Freiburg, Theater Freiburg, Katja Kabanowa - Zerbrochen an Lieblosigkeit, IOCO Kritik,
Katja Kabanowa von Leoš Janácek
"Ein Mensch zerbricht an der Lieblosigkeit der Nächsten"
Von Julian Führer
Weit im Süden der Bundesrepublik befindet sich ein Haus, das schon mehrfach durch sehr ambitionierte Programme, spannende Inszenierungen und hochkarätige musikalische Umsetzungen auf sich aufmerksam gemacht hat. Deborah Polaski debütierte hier 1984 als Isolde. Die Intendanz von Barbara Mundel dauerte von 2006 bis 2017, in diese Zeit fielen ein kompletter Ring des Nibelungen und viele andere Projekte. Auf die Handschrift des neuen Intendanten Peter Carp darf man ebenso gespannt sein. Beiden Theaterleitungen ist gemeinsam, dass sie Opern von Leoš Janácek auf das Programm gesetzt haben. Im November 2016 konnte Vera Nemirova eine packende Deutung der Sache Makropoulos präsentieren, nun hatte die 1921 uraufgeführte Katja Kabanowa (in Original Káta Kabanová) in der Regie von Tilman Knabe Premiere.
Das Stück thematisiert eine Frau, die an der lieblosen Gesellschaft und der Situation in der Familie zerbricht, in die sie hineingeheiratet hat (oder wurde). Die Thematik durchzieht die Belletristik des 19. Jahrhunderts und findet sich ebenso in Flauberts Madame Bovary von 1857 wie auch wiederholt bei Fontane (z.B. in Effi Briest) oder auch in Tolstois Anna Karenina. Alexander Ostrowski schrieb 1860 das Drama Gewitter, das sich Janácek als Grundlage für diese Oper nahm. Katja ist mit Tichon Kabanow verheiratet, der sich nicht von seiner dominanten Mutter, der Kabanicha, zu lösen vermag. Der Vater lebt nicht mehr, im Hause gibt es permanente Spannungen. Einzig Warwara, Pflegetochter bei den Kabanows, gibt Katja Rückhalt. Wie in Schostakowitschs wenige Jahre später uraufgeführter Lady Macbeth von Mzensk geht der Ehemann aus mehr oder weniger zwingenden Gründen auf Reisen, so daß die Ehefrau alleine zu Hause bleibt. Die Lösung des dramatischen Konfliktes ist bei Janácek nicht wie bei Schostakowitsch brutale Gewalt, sondern zunächst Katjas Bitte, der Ehemann möge sie mitnehmen oder ihr wenigstens verbieten, andere Männer anzuschauen. Ersteres lehnt er ab, Letzeres scheint ihm unnötig. Als die Kabanicha ihren Sohn nötigt, seiner Frau doch diese Versprechen abzunehmen, ist deutlich, daß er über keine eigene Persönlichkeit verfügt.
Janácek zeigt drei unterschiedliche Paare: die Kabanicha, die sich jenseits der Augen der Familie mit dem groben Kaufmann Dikoj zusammentut, Warwara, die sich nachts mit dem oft spöttelnden Lehrer und Mechaniker Kudrjasch trifft, sowie schließlich Katja und Boris, den Neffen Dikojs. Drastisch skizziert die Regie mit wenigen Kniffen die verschiedenen Gemütslagen: Dikoj und die Kabanicha treiben es während eines musikalischen Intermezzos grob und lieblos, während Kudrjasch zunächst Warwara umgarnt, sie dann aber zu vergewaltigen versucht. Hierzu gibt es im Libretto keine Vorlage, aber Tilman Knabe scheint hier die mentale Disposition des Zynikers Kudrjaschs zeigen zu wollen. Der melancholische Abschied von Kudrjasch und Warwara, über dem in der Musik der Klang einer verpaßten Chance schwebt, läßt dies letztlich doch schlüssig erscheinen. Katja schließlich kann die verschlossene Gartentür überhaupt nur überwinden, weil Warwara ein neues Schloß eingebaut hat und Katja den Schlüssel gibt.
