ARIS ARGIRIS, Bariton: Interview mit Karin Hasenstein, IOCO

ARGIRIS Interview: Geboren in Athen, studierte Aris Argiris in seiner Heimatstadt Marketing und Sprachen, Saxofon und Musiktheorie .... hier im Interview mit Karin Hasenstein, IOCO Redaktion

ARIS ARGIRIS, Bariton: Interview mit Karin Hasenstein, IOCO
ARIS ARGIRIS @ Aris Argiris

ARGIRIS Vita: Geboren in Athen, studierte Aris Argiris in seiner Heimatstadt Marketing und Sprachen, Saxofon und Musiktheorie sowie Gesang bei Kostas Paskalis, Frangiscos Voutsinos und Despoina Kalafati. 

In der Spielzeit 2023/24 wird Argiris weiterhin als Wotan in Die Walküre auftreten; beim Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen unter dem Dirigat von Lothar Zagrosek.

Im Januar 2024 wirkt Argiris in Loriots Ring an einem Abend in der Staatskapelle Weimar, Berliner Philharmonie, Nürnberg Meistersingerhalle, Alter Oper Frankfurt, Stuttgart Liederhalle und München Isarphilharmonie mit.

Projekte der Spielzeit 2022/23 waren: Amonasro in Aida am Theater Chemnitz, Nabucco in St. Margarethen, Wotan in Rheingold am Staatstheater Braunschweig, Wotan in Die Walküre an der Staatsoper Budapest, Germont in La Traviata am Aalto Theater Essen. 

Seit 2016 ist Aris Argiris Professor an der Universität der Künste in Berlin.

Aris Argiris - Baritone - Wotan: „Abendlich strahlt der Sonne Auge…“

Aris Argiris Interview - nach dem "Ring an einem Abend" - Karin Hasenstein, IOCO Redaktion

"Man darf das Publikum niemals unterschätzen!"

Karin Hasenstein (KH): Lieber Aris, heute Abend lief „Der Ring an einem Abend“ in der Fassung von Loriot in der Philharmonie in Berlin mit der Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Heiko Mathias Förster. Du hast den Wotan und den Wanderer gesungen. Wie geht es dir jetzt, nach dem Konzert?

Aris Argiris: Glücklich! Ich bin sehr zufrieden, ich glaube, wir haben mit dem ganzen Team einen schönen Abend abgeliefert und das Publikum hat dementsprechend unsere Leistung anerkannt. Ich bin glücklich, aber auch sehr müde.

Ich pendele momentan zwischen Otello-Proben in Darmstadt und dieser „kleinen Tour“ vom Ring an einem Abend und ich mache alle Strecken mit dem Auto, daher kommt jetzt die Müdigkeit ein bisschen durch nach dem Konzert.

KH: Das ist ja auch völlig verständlich nach so einem Programm.

Wie fühlt es sich an, wie ist der Unterschied zu einem „normalen“ Ring, wie fühlt es sich an, wenn die Handlung und die Musik des Rings so komprimiert ist auf einen Abend mit drei Stunden zwanzig?

Aris Argiris: Natürlich möchte jeder Sänger gerne den ganzen Ring singen. Aber das ist ein anderes Format, quasi ein Unterhaltungsprogramm, wo eine sehr ernste Musik, die Musik von Richard Wagners Ring des Nibelungen, zugrunde gelegt wird. Ich denke trotzdem, dass das eine gute Grundlage ist, um neues Publikum für die Musik Richard Wagners zu gewinnen, und mit ein bisschen Humor und Witz Appetit zu machen, einmal den ganzen Ring zu besuchen.

Für mich als Sänger, wenn man schon den Ring gesungen hat, ist es eine Art Collage, aber in dieser Konstellation stört mich das nicht. Es macht einfach Spaß und Jan-Josef Liefers macht eine hervorragende Arbeit (als Sprecher, Anm. d. Red.). Wir kommunizieren auch auf der Bühne, wenn er den Text vorträgt, daher denke ich, das ist eine gute Sache. Vielleicht nicht für alle.

KH: Das stimmt, und doch denke ich, dass heute Abend auch die echten Wagnerianer da waren und auch auf ihre Kosten gekommen sind.

