt und in den Schlussapplaus mischen sich zahlreiche Buhs, die jedoch von vielen Bravi übertönt werden.

Gesungen wurde an diesem Vorabend durchweg auf sehr hohem Niveau. Allein, das Dirigat von Cornelius Meister hätte etwas engagierter sein können. Er führte das Festspielorchester sicher aber nicht sehr inspiriert durch den Abend. So konnte der Funke, der Zauber aus Wagners Partitur am ersten Abend noch nicht so recht überspringen.

Große Freude machten jedoch die Solisten, allen voran der isländische Bariton Olafur Sigurdarson als Alberich. Mit seinem warm timbrierten Bariton verlieh er der Rolle des Alberich viel Tiefe und begeisterte sowohl stimmlich als auch darstellerisch einmal mehr das Bayreuther Publikum mit seiner überragenden Bühnenpräsenz.

Der in Lettland geborene Bassbariton Egils Silins gab einen selbstsicheren Göttervater, der seinen Clan gut im Griff hat. Ihm zur Seite überzeugte Christa Mayer als herrische Gattin Fricka. Stimmlich und schauspielerisch absolut souverän erntete sie viel Applaus. Eine wunderbar verletzliche wie liebreizende Freia war von Elisabeth Teige zu hören. Einen weiteren Akzent an diesem Abend setzte Daniel Kirch als schmieriger Familienanwalt Loge. Mit seinem wandlungsfähigen Tenor gestaltete er diese Rolle lebendig und abwechslungsreich. Arnold Bezuyen scheute sich nicht, dem Mime auch mit "schmutzigen" Tönen eine gewisse Tiefe zu verleihen, die bereits am Vorabend große Lust auf den Siegfried machte. Erda ist immer eine dankbare Rolle, aber Okka von der Damerau machte den zentralen Auftritt mit ihrem wunderbar warmen Mezzosopran und großer Textverständlichkeit zu einem weiteren Höhepunkt der Vorstellung.

Sowohl stimmlich als auch darstellerisch konnten Jens-Erik Aasbö und Wilhelm Schwinghammer als Fasolt und Fafner die Zuschauer für sich gewinnen, wie auch Lea-ann Dunbar (Woglinde), Stephanie Houtzeel (Wellgunde) und Katie Stevenson (Floßhilde) als Rheintöchter für musikalisch erfüllende Momente sorgten.

Insgesamt machte der Vorabend Lust auf mehr, in Bezug auf musikalischen Ausdruck und Spannung blieb jedoch noch Luft nach oben.

Die Kostüme von Andy Besuch waren ausgefallen, üppig und phantasievoll gestaltet, alle ein wenig "drüber", was aber sehr gut zu den auftrumpfenden Göttern passte. Elemente der Kostüme und Requisite sowie des Bühnenbildes zogen sich durch den gesamten Ring, so dass es in jedem Teil zu Wiedererkennungseffekten kam.

Bayreuther Festspiele 2022 / DIE WALKÜRE © Enrico Nawrat
Bayreuther Festspiele 2022 / DIE WALKÜRE © Enrico Nawrat

Die Walküre - Erster Tag

Valentin Schwarz liest die Walküre als unmittelbare Fortsetzung des Rheingolds. Aus der Verbindung von Wotan und Erda ist Brünnhilde hervorgegangen. Im ersten Aufzug kehrt Wotan nach Hause zurück. Im Götterhaushalt findet eine Trauerfeier statt. Freia hat ihre Entführung durch die Riesen nicht verkraftet und sich das Leben genommen. Wotan hat neben Brünnhilde noch die Wälsungen-Zwillinge gezeugt, Siegmund und Sieglinde. Hunding ist ein Wachmann Wotans, Sieglinde erwartet ein Kind. Wer der Vater ist, bleibt unklar.

Das Schlafzimmer Wotans aus dem Rheingold taucht wieder auf. In einem zweiten Schlafzimmer spielen sich in der Rückblende Szenen aus Siegmunds und Sieglindes Kindheit ab.

Die gläserne Pyramide begegnet uns wieder und steht für den Traum von Walhall. Der Kinderhort aus dem Rheingold erfährt in der Walküre eine neue Nutzung. Hier finden die musikalischen Leitmotive, die Erinnerungsmotive, wieder ihre Entsprechung im Bühnenbild.

Schwarz benutzt die Figuren nicht nur als bloße Ideenträger, er hat eine andere Herangehensweise, will den Figuren so nahe wie möglich kommen. Er tut das im genauen Blick auf die Personen und ihr Verhalten. Es geht um Machtkonzentration, Naturzerstörung, aber auch Gesellschafts- und Kapitalismuskritik. Wotan handelt im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit. In "Kapitalismus und Todestrieb" (von Byung-Chul Han) heißt es: "Das Leben bejahen heißt auch den Tod bejahen." Wagner setzt dem Todesstreben die Liebe entgegen.

Brünnhilde entwickelt (entgegen ihrem Auftrag) Empathie mit Siegmund und Sieglinde und wird dadurch zur Hoffnungsträgerin - sie wird jedoch dafür von Wotan bestraft. Die acht Walküren zeigt Schwarz als dem Jugend- und Schönheitswahn verfallene Schar. Mit den Wälsungen-Zwillingen tauchen in der Walküre zum erstem Mal nach Göttern und Alben reale Menschen auf. Am Ende der Walküre steht tiefe Traurigkeit, als Wotan von der geliebten Tochter Abschied nehmen muss.

Bayreuther Festspiele 2022 / DIE WALKÜRE © Enrico Nawrat
Bayreuther Festspiele 2022 / DIE WALKÜRE © Enrico Nawrat

Der Vorhang hebt sich und wir blicken in eine düstere, ärmliche Behausung im Souterrain. Sieglinde (Lise Davidsen, mit einem langen Bademantel über dem blauen Kleid) ist allein, offensichtlich hochschwanger. Ein Fremder, Siegmund (Klaus Florian Vogt, in heller Hose, dunklem Hemd und Weste), kommt herein. Draußen tobt ein Unwetter, ein riesiger Baum ist durch das Fenster gekracht, der Strom ist ausgefallen. Sieglinde gibt dem Fremden Wasser, bemerkenswert ist das expressive Cello-Solo.

Im hinteren Bereich befindet sich ein Hauswirtschaftsraum mit Bügelbrett, eine Treppe führt nach oben ins Schlafzimmer, über dem Bett hängt ein Moskitonetz. Bei der Ausstattung der Bühne fallen erneut die große Detailverliebtheit und die ausgefallenen Accessoires auf.

So befinden sich an einer Wand zahlreiche Bilder dicht gehängt. Zu den Worten "Nicht bringst du Unheil dahin, wo Unheil im Hause wohnt." dreht Sieglinde ein Bild um - es scheint sich um das Hochzeitsbild von Hunding und Sieglinde zu handeln. Wir ahnen, die Ehe ist nicht allzu glücklich.

Hunding kommt nach Hause und bemerkt den Fremden. Er entdeckt sofort das zur Wand gedrehte Bild und dreht es wieder richtig herum. Er tut das zu den Worten "Heilig ist mein Herd: heilig sei dir mein Haus!"

In Richtung des Fremden heißt das "Sieh dich vor! Das hier ist mein Territorium, mit allem, was dazu gehört.", denn er hat bereits gemerkt, dass mit dem Gast etwas nicht stimmt: "Wie gleicht er dem Weibe! Der gleißende Wurm glänzt auch ihm aus dem Auge!"

Während Siegmund Hunding erzählt, woher er kommt, poliert dieser akribisch die Sicherungen im Stromkasten. Als Siegmund berichtet, wie er von seinem Vater getrennt wurde "...den Vater fand ich nicht" streicht sich Sieglinde dazu über ihren Bauch. Die Spannung dieser Situation ist deutlich spürbar.

Hunding hat seine Arbeitskleidung abgelegt und trägt nun einen guten Anzug. Siegmund berichtet weiter, wie er und seine Schwester als Kinder getrennt wurden. Mit dem Hinweis "Hüte dich wohl!" schwingt Hunding eine rote Rohrzange.

Siegmund sitzt eine Weile am Elektro-Herdfeuer und berichtet dann "Ein Schwert verhieß mir der Vater." Sieglinde geht währenddessen nach oben und packt ihre Sachen. Bei ihr taucht jetzt wieder die Pyramide aus dem Rheingold auf.

Sie warnt Siegmund vor Hunding,dem sie einen Schlaftrunk verabreicht hat. "Eine Waffe lass' mich dir weisen" und erzählt ihm ihr eigenes trauriges Schicksal, wie sie an Hunding verschachert wurde und schließlich Wotan das Schwert in den Stamm der Esche schlägt, nur der Stärkste kann es aus dem Stamm ziehen.

