München, Bayerische Staatsoper, LOHENGRIN - Richard Wagner, IOCO Kritik, 09.12.2022

München, Bayerische Staatsoper, LOHENGRIN - Richard Wagner, IOCO Kritik, 09.12.2022

Bayerische Staatsoper München

Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl

LOHENGRIN - Richard Wagner

- Das Leiden am Nichtwissen - Klaus Florian Vogt ist Lohengrin -

Von Hans-Günter Melchior

Richard Wagner - in Venedig © IOCO
Richard Wagner - in Venedig © IOCO

Ein bemerkenswerter Abend in der Bayerischen Staatsoper von München. Die Spätromantik mit ihrem nationalen Überschwang philosophisch gedreht in den neuzeitlichen Zweifel an der Rationalität, der Verdinglichung des Unsagbaren..

Schon der Anfang in der Inszenierung von Kornél Mundruczó überzeugt: da wird ein Menschheitsdrama abgewickelt und kein bunter Abend mit Girlanden in der romantisch-nationalen Agitation. Der Chor tritt in einfachen, eher ärmlichen „Trainingsanzügen“ (?) auf und selbst König Heinrich trägt dieses einfache beige Weiß. Einer unter Vielen. Kein staatstragender Pomp, keine Überhöhung in die sogenannte Würde des Amtes. Was geschieht, geht uns alle an, es ist im philosophischen Sinn allgemein und widerfährt der Menschheit. Da ist der König nichts weiter als ein Mensch unter Menschen. Nur Elsa, die tragisch in Widersprüche Verstrickte (Wissen-Wollen und nicht Wissen-Dürfen) trägt Schwarz.

Und schwarz geht es auch inhaltlich weiter. Und es geht – „naturgemäß“ hätte Thomas Bernhard wohl gesagt – schlecht aus. Am Ende bedroht ein Meteorit die Erde. So einen Absturz überlebt niemand. Dunkel hängt er über der Szene, senkt sich, füllt fast die Bühne aus, höchst eindrucksvoll und bedrohlich (Bühne Monika Pormale). Aber nicht irgendwelche Personen bedrohen andere, sondern die gesamte Menschheit steuert auf die Katastrophe zu.

Trailer: LOHENGRIN an der Bayerischen Staatsoper youtube Bayerische Staatsoper [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Das Erkenntnisdrama. Von der Neugier bis zum Leiden am Nichtwissen, an der Unkenntnis dessen, was im Dunkel liegt, ist nur ein kleiner Schritt. Dieses Leiden ist existentiell. Solange der Mensch nicht weiß, was er unbedingt wissen will, wissen muss, quält er sich. Und er kennt kein anderes Bestreben als dies: die Unkenntnis zu beseitigen. Zu wissen.

Doch wenn er weiß, was er wissen muss, ist das Leiden noch größer, das Unglück ereignet sich. Jedenfalls öfter als dem Menschen lieb sein kann. Er lebte – nur zu einem Beispiel unter vielen – etwa wesentlich friedlicher und angstfreier, wenn er nicht wüsste, wie man atomare Waffen baut. Und wenn er nie erführe, was der Nachbar über ihn denkt und es anderen mitteilte.

Und Elsa etwa wäre – objektiv – besser beraten gewesen, hätte sie dem Wissensdrang widerstanden herauszufinden, wer dieser Ritter ist, der sie vor der Intrige der lügnerischen Ortrud und ihrem fanatischen Ehemann Telramund gerettet hat. Ihr Glück hätte Bestand gehabt. Aber sie konnte es nicht sein lassen. Sie musste fragen.

Fragen zu stellen steht freilich nicht im Belieben der Menschen, es ist ihr Schicksal.

Man sollte also den Lohengrin aus der Sicht der Vernunftkritik lesen. Je mehr Lohengrin, Elsas Drängen nachgebend, von sich und seiner Herkunft offenbart, umso stärker wird er gleichsam objektiviert, in eine Funktion gepresst: als Gralsritter und Königssohn, Mitglied einer geheimen Rittergemeinschaft. Er wird gleichsam politisiert und verliert einen Teil seiner Persönlichkeit, seiner Individualität, wird nicht mehr allein als der geliebt, der er, und nur er, an und für sich ist. Nämlich der seinem humanen Antrieb folgende, geliebte Retter Elsas, der den Verleumder Telramund im Zweikampf (dem Gottesgericht) besiegt.

Freilich um den seiner Umgebung angesonnenen Preis, sein Geheimnis zu wahren.

Die Tragik dabei ist –, und hier ist der Kern der Erzählung zu sehen –, dass Elsa mit dieser Einsicht, dem Frageverzicht, schlicht überfordert ist. Wenn es der Menschennatur auferlegt ist, wissen zu müssen –  es gibt ja unstrittig den Wissensdrang, das fast zwanghafte Forschen nach Wahrheit und Erkenntnis – dann ist ein Ausweg auf das Verzichten nicht eröffnet.

Insofern ist Lohengrins Frageverbot („Nie sollst du mich befragen…“) verständlich und inhuman zugleich. Inhuman, weil es die Menschennatur bzw. die Geistnatur des Menschen, dieses triebhafte Verstandesbohren nach der Wahrheit, vernachlässigt, nicht wahr haben, unterdrücken will. „Nie sollst du mich befragen“ –, diese leitmotivisch sich durch die gesamte Oper ziehende musikalische Figur ist ein Mittel der Gewalt.

Ortrud und Telramund sind dabei – dramaturgisch betrachtet – lediglich Verstärker dessen, was Elsa ohnehin auferlegt ist.  Sie treiben nur scheinbar das Paar ins Unglück, sie befördern den Prozess der Wahrheitserforschung allenfalls, ohne die eigentliche Ursache für ihn zu sein.

Und so treibt die Menschheit letztlich ihrem Untergang entgegen, ohne sich gegen sich selbst wehren zu können. Am Ende bleibt dem – großartigen –  Chor nur so eine Art verkrüppelter Hitlergruß, der senkrecht erhobene rechte Arm. Ein lächerlicher Trotz…

Francois-Xaver Roth dirigierte das musikalische Drama mit Engagement und auf Steigerungen setzend das gewohnt brillant aufspielende Bayerische Staatsorchester. Was für Ensemble! Feinnervig bis in jede Nuance und Empfindung hinein, jede Stimmung nachzeichnend, verdeutlichend, ja musikalisch erklärend. Ein Star unter den Stars.

Auch die Gesangspartien überzeugten. Kernig der Bass von Mika Kares, der den König Heinrich der Vogler verkörperte. Ihm stand der Bariton des Heeresrufers von André Schuen nicht nach. Geschmeidig, stimmungsvoll, auch darstellerisch, die Elsa von Brabant der Johanni von Oostrum. Zuweilen dämonisch, verrucht die Ortrud der Anja Kampe, deren Gemahl Friedrich von Telramund von Johan Reuter solide vertreten wurde. Und dann der Routinier Klaus Florian Vogt als Lohengrin, sich ständig steigernd bis hin zum strahlend dargebotenen dritten Aufzug und der Gralserzählung.

Eine nachdenklich stimmende, gelungene Aufführung mit Tiefgang. Dankbarer Beifall des Publikums.

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