Aris Argiris: Ja, und sicher kommen auch Besucher, die sich für die Stimmen interessieren, wie singt Thomas Mohr, wie ist Aris Argiris oder Annemarie Kremer. Ich weiß von manchen Leuten, die kamen, um bestimmte Sänger zu hören.

KH: Ganz sicher, es gibt bestimmt verschiedene Beweggründe, bestimmte Stimmen, das Format, aber auch der Ort ist ja ein interessanter, die Berliner Philharmonie mit ihrer phantastischen Akustik, natürlich auch die hochkarätige Sängerbesetzung, das kann man ja einfach mal so sagen!

Aris Argiris: Wir sind ein wirklich gutes Team, wir kommunizieren miteinander hervorragend und wir haben Spaß auf der Bühne. Und das ist wichtig.

KH: Das merkt man! Das ist absolut wichtig, da stimme ich dir zu, und das merkt auch das Publikum. Irgendwann im Rheingold war das Eis gebrochen, das Publikum ist mitgegangen und Herr Liefers wurde auch ein bisschen lockerer, ihr wurdet lockerer, dann lief es auf einmal, dann ward ihr alle „drin“. Plötzlich wusste man „Das wird jetzt ein richtig schöner Abend!“

Ihr dürft dieses Format noch viermal machen…

Aris Argiris: Ja, noch viermal. In Nürnberg, Frankfurt, Stuttgart und wir beenden das Ganze in München in der Isar-Philharmonie. Die Herausforderung daran ist: wir machen das jeden Tag. Entweder mit dem Bus, zusammen mit dem Orchester, oder mit der Deutschen Bahn, oder mit dem Auto. Ich mache das alles mit dem Auto. Das heißt: abends singen, im Hotel schlafen, nächsten Tag weiter mit dem Auto, nächstes Konzert. Es ist quasi wie ein Ritual, wir müssen sehr konzentriert sein und in einer guten stimmlichen Verfassung. Jeden Tag Wagner zu singen, auch in diesem Format, ist doch nicht ohne.

KH: Das stimmt, auch wenn es nicht die Partie in voller Länge ist, ist es doch der volle Einsatz, den man trotzdem bringen muss.

Aris Argiris: Man muss es einfach singen.

KH: Man muss es singen, das ist richtig. Wie ist es für dich mit dem Reisen, wenn du sagst, du fährst auch noch alles selber, setzt dich nicht in den Bus oder die Bahn?

Franz Schubert: „Amphiaraos"['Vor Thebens siebenfach gähnenden Toren'] (1815), Aris Argiris Baritone youtube Aris Argiris

Aris Argiris: Früher bin ich viel geflogen, aber in dieser Konstellation, wo die Auftrittsorte höchstens drei oder vier Stunden entfernt sind, mache ich das ganz gerne mit dem Auto. Ich hätte auch mit dem Orchester fahren können, aber ich möchte dann gerne alleine sein, weil so entscheide ich selbst, wann ich eine Pause mache, wann ich dann wieder losfahre. Das passt mir sehr gut und ich bin gewöhnt, lange Strecken zu fahren. Ich wohne in Bonn und durch meine Professur an der Universität der Künste in Berlin bin ich das Fahren einfach gewöhnt. Ich mache da 1.200 km, jeweils 600 km hin und zurück, da ist es für mich ok.

KH: Das ist ja auch etwas, das zu eurem Beruf dazugehört, das Reisen, ob es nun lange Autostrecken sind, ob es Flugreisen sind, in andere Zeitzonen, das ist ja eher etwas, was das Publikum gar nicht so sieht. Es sieht nur am Abend den Sänger auf der Bühne, und der muss „abliefern“.

Aris Argiris: Genau, die Hintergründe zu erfahren, ist nicht gewünscht. Das ist absolut legitim, denn es wäre fatal für das Publikum zu wissen, ob der Wotan des Abends einen Streit mit seiner Frau hatte, ob das Kind krank ist. Es ist irrelevant in diesem Moment.