Das Walhall-Motiv erklingt mehrfach und zwei Spots beleuchten Sieglinde und Siegmund mit der Pyramide, dem Walhall-Symbol. Das Haus fährt zurück, ein neuer Raum kommt von oben und während Siegmund singt "Winterstürme wichen dem Wonnemond", wird hier parallel die Geschichte der Wälsungen-Zwillinge als Kinder erzählt. Schwarz verdoppelt hier Sieglinde und Siegmundmithilfe der Rückblende in die Kindheit. Die Kinder haben hellblondes Haar und tragen silberne Glitzeranzüge, auch die Gesichter sind silbrig glänzend, vielleicht um ihren Wert zu unterstreichen. Bei "Du bist der Lenz" lässt Vogt sein helles brillantes Timbre kraftvoll erstrahlen. Die Stimme klingt voluminös und fokussiert.

Bayreuther Festspiele 2022 / DIE WALKÜRE © Enrico Nawrat
Bayreuther Festspiele 2022 / DIE WALKÜRE © Enrico Nawrat

Der kleine Siegmund malt eine Maske, es ist die, die uns bereits im Kinderhort bei den kleinen Walküren begegnet ist, seine Schwester jedoch zerknüllt das Blatt Papier. Die Kinderzimmer sind geschlechterspezifisch eingerichtet, bei Sieglinde finden sich Pferde als Spielzeug, bei Siegmund Autos. Als es im Libretto heißt "Den Namen nehm ich von dir!" halten beide jeweils ein Bild des anderes Geschwisters.

Jetzt steht die Pyramide für Nothung, denn ein Schwert findet sich nicht in der Esche Stamm. Stattdessen hat Siegmund eine Pistole, mit der er Hunding bedroht. Zu Siegmunds Worten "Braut und Schwester bist du dem Bruder - so blühe denn Wälsungen-Blut!" holt Hunding mit seiner Rohrzange aus. Das Licht geht aus, der Vorhang fällt schnell und sofort erhebt sich tosenden Applaus für die grandiose Leistung der Solisten.

Im zweiten Aufzug befinden wir uns wieder im Wohnzimmer, das wir schon aus Rheingold kennen. Mitten im Raum ist ein weißer, mit Lilien geschmückter Sarg aufgebahrt. Neben ihm steht Grane, von Schwarz in die Gestalt eines hübschen jungen Mannes gesteckt. Wotan bringt die Pyramide mit, das Leitmotiv wird gewissermaßen weiterentwickelt, in dieser Szene steht sie für den Speer. An dem Bild neben dem Sarg erkennen wir, dass es sich bei der Toten um Freia handelt, die offenbar ihre Entführung durch die Riesen nicht verkraftet hat.

Brünnhilde (Iréne Theorin) erscheint in einem Kostüm, das ein wenig an alte Mantel-und-Degen-Filme erinnert, ein weißes weites Hemd, schwarze Hose und Umhang, die ersten Hojotohos geraten etwas schrill. Links neben dem Wohnzimmer, zum Bühnenrand hin, befindet sich die vergrößerte gläserne Pyramide, die wegen der Platzverhältnisse nur zum Teil zu sehen ist. Dahinter ist ein großer Felsen angedeutet. Mich hat die Pyramide an dieser Stelle an den Eingang zum Louvre erinnert. Man könnte sie hier vielleicht als das Tor zur Welt der Walküren sehen.

Fricka, die Hüterin der Ehe, beklagt die Blutschande, die das Wälsungen-Zwillingspaar begangen hat und macht dafür Wotan verantwortlich: "Wann ward es erlebt, dass leiblich Geschwister sich liebten?” - “Heut hast du's erlebt..."

Doch währenddessen schielt Wotan schon wieder lüstern nach den Dienstmädchen. Die Trauerfeier ist beendet, der Sarg wird hinausgefahren. Fricka verlangt von Wotan, dass er Siegmund das Schwert wieder abnehmen und auch Brünnhilde ihn nicht weiter schützen soll. Widerwillig fügt sich der Gott schließlich "Nimm den Eid!" Brünnhilde und Wotan bleiben alleine zurück.

In der nun folgenden Erzählung Wotans zeigt Tomasz Konieczny seinen wunderbaren geschmeidigen Bass in allen Facetten. Er beeindruckte mit großer Textverständlichkeit und intensivem präsentem Spiel. Die Zerrissenheit der Rolle hat er perfekt transportiert. Es lag hier nicht am Volumen seines dunklen Basses, dass er vom Orchester stellenweise zugedeckt wurde, hier fehlte Cornelius Meister offenbar das Gefühl für die nötige Balance zwischen Bühne und Graben.

Wotan verkündet "Nur eines will ich noch, das Ende" und greift zum Feuerlöscher. Ale er seinen Befehl verkündet "Siegmund falle! - Dies sei der Walküre Werk." verdreht er den Zauberwürfel. Auch dieses optische Leitmotiv kennen wir schon aus dem Rheingold. Brünnhilde bekommt einen Wutanfall, Fricka kommt hinzu und nimmt Brünnhilde mit.

Siegmund und Sieglinde erscheinen auf der Szene. Sie sind auf der Flucht vor Hunding und die hochschwangere Sieglinde muss sich ausruhen. Sie zieht die Nadeln aus ihrem Strickzeug, eine angedeutete versuchte Abtreibung? Wenn das Kind von Hunding ist, erscheint es logisch, dass sie dieses Kind loswerden will.

Nebenan im Götterwohnzimmer putzt das Personal unbeteiligt das Tafelsilber, als Brünnhilde im dunkelblauen Kostüm auftritt. Dazu trägt sie die Kette mit der Goldmedaille, die im Rheingold noch Wotans Hals schmückte. Sie erkennt, dass Sieglinde schwanger ist und spricht Siegmund an ("Siegmund! - Sieh auf mich! Ich bin's, der bald zu folgst") Die Szene wirkt sehr ruhig und feierlich. Vogt gestaltet die Phrasen lyrisch und zärtlich, wie "Der dir nun folgt, wohin führst du den Helden?" oder "Grüßt mich in Walhall froh eine Frau?" Unterstrichen wird die Ungewissheit von den beeindruckend präsenten Harfen.

Als Siegmund hört, dass Sieglindenicht dort sein wird, wendet er sich ab von Brünnhilde und folgt ihr nicht: "So grüße mir Walhall (...) grüß' auch die holden Wunsches-Mädchen: zu ihnen folg' ich dir nicht."

In seiner Verzweiflung gibt es für Siegmund nur eine Konsequenz und er will sich und Sieglinde umbringen: "Zwei Leben lachen dir hier". Auch hier ist das Orchester leider wieder etwas zu laut, beziehungsweise unausgewogen. Brünnhilde tanzt und hält dabei den Totenkranz von Freia in den Händen.

Siegmund und Sieglindebleiben zurück. Wotan erscheint und zieht Sieglinde den Slip runter, Hunding kommt hinzu und erschießt Siegmund. Brünnhilde und Grane bringen die gequälte Sieglinde in Sicherheit.

Wotan wendet sich zu Hunding mit den Worten "Geh' hin, Knecht! Knie vor Fricka: meld' ihr, dass Wotans Speer gerächt, was Spott ihr schuf." Das "Geh! Geh!" schleudert er ihm mit großem Ausdruck und glaubhaftem Hass entgegen.

Zu Beginn des dritten Aufzuges blicken wir erneut auf den gläsernen Raum, den wir schon aus Rheingold als Kinderhort kennen. Das Ambiente ist wieder gehoben und edel, der Raum wirkt steril, mit weißen Sofas, Sesseln und kleinen Tischchen ausgestattet. Die kleinen Mädchen sind nun zu jungen Frauen herangewachsen. Sie sind alle in rote, kräftig pink- oder orangefarbene Kleider und Röcke gekleidet und tragen Verbände um die Köpfe. Offenbar haben sie alle die unterschiedlichsten Schönheits-Operationen hinter sich. Die frisch Operierten machen Selfies mit ihren Luxus-Handys und finden sich selber ganz toll. Hier wird deutlich, dass sie die Töchter ihres Vaters sind und dieser teure Lebenswandel offenbar ganz normal ist.

Das Gewusel auf der Bühne passt gut zum lebhaften Gestus des Walkürenritts, auch wenn einige Zuschauer offenbar nichts mit dieser Form der Umsetzung anzufangen wussten. Bedienstete kommen herein und bringen den Damen Schuhkartons mit teuren Schuhen, woraufhin diese die Herrn filmen und fotografieren.

Brünnhilde erscheint in Begleitung Granes und bringt Sieglinde und ihr Neugeborenes. Die Geburt kann gerade erst stattgefunden haben, Blut läuft an Sieglindes Beinen herunter. Brünnhilde hält das Kind, das in eine Decke gehüllt ist. Auch diese braunkarierte Decke erkennen aufmerksame Zuschauer wieder, unter ihr hat sich im Rheingold der Junge, das Gold, versteckt. Brünnhilde gibt Grane das Baby. Leider ist in dieser zentralen Szene Frau Theorins Text über weite Strecken kaum zu verstehen.

