Wuppertal, Oper Wuppertal, TANNHÄUSER und der Sängerkrieg auf Wartburg, IOCO Kritik, 02.04.2022
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg - Richard Wagner
- Im Kölner Kiez wird gefeiert - doch Tannhäuser zerstört das frohe Treiben -
von Viktor Jarosch
1905, vor nun 117 Jahren, in der Blütezeit der Stadt Wuppertal, wurde im Stadtteil Barmen auch die Oper Wuppertal eröffnet: mit der romantischen Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg von Richard Wagner. Tannhäuser, eine frühe Oper Wagners, Uraufführung 1845 in Dresden, greift auf deutsche Volksballaden des 13. Jahrhunderts zurück. Richard Wagner thematisiert darin, wie zuvor schon im Holländer, das Aufbegehren eines „Rebellen“ gegen bestehende Ordnungen: Welten prallen im Tannhäuser aufeinander, die irreale Welt der Liebesgöttin Venus, die geordnet reale Welt des Wartburgtales … bis sich am Ende Gott selbst seiner erbarmt. Zu den Bayreuther Festspielen schaffte es Tannhäuser übrigens erst 1891, lange nach dem Tod Richard Wagners.
Die laufende Spielzeit 2021/22 der Oper Wuppertal ist aus anderen Gründen – wie die vorangegangenen Spielzeiten - spannungsgeladen: Nach der Grundsatzentscheidung der Stadt Wuppertal für den Aufbau eines neuen, eigenen Ensembles für die Oper Wuppertal beschädigte im Sommer 2021 Hochwasser das Opernhaus; wurde Patrick Hahn, *1995, 2021 zum neuen GMD bestellt; wurde im März 2022 Dr. Rebekah Rota ab 2023 zu neuen Intendantin bestellt; IOCO berichtete. Die Oper Wuppertal scheint nun mit jungem Ensemble und neuer Leitung für die kommenden Jahre als bedeutendes regionales Musiktheater gut aufgestellt.
Nun am 27. März 2022 hatte Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg nach mehreren krankheitsbedingten Verschiebungen eine mitreißende Premiere in der Oper Wuppertal. In einer aktuell lebensnahen Inszenierung verordnet Regisseur Nuran David Calis in seiner ersten Opern-Inszenierung Tannhäuser eben keine klassisch „teutsch und echte“ höfische Gesellschaft auf die Wartburg sondern – dies aktuell und modern kontrastierend – in den pulsierend farbigen, multikulturellen Kiez, den alltäglichen Lebensmittelpunkt, einer x-beliebigen deutschen Stadt: Der von Rechtsradikalen vor 10 Jahren auf das vielschichtige Leben in der Kölner Keupstraße verübte Nagelbombenanschlag hatte in seinem Schauspiel „Die Lücke – Ein Stück Keupstraße“ Pate gestanden. Calis transponiert in seiner Inszenierung (Bühne Anne Ehrlich, Kostüme Anna Sünkel, Choreographie Matteo Marziano Graziano) an der Oper Wuppertal die 800 Jahre alte deutsche Volksballade des Tannhäuser in das vielschichtige Kiez-Leben der Jetztzeit; Calis bietet so zu Wagners unsterblicher Komposition ungewohnt mitreißende Aktualität; weist auf die Zerreißproben hin, denen instabile Gesellschaften wie Beziehungen immer ausgesetzt sind. Drei Video-Screens über der Bühne begleiten die Handlung; mit verschiedenen Blickwinkeln und aktuellen Botschaften.
Vorspiel, erster Akt: das Bühnenbild zeigt einen Kiez am Abend; in Köln in Wuppertal, in Hamburg könnte es sein; reges Treiben herrscht hier zu später Stunde; glitzernde Leuchtschriften, Schaufenster, der Nachtclub Venus. Tannhäuser, ehemals Sänger einer Band, will im Nachtclub das Leben genießen, hängt mit Venus in Jeans und Lederjacke lasziv frustriert herum, klagt, findet selbst in der Lust keine Erfüllung; bis der erwachende Morgen und das geordnete Leben mit seinen Menschen Strukturen, Tagesküche, Tellern, Essenverteilung ihn wieder aufnehmen. Tannhäuser trifft dann seine ehemalige Bandkollegen (alle in Jeans und Pullover), welche ihn zu Elisabeth und einem anstehenden Straßenfest (Sängerwettstreit) im Kiez mitnehmen.