Es wird viel geraucht auf dieser Bühne. Kudrjasch und die männlichen Nebenrollen qualmen Bühnenzigaretten und zeigen allgemeine Ratlosigkeit. Katja weiß, daß sie einer sich bietenden Gelegenheit nicht widerstehen könnte. Als es soweit ist, raucht sie dann auch. Ihre zutiefst biedere Kostümierung macht deutlich, daß sie tief gläubig und allgemein sehr unsicher ist, ganz im Gegensatz zu Warwara, die in engen Jeans und hohen Schuhen gefallen will. Der Glaube soll ihr Kraft geben, gleichzeitig hat sie Visionen, die sie kaum verarbeiten kann. Tilman Knabe arbeitet das dadurch heraus, daß er sie epileptische Anfälle erleiden läßt und diese auch mit filmischen Mitteln und mit Lichteffekten überdeutlich macht. Sie taumelt in die Affäre mit Boris, den sie dann aber während der zehntägigen Abwesenheit ihres Mannes jeden Tag trifft.
Neben der Personenführung und dem Licht trägt die Bühne viel dazu bei, der Linie des Regisseurs stets folgen zu können: Unbestimmte offene Räume, die die Personen wie ins Nichts geworfen zeigen, wechseln ab mit Szenen vor dem Zwischenvorhang und dann wieder mit Interieurs, für die kleine Guckkästen gebaut wurden und die dann nach vorn und wieder nach hinten geschoben werden (Bühne: Alfred Peter). Diese Räume werden von einem kalten weißen Licht umrahmt, was noch unterstreicht, wie kalt es in dieser Familie zugeht. In einem dieser klaustrophobisch engen Zimmer hängen links eine Madonna, vor der Katja regelmäßig kniet, rechts ist das Bild eines Rotarmisten mit Trauerflor zu sehen – der verstorbene Mann der Kabanicha. Das Wechselspiel der Bühnenbilder erlaubt eine kaleidoskopartige Überblendung. Der Zuschauer sieht, wie sich im Hintergrund etwas vorbereitet, während vorne noch ein anderer Handlungsstrang zu Ende erzählt wird; manche stumme und auch statische Bilder unterstreichen die Musik, die das Drama aus der Perspektive Katjas erzählt. Auch die Regie stellt sich auf ihre Seite.
Im dritten Akt steht das bereits bekannte Personal zusammen und unterhält sich in grober Weise. Ein Gewitter geht nieder. Katjas Ehemann kehrt zurück, Katja wirft sich ihm entgegen und gesteht ihm, was geschehen ist. Tichon will das Geständnis eigentlich gar nicht hören; fast schon logischerweise ist die Kabanicha auch in diesem Augenblick anwesend. Die folgende Szene spitzt noch einmal Tilman Knabes Sicht auf Katja zu: anstelle eines letzten Zusammentreffens mit Boris, an dessen Ende Katja sich ertränkt, entscheidet er sich für eine Szene mit Katja ganz allein. Das Zwiegespräch mit Boris deutet er als inneren Dialog, den Katja, alleine auf der Bühne, mit einem Bild Boris‘ in der Hand führt. Die Antworten Boris‘ (der sich längst für andere Mädchen interessiert) kommen aus dem Off und mit immer mehr Hall, sind nicht zu lokalisieren, so daß das innere Drama Katjas erfahrbar wird. Katja singt „Der Tod kommt ja gar nicht.“ („Ale smrt nepcchází“) Die Stelle gemahnt vom Text an Humperdincks Königskinder („Der Tod kann nicht kommen. Ich liebe dich.“), an die auch musikalisch an dieser Stelle Anklänge hörbar werden. Kannte Janácek dieses Stück? Katja jedenfalls zieht sich in Tilman Knabes Deutung mit einiger Mühe den Ehering vom Finger, wirft ihn in die Kulisse, vergiftet sich mit Schlaftabletten und stirbt. Sie ertrinkt so nicht in der Wolga, sondern im übertragenen Sinn und etwas wie Isolde in einem Video von Bill Viola. Als sie kurz darauf am vorderen Bühnenrand abgelegt wird, sieht sie allerdings tatsächlich wie eine Leiche aus (Kompliment an die Maske!). Während die Kabanicha den schönen Schein wahren will, gerät die Gesellschaft in dieser Deutung aus den Fugen. Tichon, nach dem Tod seiner Frau dann doch einmal Ehemann (ganz wie Charles Bovary!), wird aggressiv gegenüber seiner Mutter, während die aufgebrachte Menge über Dikoj herfällt. Die Regie verlängert den Schlußakkord, indem Vogelzwitschern vom Band gespielt wird.