Die Enttäuschung darüber ist jedoch schnell vergessen, als Sieglinde (Lise Davidsen) ihr "O hehrstes Wunder!", ihren Dank an Brünnhilde für ihre Rettung singt. Hier zeigt sich einmal mehr, dass Lise Davidsen zurecht zu den größten aufstrebenden dramatischen Sopranen unserer Zeit gehört. Ihr warm timbrierter strahlender Sopran schwebt mühelos über dem Orchester und sorgt erneut für große Ergriffenheit und Begeisterung. Sieglinde hält das Baby im Arm und geht mit Grane weg.

Brünnhilde hat durch ihren Ungehorsam Wotans Zorn auf sich gezogen und die Schwestern verstecken sie vor dem Vater: "Hieher, Verlor'ne! Lass dich nicht seh'n" Schmiege dich an uns und schweige dem Ruf!"

Schließlich erkennt Brünnhilde, dass es zwecklos ist, sich vor Wotan zu verstecken und dass sie ihrer Strafe nicht entkommen kann ("Hier bin ich, Vater, gebiete die Strafe!") Wotan erwidert, dass sie sich durch ihr eigenwilliges Handeln ihre Strafe selbst schuf. Die Konsequenz ist, dass sie nicht mehr "Wunschmaid", seine Lieblingstochter, ist.

Bei "Nicht weis' ich dir mehr Helden zur Wal..." drückt Konieczny Wut und Trauer des enttäuschten Gottes überzeugend und ergreifend aus. Zu den Worten "aus meinem Angesicht bist du  verbannt" entreißt er ihr die Kette, die goldene Medaille. In einem großen Wutausbruch verdammt er Brünnhilde und schickt die Walküren fort. Wotan und Brünnhilde sind nun allein.

Der Gott bannt seine Tochter auf dem Felsen in wehrlosen Schlaf. In der tiefen Lage ist Brünnhildes Text noch zu verstehen, geht in der höheren Lage jedoch wieder stellenweise verloren. Auf die Worte Wotans "So thatest du, was so gern zu tun ich begehrt" sind beide im Scheinwerferspot. Meister zieht nun das Orchester groß auf, die musikalische Spannung steigert sich mit der szenischen.

Grane kehrt mit der Decke zurück. Wotan singt "Du folgtest selig der Liebe Macht; folge nun dem, den du lieben musst!" Ein Diener bringt ein weißes Band. Wotan nimmt Brünnhildes Mantel, deckt sie zu und verkündet ihr Schicksal: "In festem Schlaf verschließ ich dich: wer so die Wehrlose weckt, dem ward, erwacht, sie zum Weib." Wotans Abschied und Feuerzauber ist wohl musikalisch eine der schönsten und ergreifendsten Stellen im ganzen Ring.

Zu "Leb wohl, du kühnes herrliches Kind!" beginnt die Bühne zu drehen. Der Spot bleibt auf Wotan und Brünnhilde,er hält sie eng an sich gedrückt. Der Raum fährt nach hinten weg, zum Vorschein kommen die weiße Pyramide und der Felsen.

"Der Feige fliehe Brünnhildes Fels: denn einer nur freie die Braut, der freier ist als ich, der Gott!" Somit wird die Strafe zumindest etwas relativiert. Grane reicht Wotan den Mantel und das Band.

Wotan verschließt Brünnhilde in tiefen Schlaf ("Der Augen leuchtendes Paar"). Eine Wand fährt herunter, Brünnhilde wird unseren Blicken entzogen, Wotan bleibt alleine im Spot: "Denn so kehrt der Gott sich dir ab: so küsst er die Gottheit von dir!" Konieczny zaubert diese Worte in so zartem und dennoch absolut verständlichem Pianissimo, dass es einem die Tränen der Rührung in die Augen treibt. Er dreht sich um und sieht die Wand an. Brünnhilde ist seinem und unseren Blicken entzogen. Die tiefen Streicher verstärken den Schmerz.

Während Wotan noch in seiner Trauer gefangen ist, kommt Fricka von der Seite. Sie bringt einen Teewagen und Brünnhildes Hut. Auf dem Teewagen befindet sich eine einzelne Kerze und Champagner. Während Wotan Loge herbeiruft, um Feuer an den Felsen zu legen, schenkt Fricka in aller Seelenruhe den Champagner ein. Wotan nimmt seinen Ehering ab und wirft in Frickas Glas. Er nimmt seinen Hut und gleichzeitig Abschied von Fricka. Er vollzieht damit die Wandlung zum Wanderer.

Der Vorhang fällt. Sofort setzt begeisterter Beifall ein, in den sich aber auch Buhs für Theorin und die Regie mischen. Konieczny, Vogt und Davidsen werden vom Publikum regelrecht gefeiert.

Auch nach dem zweiten Ring-Teil fällt auf, dass diese Inszenierung polarisiert und dass das Publikum scharf unterscheidet zwischen Regie und sängerischer Leistung.

Insgesamt ist in der Walküre eine deutliche Steigerung gegenüber dem Rheingold zu verzeichnen, was ganz sicher auch an der phantastischen Leistung von Vogt, Davidsen, Konieczny, Zeppenfeld und Mayer lag. Auch die acht Walküren waren durchweg auf hohem Niveau, sängerisch wie schauspielerisch sehr präsent.

Klaus Florian Vogt überzeugte mit guter Textverständlichkeit, differenzierter Dynamik und gutem Ausdruck, insbesondere bei "Ein Schwert verhieß mir der Vater". Der norwegische Ausnahme-Sopran Lise Davidsen berührte als Sieglinde erneut die Herzen der Zuschauer. Ihr kräftiger, warmer jugendlich-dramatischer Sopran war manchmal schon fast ein wenig zu viel des Guten, macht aber neugierig auf ihre Brünnhilde. Die Brillanz und Durchschlagskraft dafür besitzt sie schon jetzt.

Iréne Theorin kann mit den beiden Vorgenannten leider nicht mithalten. Bisweilen etwas schrill in der Höhe, geht auch die Textverständlichkeit verloren. Was in der tiefen Lage noch gut funktioniert, geht in der hohen Lage leider zu lasten des umfangreichen Textes. Gerade gegenüber diesen beiden starken Protagonisten und dem gewünschten Niveau der Bayreuther Festspiele kann man sich fragen, ob das bei der Besetzung die richtige Wahl war.

Georg Zeppenfelds nobler sonorer Bass ist fast schon zu schade für den unsympathischen Hunding, doch beweist Zeppenfeld, dass er nicht auf Landgraf, Gurnemanz oder Daland festgelegt ist, sondern auch dem brutalen und kaltherzigen Hunding sehr überzeugend Stimme und Gestalt verleihen kann. Christa Mayer als Fricka (und Schwertleite!) ist neben Tomasz Konieczny eine ideale Fricka. Mit ihrem warmen Mezzosopran verleiht sie der Gattin Wotans sehr differenziert würdevolle Tiefe und Respekt.

Tomasz Konieczny ist aktuell einer der Top-Bässe und eine Idealbesetzung für den Wotan. Kein Wunder, dass das Publikum ihn deutlich stärker feierte als seinen Rheingold-Kollegen Silins. Sein kräftiger dunkler Bass verfügt über ein schönes Timbre und großes Volumen, ist aber auch zu den sehr leisen Tönen in der Lage. Dass einige Stellen untergingen, lag nicht daran, dass Konieczny zu leise gewesen wäre, hier war eindeutig das Orchester zu laut, das hätte Meister erkennen und zurücknehmen müssen. "Endloser Grimm" etwa war großartig gesungen, aber hier passte die Balance nicht. Die Verbannung Brünnhildes und WotansAbschied gerieten zu den ganz großen und berührenden Momenten des Abends.

Interessant ist, dass Schwarz die Figur des Grane, Brünnhildes treues Ross, ins Menschliche übersetzt hat. Wenn man das aber einmal erkannt und akzeptiert hat, ist es ganz schlüssig. Igor Schwab gestaltet diese stumme Rolle sehr eindringlich mit feinen Gesten und manchmal auch leiser Komik. So darf man gespannt sein, wie Schwarz die Geschichte weitererzählt.

 Bayreuther Festspiele 2022 / SIEGFRIED © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / SIEGFRIED © Enrico Nawrath

Siegfried - Zweiter Tag

Während die Walküre sehr dramatisch und bisweilen etwas düster ist, begegnen uns im Siegfried wieder lustige Zwerge und Alben und ein furchtloser junger Held. Im ersten Aufzug hat Schwarz Teile von Hundings Haus "recycelt".

In der Halle hängt eine "Happy-Birthday-Girlande", mehrere Kinderstühlchen stehen im Kreis, auf ihnen sitzen Puppen. An der rechten Wand findet der Elektro-Heizofen wieder Verwendung, es gibt ein kleines Regal und eine Mikrowelle, ein paar Küchenutensilien. Daneben ein weiteres Regal mit einem Aquarium, darunter Dosen mit Fischfutter. An der Wand hängt ein winziges Glas mit einem einzelnen Goldfisch, darüber ist ein Fenster mit rotem Vorhang und Lichterkette, Mime benutzt es später als Kasperletheater.