Ich hatte das schon – als mein Vater gestorben ist - ich hatte „Liebestrank“ in Brüssel. „L‘elisir d‘amore“ ist eine Komödie, und ich habe damals Belcore gesungen. Um acht Uhr hat mein Cousin angerufen, um mir mitzuteilen, dass mein Vater gestorben ist und um 15 Uhr hatte ich eine Nachmittagsvorstellung als Belcore in dieser bekannten Inszenierung von Damiano Michieletto, wo das ganze am Strand in Badehose gespielt wurde, quasi halbnackt auf der Bühne. Ich habe wahrscheinlich meine beste Vorstellung damals gesungen. Am selben Abend musste ich nach Athen fliegen, am nächsten Tag meinen Vater beerdigen und am übernächsten zurückkommen, um die nächste Vorstellung zu singen. Ich kenne das….

KH: Das kennt jeder wahrscheinlich, der Spielplan nimmt keine Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten, da muss man dann Profi sein, das Geschehene die nächsten fünf Stunden ausblenden und einfach funktionieren.

Aris Argiris: Genau, man denkt nicht darüber nach, irgendwie kommt man in einen Fokus-Tunnel und man geht da durch.

KH: Parallel zum Ring an einem Abend hast du ja in Darmstadt auch noch ein bisschen zu singen…

Aris Argiris: (Lacht) Ein bisschen, ja. Wir sind schon bei den szenischen Proben für die neue Produktion von Otello am Staatstheater Darmstadt mit Paul Georg Dittrich. Ich stimme voll mit ihm überein und wir haben viel Spaß bei den Proben. Es sind absolut intensive Proben, körperlich und geistig, aber ich genieße jede Sekunde. Komischerweise, obwohl ich Jago schon gesungen habe – ich habe in dieser Rolle mit Maestro Zubin Mehta und dem Israel Philharmonic Orchestra debütiert, und dann in Montreal. Trotzdem ist dieses mein europäisches Debüt als Jago!

Das habe ich zunächst nicht wirklich realisiert, das ist merkwürdig, du weißt, welches Repertoire ich singe, eigentlich sollte Jago eine Standard-Partie für mich sein, aber ich habe das noch nicht in Europa gesungen. Ich bin sehr dankbar, dass das Staatstheater Darmstadt mir dieses Angebot gemacht hat. Auch mit Gaston Rivero als Otello verstehe ich mich sehr gut, wir sind, wenn ich das so sagen darf, ein gutes Paar, und die Szenen zwischen Jago und Otello werden sehr intensiv sein… (Premiere am 25.02.2024, Staatstheater Darmstadt, Anm. d. Red).

KH: Das hört sich sehr vielversprechend an! Was sind weitere Projekte für dich?

Aris Argiris: Im März habe ich ein Konzert in Wien mit meiner griechischen Kollegin, der Sopranistin Chryso Makariou.

Dann singe ich in Freiburg eine Welturaufführung unter dem Dirigat des Komponisten und ersten Kapellmeister des Theaters Freiburg, Ektoras Tartanis. Er hat ein Stück komponiert für Harfe und Orchester und Solo-Bariton. Ich befasse mich gerade mit der Partitur, und ich freue mich sehr darüber, das wird schon ein besonderes Konzert.

Danach habe ich mit der Staatskapelle Weimar zwei Abende mit den „Songs of Travel“ von Ralph Vaughan Williams. Ich kann es kaum erwarten!

Dann läuft ja der Otello in Darmstadt, in der neuen Spielzeit viele Konzerte und ein paar Opernproduktionen, über die ich noch nicht sprechen kann.

KH: Das hört sich doch alles sehr spannend an und auch sehr vielfältig!

Aris Argiris: Das versuche ich immer, ich möchte mich nicht in bestimmte Schubladen stecken lassen.

KH: Steht da auf mittlere Sicht vielleicht ein weiterer Wotan auf dem Programm?

Aris Argiris: (Lacht) Das ist die Sache, ich darf nicht zu viel verraten…

Ja, es gibt eine Diskussion um einen ganzen Ring, mehr kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen…

KH: Wir warten gespannt…!

Aris Argiris: Ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich im Juni nochmal „Die Walküre“ in der Sofia Opera and Ballet (Nationales Opern- und Ballett-Theater Sofia) singen werde.

KH: Wenn du drei Wünsche frei hättest, Rollen, die du unbedingt singen möchtest, welche wären das?

Aris Argiris: Holländer… müssen es drei sein? Machen wir vier? (Lacht) Telramund, Michele in Il Tabarro und Falstaff.

