Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2022, Tannhäuser - mit ukrainischen Kontrapunkten, IOCO Essay, 31.10.2022

Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2022, Tannhäuser - mit ukrainischen Kontrapunkten, IOCO Essay, 31.10.2022
Festspielhaus Bayreuth © Patrik Klein
Festspielhaus Bayreuth © Patrik Klein

Bayreuther Festspiele

Tannhäuser 2022 - Mit ukrainischen Kontrapunkten

- Regisseur Tobias Kratzer und die aktuellen Facetten des Tannhäuser 2022 -

von Adelina Yefimenko

Richard Wagner Bayreuth © IOCO
Richard Wagner Bayreuth © IOCO

Der Tannhäuser von Regisseur Tobias Kratzer, IOCO Rezension Hier, hatte im Jahr 2019 Premiere bei den Bayreuther Festspielen.  Für diese Inszenierug wurde Tobias Kratzer in verschiedenen Kritikerumfragen als Regisseur des Jahres gewürdigt. Mittlerweile stellt man fest, dass dieser Bayreuther Tannhäuser Kultcharakter erreicht hat. Zahlreiche von Tobias Kratzer 2022 vorgenommene neue Facetten seiner Inszenierung mit Bezug auf die dramatischen Kriegs-Ereignisse des Jahres 2022 in der Ukraine geben dem Bayreuther  Tannhäuser 2022 besondere Aktualität werden deshalb in dieser Rezension besonders gewürdigt.

Mit Beginn des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 spaltete sich das Bewusstsein der Menschen in eine Welt vor und eine Welt nach dem Krieg. Es ist nicht verwunderlich, dass auch die Bayreuther Festspiele, vor dem Hintergrund Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, auf den jetzigen Krieg angemessen reagierte. Tobias Kratzer fügte seiner Inszenierung aktuelle Kontrapunkte hinzu; Positionen zur Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Überfall, klar, kurz, ergreifend. Ein neuer, zur Inszenierung im Bühnenhintergrund laufender Film über die Geschichte Tannhäusers zeigt nicht nur das Porträt der Dirigentin Oksana Lyniv, sondern auch Aufnahmen mit dem berühmten Zitat des jungen Richard Wagner, das ins Ukrainische übersetzt wurde: „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“. So gibt es neben den deutschen Plakaten auch Plakate und Flugblätter in ukrainischer Sprache; hierbei hatte die Autorin dieser Rezension die ehrenvolle Aufgabe, die Plakate, für diese 2022er-Produktion mitzugestalten.

Tobias Kratzer und A. Yefimenko vor dem Festspielhaus © A. Yefimenko
Tobias Kratzer und A. Yefimenko vor dem Festspielhaus © A. Yefimenko

Für diese Neuinszenierung hat Regisseur Tobias Kratzer wieder die bekannten Künstler Le Gateau Chocolat und Manni Laudenbach engagiert. Dazu hat der Regisseur zusammen mit dem Videoproduzenten Manuel Braun einen Film gedreht, der das Bühnengeschehen der Tannhäuser-Aufführung im Bühnenhintergrund beständig begleitet. Diese Geschichte offenbart den Konflikt eines beliebigen ehemaligen Bayreuther Wagner-Tenors, der seine „Wartburg“ (das Bayreuther Festspielhaus) verließ, sich von seiner geliebten Elisabeth trennte, um mit einer anarchistischen Frau „(Venus)“ zu fliehen. Sein Credo „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen" verwirklichte er in der Gestalt eines Clowns und trat gerne als frei schaffender und frei reisender Künstlers zusammen mit seinen Freunden Venus, Le Gateau Chocolat und Manni Laudenbach auf.

Der amerikanische Tenor Stephen Gould, seit langem ein etablierter Tannhäuser-Darsteller, verkörperte die Rolle Tannhäuser bereits in verschiedenen Produktionen. Das Opernhaus Zürich feierte schon vor der Pandemie seinen „100. Tannhäuser“. In Tobias Kratzers Inszenierung identifiziert sich der Sänger mit diesem neuen Tannhäuser in Bayreuth.

