Lübeck, Theater Lübeck, LOHENGRIN - Richard Wagner, IOCO Kritik, 11.09.2022

Lübeck, Theater Lübeck, LOHENGRIN - Richard Wagner, IOCO Kritik, 11.09.2022
Theater_luebeck.jpg

Theater Lübeck

Theater Lübeck © Olaf Malzahn
Theater Lübeck © Olaf Malzahn

LOHENGRIN - Richard Wagner

Zur Ouverture: Elsa schläft, während Ortrud ihren Bruder Gottfried .....

von Wolfgang Schmitt

Die neue Spielzeit 2022/23 hat begonnen, und das Theater Lübeck startete mit einer ambitionierten Lohengrin-Neuinszenierung von Anthony Pilavachi, der nun schon seit 25 Jahren ein gern gesehener Gast und höchst erfolgreicher Opernregisseur an diesem Theater ist, dem er bereits 20 stets gelungene Inszenierungen beschert hat. Unter anderem zeichnete Pilavachi verantwortlich für die weit über Lübecks Grenzen hinaus viel beachtete und mit etlichen Preisen ausgezeichnete  Produktion des Ring des Nibelungen.

Das in grau gehaltene, unheimliche Einheitsbühnenbild wirkt bombastisch, es sieht aus wie das Überbleibsel einer Kathedrale mit großer Rosette, an die sich links eine hohe Glaskonstruktion wie bei einer Fabrikhalle mit einer Art Verladerampe anschließt, davor graues Geröll fast wie nach einem Vulkanausbruch. Das gesamte Konstrukt steht auf einer Drehbühne und ermöglicht somit einen schnellen Szenenwechsel. Tatjana Ivschina entwarf sowohl das Bühnenbild als auch die für die Handlung recht untypischen Kostüme. So tragen die vier brabantischen Edlen und die Choristen schwarze zerrissene, verdreckte Kleidung, die vier Edelknaben, die hier allerdings vier dralle Punk-Mädchen sind, in knappen Leder-Outfits mit silbernen Schnallen, Netzstrümpfen und Punkerfrisuren. Ortrud und Telramund wirken in ihren schwarzen Lederklamotten ebenfalls wie in die Jahre gekommene Punker, König Heinrich trägt einen braunen Bärenfellmantel, sein Heerrufer einen grünlich glänzenden Anzug, während Elsa ganz in weiß gehüllt ist, ein Blumenkranz im Haar, und ihr Lohengrin ein helles Dinnerjackett mit schwarzer Fliege und Weste trägt.

Theater Lübeck / LOHENGRIN hier die Hochzeitsfeier © Jochen Quast
Theater Lübeck / LOHENGRIN hier die Hochzeitsfeier © Jochen Quast

Während der Ouvertüre liegt Elsa schlafend auf der Verladerampe, daneben sitzt ihr armer Bruder Gottfried mit einem Schwan. Ortrud schleicht sich heran, schneidet Gottfried pantomimisch die Kehle durch, dreht dem Schwan den Hals um und wirft beide mit Telramunds Hilfe in ein Kellerverlies unter der Verladerampe. Am Schluß öffnet Lohengrin die Klappe dieses Kellerverlieses und holt den kleinen Gottfried, nun gekleidet in einer Ritterrüstung und mit einer Handgranate bewaffnet, dort heraus. Auch im Laufe der Handlung, wann immer Lohengrins Nie sollst du mich befragen“-Thema aufkommt, schreitet der Kleine über die Bühne und verstreut Schwanenfedern. Statt der Brautgemachszene gibt es in dieser Inszenierung eine wilde Hochzeitsfeier und ein wüstes Gelage, bei der der ziemlich angetrunken wirkende König Heinrich sich mit einem der Punk-Mädchen vergnügt, dabei seine Hose verliert und der Heerrufer recht mühevoll versucht, ihm diese wieder anzuziehen.

