München, Bayerische Staatsoper, Das schlaue Füchslein - Leos Janácek, IOCO Kritik, 01.02.2022

München, Bayerische Staatsoper, Das schlaue Füchslein - Leos Janácek, IOCO Kritik, 01.02.2022
Bayerische Staatsoper München
Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl

Das schlaue Füchslein   -   Leos Janácek

- Tiere sind die freieren Menschen -

von Hans Günther Melchior

War das ein beglückender Abend in schwerer Zeit.   Wo anfangen?

Fangen wir bei der Dirigentin an: Mirga Grazinyté-Tyla. Dieses Dirigat kam der Vollendung sehr nahe. Auch wenn man bedenkt, dass Kunst nicht vollendet sein kann, nicht sein darf. Wäre sie vollendet, wäre sie bereits am Ende und zufrieden. Zufriedene Kunst ist aber kraftlos, ihr fehlt der Stachel, der Antrieb, den das Ideal aussendet.

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Aber hier wurde die Musik Ereignis. Mirga Grazinyté-Tyla beherrscht souverän die Fähigkeit, Musik als einzigen Strom darzubieten, der bald über Klippen springt (es gibt genug bei Leos Janácek, hohe und niedrige Intervalle, schräge und lyrische Abschnitte), bald gelassen fließt – als hätte er selbst Freude an den Landschaften, die er durchschneidet und zugleich gestaltet. Keine Sekunde entließ die Dirigentin das Orchester aus der Spannung, nichts an musikalischer Idee blieb lose im Raum hängen, und wo die Fragezeichen standen, ließ sie diese stehen als Bestandteil des Ganzen. So stiftete sie den Zusammenhang. Energisch ihre Einsätze. Schwingend und nachzeichnend die lyrischen Abschnitte dieser herrlichen Musik, die ein Kosmos für sich ist, ein Gemälde in Tönen, fast selbständig und doch nicht unbekümmert um das, was auf der Bühne geschieht.

Warum hört man Leos Janácek so selten? Und warum so selten mit dieser Dirigentin, die sich einzufühlen vermag in diesen Kosmos, dass man vergisst, wo man sich befindet? Mit einem Orchester, das klug und einfühlsam jeder Nuance, jeder elegant vorgezeichneten Schwingung, jeder Eintrübung und jeder Schroffheit folgte. Wie die Dirigentin es wollte. Brauchte sie die Partitur? Es war im Parkett nicht zu erkennen.

Bayerische Staatsoper / Das schlaue Füchslein hier vl Angela Brower als Fuchs und Elena Tsallagova als Füchsin Schlaukopf © W Hoesl
Bayerische Staatsoper / Das schlaue Füchslein hier vl Angela Brower als Fuchs und Elena Tsallagova als Füchsin Schlaukopf © W Hoesl

Überhaupt: das war ein Abend voller Neuigkeiten – voller Neuerungen. Regisseur Barrie Kosky nahm das Drama als das, was es ist: die Darstellung menschlicher Schicksale. Glück und Unglück liegen nahe beieinander. Meist ungemischt. Die Vollkommenheit wird – immer – verfehlt. Und zurück bleibt das schlechte Gewissen. Der mit Skrupeln belastete Überlebenskampf im menschlichen Leben -- das konfliktfreie, unreflektierte Dasein der Tiere.

Vernunftbegabte Wesen, also die Menschen, verfehlen notwendig die Vollkommenheit. Das vollkommene Glück zumal. Weil die Vernunft weder an sich selbst noch an den Zuständen jemals genug haben kann. Mit der Vernunft ist es wie mit der Kunst: wäre sie jemals am Ende angelangt, gäbe es sie nicht mehr. Zufriedenheit ist in der Kunst wie im Denken zuerst öde Langeweile, danach der Tod. Aber dennoch bleibt die Sehnsucht: nach dem ungetrübten Glück. Und am Ende die Trauer.

Kosky weiß das. Er eröffnet die Oper ohne Musik: mit einem Begräbnis. Eine Grube ist ausgehoben, die Trauernden umstehen sie und zwei von ihnen schaufeln sie zu. Ein ebenso einleuchtender wie eindrucksvoller Anfang. Man weiß sofort: eigentlich kann das kein gutes Ende nehmen.

Bayerische Staatsoper / Das schlaue Füchslein hier vl Eliza Boom - Schopfhenne, Elena Tsallagova - Füchsin Schlaukopf, Andres Agudelo - Hahn © W Hoesl
Bayerische Staatsoper / Das schlaue Füchslein hier vl Eliza Boom - Schopfhenne, Elena Tsallagova - Füchsin Schlaukopf, Andres Agudelo - Hahn © W Hoesl

Nimmt man das Gute menschlich. In der Tierwelt jedoch ist selbst der Tod kein Drama. Tiere leben und sterben. Das ist schon alles. Kein schlechtes Gewissen, kein Streben nach Vollkommenheit, keine Verzweiflung. Kein Leiden an der Unvollkommenheit.

