Barbara Krieger, Sopran, Interview, IOCO
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Mit Elektra auf der Bühne und im Aufnahmestudio den Olymp erklommen
Barbara Krieger hat in ihrer Karriere mit einer fulminanten Studio-Aufnahme von Richard Strauss Oper Elektra in ihrer Karriere einen neuen Meilenstein erreicht.
Die Aufnahme wird beim Label Solo Musica, physisch am 01.04.2025, und digital am 01.03.2025 (Vertrieb Naxos) auf den gängigen Straming Diensten und in der Naxos Music Library veröffentlicht werden.
Mit umjubelten Aufführungen der Oper in Brandenburg hat sich Barbara Krieger im vergangenen Jahr als eine neue herausragende Interpretin dieser Partie präsentiert.
Die Corona-Pause hat sie optimal genutzt, um diese wohl schwerste Sopranrolle vertieft zu erarbeiten uns zu verinnerlichen, So konnte sie sich mit den tiefen Abgründen der Rolle und deren Fallstricken vertraut machen. Barbara Krieger ist es gelungen, die Rolle sowohl live als auch im Studio mit zutiefst dramatischem, individuellem, anrührendem und eindringlichem Gesang auszufüllen.
Nach der ersten Öffnung der Theater während der Pandemie sang im August 2020 die Leonore in Fidelio in Graz bei den wieder aus der Taufe gehobenen Festspiele auf dem Schlossberg. Die einstudierte Isolde konnte sie pandemiebedingt zunächst nur in einer konzertanten Aufführung des 2. Aktes in Bukarest interpretieren.
Barbara Krieger ist unbeschadet ihrer dramatischen Ausflüge weiter im Belcantofach verankert. Ihr vielfältiges Können und umfangreiches Opernrepertoire hat sie im vergangenen Sommer im 8. Classic Open Air Dresden mit Arien und Duetten aus Werken von Puccini, Wagner und Verdi präsentiert. Weitere CD-Veröffentlichungen beinhalten auch Lieder des im 1. Weltkrieg gefallenen Komponisten Cecil Coles.
Gesanglich überzeugte sie durchweg mit lyrischem Klang, inniger Interpretation und einer immensen Klang- und Farbvielfalt der Stimme. Fulminante Attacke verbindet sie mit innwendigem Ton, so dass neben der Elektra weitere dramatische Rollen in Reichweite liegen. Unbeschadet dessen ist stets auch nach ihren dramatischen Ausflügen selbstverständlich in das Konzertrepertoire zurückgekehrt. So sang sie zuletzt im Berliner Dom im November 2024 ein begeistert aufgenommenes Verdi Requiem.
- Was waren ihre ersten Berührungspunkte mit Musik in der Kindheit und welche musikalischen Erfahrungen haben Sie als Jugendliche gesammelt?
Barbara Krieger: Mein Vater stammt aus einer sehr musikalischen Familie. Obwohl er kein Berufsmusiker ist, spielt er fünf Instrumente. Als kleines Kind hat er gemeinsam mit mir häufig die Zauberflöte für Kinder unter Karl Böhm gehört. Als ich bei meinem ersten Opernbesuch in der Zauberflöte in Wiesbaden die Arie der Königin der Nacht hörte, bin ich dann peinlicherweise aufgesprungen und habe mitgesungen (ein frühes, peinliches Rollendebüt). In der 5. Klasse haben wir die Meistersinger von Nürnberg durchgenommen mit allen Themen und Motiven. Gekrönt wurde das mit einem Opernbesuch und seitdem war mir klar, dass ich Sängerin werden will.
- Vor dem Gesangsstudium haben Sie Germanistik, Anglistik und Musikwissenschaften studiert. Welchen Einfluss hatte das für Sie, wie haben Sie das Studium und erste Schritte in den Beruf erlebt und was war für sie besonders wichtig?