Wieder beeindruckt die große Detailverliebtheit bei der Gestaltung der Bühne bzw. der Lebensräume der handelnden Figuren. Mime, Foto unten ist als Zauberer verkleidet, offensichtlich ist hier alles für einen Kindergeburtstag geschmückt. Eine der Puppen weist eine große Ähnlichkeit mit dem Rheingold-Kind auf (gelbes Oberteil, Kappe).

Mime (s. Foto, wunderbar textverständlich und ausdrucksstark: Arnold Bezuyen) plagt sich mit einer Krücke herum. Siegfried (Andreas Schager) stürmt herein und entfacht bereits mit dem ersten Auftritt die Urgewalt seines Heldentenors. Der Knabe bekommt ein Laserschwert von Mime geschenkt, welches er sofort kaputtmacht. Er ist aber nicht nur aufsässig und wild, sondern auch fürsorglich und wäscht seinen Ziehvater Mime nach getaner Arbeit. Die Puppen als "Gäste" bei diesem Kindergeburtstag haben die Gestalt alter Bekannter. Es sind Sieglinde und Siegmund, das Rheingold-Kind, ein Skelett und eines der silbrigen Wälsungenkinder.

Nun führt Mime für Siegfried in dem Kasperltheater ein Stück auf. Mit seinen etwas unbeholfen und grob gebastelten Puppen erzählt er die Geschichte, wie er Siegfried im Wald gefunden hat: "Einst lag wimmernd ein Weib da draußen im wilden Wald..." Mime berichtet Siegfried von seiner Geburt und dass seine Mutter dabei starb. Vorher konnte sie ihm noch sagen, wie das Kind heißen soll. Viel mehr als den Namen der Mutter kann Mime Siegfried jedoch nicht nennen, nur, dass sie ihm ein zerbrochenes Schwert als Lohn für seine Mühe gegeben hat. Siegfried wirft in einem wütenden Ausbruch alle möglichen Gegenstände ins Aquarium, er tanzt mit der Sieglinde-Puppe und treibt Mime zur Verzweiflung.  Siegfried will, dass Mime ihm aus den Bruchstücken ein neues Schwert schmiedet, was diesem jedoch nicht gelingt, daraufhin stürmt Siegfried hinaus.

Bayreuther Festspiele 2022 / SIEGFRIED © Enrico Nawrat
Bayreuther Festspiele 2022 / SIEGFRIED © Enrico Nawrat

Ein Besucher betritt Mimes Behausung, der Wanderer. Schon mit den ersten Zeilen wie "Wandrer heißt mich die Welt" begeistert Konieczny wieder das Publikum. Mit einem Treppenlift wechselt er die Stockwerke. Es folgt die Wissens-Wette. Die drei Fragen, die Mime an den Wanderer richtet, um ihn loszuwerden, kann dieser jedoch problemlos beantworten. Als Zeichen seiner Überlegenheit zerbricht der Wanderer Mimes Krücke. Dieser bittet ihn, nun doch zu gehen: "Nun, Wandrer, geh deines Weg's!"

Doch der dreht den Spieß um und fordert nun seinerseits Mime auf, ihm drei Fragen zu beantworten. Zwei Fragen kann Mime beantworten, die dritte Antwort bleibt er dem Wanderer schuldig, dieser aber verschenkt Mimes Leben an den, der das Fürchten nie gelernt hat und auch der einzige ist, der Nothung neu schmieden kann. Ohne ein weiteres Wort wendet sich der Wanderer zum Gehen.

Siegfried kehrt aus dem Wald zurück. Das Fenster links, durch das in der Walküre der Baum gekracht war, ist nun mit Brettern vernagelt. Sandsäcke sind vor dem Fenster aufgeschichtet, vor dem Fenster hat jemand eine "Bude" aus Tischen gebaut. Wieder fällt die große Liebe zum Detail in Schwarz' Inszenierung auf.

Der Wanderer hat Mimes Brille zerbrochen. Mime sitzt im Obergeschoss an seiner Nähmaschine und bastelt an seinen Puppen. Er fischt die Reste des Schwerts aus dem Aquarium. Als Siegfried sieht, dass Mimes Brille zerbrochen ist, repariert er diese. Mime tanzt mit dem Puppenkopf und Siegfried erfreut sich an einem Pin-up-Poster. Mime erklärt Siegfried, dass nur jemand Nothung neu schmieden kann, der das Fürchten nie gelernt hat

Nun will er Siegfried das Fürchten lehren und erzählt ihm von Fafner, der in der Neidhöhle im Wald lebt. Siegfried erkennt, dass er wohl selber das Schwert neu schmieden muss. Er verschwindet im hinteren Bereich der Behausung und großer Funkenflug begleitet das Schmiedelied, das Schager mit größter Energie, Spielfreude und Brillanz darbietet. Es gerät zurecht zum Höhepunkt des ersten Aufzugs. Als Ergebnis seiner Schmiedekunst zieht Siegfried Nothung aus dem Schaft von Mimes Krücke heraus, eher ein zartes Florett als ein stolzes Schwert.

Das Publikum bedankt sich mit tosendem Applaus für die phantastische sängerische Leistung von Konieczny, an dieser Stelle aber ganz besonders des ungleichen Paares Mime und Siegfried. Arnold Bezuyen und Andreas Schager geben wirklich alles, was man sängerisch erwarten kann und begeistern durch ihr intensives ausdrucksvolles Spiel.

 Bayreuther Festspiele 2022 / SIEGFRIED © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / SIEGFRIED © Enrico Nawrath

Im zweiten Aufzug finden wir uns in wieder neu zusammengesetzten Elementen der Götterwohnung wieder.Eine Wohnlandschaft, der große Kamin, die gläserne Pyramide - all diese Erinnerungsmotive tauchen erneut in anderem Kontext wieder auf. In der Mitte nach hinten ausgerichtet liegt ein alter Mann in einem Krankenbett. Daneben steht ein junger Mann. An seiner Kleidung - gelbes Shirt, dunkle Hose - erkennen wir das Rheingold-Kind wieder. Es braucht schon ein bisschen Phantasie, zu realisieren, dass der alte Mann im Bett Fafner ist, der das Gold hütet. Aber wie für viele andere von Schwarz' Ideen gilt: wenn man sich darauf einlassen kann, ist es eigentlich ganz logisch.

Ein Besucher, Alberich, kommt und bringt Blumen. Olafur Sigurdarson erfreut wieder mit ausgezeichneter Textverständlichkeit und grandioser Bühnenpräsenz. Als nächster Besucher kommt der Wanderer mit einem - wie es sich für ihn geziemt - riesigen Blumenkorb. Alberich möchte ihn gerne loswerden, doch der Wanderer stellt fest: "Zu schauen kam ich, nicht zu schaffen!" und bedient sich erst einmal an der Bar, die in einer Säule untergebracht ist.

Es folgen Männergespräche am Kamin. Schließlich beschließt der Wanderer, Fafner aufzuwecken: "Fafner! Fafner! Erwache, Wurm!" Das Bett ist immer noch umgedreht, so dass das Publikum nicht sehen kann, wer darin liegt. Es ist nur die Stimme zu hören "Wer stört mir den Schlaf?" und nach ein paar weiteren Versuchen, ihn zu wecken: "Ich lieg' und besitz: lasst mich schlafen!"

Siegfried und Mime kommen hinzu, mit Sack und Pack, etwas abgerissen und zerzaust. Diese Besucher passen so gar nicht hierher, und das Personal will sie wieder wegschicken. Siegfried lässt sich davon aber gar nicht beeindrucken und futtert chinesisches Fastfood aus einer Pappschachtel. Sein zierliches Schwert legt er auf dem Wohnzimmertisch ab. Mime hofft nun, dass Siegfried und Fafner sich gegenseitig umbringen mögen, jedoch stellt sich bei dem Knaben immer noch keine Furcht ein. Eher Ärger darüber, dass er Mime nicht loswerden kann.

Siegfried denkt an seine toten Eltern und beklagt seine Einsamkeit. Während er sich fragt, wie seine Eltern wohl aussahen, richten die Bediensteten Fafner in seinem Bett auf. Kaum sind dessen Lebensgeister erwacht, grabbelt er die Pflegerin an, die schließlich vor seiner Übergriffigkeit zu Siegfried flieht. Die Pflegerin stellt sich als Waldvogel heraus und Siegfried wendet sich ihr zu, seine Annäherungsversuche sind jedoch etwas plump. Das "Rohr", mit dem er den Gesang des Waldvogels nachahmen will, erklingt nur im Graben, auf der Bühne gibt es keine Entsprechung. Sein Krücken-Schwert dient jedoch als Horn, für den nächsten Versuch. Großes Lob an dieser Stelle an die Hörner! Damit ist jedoch der Zorn Fafners geweckt. Das Personal dreht ihn mit dem Bett um und hilft ihm heraus. Am Rollator schleppt sich der Greis vorwärts. Fafner erklärt "Trinken wollte ich, nun treff ich auch Fraß!" Wolfgang Schwinghammer gestaltet die Rolle unter diesen erschwerten Bedingungen souverän und mit eindrucksvollem bedrohlichem Bass.