KH: Interessant, das sind auch sehr unterschiedliche Rollen…

Aris Argiris: Ja, ich bin mittlerweile im dramatischen und Charakterfach, weil ich weiß, dass ich das stimmlich bedienen kann. Stilistisch ist das eine harte Arbeit, auch von Telramund zu Holländer. Es ist ein Stimmwunsch da, ich bin nicht absolutistisch, aber ich versuche alles, was ich mache, wirklich zu singen. Auch wenn das Charakter sind, wenn es deklamatorisch sein sollte, ich versuche eine Gesangslinie wirklich als Linie zu sehen und nicht als Gebrüll.

Egal, ob das Verdi ist oder Puccini oder Wagner oder Rossini, ich versuche immer auf Linie zu singen. Mein Ausgangspunkt ist immer, egal welchen Stil man bedienen möchte, singen, singen!

KH: Gab es für dich, bei deiner Entscheidung, Sänger zu werden, den einen Moment, wo du gesagt hast, ich muss das machen, ich kann nichts Anderes machen? Oder wie kam es dazu?

Aris Argiris @ Aris Argiris

Aris Argiris: Es kam eigentlich überraschend. Ich komme nicht aus einer musikalischen Familie. Ich hatte Interesse, Musik zu lernen, ich war ein begeisterter Saxofon-Spieler, ich habe auch Musiktheorie studiert (Kontrapunkt-Diplom), und ich war quasi Semi-Profi im Basketball. Operngesang kam nicht in Frage im professionellen Sinne.

Ich liebte das, aber es erschien mir außerirdisch, so etwas anzufassen. Bis der Moment kam, dass der Chef unseres Konservatoriums eine Konzertreihe mit seinen Kompositionen gemacht hat. Er hat immer große Chorkompositionen mit Solisten komponiert. Damals er hat als Aushilfen immer Sänger vom Staatsopernchor Athen geholt. Diese Choristen haben mich gehört und gesagt, du musst unbedingt Oper singen!

Wie das Leben so spielt, eine der Sopranistinnen hat mich vorbereitet. Sie hat im Opernchor gesungen und sie hatte ein kleines Geschäft mit Antiquitäten. Im Hinterzimmer dieses Geschäfts hat sie mir Gesangsunterricht gegeben. Dann habe ich vorgesungen. Das war am 10. Dezember 1993.

Ab 1. Januar 1994 war ich im Staatsopernchor, parallel dazu war ich an der Uni und habe Marketing studiert, dazu ich habe auch Sprachen studiert, Italienisch und Englisch. Deutsch habe ich erst später in Deutschland gelernt.

So fing die Reise im Operngesang an.

Danach wurde ich gekündigt, denn der Opernchor musste reduziert werden, und ich habe angefangen, solistisch zu singen und auch in anderen Chören. Dann kam der große Durchbruch. Im Februar 1999, ich habe das Maria Callas Stipendium gewonnen und bin nach Deutschland gezogen.

And the rest is history.

Es war nie so „Ich möchte gerne Opernsänger werden“, es hat sich so ergeben. Einmal im Gymnasium hat eine Lehrerin uns einen kleinen Text schreiben lassen, was wir in der Zukunft sein möchten. Ich habe tatsächlich „Schauspieler“ geschrieben. Aber ich denke nicht, dass meine Imagination wirklich in diese Richtung ging.

KH: Ja, aber als Opernsänger ist man ja beides, Sänger und Schauspieler. Im Musiktheater reicht Rampengesang nicht mehr, man muss beides beherrschen.

Aris Argiris: Richtig, und das ist auch eine Herausforderung für den Stimmapparat. Man muss den so ausbilden, dass man sehr intensiv schauspielern kann, ohne Verluste in der Stimme zu haben. Das ist sehr schwierig. Und die Regisseure erwarten das von uns.

KH: Was macht man, wenn ein Regisseur etwas verlangt, was überhaupt nicht möglich ist?