Zweiter Akt: Der ganze Kiez feiert bei dem Straßenfest, siehe Foto oben, welches unter dem Slogan „Birlikte“, türkisch für „Zusammenstehen“, mit vielen Bannern, u.a. FCKNZS, PEACE„ say their names“) die gesellschaftliche Vielfalt betont. Elizabeth erwartet Tannhäuser, welcher jedoch das frohe lebensnahe Sängerfest, ganz Wagnerscher Rebell, durch sein Loblied auf Venus provoziert; seine Bandkollegen wollen ihn verprügeln, doch … Elisabeth - Packend aktuell - schützt Tannhäuser mit abgebrochener Flasche in der Hand. Die Menschen im bis dahin harmonische aber instabilen Kiez brechen mit Tannhäuser, verfluchen ihn, fordern ihn auf, in Rom Erlösung zu finden. Der dritte Akt zeichnet diesen Riss in der Gemeinschaft des Kiez durch eine verfallene Optik: Scheiben sind zerbrochen, es brennt. Tannhäuser kehrt gescheitert, vom Papst unerlöst, aus Rom zurück und findet eine zerbrochene Gemeinschaft, deren Brüche auch er ausgelöst hat. Eine von Richard Wagner gesuchte Erlösung des "Rebellen" durch Gott .......
Patrick Hahn besteht als neuer GMD in Wuppertal seine erste große Prüfung am Pult mit Bravour: Zur Ouvertüre noch sensibel getragen, gestaltet er mit den Wuppertaler Sinfonikern Wagners Komposition in mitreißenden Tempiwechseln und Vielfalt. Für den Besucher besonders auffällig waren die klanglich wohl abgestuften Szenen mit Ensemble und Chor, inmitten eines nahezu unüberschaubaren Gedränges auf der Bühne.
Auch das Wuppertaler Ensemble und Chor waren ausnahmslos gut disponiert: Die Gäste: Nobert Ernst hatte als Tannhäuser in Lederjacke und Jeans mit klarem Tenor sein gelungenes Rollendebut. Guido Jentjes als Landgraf Hermann, mit großem Bart und in Kaftan sehr „Kiezig“, gefiel mit sonorem Bass, Allison Cook gestaltete den Abend als Venus nicht allein durch ihren sicheren Sopran sondern auch durch darstellerische Vielfalt. Julie Andrews spielte die Partie der Elisabeth erstmalig und verzauberte die Besucher mit wunderbar timbrierter Lyrik; ähnlich begeistert Simon Stricker als Wolfram von Eschenbach, der seine große Arie „O du, mein holder Abendstern“ sensibel melancholisch vorträgt. Doch auch die weiteren Partien sind in Wuppertal gut besetzt: Sebastian Campione als gestaltender Biterolf, Sangmin Jeon als Walter von der Vogelweise, John Heuzenroeder als Heinrich der Schreiber, der kleine junge Sebastian Scherer als junger Hirt.
Das Publikum in der Oper Wuppertal feierte diesen Tannhäuser lautstark und begeistert: Multikulturelle Vielfalt in einer klassisch „deutschen“ Oper zu spiegeln verlangt Mut, auch vom Wuppertaler Opernmanagement, welches dieses Konzept aufnahm, als Chance sah; Mut, den Nuran David Calis mit einer komplex modernen Inszenierung belohnte, welche die Themen unsere Zeit plastisch spiegelt.
TANNHÄUSER an der Oper Wuppertal; die nächsten Termine 30.4.; 14.5.; 26.6.2022, link HIER!
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