Siegfried lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken und stößt den Greis zu Boden. Siegfried muss keine Heldentaten vollbringen, der Drache stirbt einfach an einem Herzinfarkt. So kann man den Satz "Nothung trägst du im Herzen" auch interpretieren.

Der Waldvogel, die gedemütigte Pflegerin, nimmt dem toten Fafner einen silbern glitzernden Schlagring ab und gibt ihn Hagen. Der Ring ist wieder beim Hort. Alexandra Steiner singt den Waldvogel und spielt die Pflegerin sehr überzeugend. Ihr klarer heller Sopran ist leicht und wendig, so dass die schnellen Passagen mit dem vielen Text sehr gut zu verstehen waren.

Die folgende Szene mit Alberich und Mime war auch großartig gespielt. Sigurdarson und Bezuyen sind beide hervorragende Sängerdarsteller, die die Streitigkeiten zwischen den beiden Nibelungen mit viel Liebe zum Detail und Spielfreude umsetzen. Nachdem Fafner nun tot ist, bedienen sich alle an der Bar. Mime will wissen, ob Siegfried nun das Fürchten gelernt hat. Das ist immer noch nicht der Fall. Da Siegfried nun für Mime den Drachen erlegt hat, braucht er ihn nicht mehr und will ihn mit einem Trank umbringen. Er wirft wütend seine Kappe weg.

Mit den Worten "Neides-Zoll zahlt Nothung, dazu durft’ ich ihn schmieden." ersticht Siegfried Mime und erstickt ihn sicherheitshalber noch mit einem Kissen, Hagen vollendet das grausame Werk, als Rache für den Raub.

Jetzt fällt Siegfried wieder ein, dass er allein ist: "..meine Mutter schwand, mein Vater fiel, nie sah sie der Sohn". Vielleicht weiß der Waldvogel Rat: "Freundliches Vöglein, dich frage ich nun: gönntest du mir wohl ein gut' Gesell?" Und tatsächlich liegt hier die Lösung. Der Waldvogel erzählt Siegfried, dass ein herrliches Weib auf einem Felsen schläft und weist ihm den Weg zu Brünnhilde.

Siegfried legt seinen Kopf in ihren Schoß und lauscht dem Gesang des Waldvogels. Hagen findet Mimes Kappe und setzt sie auf. Tarnhelm und Ring sind wieder beim Hort.

Der Walvogel lässt den Kittel fallen und befreit sich mit dieser Geste von Fafner und der reichen Männergesellschaft, ein kleiner Akt der Emanzipation. Siegfried bricht auf zu Brünnhilde, für beide beginnt ein neues Leben. Der Vorhang fällt.

Im dritten Aufzug besteht die Bühne wieder aus Teilen von Wotans Haus in der Walküre, wieder anders zusammengesetzt. Auch die leuchtende Pyramide ist wieder da. Der Wanderer weckt Erda auf mit den Worten "Wache! Wache! Wala, erwach'!" Erda trägt die Pyramide in ihren Händen. Im Hintergrund liegt Brünnhilde, mit goldener Wärmefolie bedeckt.

Auch diese Szene ist dank Tomasz Konieczny und Okka von der Damerau ein Höhepunkt des Abends. von der Dameraus warmer dunkler Mezzosopran ist eine Traumbesetzung für die Erda. Zauberhaft und ausdrucksstark gestaltet sie ihr "Mein Schlaf ist Träumen, mein Träumen Sinnen, mein Sinnen Walten des Wissens." Jede Silbe ist zu verstehen, es ist eine große Freude. Sie sprechen über Brünnhilde: "Ein Wunschmädchen gebar ich Wotan". Der Blick fällt an ein großes Bild an der Wand, es ist jedoch zur Wand gedreht.

Wanderer will Erda wieder fortschicken "Hinab! Hinab zu ew'gem Schlaf!" und hält sich die Pistole an den Kopf, es ist jedoch keine Munition darin.

Siegfried und der junge Hagen kommen und der Wanderer versucht, sich unter einer Decke zu verstecken. Als dies nicht gelingt, bedroht er Hagen mit der Pistole. Siegfried schlägt dem Wanderer die Pistole (den Speer) aus der Hand. Schließlich lässt der Wanderer ihn ziehen: "Zieh hin, ich kann dich nicht halten!" Die linke Bühnenseite ist in grünes Licht getaucht. Brünnhilde kommt langsam ins Licht. Sie trägt ein langes weißes Gewand, darüber einen hellen Umhang und einen Verband um den Kopf. Bei ihr ist der inzwischen stark gealterte Grane. Das einst dunkle Haar ist ergraut, die Statur gebeugt.

An dieser Stelle zieht Meister das Orchester groß auf, das Feuerzaubermotiv erkling. Die Leichen aus dem zweiten Aufzug (Mime und Fafner) liegen noch im Hintergrund herum. Mit den Worten "Selige Öde auf sonniger Höh'!" erblickt Siegfried zunächst Grane und dann Brünnhilde, ohne zu ahnen, wer das ist. Er nimmt ihr den Kopfverband (den Helm) ab und erkennt: "Das ist kein Mann!" Er erkennt, dass eine Frau ihn das Fürchten gelehrt hat.

Er küsst sie wach und das Licht wechselt von gelb zu weiß und wird wieder dunkel. Begleitet wird dieser Lichtwechsel von wunderbaren Harfenklängen. Ein Spot fällt auf Brünnhilde, die nun ganz erwacht ist und die Sonne begrüßt ("Heil dir, Sonne! Heil dir, Licht! Heil dir, leuchtender Tag!")

Die Siegfried-Brünnhilde, Daniela Köhler, macht deutlich mehr Freude als Iréne Theorin. Ihr Erwachen kam genauso strahlend und überzeugend, wie es sein sollte. Ihr "Heil dir, Licht" ist noch einmal strahlender, lauter und intensiver, als die erste Zeile. Vor dieser Kraft versteckt Siegfried sich zurecht. Köhlers dramatischer Sopran verfügt über einen brillanten Fokus und sehr guten Vordersitz. Schager und Köhler ergänzen sich ideal im Liebesduett. Grane und Siegfriedzerren an Brünnhilde, Siegfried zieht seine Weste aus. Plötzlich hält er sein altes Pin-Up-Poster in der Hand und bittet "Sei mein Weib!"

Als Brünnhilde singt "Ewig war ich, ewig bin ich" ist sie oben auf der Galerie, Siegfried ist unten. Schließlich nimmt er des Hut des Wanderers und geht hinauf zu Brünnhilde. Er gibt ihr den Hut, der ursprünglich ihrer war, bevor Wotan damit zum Wanderer wurde. Mit dem Ruf "Sei mein! Sei mein! Sei mein!" dreht Schager noch einmal richtig auf, getragen von der schwelgenden Musik und kommt doch mühelos über das große Orchester. Das Liebesduett endet mit den Worten "Leuchtende Liebe, lachender Tod!" Das glückliche Paar steigt in der Garage ins Auto und fährt weg.

Der Vorhang fällt.

Siegfried lässt das Publikum wieder mit einigen Fragezeichen zur Inszenierung zurück, insgesamt unterhält er jedoch sehr gut. Dass der Abend so kurzweilig geriet, ist zum einen den vielen liebevollen Details in Valentin Schwarz' Inszenierung zu verdanken, aber auch den phantastischen Solisten. Das Zusammenspiel von Mime und Siegfried, aber auch Mime und Alberich und nicht zuletzt Siegfried und Waldvogel sowie Siegfried und Brünnhilde machen den Abend zu einem kurzweiligen Vergnügen. Gesungen wurde durchweg auf sehr hohem bis höchstem Niveau. Es ist unglaublich, mit welcher Durchschlagskraft und Energie Andreas Schager den Siegfried interpretiert. Aktuell dürfte es wohl kaum einen anderen Tenor geben, der ihm in dieser Rolle das Wasser reichen kann. Schager verfügt über Kraft und Ausdauer und zeigt bis zum Schluss keine Anzeichen von Ermüdung seines strahlenden Heldentenors. Dementsprechend üppig fiel auch der Applaus des begeisterten Publikums aus, das die Solisten unzählige Male vor den Vorhang klatschte.

Bayreuther Festspiele 2022 / GÖTTERDÄMMERUnG © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / GÖTTERDÄMMERUnG © Enrico Nawrath

Götterdämmerung - Dritter Tag

Leo Tolstoi stellte in seinem Roman Anna Karenina fest: "Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich." Das ist die Grundlage des Anna-Karenina-Prinzips. Während für eine glückliche Familie viele Faktoren stimmen müssen, braucht bei einer unglücklichen Familie nur einer dieser Faktoren nicht zu stimmen und das Unglück ist besiegelt.