Aris Argiris: Wenn mich das betrifft, sage ich das erst, wenn ich es hundertmal versucht habe. Wenn es beim 101. Mal immer noch nicht funktioniert, sage ich, tut mir leid, ich habe alles gegeben, aber es geht leider nicht. Gott sei Dank, ich habe selten Probleme mit Regisseuren gehabt, denn die haben gesehen, dass ich es mit allen Mitteln, alles versucht habe. Wenn aber mein Zwerchfell, mein Atem nicht stabil ist, dann geht es nicht. Wir haben dann szenisch immer eine andere Möglichkeit gesucht und gefunden.

Ich bin auch kein Fan davon zu sagen, es geht nicht, bevor ich es nicht versucht habe, vorausgesetzt, ich bin von der Idee überzeugt. Wenn ich nicht davon überzeugt bin, müssen wir diskutieren. Ich brauche Antworten auf meine Fragen und meine Fragen sind nicht böswillig, aber es sind Fragen. Ein gut vorbereiteter Regisseur muss Antworten haben oder bereit sein, zusammen nach Antworten zu suchen. Das macht die Reise noch interessanter.

KH: Das wäre direkt auch meine nächste Frage gewesen. Nicht nur etwas, was mir körperlich unmöglich ist oder was mir das Singen erschwert, sondern etwas wo du mit deiner Figur, deiner Rolle nicht dahinterstehen kannst. Etwas passt nicht in dieser Situation, es ist nicht logisch oder vielleicht gegen das Libretto inszeniert. Wie geht man damit um? Nimmt man sich zurück oder versucht man es?

Aris Argiris @ Aris Argiris

Aris Argiris: Das ist eine extreme Situation. Ich bin ein Kind des Deutschen Regietheaters, ich lebe seit 25 Jahren in Deutschland. Es ist mir selten passiert, dass etwas absolut nicht geht. Und ich höre immer, was meine Professorin damals in München gesagt hat, die leider verstorbene Daphne Evangelatos (griech. Opernsängerin, geb. 1946 in Athen, gest. 2021 in München. Anm. d. Red.). Sie sagte mir: „Du hast zwei Optionen, wenn dir eine Regie nicht passt. Entweder machst du deinen Klavierauszug zu und gehst nach Hause oder du bleibst und kämpfst, um das Beste herauszuholen.“ Das habe ich immer im Hinterkopf, wenn ich es mit einer intensiven oder außergewöhnlichen Inszenierung zu tun habe.

Erstmal muss ich sehr gut vorbereitet sein. Dabei geht es nicht nur um das Musikalische, sondern auch das psychologische Profil des Charakters, dazu die Hintergründe, Entstehungszeit der Komposition, der Zustand des Komponisten in diesem Moment, das soziale Umfeld in diesen Zeiten… über all diese Dinge versuche ich sehr gut vorbereitet zu sein und dann sitzen wir zusammen mit dem Regisseur, und wir diskutieren. Wir suchen zusammen nach Lösungen und meistens finden wir Antworten. Denn am Ende ist es doch Teamarbeit. Sicher, ich muss das Konzept und die Vision des Regisseurs interpretieren, ich muss auch stimmlich die Visionen und die Wünsche des Dirigenten interpretieren, alles im Rahmen meiner Möglichkeiten. Meine Stimme kann so reagieren, die Stimme eines anderen Sängers reagiert anders. Jeder hat ein individuelles Instrument. Ich bin nicht der Schöpfer des Stückes, es ist schon da! Aber wir kollaborieren! Ein Konzept kann nicht aufblühen, wenn der Interpret nicht gut ist, egal von welcher Seite, Regisseur oder Dirigent. Ich bin da und versuche so vorbereitet zu sein, dass ich eine Palette von Flexibilität habe, für jeden Wunsch oder Vision, aber das heißt, der andere muss auch auf mich zukommen und sehen, wie weit kann ich gehen und Aris pushen. Und das funktioniert… Meistens. (Lächelt).

Ich muss aber sagen, dass ich Glück gehabt habe. Ich habe immer eine liebevolle Beziehung zu den Regisseuren gehabt. Ich liebe Schauspiel, ich liebe diese Herausforderung, ich liebe dieses mich Hineinwerfen und das Risiko annehmen. Manchmal habe ich mich zu viel hineingeworfen und meine Stimme hat gelitten, aber alle Regisseurinnen und Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe, wussten das zu schätzen.