Barbara Krieger: Natürlich sagen alle Eltern erst einmal, man müsse etwas vernünftiges Lernen. Das habe ich dann auch gemacht. Mir war aber immer klar, dass ich danach Sängerin werden wollte. Nach meinem ersten Studium fühlte ich mich mit meinen 22 Jahren steinalt, so dass ich mich entschied, nach Salzburg zu gehen. Grund war, dass ich davon ausging, dass dort um 7 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt würden und ich mich dadurch auf das Studium konzentrieren könne und nicht von einer Stadt mit ihren mannigfaltigen Angeboten abgelenkt würde. Wichtig für die Vorbereitung auf die Praxis waren die stimmliche Ausbildung und die übrigen Komponenten wie Darstellung. Ein wichtiger Faktor, der zu kurz kam, war der musiktheoretische Teil. Das Wissen um die Struktur und die Musiktheorie erleichtern Vorbereitung und Rollenstudium ungemein. Die Kenntnis von Liederzyklen wie Schöne Müllerin oder der Winterreise und den theoretischen Aufbau finde ich nicht nur musikalisch, sondern auch sprachgeschichtlich eminent wichtig. Wenn man als Kind diesen Zugang zu den Wurzeln der klassischen Literatur und Musik nicht bekommt, dann wird es schwierig, sich später mit der sogenannten ernsten Musik zu identifizieren und hineinzufinden. Konzerthörer, die wissen, dass beispielsweise in der Exposition das thematische Material vorgestellt wird, können das Wechselspiel der Haupt- und Seitenthemen viel besser verfolgen. Die Konzerterfahrungen können so anhand bekannter Muster besser miterlebt und intensiver genossen werden. Diese Grundlagen kommen mir heute zu kurz.
Ich glaube auch, dass stimmliche Sicherheit und eine intensive Beschäftigung mit und Vorbereitung auf das Werk Grundlage für eine inwendige Gestaltung sind. Zudem bin ich dadurch weitgehend von Lampenfieber verschont, weil ich vor Auftritten durch die Vertrautheit mit der Rolle nicht unsicher bin.
Heute ist eine extrem gute Vorbereitung für die Karriere noch wichtiger. Wegen des knappen Budgets viel weniger Proben möglich, so dass Sänger und Orchester extrem perfekt vorbereitet sein müssen.
Mir kommt das entgegen, da ich bei Proben häufig ungeduldig bin aber gerade für junge Kolleginnen und Kollegen wäre eine Unterstützung bei Rollenstudium während der Probenzeiten sehr hilfreich für ihre Entwicklung.
- Sowohl im letzten Berliner Konzert mit Verdis Requiem im Herbst des letzten Jahres als auch im Classic Open Air in Dresden im Sommer wurden Sie für Ihr silbernes, jugendliches Timbre, ihre solide Tiefe, die runde Mittellage und Ihre sicheren Höhen gelobt. Sie verfügen über eine sehr runde ausgeglichene und in allen Registern ansprechende Stimme, die in ihrer technischen Beherrschung an große Sängerinnen der Vergangenheit erinnert. Wie haben Sie das erreicht?
Barbara Krieger: Ein ganz wichtiger Punkt ist der Gesangscoach! Als etwas erfahrenerer Sänger weiß man sofort, welcher Coach passt und welcher eher nicht. Und das sowohl bei Gesangslehrern als auch bei Korrepetitoren. Ich habe lange mit dem leider 2023 verstorbenen Reiner Goldberg gearbeitet. Nach seiner großen Tenorkarriere war er ein begnadeter und liebevoller Pädagoge. Seine technischen Tipps und das Auflockern und Entspannen der Stimme selbst in den kleinsten Pausen und seine übrigen Hinweise haben meine Entwicklung weiter beflügelt. Ich bin lieber übervorbereitet, als etwas dem Zufall zu überlassen und auf der Bühne die Nerven zu verlieren.
Vor einigen Jahren kam eine Anfrage für eine Isolde in Venezuela. Daraufhin habe ich mich sofort an das Rollenstudium gemacht und mir die Partie in fünf Monaten erarbeitet. Die unglaubliche Vielfalt und Tiefe der Musik hat sich mir beim Rollenstudium noch mehr offenbart und dadurch konnte ich die Rolle in mir fließen lassen. Ich habe mich jeden Tag 2 Stunden gelernt und mit meinem Korrepetitor studiert. Zur Isolde in Venezuela ist es dann aufgrund politischer Umstände nicht gekommen. So war ich sehr froh über das Angebot aus Bukarest.