Elisabeth von Lise Davidsen, sie gilt als "Wagner-Sopranistin des Jahrhunderts", unternimmt in dieser neuen Geschichte einen Selbstmordversuch nach dem anderen. Diese großartige Sängerin überlebt die irdische Tragödie der verratenen Liebe nicht. Kratzer lässt sie durch Selbstmord sterben. Nachdem sie zur Jungfrau Maria um das Seelenheil Tannhäusers betet und schließlich die letzte Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrem Geliebten verliert, gibt sie sich einem Bayreuther Kollegen hin (Wolfram von Eschenbach), der sie schon lange begehrt. Die Rolle des Wolfram von Eschenbach wurde von Markus Eiche mit tiefer psychologischer Kenntnis über den Depressionszustand gesungen und gespielt. Die Frau, die sich selbst zum Tode verurteilte, verführt Wolfram von Eschenbach als ihr letztes „Lustspiel“ auf dieser Erde, indem sie ihm eine Clownperücke des geliebten und nie wiederkehrenden Tannhäusers über den Kopf zieht. Während der Sänger danach seine Sehnsucht nach der unerfüllten irdischen Liebe in „O du, mein holder Abendstern“ offenbart, schneidet Elisabeth sich die Pulsadern auf. Ihre letzte Illusion von Tannhäuser ist nur die rote Perücke. Der letzte Mensch, der sie tröstet und ihr hilft, dem Tod ins Auge zu sehen, ist Manni Laudenbach, der den Zwerg Oskar Macerat, dem Helden aus der "Blechtrommel" von Günter Grass, verkörpert. Seit 2019 ist er zum unvergesslichen homo humanus der Bayreuther Inszenierung Tobias Kratzers geworden.

Bayreuther Festspiele 2022 / Tannhäuser _ hier Bühnengeschehen und Hintergrund oben © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / Tannhäuser _ hier Bühnengeschehen und Hintergrund oben © Enrico Nawrath

Von einem „Papst“ verflucht, kehrt Gould-Tannhäuser auf die Wartburg (Bayreuth) zurück und findet die tote Elisabeth auf Oskars Schoß. Eine wertvolle Ausgabe des Tannhäuser-Klavierauszugs ist in seinen Händen ein Symbol des trockenen Stocks, der auf der Bühne hätte erblühen sollen …. Stattdessen zerreißt der Sänger die Noten, beugt sich über den blutigen Körper der Elisabeth und bleibt allein mit seiner ewigen, unerlösten Verzweiflung zurück.

Die Inszenierung von Tobias Kratzer, in der die beiden Geschichten miteinander verwoben werden, ist für ein großes Format konzipiert und stellt eine Synthese aus Oper und Kino dar. Der Inhalt des Films, in dem sich parallel zur Bühnenhandlung die phantasievollen Reize moderner Figuren aus dem realen Künstlerleben entfalten, hat sich jedoch stark verändert. Die Aufnahmen aus dem Jahr 2019 mit einem Backstage-Porträt von Valery Gergiev auf das für den Maestro typische Motto „Ich komme später“, das auf das schamlose Zuspätkommen des russischen Dirigenten nicht nur zu Proben, sondern auch zu Aufführungen und Konzerten anspielte, wurden aus dem Film entfernt. Im Jahr 2022 haben sie ihre Bedeutung und Aktualität verloren. Aus erwähnten politisch-kriegsbedingten Gründen wurde die Produktion 2022 - ein weiterer Kontrapunkt - nicht von Georgiev, sondern von dem deutschen Dirigenten Axel Kober, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf, geleitet. (Im Übrigen hat die scharfe Kritik an Valery Gergievs politischer Haltung zum Krieg Russlands gegen die Ukraine in den europäischen Medien die Engagement-Entscheidungen der Direktionen und Kollektive der Opernhäuser, Philharmonien und Festivals weltweit stark beeinflusst). Für viele Jahre im Voraus geplante Projekte und Arbeitsverträge des Flaggschiffs von Putins Kulturpropaganda wurden gestrichen.

Ironischerweise kam im letzten Jahr im Bayreuther Festspielhaus neben dem Porträt des russischen Dirigenten auch das Porträt der Ukrainerin Oksana Lyniv hinzu. Im Jahr 2021 gab die Dirigentin ihr Debüt in einer Neuinszenierung des Fliegenden Holländer (Regie: Dmitri Tschernyakov), IOCO Rezension dazu, link Hier!