KH: Das denke ich auch. Sie haben eine Idee, ein Konzept, sie probieren etwas aus und manchmal funktioniert es nicht. Die guten sehen das dann ein und ändern ihr Konzept, die schlechten beharren darauf, aber dann kann auch nichts Gutes daraus erwachsen.

Aris Argiris: Wenn du glücklich und zufrieden bist oder du bist in einem konstanten Kontra-Gefühl, dann merkt es das Publikum. Das Publikum ist nicht dumm, es ist intelligent, manche sagen, das ist nicht so: „Wir müssen das Publikum erziehen“. Ich empfinde das nicht so. Sicher müssen wir dem Publikum Sachen zeigen, aber niemals unterschätzen!

Und noch ein Zitat von einem anderen Gesangslehrer von mir: „Immer ehrlich gegenüber dem Publikum bleiben!“ Fakes funktionieren für eine bestimmte Zeit, dann wirst du katapultiert.

KH: Das gilt aber für alle, das gilt für die Sänger, das gilt für Dirigenten, für die Regie…

Aris Argiris: Genau, man kann nicht unendlich tricksen.

KH: Eben, ich denke oft als Publikum „Will der mich jetzt für dumm verkaufen?“ Dann werde ich richtig ärgerlich!

Aris Argiris: Genau, wir dürfen das Publikum niemals unterschätzen, müssen es immer respektieren. Ja, ich verstehe das Argument „Ich mache Kunst nicht für das Publikum“, sicher, ich mache Kunst, weil ich singen möchte, aber wenn es das Publikum nicht gäbe, würde kein Gesang existieren. Eine Oper zu komponieren, eine Symphonie zu komponieren, ein Lied zu komponieren, egal ob man die Komposition macht, weil man nicht ohne das leben kann, quasi wie eine Not, ein Zwang zu komponieren, trotzdem, im Hintergrund ist immer die Hoffnung, dass das jemand anderes hört, der das ebenso schätzt, wie ich. Man komponiert, inszeniert, dirigiert nicht nur für sich selbst. Im Ergebnis will man das vor Publikum präsentieren.

KH: Man möchte es präsentieren und man möchte auch, dass es gefällt. In gewisser Weise ist es dann auch wieder ein sich Anbiedern.

Aris Argiris: Ein Künstler muss auch ein bisschen Narzisst sein, etwas selbstverliebt sein, im Sinne von: auf sich aufpassen. Und sich lieben im Sinne von: sich schützen. Ein Tropfen Exhibitionismus ist auch dabei. Die Nacktheit der Darbietung ist nicht zu unterschätzen. Du kommst raus vor 2.300 Menschen wie heute und du musst singen. Du musst ein bisschen egoman sein, in gesundem Umfang, und Exhibitionist, um dich dahinzustellen und zu sagen, ich gebe alles. Wenn du das nicht hast, dann wirst du vom Publikum gefressen.

KH: Ist das ein Unterschied vom Gefühl, zu sagen, ich stehe hier in Berlin in der Philharmonie vor über 2.000 Leuten oder ich stehe auf einer kleinen Bühne und gebe einen Liederabend vor 80 Gästen?

Aris Argiris: Nein, für mich nicht. Man kann das unterschiedlich sehen, für mich gibt es kein kleines oder großes Theater. Ich werde alles geben, egal ob ich in einem kleinen Theater singe, oder in Hamburg oder München.

Ich werde mich genauso einstellen und alles geben von den 200 Plätzen bis zu den 2.000 Plätzen. Ich habe in der Arena di Verona gesungen, das waren 13.500 Plätze, aber ich habe auch in kleinen Räumen mit 80 Plätzen gesungen. Ich zittere genauso vor den 13.000 wie vor den 80 Leuten. Manchmal zittere ich vor einem Auftritt vor den 80 Leuten mehr, denn da sind „gezählte Augenpaare“.

Man kann den Leuten ins Gesicht sehen und das macht das Ganze schwieriger, weil du jede Mimik, jede Reaktion der 80 Leute siehst. Bei 13.000 siehst du nur ein Meer von Köpfen. Bei 80 aber kannst du 80 Leuten ansehen, ob sie schlechte Laune haben oder schlafen oder begeistert sind, jedes Gefühl, das sie reflektieren, kannst du absolut sehen. Es ist phantastisch, aber es ist brutal, denn ich muss jeden Einzelnen von denen gewinnen! Und das ist wahnsinnig schwierig. Für mich wahrscheinlich schwieriger.