Ein grundsätzlicher Ansatz im Leben und nicht nur beim Singen ist auch, dass man, wenn es mal nicht so gut läuft, sich selbst am Schopf packen und dem eigenen Spiegelbild zuzulächeln muss. Schwierigkeiten sollte man optimistisch angehen und mit positiver Energie meistern. In meinem Freundeskreis habe ich Menschen, die trotz schwerster Schicksalsschläge eine sprühende Energie und Lebensfreude versprühen, die mich staunen macht und die für mich vorbildlich ist.
Diese Paarung von Disziplin, Konzentration, seriösem Studium, Lebensfreude und das Meistern von Lebenskrisen sind für mich sowohl wichtige Komponenten für das Leben als auch für eine erfüllte Gesangslaufbahn.
- Nach der Konzertaufführungen von Beethovens Missa Solemnis an der Sie Anfang März 2020 in Berlin mitgewirkte haben, fanden infolge der Pandemie bis August 2020 keine Konzerte statt. Sie haben das im August des gleichen Jahres mit der Grazer Leonore durchbrochen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Barbara Krieger: Für mich wie für alle anderen Musiker war die Zeit schrecklich, alleine schon deshalb, weil man nicht miteinander singen konnte, musizieren konnte und man nicht einmal miteinander lernen konnte. Jetzt bin ich aber auch nicht der Typ Mensch, der den Kopf schnell in den Sand steckt, und jammert, ich gehe Dinge lieber proaktiv an und habe mich deshalb entschlossen, die Pandemie zu nutzen, um Dinge zu lernen die Zeit brauchen. Ich hatte dann das große Glück mit Fidelio in Graz in den Kasematten, deren Dach man öffnen, kann der Pandemie schneller ein Ende zu setzen.
- Sie sind ja eine Frau, die durch die Vielfältigkeit der Ausbildung, den Reichtum des Gesangsrepertoires und die Intensität der Gestaltung heraussticht. Zudem verfügen sie über viele andere Begabungen aus denen das Talent zur Organisation von Festspielen wie den Dresdner Sommerkonzerten aber auch die Fähigkeit des Fliegens eines Hubschraubers hervorstechen. All dies macht ja einen Menschen aus. Welchen Blick haben Sie als im hier und jetzt lebender Mensch aber auch als Künstlerin auf eine Rolle wie die Leonore im Fidelio? Ist sie neben der tief Liebenden Frau auch eine Managerin oder eine Pilotin, die auf dem Dach der Feinde landet? In welcher Weise ist sie heute Vorbild für uns?
Barbara Krieger: Für mich ist die Fidelio Leonore in erster Linie eine Frau, die gegen Ungerechtigkeiten ankämpft und zwar mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln. Es fängt schon damit an, dass sie sich im ersten Akt sowohl gesanglich als auch gestalterisch zunächst im Hintergrund halten muss, um ihre Fäden zu ziehen. Für mich ist sie damit weniger Managerin oder Pilotin als vielmehr eine Frau, die all ihre Sinne beieinander hat und auch zurückstehen kann, um am Ende das zu erreichen, was sie möchte.