Tiere sind also die anderen Menschen. Beneidet. Anders als die Menschen sind sie weder glücklich noch unglücklich weder böse noch gut; sie versagen nicht, weil sie nichts weiter sind als einfach da: zufrieden vielleicht, satt und im Vollbesitz ihrer Kräfte. Nicht von „des Gedankens Blässe angekränkelt“. Und wenn sie lieben – nennen wir es einmal so – lieben sie unbedingt und nicht unter dem Vorbehalt bürgerlicher Ehre und Treue, nicht als Verräter und Ehebrecher, sie lieben sich und vermehren sich und sie sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist. Vorausgesetzt, sie werden nicht von den Menschen erschossen.

Während die Menschen dies alles wissen und sich dennoch lebenslang um die Vollkommenheit bemühen müssen, sich unter das Joch der Moral, des Anstands und der Sitte begeben. Koskys Lehre: Die Tiere sind die freieren Menschen. Ein kluger Einfall also, überzeugend. Und es ist folgerichtig, wenn Kosky auf die Tiermasken verzichtet und die Tiere als andere Menschen auftreten lässt. Als eine Art Wunschprojektion.

Und wenn am Ende der fahrende Händler Haraschta (Milan Siljanov) die Füchsin abknallt, weil er einen Muff für seine Geliebte braucht, ist dies ein Scheitern am eigenen Anspruch.

Bayerische Staatsoper / Das schlaue Füchslein hier vl Yajie Zahng - Dackel, Mirjam Mesak - Frau Pasek © W Hoesl
Bayerische Staatsoper / Das schlaue Füchslein hier vl Yajie Zahng - Dackel, Mirjam Mesak - Frau Pasek © W Hoesl

Als sei in ihm nicht nur die Habgier, sondern auch ein Widerwille gegen das Andere, Glücklichere in ihm hochgekommen. Als ertrügen die Menschen ihr Menschsein kaum noch und ließen ein Tier dafür büßen.

Das alles ist fein durchdacht, philosophisch. Viel feinsinniger als so manche, angeblich moderne Regiearbeit, die sich auf einen wirren, höchstpersönlichen Traum zu stützen scheint, der unbedingt gezeigt werden muss, als erhebe er den Anspruch, von allgemeiner Gültigkeit zu sein.

Die Oper Das schlaue Füchslein hat drei Akte, die fast fugenlos ineinander übergehen. Im ersten Akt entflieht die Füchsin Schlaukopf (großartig Elena Tsallagova) der Gefangenschaft beim Förster (Wolfgang Koch, bärbeißig, grundierter Miesmacherbass), nachdem sie den Hühnern die Kehlen durchgebissen hat.

Der Förster (eben Wolfgang Koch), der Schulmeister (Jonas Hacker) und der Pfarrer (Martin Snell) sind so richtig echte Griesgrame. Sie sitzen im zweiten Akt am Stammtisch und trauern der unerfüllten Liebe zu der – nie auftretenden – Wunderfrau Terynka nach. Sie saufen. Sie haben sich mit ihrem Schicksal nicht abgefunden, aber die Trauer nützt ihnen nichts. Terynka schnappt sich derweil der fahrende Händler Haraschta.

Die Füchsin begegnet dem Fuchs (wunderbar Angela Brower). Sie verlieben sich, heiraten und es kommen eine Menge Kinder zur Welt. Schön der Kinderchor, lustig, quirlig.

Im dritten Akt wird die Füchsin von Haraschta erschossen. Aber darüber bricht die Welt nicht in sich zusammen. Die Welt wird auch in Zukunft ohne Moral auskommen müssen. Und gleichzeitig nicht auf sie verzichten können.

Noch einmal treten die drei Männer auf. Die schon wieder würde man im realen Leben sagen.

Der Förster wird zum Philosophen. Er sinniert über den Sinn des Lebens – und so weiter, kommt aber über Feststellungen nicht hinaus. Alles ist so maßlos traurig.

Barrie Kosky lässt zum Glück der Handlung und dem Spiel seinen Lauf. Es gibt eigentlich nur eine spektakuläre, grelle Szene: die knallgelben Hühner auf der Stange, der schwarz gekleidete Hahn in ihrer Mitte.

Im Wesentlichen bewegen sich die Protagonisten zwischen Glitzervorhängen wie in Gängen. Manchmal werden Lametta-Schlieren im Hintergrund und von hoch oben ins Geschehen geträufelt. Das reicht vollkommen, lenkt nicht weiter ab, betont das Märchenhafte, dominiert freilich der Dialog. Kein Knalleffekt, lenkt von der Idee ab. Wäre ich doch ein Fuchs…

Begeisterter Beifall im zu 50% besetzten Haus

Das schlaue Füchslein an der Bayerischen Staatsoper; 3.2.; 6.2.; 10.2.; 12.2.; 15.2.; 11.7.; 16.7.2022, link HIER!

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