KH: Das glaube ich gerne, je näher man dran ist und je kleiner das Publikum, desto schwieriger ist es. Hast du noch Lampenfieber?

Aris Argiris: Immer! Immer! Ohne geht es gar nicht! Es geht dann relativ schnell weg, wenn ich auf der Bühne bin. Aber es gibt eine Anekdote von einer großen griechischen Schauspielerin, wo eine von ihren Schülerinnen sagte vor einem Auftritt: „Ich habe kein Lampenfieber! Ich fühle mich total gut.“ Und sie antwortete: „Ja, weil Sie kein Talent haben!“ Sehr heftig und sehr grob, aber die Lehre daraus ist, hab keine Angst vor deinem Lampenfieber, weil das in einer Art und Weise die Sensibilität, den Respekt und die Liebe für deine Kunst zeigt. Wenn man rausgeht und es lässt einen kalt, dann würde man denken, ein anderer Beruf wäre besser.

KH: Wir haben über den Sänger gesprochen, lass uns doch kurz über den Lehrer sprechen, du bist auch Gesangsprofessor an der Universität der Künste in Berlin.

Viele Sänger singen sehr gut, das heißt aber noch nicht, dass sie auch gut unterrichten. Was macht einen guten Lehrer aus?

Aris Argiris: Ein guter Lehrer muss eine intensive und unheimliche Selbstbetrachtung haben. Er muss ein Selbstanalytiker und auch ein Beobachter des Lebens und der Kunst der anderen sein.

Warum? Ich weiß nicht, ob ich ein großer Sänger bin oder nicht, das überlasse ich anderen. Sehr viele große Sänger können keine guten Lehrer sein, weil sie ihre Kunst nicht in Worte fassen können. Das ist ein schwieriger Prozess, was du fühlst, was du spürst, wie du dich bewegst, was macht der Kiefer, was macht dein Zwerchfell, deine Schultern, ist das alles organisch kompatibel…

Jeder Zentimeter deines Körpers produziert Klang. Wenn du nicht genau weißt was passiert, diese Zusammenhänge von Bewegungen, die zum Klang werden und wie jeder für dasselbe „Bild“ eine andere Erklärung braucht, dann es wird sehr schwierig mit Unterrichten! Das ist eine wahnsinnige Arbeit, das muss man auch psychologisch analysieren, welche unterschiedliche Wortwahl braucht jeder Schüler für dasselbe Gefühl!

Ich glaube, das ist eine sehr wichtige Sache: das Decodieren der Funktion der Klangproduktion.

Sehr wichtig, aber für mich ist es nicht nur das. Meine Vision, mein Wunsch, mein Traum ist nicht nur, gute Sänger technisch auszubilden, ich möchte gerne Künstler ausbilden! Künstlerpersönlichkeiten.

Es ist mir wichtiger, ich habe das auch sehr oft gesagt, und bin dafür kritisiert worden, mir ist lieber ein nicht perfekter Ton aber volle Emotion im Hintergrund als ein perfekter Ton, der mich zum Schlafen bringt. Die Harmonie hat alle Elemente, die negativen und die positiven.

Perfektion ist erstens unerreichbar, zweitens ist sie langweilig.

Warum haben unsere Philosophen das Harmonische gesucht? Weil das Harmonische alles beinhaltet! Die Perfektion und die Imperfektion in einem phantastischen Zusammenspiel. Das ist es, ein Künstler ist imperfekt in seiner Suche nach Perfektion. Da kannst du nicht perfekt sein, da muss man dabeibleiben, suchen!

Heute habe ich es so gemacht, beim nächsten Konzert oder der nächsten Vorstellung werde ich wahrscheinlich denselben Ton auf eine andere Weise produzieren, weil ich denke, das bringt etwas Anderes in meine Deutung dessen, was ich dem Publikum sagen möchte, wie ich das heute verstehe. Morgen ist es vielleicht anders. Deswegen ist jede Vorstellung total anders. Das ist phantastisch! Das ist eine geborene und gleichzeitig sterbende Kunst des Moments. Und was ist besser für das Publikum, als diesen Abend in Erinnerung zu behalten? Denn die Erinnerung weckt auch Emotionen. Wir kennen das aus unserem Leben, du erinnerst einen Moment und plötzlich lebst du den Moment erneut. Das kannst du nicht mit einer CD… Ich höre ab und zu eine von außergewöhnlichen Darbietungen bei Aufnahmen, aber normalerweise „live ist live“.