Fidelio, wie auch viele andere Klassiker haben für mich ihre Bedeutung in jeder Zeit. Wobei ich es sehr schätze, wenn ein Fidelio, ohne die doch sehr überholten Dialoge aufgeführt wird. Ich habe die Fidelio Leonore mit vielen unterschiedlichen Orchestern und Besetzungen gesungen und bin zunehmend hingerissen von der stärke dieser Frau. Natürlich. Wenn man das Libretto eins zu eins liest, weist es einiges auf, was sehr antiquiert wirkt aber das Universe dieser Klassiker liegt ja nicht im antiquierten Deutsch. Was diese Oper vielmehr so zeitlos macht ist, dass geplantes, kluges Handeln und abwarten können viel zielführender ist als das blosse Wollen. Um Roccos Vertrauen zu erlangen,in dessen Gefängnis ihr Gatte Florestan inhaftiert ist arbeitet sie zu Beginn der Oper bereits mehrere Wochen als dessen Gehilfe. Auch beim Erscheinen ihres und ihres Mannes Erzfeind Pizarro bleibt sie zumindest nach außen hin gefasst und zielgerichtet. Nur in ihrer großen Arie „Abscheulicher, wo eilst Du hin“, die sie allerdings völlig alleine auf der Bühne singt, brechen ihre Gefühle kurz hervor. Um ihr Ziel, ihren Mann zu befreien zu erreichen findet sie sich aber sofort wieder in ihre Rolle als Gehilfe und erreicht einen Spaziergang der Gefangenen an einem sonnigen Tag. Den ganzen ersten Akt hindurch muss sich diese sehr starke Frau im Hintergrund halten, um die Pläne zur Befreiung ihres Gatten voranzutreiben. Das spiegelt sich auch in der Komposition wider. Abgesehen von der Arie singt Leonore immer „unauffällige“ Mittelstimmen. Erst mit der Durchsetzung ihres Plans und der letztendlichen Befreiung Florestans setzt sie sich auch stimmlich an die Spitze. All das ist für mich zeitlos mutig. Heute müsste man sicherlich andere Mittel und Wege finden, aber der Mut, für die Erreichung seiner Ziele große Gefahren in Kauf zu nehmen, bleibt der gleiche.
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- Manche Pläne wie die vollständige Isolde auf der Bühne mussten durch die Pandemie zurückgestellt werden, aber vermutlich tragen sie die Rolle immer noch im Herzen. Eine gewisse Parallele zwischen Leonore und Isolde besteht ja darin, dass beiden Protagonistinnen der geliebte Mann entrissen wurde und die Heldinnen ihn zurücksehnen und sich für ihn aufopfern. Für Isolde hat das Schicksal aber den Zaubertrank bereitgehalten, so dass sie der Hochzeit mit dem ungeliebten König Marke entrinnt und an das Sterbebett Tristans eilt? Was verbinden sie mit diesem Werk und der Rolle?
Barbara Krieger: Isolde ist für mich von der Schönheit der Musik her kaum zu überbieten. Sollte ich dir Frauenfiguren, Isolde und Leonore vergleichen, fiele mir das schwer. Isolde lebt in einem Umfeld, in dem Wunder möglich sind und auch Zaubertränke. Leonore, in der harten Realität eines Kerkers. nichts, desto weniger vereint die beiden natürlich die stärke ihres Willens und auch die Kompromisslosigkeit in der Wahl der Mittel, um ihr Ziel zu erreichen.
Auch im Privaten musste ich natürlich schon früh erkennen, dass man im Leben nicht geholfen bekommt, dass es, um vorwärts zu kommen besser ist, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. In der Entstehungszeit der drei Opern war das Abwerfen des Rollenklischees starker Mann- zu beschützende Frau sicher revolutionärer als heute. Abe rauch heutzutage trifft man dieses Klischee noch häufig an, das in meinem Leben gar keine Rolle spielt. Nicht zuletzt deshalb mag ich diese drei Rollen außerordentlich.
- Blickt man auf Elektra kann man sich gesanglich auf den Gedanken verfallen, dass die Rolle der Isolde im ersten und zweiten Akt in zeitlich komprimierter Form in die Elektra gegossen wurde. Daher haben wenige Soprane beide Rollen lange erfolgreich gesungen. Wie ist bei Ihnen der Entschluss gereift, das Werk zu studieren und die Rolle auf die Bühne zu bringen?
Barbara Krieger: Elektra war mein Corona Projekt. Schon seit vielen Jahren haben diverse Dirigenten den Wunsch geäußert, mit mir Elektra zu machen. Da ich aber wusste, dass diese Partie eine sehr lange und sehr intensive Vorbereitungszeit braucht, die ich meist nicht hatte, habe ich immer abgelehnt. In der Corona Zeit hatte ich dann Zeit im Überfluss. Deshalb reite ihn mir auf der Gedanke, Elektra nicht nur herkömmlich zu lernen, sondern das ganze Werk ohne Striche. dabei ist mir aufgefallen, dass, wenn man das Werk ohne Striche aufführt, die Logik des Handelns, der Elektra endlich vollständig logisch ist. In der normalerweise aufgeführten Strich Fassung fehlt mir der emotionale Unterbau, um das Handeln der Protagonisten begreiflich zu machen.