Janáceks Musik weist zahlreiche Bezüge zu Dvorák auf. In Janáceks Sinfonietta von 1926 wird man die Kabanicha und einiges andere (z.B. die hoch gestimmten Pauken) wiedererkennen. Fabrice Bollon als Generalmusikdirektor des Philharmonischen Orchesters Freiburg wählt ein sehr hohes Einstiegstempo, findet dann aber, vor allem in der zweiten Hälfte des ersten Aktes und im zweiten Akt, zu einem sehr klaren und zupackenden Klangbild, mal schroff, mal verspielt, mal ironisierend. Besonders einnehmend war Bollons Art der Sängerbegleitung. Janáceks Partitur macht es ihm vergleichsweise einfach, doch er nahm das ansonsten üppig aufbrandende Orchester merklich zurück, um den Solisten Raum für ihre Rollengestaltung zu schaffen.
Star des Abends war eindeutig Anna-Maria Kalesidis als Katja. Die Wandlung von einer zugeknöpften Person zu einer liebenden Frau und von dort zu einer verzweifelten Selbstmörderin, dies alles auch stimmlich erfahrbar gemacht – das war große Kunst. In die höheren Lagen legte sie eine gewisse Schärfe, die gut zu ihren Seelenqualen paßte. Auch körperlich gab sie vollen Einsatz (z.B. bei den epileptischen Anfällen). Ihr zu Seite als Boris steht Harold Meers, dessen Tenor neben ihr eher zurückhaltend wirkt, ohne dennoch gänzlich zu verblassen. Aus dem Freiburger Ensemble brachten Juan Orozco (Dikoj), Anja Jung (Kabanicha) und Roberto Gionfriddo (Tichon) wie stets sehr überzeugende Leistungen. Die Warwara Inga Schäfers überzeugte unmittelbar. Auch die kleineren Rollen und der Chor waren gut einstudiert, ebenso das Orchester. Als Ensembleleistung hätte diese Premiere auch an einem großen Haus ihren Platz gehabt. Das Theater Freiburg wurde ab 1905 erbaut und verfügt über einen hinreichend großen Orchestergraben, um auch Werke des späten 19. und 20. Jahrhunderts ohne künstlerische Abstriche zeigen zu können.
Der Inszenierung ist meist leicht zu folgen, gleichzeitig entwickelt sie das Stück an mehreren Stellen weiter, findet überraschende Lösungen – auch wenn tief in die Mottenkiste neuerer Opernregie gegriffen wird (Müllsäcke, Rollator, epileptische Anfälle). In manchen Fällen und in kluger Dosierung leuchten ausnahmsweise auch solche Requisite ein. Das Publikum dankte mit langanhaltendem Applaus sowie mit einhelligen Bravorufen für das Regieteam und Ovationen für die Sängerin der Katja. Ein verdienter Erfolg für das Haus, der auch für die Zukunft Grosses erwarten läßt!
Katja Kabanowa am Theater Freiburg, weitere Vorstellungen 2.2.; 10.2.; 25.2.; 15.3.; 31.3.; 15.4.2018
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