KH: Absolut! Eure Kunst ist für die Bühne, für den Konzertsaal. Da braucht es alle Eindrücke, die dazugehören, alle Sinne, und die CDs sind ja bis zur Perfektion abgemischt, aber es ist dann glatt, zu perfekt.

Hast du noch etwas, das du gerne unseren Leserinnen und Lesern mitgeben möchtest?

Aris Argiris: Ich wünsche mir, dass die Menschen ins Theater kommen, ins Kino, in die Oper, in die Pinakothek, ins Museum… Kultur ist eine geistige Nahrung, die uns hilft, die Welt besser zu verstehen.

Das Argument, dass Kultur nur für wenige ist, dass man Mittel streichen muss, das ist eine fehlerhafte Debatte und eine fehlerhafte Argumentation, denn das führt zu Verdummung der Leute. Wir brauchen momentan in unserer Zeit einen Weg, wo es viel Rechtspopulismus, viel Blut, viel Missverständnisse, viel fehlende Solidarität, viel Egoismus gibt. Durch die Kultur, durch den Besuch in einer Kultureinrichtung… der Mensch wird dadurch ein anderer. Im Antiken Griechenland waren die drei wichtigsten Fächer in der Schule Mathematik, Sport und Musik! Es ist ein Kosmos der alles zusammenhält.

Wir müssen dabeibleiben. Und wir müssen im Leben, wenn wir etwas sehen, das uns nicht gefällt, und es gewinnt in der Debatte, dann wir müssen besser sein um zu gewinnen. Wir sollen nicht versuchen, die anderen kaputt zu machen. Wenn wir denken, dass jemand anderes im Irrtum ist, oder gefährlich ist, müssen wir uns selbst betrachten, was haben wir falsch gemacht, um ihn in den Vordergrund zu bringen? Immer Selbstreflektion. So sehen wir, was wir besser machen können und wenn wir versuchen, etwas zu verbessern, wird uns das immer voranbringen und die, die das Böse wollen, werden verlieren.  Es ist quasi wie ein natürliches Spiel.

KH: Was kann Kunst, was kann Kultur dazu beitragen? Stichwort „Wir sind viele“, die Aktion der Theater… Es gibt so viele Konflikte in unserer Zeit, brauchen die Menschen da Theater?

Aris Argiris: Ja! Umso mehr! Wir müssen nur mit einer Sache aufpassen: man geht nicht ins Theater, nur um die Realität noch einmal wiederholend zu sehen! Man geht ins Theater, um in verlorene Welten einzutauchen. Und, was noch wichtiger ist, verlorene oder vergessene Emotionen wieder zu erleben.

Wie oft bist du aus einer Vorstellung, auf einem Museum gekommen und hast gedacht, mein Gott, ich hatte vergessen, wie sich das anfühlt! Das ist eine Mission! Es ist immer eine Falle von manchen Theatermachern, dass sie denken, wir müssen eine Lehrart der Probleme auf die Bühne bringen. Es ist nicht falsch, aber nicht immer! Es ist nicht die Mission zu sehen, wenn wir da draußen Krieg haben, bringen wir noch mehr Krieg auf die Bühne, um zu zeigen, wie schlimm der Krieg ist. Das wissen wir schon. Durch die Digitalisierung gehen die Nachrichten um die Welt. Die Videos sind brutal, der Tod, die Gewalt wird dadurch relativiert, ich will das nicht im Theater unbedingt nochmal sehen. Und die Theaterschaffenden müssen versuchen, das schöne kleine Feuer immer lebendig zu halten. Leider sind wir gerade nicht in einer guten Zeit. Umso wichtiger ist es, dass man weitermacht und nicht aufgibt, damit das Gute gewinnt.

KH: Lieber Aris, ich danke dir im Namen von IOCO und unserer Leserschaft für dieses Interview!

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