Bad Kissingen, Littmann-Bau, Kissinger Sommer 2024 - Bamberger Symphoniker, IOCO
KISSINGER SOMMER 2024: Die Bamberger Philharmoniker gehören seit der Gründung des „Kissinger Sommers“ zu den wichtigsten Gastorchestern des Festivals. Gegründet worden war der Klangkörper im Jahre 1946, als ...
18.6.2024: Bamberger Symphoniker mit Edward Gardner beim Kissinger Sommers 2024 - Werke von Webern, Mendelssohn Bartholdy, Brahms
von Thomas Thielemann
Nach meinem Empfinden gehören die Bamberger Philharmoniker seit der Gründung des „Kissinger Sommers“ zu den wichtigsten Gastorchestern des Festivals. Gegründet worden war der Klangkörper im Jahre 1946, als auf Grund der „Beneš-Dekrete“ Mitglieder des „Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag“ aus Tschechien vertrieben, sich in Bamberg um Joseph Keilbert (1908-1968) versammelten und zunächst als „Bamberger Tonkünstlerorchester“ gemeinsam musizierten. Keilberth hatte zwar seine bereits im Juni 1945 erfolgte Berufung nach Dresden realisiert, aber die Aufnahme in der Stadt war derart euphorisch, dass die Gruppe beschloss, in Bamberg zu bleiben. Bereits ab dem Juli 1946 und nach Aufnahme weiterer Musiker umbenannte sich das Orchester in Bamberger Symphoniker. Derzeit sind um einhundert Musiker im inzwischen auch als „Bayerische Staatsphilharmonie“ im Range eines A-Orchesters weltweit agierenden Ensembles eingebunden.
Nach Dirigaten unter anderem mit Herbert Blomstedt, Jakub Hrůša, Rudolf Buchbinder, Manfred Honeck und Krystof Urbański konnten wir das Orchester in 2024 mit dem 1974 in Gloucester geborenen Chefdirigenten des „London Symphonic Orchestras“ Edward Gardner in der wunderbaren Klangentfaltung des Kissinger Max-Littmann-Saales erleben. Im Konzertprogramm war als Einstieg die etwa zehnminütige „Passacaglia“ von Anton Webern (1883-1945), dem neben Arnold Schönberg und Alban Berg wichtigsten Vertreter der Zweiten Wiener Schule, angesetzt. Das spätromantische Werk hatte der junge Komponist 1908 als sein op. 1 geschrieben. Ein Werk voller Kontraste und Gegensätze, meisterlich ausgearbeitet, wechselte zwischen den dynamischen Extremen. Die „Passacaglia“ vereinte kammermusikalische Soli mit massivem Fortissimo, weist durchaus dissonante Risse auf, so dass sich der Interpret leicht in den Klangballungen verirren könnte. Mit hoher Konzentration und klarem Aufbau bahnte sich Gardner den Weg durch das üppige Geflecht der Komposition. Mit viel Klangsinn fächerte er die Stimmen auf, sorgte für Transparenz und kostete die Extreme voll aus. Der Ornamentik des Jugendstil-Webern gab er weiten Entfaltungsraum und verführte die Bamberger Symphoniker zu farbenprächtigem Spiel.
Für viele Konzertfreunde ist das Violinkonzert e-Moll op. 64 des Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) das größte Violinkonzert aller Zeiten. Zumindest aber ist es eine wichtige Brücke zwischen dem klassischen Stil Ludwig van Beethovens (1770-1827) zum romantischen Ausdrucksstil des Johannes Brahms (1833-1897). Bereits im Jahre 1838 konzipiert, wurde 1844 in Bad Soden nach Beratung mit dem Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David (1810-1873) eine Fassung fertig gestellt und mit David 1845 im März 1845 in Leipzig aufgeführt. Nahezu gleichzeitig arbeitete Mendelssohn mit dem „Wunderkind“ Joseph Joachim (1831-1907) und besonders intensiv mit dem belgischen Komponisten Hubert Léonard (1819-1890) an der Solostimme seines e-Moll-Konzertes. Das Korrekturmaterial ist erst kürzlich wieder aufgefunden worden, so dass wir nunmehr eine sogenannte „zweite Fassung von 1845“ im Konzert mit der wunderbaren Geigerin Veronika Eberle hören konnten.
Bereits im ersten Satz verblüffte, wie Veronika Eberle eine makellose Musikalität mit ihrer souveränen Technik verband. Ihre Klangvielfalt, ob geschmeidig oder massiver, blieb immer der Musik untergeordnet und verlieh dem Kopfsatz eine lebendige Energie. Mit dem lyrischen Kontrast des zweiten Satzes konnte die Solistin ihre musikalische Ausdruckskraft voll entfalten. Mit tiefer Sensibilität und feinem Gespür für Mendelssohns romantische Melodik prägte sie das Andante zu einer ausdrucksstarken Interpretation. Den Finalsatz mit seinen anspruchsvollen Läufen und Doppelgriffen meisterte sie mit beeindruckender Leichtigkeit. Zwischen ihr und dem Orchester gab es eine sichere Balance und perfekte Abstimmung. Dass die Chemie zwischen der Solistin und dem Dirigenten stimmte, war deutlich spürbar.
Für den reichen Beifall der Besucher bedankte sich Veronika Eberle gemeinsam mit dem Bamberger Konzertmeister mit einer Zugabe.
Wann und wo der detailbesessene Johannes Brahms seine vierte Symphonie komponierte ist letztlich nicht bekannt. Es wird vermutet, dass er die im Oktober 1885 in Meiningen aufgeführte Fassung aus einem Aufenthalt in der Steiermark mitbrachte, aber bereits seit längerem an ihr gearbeitet hatte. Seine Zeitgenossen reagierten auf das Werk ziemlich verwundert. Aber das kennen wir auch, wie wir oft auf Neugeschaffenes im Konzertsaal reagieren. So gilt für uns die „Vierte-Brahms“ als eine seiner komplexesten und tief gründigsten Schöpfungen. Gardner fesselte vom ersten Takt sein Publikum mit der dichten Textur und seiner dramatischen Behandlung der Themen. Mit dem subtilen Wechsel der Dynamik und der sorgfältigen Phrasierung des Orchesters schuf er, vor allem mit Unterstützung der hervorragenden Holzbläser des Orchesters, im zweiten Satz „Andante moderato“ Momente der Reflexion und Ruhe. Mit sprudelnder Energie und mit rhythmischer Präzision gestalteten die Musiker des Orchesters mit dem „Allegro giocoso“ des dritten Satzes einen lebhaften Kontrast zum vorherigen.
Das Konzert mit Weberns „Passacaglia“ zu beginnen und mit Brahms vierter Symphonie abzuschließen, war schon eine Besonderheit. Denn das Finale der Brahms-Komposition verfügt über das identische formale Muster der barocken Tanz-Form. Ob dieser Komplexität erforderte die Interpretation des „Allegro energico e passionato“ eine besondere Intensität, wenn der Abend beim Konzertbesucher einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen sollte. Das aber war Edward Gardner außergewöhnlich gut gelungen.