In der Familiensaga, als die Valentin Schwarz den Ring des Nibelungen anlegt, verfolgen wir das Schicksal der handelnden Personen über lange Strecken. Bei 34 Figuren werden einige Unschärfen beleuchtet. Woher kommt Erda, die Urmutter? Ist sie wirklich die Mutter der acht Walküren oder nur von Brünnhilde? Bei Alberich werden Lüsternheit und Minne zuerst noch gleichgesetzt. Schwarz denkt die Konstellationen an einigen Stellen anders. Er sieht den Lichtalben Wotan und den Schwarzalben Alberich als Zwillingspaar. Das Rheingoldkind, eine hinzu erfundene Figur, wird zu Hagen. Die Saat der Gewalt, die schließlich zum Tod Siegfrieds führt, wird früh gesät. Es symbolisiert den Raubbau an der Umwelt, wodurch wir den Kindern die Zukunft nehmen, sie quasi in Geiselhaft nehmen.

Schwarz legt die Nornenszene als Rückschau an, lässt sie aus der Handlung herausfallen. Sie steht hier auch für die Weitergabe der Traumata an die nächste Generation. Siegfried und Brünnhilde haben ein Kind bekommen, ein kleines Mädchen. Requisiten aus dem Rheingold tauchen wieder auf wie ein Schwimmreifen, die Wasserpistole, der Ball, die Decke etc.

Wotans Schlafzimmer ist in der Rückblende das Schlafzimmer der Wälsungen. Grane ist der Hausfreund von Brünnhilde und Siegfried.Dieser hat das Bedürfnis, der häuslichen Enge zu entfliehen und sich eine Auszeit zu nehmen. Gunther und Gutrune sind noch unverheiratet. Das Anwesen der Gibichungen ist ein weitläufiger Bau. Schwarz stellt in Frage, ob es einen "Vergessenheitstrank" braucht, seine Inszenierung verzichtet auch auf den Tarnhelm. Später entreißt Gunther Brünnhilde ihre Tochter, weil sie der lebende Beweis für ihre Liebe zu Siegfried ist. In der Doppelhochzeit greift Schwarz mit den Stabmasken des Chores die Kostüme der Uraufführung auf.

Auch der Pool aus dem Rheingold taucht wieder auf. Er wird zum Abbild der Schieflage von Natur und Zivilisation. Die Rheintöchter sind alt geworden, ihr Kampf gegen die Vergänglichkeit war vergeblich. Auch die Leitmotive sind gealtert, soll Pierre Boulez einmal gesagt haben.

Die Motive entwickeln eine Eigendynamik, sie verselbständigen sich von Handlung und Text, die Musik wird zum eigentlichen Träger der Handlung. Brünnhilde kann am Ende loslassen. Sie lässt die alte Welt untergehen, um einer neuen Welt Platz zu machen. Das zeigt ihre Stärke. Die Frage bleibt, ob es die kommende Generation besser machen wird? In der Götterdämmerung klärt sich vieles auf, was in den drei vorangegangenen Teilen noch diffus war.

Die Pyramide erfüllt verschiedene Funktionen. Sie steht für Walhall (im Rheingold), ist aber auch ein Herrschaftssymbol und zugleich ein Grabmal. Als Siegfried Brünnhilde erweckt, kommt sie aus einer Pyramide heraus.

Hagen, das Rheingoldkind, wird Alberich geraubt. Er ist aber nicht der Vater, wahrscheinlich ist es eine Waise, das wird bewusst offen gelassen.

Bayreuther Festspiele 2022 / GÖTTERDÄMMERUG © Enrico Nawrat
Bayreuther Festspiele 2022 / GÖTTERDÄMMERUG © Enrico Nawrat

Das Schwert, Nothung, ist ein "Vorgang" im ersten Akt Siegfried. Es symbolisiert die Loslösung von der Scheinwelt, die Alberich für Siegfried geschaffen hat. Im ersten Akt Walküre dient es dazu, dass Siegfried sich über seine eigene Herkunft bewusst wird.

In Schwarz' Inszenierung ist die Waffe eine Schusswaffe. In der Wissenswette wird sie zum Geschenk Wotans an Mime. Dessen Krücke wird zur Stoßwaffe. Das Mädchen, das Erda begleitet, ist eine Helferin. Sie ist mir ihr zusammen alt geworden, Erda ist erblindet und ist auf sie angewiesen als Führerin. Die Gebrechlichkeit des Alters zeigt sich auch in dem alten Mann Fafner. Viele Erwartungen werden hier in die Kinder projiziert, die Probleme werden nicht gelöst, sondern an die nächste Generation weitergegeben.

Brünnhilde bescheidet sich mit ihrer Rolle im Haus und schickt ihren Mann hinaus in die Welt. Das ist ein Absturz als einstige Lieblingstochter Wotans und wenn man ihre frühere Aufgabe als Walküre betrachtet.

Die Kappe von Hagen ist ein szenisches Leitmotiv. Sie ist nie eindimensional, sondern hat verschiedene Bedeutungen. Im Rheingold ist sie beim Kind, im Siegfried erst bei Mime, dann wieder bei Hagen. Hagen erkennt Mime erst über diese Kappe wieder. Der Hut Brünnhildes verdeutlicht die Komplizenschaft zwischen Wotan und Brünnhilde. Er nimmt ihr den Hut in der Todesverkündigung. Die Decke des Rheingoldkindes taucht ebenfalls immer wieder auf.

Zum Vorspiel erblicken wir die drei Nornen in den Kinderzimmern der Wälsungen-Kinder.

Brünnhilde und Siegfriedhaben ein Kind, ein kleines Mädchen. Das Schicksalsseil der Nornen ist der Rettungsring aus dem Rheingold. Das Kind spielt mit dem Wasserball, ebenfalls aus der Poolszene des Rheingoldes. Auch die Wasserpistole, mit der der kleine Junge die anderen Kinder nass gespritzt hat, findet sich im Kinderzimmer. Das Kind zielt mit ihr auf Alberich. Die Nornen fangen das Kind mit der Decke und Alberich befreit es schließlich wieder. Die Nornen und Alberich gehen ab. Grane taucht auf, alt und mit weißem Haar und nimmt das Kind mit.

Nach dem traumhaften Zwischenspiel im Orchester ruft Brünnhilde ihren Gatten: "Zu neuen Taten, teurer Helde!" Sie trägt einen roten Rock, eine gelbe Bluse und eine Strickjacke. Vorbei die ruhmreichen Zeiten als Walküre, nun ist sie nur noch die brave Hausfrau und Mutter. Siegfried trägt eine beigefarbene Hose und eine grüne Jacke.

In der Mittellage ist Theorin wiederholt zu leise bzw. das Orchester zu laut, auch bleibt die Textverständlichkeit wieder auf der Strecke. Stephen Gould als Siegfried glänzt mit tenoraler Kraft und angenehmem Timbre.

Grane kommt mit zwei Koffern. Siegfried geht, Brünnhilde und das Kind bleiben zurück. Das Schicksal vieler Frauen? Grane, einst Brünnhildes treuer Freund, geht mit Siegfried.

Das Zwischenspiel erklingt, wunderbar klingen die Hörner, insbesondere das Siegfried-Horn. Die Kulisse fährt hoch, es erscheint ein modernes etwas steriles Wohnzimmer, das offenbar gerade neu eingerichtet wird. An der Wand hängt ein großes Foto von einer Safari. Die Gibichungen frönen gerne der Jagd und präsentieren stolz ihre Trophäen.

Gutrune (herrlich dick aufgetragen: Elisabeth Teige) trägt einen giftgrünen Hosenanzug, schlürft Champagner und macht Selfies.

Gunther (anarchisch mit blonder Langhaarfrisur: Michael Kupfer-Radecky) lümmelt auf der weißen Designercouch und trägt ein graues T-Shirt mit dem Aufdruck "Who the fuck is Grane?" nebst blau getönter Sonnenbrille. Hagen (jetzt nicht mehr als stumme Rolle, sondern stimmgewaltig: Albert Dohmen) trägt wegen der Wiedererkennung ein gelbes Hemd und eine dunkle Hose.

 Bayreuther Festspiele 2022 / GÖTTERDÄMMERUnG © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / GÖTTERDÄMMERUnG © Enrico Nawrath

Siegfrieds Hornmotiv erklingt. Gunther singt "Vom Rhein her tönt das Horn." und winkt den Reisenden heran. Auf Siegfrieds Frage "Wo berg’ ich mein Ross?" nimmt ihm das Personal Grane und das Gepäck ab. Dadurch, dass ein Mensch mit den Dienern mitgeht, verbreitet die kleine Szene eine gewisse Komik. Gunther wendet sich an Siegfried mit den Worten "Begrüße froh, o Held, die Halle meines Vaters!" Albert Dohmen singt mit angenehmem Timbre und guter Textverständlichkeit. Siegfried findet die Masken. Hagen hat eine Kappe (die er schon als Rheingoldkind trug) und erklärt Siegfried die Funktion des Tarnhelms.