- Mein Eindruck war, dass Sie die Rolle der Elektra schon in der Premiere dramatisch tief ausgelotet haben. Dabei haben Sie ungemein differenziert und wenn man das in dieser Rolle sagen darf, mit „Italianità“ aber auch immensem dramatischen Aplomb gesungen. Was waren ihre gesangstechnischen Leitlinien? Was waren die größten Fallsticke und was waren die wichtigsten Lehren für künftige Auftritte?
Barbara Krieger: Erst einmal vielen Dank. Bei Elektra war es für mich von allergrößter Relevanz, die Partie technisch und rhythmisch so genau zu lernen, dass sie mir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Denn im Gegensatz zu Isolde , die von der Musik getragen wird, ist dies bei Elektra gar nicht der Fall, sondern die rhythmische Komplexität untermauert nur die Zerrissenheit dieser Figur.
Ich hatte zwar gerade mit Elektra mein Rollendebüt, hatte aber vorher die Möglichkeit und gleichzeitig auch die Herausforderung, die gesamte Rolle auf CD einzusingen. Für mich war es wichtig, immer eine technische Distanz zu der sehr dramatisch aufspielenden Figur zu behalten. Einen besonderen Fokus habe ich daraufgelegt, nie die Gesangslinie zu verlassen, auch wenn es an einigen Stellen der Oper quasi danach schreit. Selten habe ich bei der Verkörperung einer Figur eine solche Entkopplung zwischen Schauspiel und Gesang erreichen können. Für mich war von allerhöchster Wichtigkeit, mich nie hinreißen zu lassen, um eines Effektes willen die gesangliche Struktur zu zerstören. Auch habe ich bereits beim Lernen der Rolle mit schon peinlicher Genauigkeit darauf geachtet, welche Töne ich im Brustregister singen werde und wo der Übergang liegt. Und an dieses Gelernte habe ich mich gehalten. Überhaupt ist es bei Partien wie beispielsweise Elektra von größter Wichtigkeit sie in Ruhe zu lernen. Ich habe die Corona Zeit genutzt und hatte dadurch alle Zeit der Welt. Und trotz meines großen Respekt es vor dieser Rolle, Bekam ich gerade am Wochenende das Kompliment, dass die Elektra meine Stimme hat reifen und schöner werden lassen. Also genau das Gegenteil von kaputt singen dass man häufig mit dieser Rolle verbindet.
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- Was bedeutet Elektra für Sie persönlich?
Barbara Krieger: Elektra ist für mich persönlich von unschätzbarem Wert, weil ich während der Corona-Pandemie die Gelegenheit hatte, mich tief in diese Oper zu versenken. Diese Zeit war für uns alle eine Phase der Unsicherheit und der inneren Zerrüttung, die mich besonders empfänglich für den komplexen und zerstörten Charakter der Elektra gemacht hat. Ich habe die gesamte Oper in ihrer ungekürzten Form studiert, weil ich der Meinung bin, dass die üblichen Striche den Zuhörern die Möglichkeit nehmen, die Handlung in ihrer vollen emotionalen und dramaturgischen Tiefe zu erfassen. Elektras innere Zerrissenheit und ihr unstillbarer Drang nach Rache spiegeln die chaotischen Gefühle wider, die viele von uns in der Pandemie erlebt haben – eine Zeit, in der auch unsere inneren Kämpfe und Konflikte deutlicher zutage traten. Darüber hinaus bietet die mythologische Tiefe der Elektra-Gestalt eine besondere Resonanz für mich. Die griechische Mythologie ist nicht nur eine Sammlung alter Geschichten; sie ist ein Spiegel der menschlichen Seele, gefüllt mit archetypischen Bildern und Szenarien, die existenzielle Bedeutungen transportieren. Elektras Leiden unter dem gewaltsamen Tod ihres Vaters Agamemnon und ihr unnachgiebiger Rachedurst sind nicht nur persönliche Tragödien, sondern auch Ausdruck eines tief verwurzelten Menschseins, das seit Jahrtausenden Bestand hat. Die griechischen Dichter wie Sophokles haben es verstanden, diese uralten Mythen in eine Form zu gießen, die auch heute noch in uns nachhallt. Die Figur der Elektra fasziniert mich, weil sie inmitten dieser archaischen Welt eine der ersten ist, die nicht nur als Spielball der Götter agiert, sondern deren Innenleben selbst an Bedeutung gewinnt. Elektra kämpft nicht nur gegen äußere Umstände, sondern auch gegen ihre eigenen Dämonen, und in diesem Ringen erkenne ich viel von dem wieder, was uns Menschen seit jeher ausmacht: der Kampf mit uns selbst, mit unseren Verlusten, unserer Wut und unserer Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Elektra ist nicht nur ein Charakter, sie ist ein Spiegel für die Abgründe und die Kraft, die in uns allen schlummern. Und genau deshalb ist sie für mich persönlich so bedeutsam.