Lohengrin ist in dieser Inszenierung auch nicht der edle Ritter, der strahlende Held und werte Recke, sondern er wirkt eher wie ein einfacher, biederer Mensch, der nach dem Scheitern seines ehrenvollen Plans und nach seiner Gralserzählung resigniert zusammenbricht. Der britische Tenor Peter Wedd war dieser nicht wirklich persönlichkeitsstarke Lohengrin, der plötzlich aus dem Bühnennebel erscheint, während von oben Schwanenfedern herabrieseln. Ihm ist zu danken, daß er sich bereit fand, kurzfristig in diese Inszenierung einzusteigen, nachdem der ursprünglich vorgesehene Tenor wohl aufgrund unterschiedlicher künstlerischer Auffassungen ausgeschieden war. Sein Stimmtimbre ist nicht unbedingt heldentenoral, sondern eher das eines Charaktertenors. Er verfügt über eine kräftige metallische Mittellage, eine abgedunkelte Tiefe, während die lyrischen, hochliegenden Passagen meist falsettartig klangen. Seine Elsa war Anna Gabler, die gefesselt auf die Bühne gezerrt wurde und zu Beginn des Abends recht herb und vibratoreich klang, sich jedoch ab dem zweiten Akt steigern konnte und ihrer Stimme einige schöne Momente abgewinnen konnte wie bei „Euch Lüften die mein Klagen“. Darstellerisch konnte sie besonders in ihren Szenen mit Ortrud punkten. Am Ende wird sie hier von einem der brabantischen Edlen mit dem Schwert getötet.

Theater Lübeck / LOHENGRIN hier der Schlussapplaus © Wolfgang Schmitt
Theater Lübeck / LOHENGRIN hier der Schlussapplaus © Wolfgang Schmitt

Bea Robein war eine ausgezeichnete Ortrud, die in jeder Phase ihren Machtwillen offenbarte und ihren Mann manipulativ für ihre Zwecke zu benutzen in der Lage zeigte. Stimmlich hat sie sich diese Partie wunderbar zu eigen gemacht. In der großen Szene zu Beginn des zweiten Aktes mit Telramund sprühte sie vor Energie, auch in ihrer schwierigen Schlußszene „Fahr heim“ konnte sie durchaus reüssieren. Anton Keremidtchiev ließ sich zu Beginn der Vorstellung als indisponiert ankündigen, davon war allerdings kaum etwas zu merken; sein Telramund war grandios, er legte ihn recht kraftvoll an, darstellerisch war er in seinem Lederoutfit und dem tätowierten Oberkörper  stets präsent und die große Szene mit Ortrud zu Beginn des zweiten Aktes gelang äußerst spannend. Runi Brattaberg präsentierte seinen fülligen Bass als König Heinrich im Bärenfellmantel und sorgte für einige humorige Momente bei der Hochzeitsfeier. Stimmlich liegt ihm diese Partie nicht so recht, zumindest was die hohen Töne angeht, die allzu flatterig erklangen. Aufhorchen ließ die frische junge Baritonstimme von Jacob Scharfman, einem neuen Ensemblemitglied des Theaters, der auch darstellerisch dem Heerrufer ein starkes Profil geben konnte.

Hervorragend besetzt waren die vier Brabantischen Edlen mit Gustavo Mordente Eda, Noah Schaul, Laurence Kalaidjian und Christoph Schweizer, sowie die vier agilen, spielfreudigen und schönstimmigen, als wilde Punkerinnen kostümierten Edelknaben, Valentina Rieks, Nataliya Bogdanova, Friederike Schulten und Iris Meyer.

Der von Jan-Michael Krüger sorgfältig einstudierte Chor mit ihren mannigfachen schauspielerischen Aufgaben klang in jeder Szene phänomenal.

Das von GMD Stefan Vladar geleitete Philharmonische Orchester ließ keinerlei Wünsche offen. Schon die Ouvertüre bot sphärischen Streicherklang, Elsas Szenen gelangen weich und fließend, Ortruds Auftritte dramatisch zupackend, die Chorszenen wuchtig und spannungsgeladen, der Beginn der Gralserzählung wunderbar filigran. Zu Recht gab es am Ende Ovationen für Stefan Vladar und sein Orchester, aber auch die Solisten und das Regieteam wurden in den donnernden Schlußapplaus mit einbezogen. Für das Theater Lübeck war es ein höchst erfolgreicher Auftakt in die neue Opernspielzeit.

---| IOCO Kritik Theater Lübeck |---