Bayreuther Festspiele 2022 / TANNHÄUSER _ mit ukrainischen Kontrapunkten © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele 2022 / TANNHÄUSER _ mit ukrainischen Kontrapunkten © Enrico Nawrath

Besonders beachtenswert ist, dass vor dem Hintergrund der großen Anzahl von Bühnenrequisiten, diese Plakate eine wichtige Rolle spielten. Sie wurden von der Anarchistin Venus (Ekateryna Gubanova) gezeichnet und unter den Zuschauern verteilt. Mit einem treuen Team von mitgereisten Schauspielern greift sie in der Szene des „Sängerkrieg auf der Wartburg“ in den Lauf des Geschehens ein. Tatsächlich entpuppen sich Venus mit ihren Flugblättern und die Schauspieler ihres Wandertheaters als echte Wagnerianer*innen, als Fans des jungen Revolutionärs Richard Wagner. Das Geschehen des Films auf der großen Kinoleinwand, die der Regisseur über die historische Bühne des Theaters platziert hat, ist faszinierend und betont die komplexe Wahrnehmung der Musikdramaturgie. Während das Publikum sich im Saal befindet, werden auf dem Grünen Hügel kuriose Ereignisse abgespielt, die Manuel Brown im Film zusammenfasste: Venus stürmt das Festspielhaus und schmückt dessen legendären Balkon mit einem großen schwarzen Plakat, auf dem sie den revolutionären Satz Wagners persönlich mit weißer Farbe signierte: “Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“.

Daran anknüpfend gab es in der ersten Pause zwischen den Akten auf dem Teich vor dem Grünen Hügel einen Auftritt mit reisenden Künstlern: Der nigerianische Drag-Artist, Rocksänger und Transvestit Le Gateau Chocolat sang, der Zwerg Oscar Macerat unterstützte den Sänger rhythmisch von einem Boot aus indem er lautstark auf der Blechtrommel schlug, wie im gleichnamigen Roman von Gunter Grass. Venus zeichnete ein Plakat und bereitete sich mit einem Fernglas in der Hand auf die Erstürmung des Festspielhauses vor. Später werden die überraschten Zuschauer dieses Plakat im Film sehen, und in der zweiten Pause wird es tatsächlich vom Balkon des Festspielhauses aus entfaltet, so als ob alle Ereignisse des Films nicht im Voraus aufgezeichnet wurden, sondern sich hier und jetzt während der Aufführung ereigneten, in den engen Backstage-Ecken des Festspielhauses oder im Hof vor dem Haupteingang des Theaters.

Bayreuhter Festspiele 2022/ Tannhäuser _ mit ukrainischen Kontrakunkten © A Yefimenko
Bayreuhter Festspiele 2022/ Tannhäuser _ mit ukrainischen Kontrakunkten © A Yefimenko

Der Höhepunkt und ein Hauptziel des neuen Films war die Animation eines gelb-blauen Herzens, in den Farben der ukrainischen Flagge. Das Herz wurde auf dem Plakat vom Drag-Künstler Le Gateau Chocolat eingesetzt. Diese neuen Charaktere, die Tobias Kratzer in die Inszenierung eingeführt hat, verliehen Tannhäusers Konflikt eine herzzerreißende menschliche Bedeutung. Sie sind als reale Personen in die Bayreuther Geschichte eingegangen, um das Lebenscredo des Meisters mit ihrer eigenen Lebensweise zu verkörpern. Le Gateau Chocolat verblüffte das Publikum mit einer einzigartigen Kombination aus brillantem Schauspiel, Gesang, einer unterhaltsamen Show auf dem Parkteich, die auf freundliche und elegante Weise ihre Art freier sexuellen Liebe zeigte und am Ende des zweiten Aktes mit einer auf die Bühne gehängten Regenbogenfahne endete.