- Drei der von Ihnen interpretierte Frauen also Leonore, Isolde und Elektra nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand. Jede der drei genannten Opern hat aber auch etwas politisches oder auch kritisches gegenüber dem herrschenden System. Auch bei Strauss und Hoffmannsthal dürfte das bei der Uraufführung 1909 nicht so fern gelegen haben, weil deren Heimatländer Deutschland und Österreich durch Flottenrüstung und Balkan-Konflikte wie Schlafwandler auf den Krieg zusteuerten. Spielt diese Kritik an der Staatsführung und der Umstand, das Recht in die eigene Hand zu nehmen in dem Werk aus ihrer Sicht eine Rolle und wenn ja, welche Schlüsse ziehen Sie daraus für sich und die Interpretation?
Barbara Krieger: Gerade die Kritik an der Staatsführung beziehungsweise des herrschenden politischen Systems. Für mich resultiert daraus die Kraft der beiden Frauen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, zu befreien, zu rächen und gar den Gedanken zu töten nicht außer Acht lassen. Befinden sich die Figuren in einem System der Idylle und Gerechtigkeit. Wäre dies alles nicht von Nöten. Für mich war sehr interessant zu erfahren, wie unterschiedlich Opern vom Publikum aufgenommen werden. Als ich Fidelio mit einem Orchester dass ich ausschließlich aus Flüchtlingen rekrutiert hat aufgeführt habe war das zwar spektakulär hat aber die Zuhörer nicht im mindesten interessiert. Als ich Fidelio auf dem Kasematten in Graz aufgeführt habe also an einem wirklich authentischen Spielort, einem ehemaligen Kerker, war der Erfolg riesig. Die Inszenierung der Elektra war minimalistisch Aber im positiven Sinne sehr modern, so dass dies auch junges Publikum angesprochen hat, und ich mehr als einmal den Kommentar hörte dass die Oper ja Potenzial hätte um in Hollywood von Marvel verfilmt zu werden. Also muss man wohl konstatieren, dass die Herangehensweise über eine großartige Inszenierung oder einen authentischen Ort den Zugang zum Publikum leichter macht, als eine ideologisch korrekte Besetzung.
- Wie gelingt es, ein Werk wie ELEKTRA für ein heutiges Publikum attraktiv zu machen?
Barbara Krieger: Genau das wird uns ja heutzutage von der Filmindustrie eher leicht gemacht. Denn adaptiert werden ja auch dort all diese mystischen oder sagenhaften Themen immer wieder aufgegriffen. Auch in Serien wie „Game of Thrones“ spielt man ja immer wieder mit der Überhöhung eines Charakters.
- Was sind Ihre nächsten Pläne und Projekte?
Barbara Krieger: Erst einmal bleibe ich bei Richard Strauss und mache eine Aufnahme von Salome. Zwischendurch habe ich einige Konzerte, bei denen ich gerne Repertoire singe, das sozusagen der Stimmhygiene dient. Im Sommer freue ich mich sehr auf Lohengrin in Caracas, wo ich die Partie der Elsa singen werde. Dann beginnt doch schon wieder die dunkle Jahreszeit, die ich mit Rossini Stabat Mater beginnen werde