Gutrune singt "Willkommen, Gast, in Gibich's Haus! Seine Tochter reicht dir den Trank." Siegfried trinkt den Kelch jedoch nicht aus, sondern gießt den Inhalt über Grane. Mithilfe des Vergessenheitstranks soll Siegfried Brünnhilde vergessen.

Er wendet sich wieder Gunther und Gutrune zu. Er durchschaut nicht das Spiel der Gibichungen, die ihn nur freundlich ausfragen, um herauszubekommen, wo sich Ring und Tarnhelm befinden und ihn mittels einer List dazu bewegen, Brünnhilde für Gunther als Gattin zu befreien.

Nachdem die Frauen untereinander verschachert wurden schließen Gunther und Siegfried Blutsbrüderschaft. Hagen bringt ein Lätzchen und ein Glas Blut (warum hat Grane eine blutende Kopfwunde?), Gunther nimmt die Kappe (den Tarnhelm) und geht mit Siegfried.

Hagen bleibt allein zurück. Das "Hier sitz ich zur Wacht!" singt Dohmen sehr überzeugend und eindringlich. Jedes Wort ist zu verstehen. Er hantiert mit einem Messer. Ein Diener bringt den gefesselten und blutenden Grane auf einem Wagen herein. Allmählich wird deutlich was für ein finsterer Geselle Hagen ist.

Der obere Teil der Bühne fährt hoch und das Kinderzimmer kommt wieder herunter vor die Szene. Das kleine Mädchen, die Tochter von Siegfried und Brünnhilde, spielt dort. Es ist Nacht. Das Kind malt ein Bild, als Waltraute durchs Fenster hereinkommt. Sie berichtet, dass sie gegen Wotans Gebot verstoßen hat, um Brünnhilde von Wotans letztem Wunsch zu berichten. Dieser ist machtlos geworden und will seine alte Schuld wieder gutmachen und den Rheintöchtern den Ring zurückgeben.

Christa Mayer überzeugt nicht nur als Fricka sondern ebenso als Waltraute. Ihre Erzählung gestaltet sie eindringlich liebevoll und innig. Waltraute findet die Stichwaffe von Siegfried. Brünnhilde zerknüllt das von ihrem Kind gemalte Bild, das die Maske zeigt. Brünnhilde will das alles nicht hören, sie schickt Waltraute fort. Den Ring will sie nicht hergeben.

Gunther kommt und hat das Kind bei sich, es wird an einen Stuhl gefesselt. Siegfried erscheint mit dem Tarnhelm. Siegfried singt, aber Gunther spielt. So wird die Verwechslung verdeutlicht. Als Siegfried singt "Die Nacht bricht an: in deinem Gemach musst du dich mir vermählen" wird Brünnhilde gefesselt und vergewaltigt.

Der zweite Aufzug spielt zunächst in einem leeren Raum mit hohen Glaswänden. Hagen ist allein in der Gibichungenhalle, er trainiert mit einem Boxsack. Alberich kommt mit der Wasserpistole aus Rheingold herein. Er fragt ihn "Schläfst du, Hagen, mein Sohn?" Hier und im folgenden fällt wieder die wunderbare Deklamation von Olafur Sigurdarson auf sowie sein kraftvoller charaktervoller Bariton. Die Personen sind alt geworden, Alberich hat eine Glatze bekommen, trägt Brille und hat einen langen Bart. Alberich bedrängt Hagen, den Ring zurückzuholen: "Schwörst du's, Hagen, mein Held?" und Hagen verspricht es: "Mir selbst schwör ich's: schweige die Sorge!" indem er sein Handtuch über Alberich legt. Dieser ermahnt ihn noch "Sei treu, sei treu!" und geht ab.

An dieser Stelle sei nochmals das Blech erwähnt, insbesondere die fabelhaften Hörner. Hagen bleibt allein zurück.

Siegfried erscheint, angekündigt durch das Horn-Motiv. Er hat das Kind bei sich. Gutrune kommt dazu, in einem schwarzen Lackkleid. Sie ist neugierig, ob die Täuschungsaktion gelungen ist. Siegfried berichtet, dass der Tarnhelm seine Wirkung bei Brünnhilde nicht verfehlt hat. Die beiden gehen ab. Hagen bleibt allein zurück und ruft die Gibichs-Mannen zur Hochzeit und zu den Waffen. Während der Hoi-ho-Rufe fährt die Glaswand hoch.

Das nun folgende Bild gehört zu den stärksten und eindrucksvollsten des ganzen Rings. Die Tiefe der Bühne füllt sich mit Nebel, die Kombination aus Nebel und fahlem Licht schafft eine geheimnisvolle düstere Atmosphäre. Von hinten tauchen die Gibichs-Mannen in einer geordneten Formation auf. Sie tragen lange schwarze Kutten und rote Stabmasken. Es sind die Masken, die schon die Kinder im Kinderhort und später die Wälsungenkinder gemalt haben. Diese Formation unterstreicht die massiven Orchesterklänge, insbesondere das kraftvolle schwere Blech.

Je weiter die Formation nach vorne kommt, umso nachdrücklicher sucht das Kind Schutz bei Hagen. Er schützt das Kind, also den Hort.

Hagen ruft die Mannen zu Opfergaben für die Götter auf: "Einen Eber fällen sollt ihr für Froh!" ... "Alles den Göttern zu Ehren, dass gute Ehe sie geben!" Der Festspielchor (Einstudierung Eberhard Friedrich) gibt hier wiederholt ein beeindruckendes Zeugnis seiner überragenden Qualität.

Mit den Worten "Heil! Heil! Willkommen! Willkommen! Heil dir, Gunther! Heil dir und deiner Braut!" begrüßen die Mannen Gunther und Brünnhilde. Die Braut trägt einen rosa Morgenmantel. Gunther stellt sie den Gästen vor: "Brünnhild', die hehrste Frau, bring' ich euch her zum Rhein!" Er klingt dabei lüstern und schmutzig. Michael Kupfer-Radecky offenbart hier die Wandlungsfähigkeit seines Baritons und seine darstellerischen Fähigkeiten. Brünnhilde steht die ganze Zeit mit verbundenen Augen da.

Siegfried und Gutrune kommen hinzu. Brünnhilde verschwindet im Chor, wie in einem Labyrinth. Sie ist verstört, erkennt Siegfried und versteht nicht, was vor sich geht. Als Siegfried ihr erklärt, dass er Gutrune heiraten wird so wie sie Gunther, schwankt sie: "Mir schwindet das Licht!" Brünnhilde zerrt an dem Kind, dann schubst sie es zu Siegfried. Das Kind/ der Ring wechselt die Besitzer. Beide beschuldigen sich gegenseitig des Betrugs und schwören schließlich bei Hagens Speer den Eid. "Helle Wehr, heilige Waffe, hilf meinem ewigen Eide!"

Die Gibichs-Mannen formen einen Kreis um  Hagen, Siegfried und Gunther und gehen dann durch den angestrahlten Nebel ab, dabei lassen sie die Masken zurück.

Die hintere Wand fährt herunter. Hagen und Brünnhilde kommen zurück. Ein Diener bringt eine große Plastiktüte.

Hagen und Gunther wissen sich keinen anderen Ausweg aus der Situation und beschließen Siegfrieds Tod. Auch Brünnhilde stimmt ein "Siegfried falle - zur Sühne für sich und euch!" Das folgende Terzett besiegelt Siegfrieds Schicksal. Um die Tat zu verheimlichen, soll sie als Jagdunfall getarnt werden. Gutrune und Siegfried bringen das Kind zu Brünnhilde, die Walküre erhält den Ring zurück. Mit diesem starken Schlussbild endet der zweite Aufzug, in den frenetischen Applaus mischen sich Buh- und Bravorufe.

Mit dem Bühnenbild zum dritten und letzten Aufzug der Götterdämmerung schließt sich, zumindest angedeutet, optisch wieder der Kreis zum Beginn des Rheingoldes. Die Bühne wird beherrscht durch einen großen Pool, dieses Mal kein flaches, zum Plantschen und Spielen einladendes Becken, sondern ein tiefer, allerdings leerer Pool, in den eine Leiter hinabführt. Der Pool oder der Rhein ist jedoch trockengefallen, Blätter und Dreck haben sich darin angesammelt.

Siegfried und sein Kind halten ein Picknick auf dem Grunde des Pools ab. Es gibt einen Picknickkorb und eine Decke, Siegfried angelt, während er auf der Kühlbox sitzt.  Oben am Rande des Pools befinden sich ein Geländer und ein Sprungbrett. Die Rheintöchter eröffnen klangschön: "Frau Sonne sendet lichte Strahlen!"

Die ebenfalls gealterten Rheintöchter erzählen Siegfried, dass er Alberichs Fluch entgehen kann, wenn er ihnen den Ring freiwillig zurückgibt. Dazu ist Siegfried jedoch nicht bereit, er schützt das Kind, also den Ring, und schließlich prophezeien die Rheintöchter "Ein stolzes Weib wird noch heut' dich Argen beerben." Da Siegfried aber ohne Furcht ist, schreckt ihn die Prophezeiung der Rheintöchter nicht.