Hinter den schwindelerregenden Fantasien Le Gateau Chocolats und dem Humor rund um das Glitzern und Flittern der Unterhaltungsindustrie, verbirgt sich ein viel tieferer Sinn. Die Auftritte Le Gateau Chocolats ermutigen die Menschen zu Freundlichkeit, Frieden, Toleranz und einer humanen Einstellung gegenüber außerhalb der Norm lebenden, ungewöhnlichen Menschen, gegenüber Individuen, die sich durch äußere Merkmale oder inneren Neigungen unterscheiden. Diese Menschen sind keine Fremden. Sie sind nur anders – durch ihre Art zu sein, zu denken, ihrer Hautfarbe, ihrer Perücken, ihrer Mode, ihrer Einstellung zur Kunst. Die fröhlichen Harlekinaden von Le Gateau Chocolat und Manni Laudenbach passen nicht in die Zwänge konventioneller gesellschaftlicher Normen, sondern faszinieren, bleiben im Gedächtnis, laden mit einer großen Portion Positivität und Lebensfreude auf. Sie sind natürlich, souverän, ungehemmt, durchdrungen von dem Wunsch, die Bühnenidee der Inszenierung des Regisseurs über verschiedene Lebensmodelle zu vermitteln: auf der einen Seite - angepasste Formen des Denkens, Anpassungsfähigkeit an die Gesellschaft, auf der anderen Seite – Kreativität, Freiheit, das selbstbestimmte und selbst gewählte Recht, „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“ zu sein.

Mit Wagners Credo drückt Le Gateau Chocolat sein eigenes Credo aus: „Bevor ich schwul, schwarz, dick und all diese Dinge bin, bin ich zuerst ein Mensch“. Beide korrespondieren perfekt miteinander. Aber es ist bezeichnend, dass der Regisseur den Inhalt der berühmten Aussage des jungen Wagner nun mit den Bestrebungen einer freien Ukraine gegen den Krieg, den Holocaust und die Untergrabung der Einheit Europas durch den russischen Staatsterrorismus, verbindet.

Die Ereignisse im Film, die sich parallel zur Bühnenhandlung abspielen oder sich mit ihr überschneiden, enthüllen eine neue Logik der Regie-Idee. Vier anarchistische Helden (Venus, Tannhäuser, Oskar Macerat und Le Gateau Chocolat) reisen durch die Welt: Sie irren umher, finden sich unerwartet in Salzburg wieder, wollen aber nicht bei den Festspielen bleiben, wo eine heuchlerische Allianz von Künstlern und Theaterfunktionären, deren Auftritte in Europa weiterhin von Russland finanziert werden, ihren Ruf beschädigt haben. Der alte Citroën wendet vor dem Salzburger Festspielhaus und verlässt die mit russischer Kulturpropaganda vollgestopfte österreichische Stadt. Möge das luxuriöse feudale Publikum im Hintergrund weiterhin in der Kunst „jenseits der Politik“ schwelgen, begleitet von Nachrichten über Bombardierungen, Massaker, Misshandlungen und Vergewaltigungen, die die Russen in der Ukraine begehen.

Die große Mission und das Ziel der Künstler von Tobias Kratzers Inszenierung ist Bayreuth, die Bayreuther Festspiele, der Wettbewerb der zeitgenössischen „Minnesänger“.

Um die Ordnung im Theater wiederherzustellen und die Aufführung des Tannhäuser im Stil der historischen Aufführung nicht zu stören, erscheint plötzlich Katharina Wagner, die sich auf der großen Kinoleinwand perfekt selbst gespielt hat. Als sie die verdächtigen Fremden sieht, ruft sie die Polizei, und in wenigen Minuten stürmen tatsächlich bewaffnete Ordnungshüter auf die Bühne, um die von Venus und Co verursachte Unruhe zu beenden. Und das nicht, weil Tannhäuser die sinnliche Liebe verherrlicht, sondern weil er seine Berufung zum Opernsänger verriet und zum Clown des reisenden Theaters der Venus wurde. Allerdings war es seine freie Entscheidung, für die er einen hohen Preis bezahlt hat - mit dem Leben von Elisabeth.

Tobias Kratzers Regie erblühte in diesem Jahr in neuen Farben, Witzen, aber vor allem mit einer lautstarken Proklamation seines eigenen Lebens und seiner Position. Gekrönt von Ruhm und prestigeträchtigen europäischen Preisen, bleibt Tobias Kratzer ein Mann mit einem großen Herzen, um den sich ein treues Team von Künstlern schart, das zu brillanten Experimenten fähig ist – Bühnenbildner Rainer Sellmeyer, Kameramann Michael Braun, Lichtdesigner Michael Braun, u.a.

Dank der Aufteilung der Bühne in „Theater im Theater“ und „Kinotheater“ ist das Aufeinanderprallen zweier Welten und zweier künstlerischer Weltanschauungen – Popkultur, Clownerie, Wanderabenteuer und die heilige Welt Richard Wagners, um derentwillen jeden Sommer Pilger aus aller Welt nach Bayreuth kommen, klar definiert. Anspruchsvolles Publikum, Prominenz aus Politik und Kunst, Philanthropen, Produzenten, Film-, Theater- und Bühnenschauspieler, TV-Moderatoren und Journalisten – sie alle werden zu den Helden von Tobias Kratzers Inszenierung, zu modernen Pilgern.