 Bayreuther Festspiele 2022 / GÖTTERDÄMMERUnG © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / GÖTTERDÄMMERUnG © Enrico Nawrath

Gunther, Hagen und die Gibichs-Mannen kommen unter Hoi-ho-Rufen  hinzu. Siegfried lädt Hagen ein "Hier ist frisch und kühl!" Hagen klettert vom Rand des Pools hinunter zu Siegfried, der ihm ein Bier aus der Kühlbox reicht. Mit seinem eigenen prostet er Gunther zu, der mit einer Tüte in der Hand kommt. Sein "Trink, Gunther, trink, dein Bruder bringt es dir!" klingt bei Stephen Gould auch im dritten Aufzug noch frisch und voller Kraft und Glanz. Siegfried erzählt, sich plötzlich wieder erinnernd, von seiner Kindheit bei Mime, seiner Begegnung mit dem Waldvogel und zu seiner eigenen Überraschung auch von Brünnhilde, die er dank des Vergessenstrankes aus seiner Erinnerung gelöscht hatte. Die Gibichungen sehen das als Geständnis seines Meineides. Hagen erschlägt daraufhin Siegfried, kommentiert von Gunther und den Mannen: "Hagen, was tust du? Was tatest du?"

Im Sterben richtet Siegfried sich auf und denkt an Brünnhilde. Das Kind versucht ihn aufzuwecken, rüttelt an ihm, eine sehr berührende Szene. Es folgt der Trauermarsch / Siegfrieds Tod, sehr berührend und intensiv vom Festspielorchester gespielt. Hagen und das Kind decken Siegfried mit Hagens Jacke zu und gehen ab.

Gutrune kommt hinzu, sie glaubt, Siegfrieds Horn gehört zu haben. Sie sucht Brünnhilde, findet sie jedoch nicht. Hagen kündet die zurückkehrende Jagdgesellschaft an und berichtet Gutrune, dass ihr Gatte Siegfried das Opfer eines wilden Ebers geworden sei, woraufhin sie zusammenbricht. Elisabeth Teige gestaltet auch diese bedrückende Klageszene mit großem Ausdruck und leicht metallischem Glanz sowie starker Bühnenpräsenz. Leider ist auch hier das Orchester stellenweise ein bisschen zu laut.

Kaum ist Siegfried tot, entbrennt zwischen Hagen und Gunther der Streit um den Ring. Gunther packt das Kind, nimmt den Ring an sich. Inzwischen erscheint Brünnhilde mit den Rheintöchtern. Sie bleibt oben am Rand des Beckens am Bauzaun stehen. Die Gibichs-Mannen gehen ab. Hagen sitzt unten am Grund des Pools.

Bei "Starke Scheite schichtet mir dort am Rande des Rheins zuhauf" sind einige Textstellen wieder nicht zu verstehen und einzelne Passagen leider unsauber. Gunther steigt mit der Tüte die Leiter in den Pool hinab, lässt dabei den Beutel fallen und sucht das Weite. Auch Brünnhilde geht nun nach unten, die Rheintöchter treten vor.

Brünnhilde trägt wieder ihren Walküren-Hut, steht vorne im Spot. Sie nimmt die Jacke vom Gesicht des toten Siegfried zur Todesklage "Wisst ihr, wie das ward?" Auf "Ruhe, ruhe, du Gott" lässt sie ihren Hut fallen. Sie nimmt einen Benzinkanister auf, lässt aber auch diesen fallen. Die Rheintöchter und Hagen gehen ab. Die Rheintöchter gehen zu dem Kind, welches auch umfällt. Zu den Worten "Grane, mein Ross, sei mir gegrüßt!" nimmt sie die Tüte und findet Granes abgetrennten blutigen Kopf darin. Das Orchester im Fortissimo deckt Theorin nun fast vollständig zu.

Brünnhilde legt Granes Kopf beiseite und legt sich zu dem toten Siegfried. Oben steht Hagen mit dem Kind. Die Kulisse mit der ausgebeuteten verdorrten Landschaft fährt herunter, Leuchtstoffröhren deuten das brennende Walhall an. In einer Videoprojektion sehen wir die Zwillings-Embryos vom Anfang des Rheingolds. Sie halten einander fest umschlungen.

Kaum, dass der Vorhang geschlossen ist, setzen zahlreiche Buhrufe ein.

In der Vielzahl galten sie sicher dem Regieteam, das sich nach dem zweiten Zyklus allerdings nicht dem Publikum zeigte. Ein großer Teil des Buhs galt allerdings explizit Frau Theorin, die leider im Vergleich mit den vielen wunderbaren Kollegen und Kolleginnen tatsächlich objektiv eine deutlich schwächere Leistung ablieferte.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass seitens des Dirigats eine große Steigerung vom noch recht unspektakulären Rheingold über viele schöne Momente und Passagen in Walküre und Siegfriedbis zu wirklich berührenden Stellen in der Götterdämmerung zu verzeichnen war.

Dabei muss man Cornelius Meister sicher die knappe Probenzeit durch die Wechsel im Vorfeld zugute halten. Kleine Unausgewogenheiten in der Balance zwischen Graben und Bühne können sicher in den Folgejahren mit mehr Probenzeit und besserer Vertrautheit mit den akustischen Besonderheiten des Festspielhauses ausgeglichen werden.

Viele, die allermeisten, Rollen waren adäquat bis luxuriös besetzt. Sowohl die Rheintöchter als auch die Nornen waren großartig in stimmlicher und darstellersicher Hinsicht. Tomasz Konieczny ist einer der derzeit besten Wotane / Wanderer, die es gibt und wurde für seine überragende Leistung zurecht vom Publikum gefeiert. Christa Mayer beeindruckte durch ihre Erfahrung und Souveränität sowohl als Fricka als auch als Waltraute. Elisabeth Teige bewies enorme Wandlungsfähigkeit als Freia und Gutrune. Okka von der Damerau ist die Idealbesetzung der Erda und purer Luxus als 1. Norn. Eine große Freude waren jedes Mal Olafur Sigurdarson als Alberich und Arnold Bezuyen als Mime mit ihrer phantastischen Ausstrahlung und Bühnenpräsenz. Andreas Schager als junger und Stephen Gould als erwachsener Siegfried sind beide so eine sichere Bank, dass man sich bei ihnen immer auf einen gelungenen Abend freuen kann. Klaus Florian Vogt, Lise Davidsen und Georg Zeppenfeld haben mit ihren herausragenden Leistungen die Walküre zu einem ganz besonderen Erlebnis gemacht. Daniela Köhler war eine strahlende Brünnhilde im Siegfried, man hätte sie sich auch in der Walküre und Götterdämmerung gewünscht. Aber auch die bereits in den einzelnen Teilen beschriebenen Leistungen in den kleineren Rollen waren im Großen und Ganzen festspielwürdig.

Richard Wagner Denkmal © IOCO / RM
Richard Wagner Denkmal Berlin © IOCO / RM

Als Fazit bleibt festzustellen, dass Valentin Schwarz sich sehr wohl Gedanken gemacht hat, dass er sich durchaus mit dem Libretto beschäftigt und nicht "gegen den Text" oder "gegen die Musik" inszeniert hat, wie ihm gelegentlich vorgeworfen wurde. Im Gegenteil, es gibt viele Stellen im Verlaufe der Tetralogie, wo er genau das sehr intensiv getan hat. Ob man seine Symbolik mag oder seine Bildsprache, ist -wie so oft im Leben- Geschmacksache. Tatsache ist, dass die sehr bunte, stark bebilderte und sehr detailverliebte Inszenierung beim ersten Schauen sicher den einen oder anderen überfordert. Es ist sehr viel optischen Input, wodurch vielleicht das eine oder andere Detail auf der Strecke bleibt. Viele der liebevollen und intelligenten Details sind auch auf die Entfernung schwer zu erkennen und funktionieren somit nicht von allen Plätzen aus. Das Hinzuerfinden von Personen (der junge Hagen) oder die Vermenschlichung von Grane sind Dinge, auf die man sich einlassen muss, dann funktionieren sie auch. Wer das von vornherein ablehnt, nimmt sich selbst die Chance auf neue Erkenntnisse, und das wäre doch schade. Denn wer möchte schon sehen, was man schon zwanzigmal woanders gesehen hat.

Sicher war die Ablehnung von Teilen des Publikums zu spüren. Und sicher wurde der Ring von Teilen der Zuschauer ausgebuht. Aber das wurde zu Beginn der Chérau-Ring auch, und der entwickelte sich bekanntlich zum Jahrhundert-Ring. Warten wir ab und geben Valentin Schwarz im Rahmen der Werkstatt Bayreuth doch die Chance, an der einen oder anderen Stelle nachzujustieren. "Wisst ihr, wie das wird?" 110.

Bayreuther Festspiele 2022, DER RING - im Stil einer Netflix-Serie, IOCO Kritik


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