Bayreuther Festspile 2022 / Tannhäuser und ukrainische Kontrapunkte © A Yefimenko
Bayreuther Festspile 2022 / Tannhäuser und ukrainische Kontrapunkte © A Yefimenko

Nun wird in den Köpfen eines jeden von ihnen Wagners Credo "Frei im Wollen, Frei im Thun, Frei im Genießen" – die revolutionäre Fahne der Venus, die trotzig den Balkon des Festspielhauses zierte – mit dem ukrainischen Herzen und den Kämpfern für eine freie Ukraine verbunden sein.

Tobias Kratzer hat es geschafft, diese Idee unaufdringlich, aber mit viel Gefühl durch die gesamte Inszenierung des Tannhäuser zu tragen. Der Regisseur nutzte einige wenige Frames von 5 bis 10 Sekunden Bühnenzeit, um in dem neuen Video seine Unterstützung für die Ukraine mit dem gesamten an der Produktion beteiligten Künstlerteam sowie seinen Standpunkt zu den diesjährigen Salzburger Festspielen zum Ausdruck zu bringen. Schließlich vermeidet die Leitung der Salzburger Festspiele und die Presse weiterhin Diskussionen und Interviews zu diesem Thema, während russische Künstler weiter mit dem Geld von Gazprom gefördert, zum Sprachrohr Putins werden, indem sie trotz des tobenden Aggressionskriegs ihres Präsidenten, Werke mit heuchlerischen "Kein Krieg"-Parolen schaffen. Sie alle entlarven damit die selbstgefällige Phrase: „Kunst hat nichts mit Politik zu tun“.

Die aktualisierte Inszenierung von „Tannhäuser“ hat einmal mehr bewiesen, dass die Oper des Regisseurs weiterhin als ein starkes kommunikatives soziokulturelles Phänomen nicht nur in der Kunst, sondern auch im Bereich der Kulturdiplomatie und der demokratischen Bewegung anerkannt wird.

Die Oper als einzigartiges, komplexes Phänomen mit einem harmonischen Zusammenspiel spezifischer musikalischer und theatralischer Gesetzmäßigkeiten ist seit Jahrhunderten erprobt. Ihre Bedeutung im Prozess der freien, schöpferischen Entwicklung des Menschen ist unbestreitbar. Die wirksame Funktion der Oper besteht darin, Geschichte und Moderne miteinander zu verbinden, die künftige Geschichte der Menschheit zu beeinflussen, die Wege zur Lösung sozialer, religiöser und persönlicher Katastrophen vorherzusehen. Einmal mehr bestätigt sich der geflügelte Ausdruck der größten Figur des Opernolymps - Richard Wagner - Revolutionär und Mythenerfinder, Musiker und Schriftsteller, Philosoph und Visionär, Politiker und Utopist: Musik ist nicht nur Musik, sondern unendlich viel mehr. Auch neue Künstler beweisen selbstbewusst, dass es keine „Kunst außerhalb der Politik“ gibt.

Als hätte Richard Wagner die ideologische Instrumentalisierung seiner Ideen von Germanophilie, Antisemitismus und Zukunftsmusik durch die Nationalsozialisten vorausgesehen, appellierte er an die künftigen Generationen: „Kinder, schafft Neues!“ (Kinder! Macht Neues!). Der Meister gab „grünes Licht“ für die radikalsten Interpretationsweisen seines Gesamtkunstwerks, indem er verschiedene Funktionen der Kunst – künstlerische, kognitive und beeinflussende – miteinander verbinden wollte. Im Idealfall hätte dies zu einer Verschmelzung der verschiedenen Sphären – Kunst, Wissenschaft und Politik – unter dem gemeinsamen Nenner von Humanismus und Kreativität führen sollen.

Wagners Mythenbildung wird durch die Verbindung mit Dynamik unserer Zeit besonders lebendig. Tobias Kratzer hat diese Wahrheit mit Talent, Ehrlichkeit und Einzigartigkeit neu bewiesen.

—| IOCO Essay |—