Wuppertal, Oper Wuppertal, Hoffmanns Erzählungen - Jacques Offenbach, IOCO Kritik, 20.09.2016
Hoffmanns Erzählungen: Trance, Rausch, Übermut
Vier Regisseure gestalten E.T.A. Hoffmanns Märchen in Wuppertal
von Viktor Jarosch
Hoffmanns Erzählungen in Wuppertal: Surreale Fantasien und Träume in Berlins Weinkeller Lutter (den es noch heute gibt), seine Begegnung mit dem Kunstmensch Olympia, der verhinderten Sängerin Antonia und der Schlemil-abhängigen Giulietta: Zerrbilder realer Ängste und unerfüllter Wünsche inszenieren in Wuppertal vier Regisseure: Christopher Alden (Antonia), Charles Edwards (Prolog), Inga Levant (Giulietta) und Nigel Lowery (Olympia). Angereichtert mit ungewöhnlichen Regieeinfällen, welche wohl Intendant Schneider und seinem Wunsch zuzuschreiben sind, der Oper Wuppertal ein entspannt modernes Gesicht geben."
Für die Stadt Wuppertal wie deren Musiktheater war die erste Premiere der Spielzeit 2016/17, die Oper Hoffmann Erzählungen, von besonderer Tragweite: Die Premiere war zugleich der erste Schritt vom bisherigen Stagione-Theater (ohne eigene Werke) zum Repertoire-Theater. Zukünftig sollen der neue Opernintendant Schneider durch eigenes Ensemble und eigene Produktionen die kulturelle Wirklichkeit der Stadt beleben und neue Impulse geben. Die erste Produktion, Hoffmanns Erzählungen, erfüllte alle Erwartungen: Eine gelungene Inszenierung mit wunderbaren Klängen, Stimmen und einem Füllhorn mitreißender Bilder, bestätigten die zukunftorientierte Wuppertaler Entscheidung für das Repertoire-Theater.
E.T.A. Hoffmann (1776 - 1822) schuf in ungezähmter Literaturbegeisterung Zeit seines Lebens derart viele Werke, daß ein wohlmeinender Schriftsteller-Kollege einmal scherzte, Hoffmann schreibe schneller, als er lesen könne, weshalb er auch nicht alle Romane kenne, die er geschrieben habe. Karikaturen, Fantasiestücken, Märchen und Romane machten Hoffmann bekannt wie angreifbar. Der preußische Innenminister von Schuckmann beschrieb Hoffmann als "pflicht-vergessenen, höchst unzuverlässigen und gefährlichen Staatsbeamten“. Hoffmann starb über diesen ernsten Streit 1822 an einer Atemlähmung.
Die Franzosen Jules Barbier und Michel Carré waren Bewunderer Hoffmanns. Sie schufen aus dessen Werken 1851 das fantastisches Drama "Les Contes D´Hoffmann", in dem die Person Hoffmann, anders als in seinen Erzählungen, selbst im Mittelpunkt steht. Fasziniert von Barbiers und Carrés Werk beschloss Jacques Offenbach (1819 - 1880) 1877 dazu eine Oper zu komponieren, Jules Barbier schuf das Libretto. Mühsam gestaltete sich die Komposition der Oper. Als Offenbach 1880 starb hinterließ er keine eindeutig finale Partitur. Léon Carvalho und Ernest Guiraud stellten das Werk zur Uraufführung 1881 fertig. Doch wird es bis heute, nach angeblichen Skizzen Offenbachs, immer wieder überarbeitet. Hoffmann Erzählungen wurde zu einem großen Erfolg. Nach Bizets Carmen ist Les Contes D´Hoffmann heute die meistgespielte Oper in Frankreich.
Hoffmanns Erzählungen, surreale Fantasien und Träume in Berlins Weinkeller Lutter (den es noch heute gibt), seine Begegnung mit dem Kunstmensch Olympia, der verhinderten Sängerin Antonia und der Schlemil-abhängigen Giulietta: Die Zerrbilder realer Ängste und unerfüllter Wünsche inszenieren in Wuppertal vier Regisseure: Christopher Alden (Antonia), Charles Edwards (Prolog und Bühne), Inga Levant (Giulietta) und Nigel Lowery (Olympia). Angereichtert mit ungewöhnlichen Regieeinfällen, welche wohl Intendant Schneider und seinem Wunsch zuzuschreiben sind, der Oper Wuppertal ein entspannt modernes Gesicht geben.
Teil des modernen Gesichts der Oper Wuppertal: Schon vor Beginn der Oper werden die Besucher durch ein auf dem Bühnenprospekt gezeigtes Interview mit einer Künstlerin aufgemuntert. Mit Beginn der Aufführung schreitet eine gouvernantenhafte "Dramaturgin" auf die Bühne. Hüstelnd und Rotwein trinkend versucht sie die kommende Oper zu erklären. Das Orchester schreitet ein: "Aufhören, hau ab jetzt". Sich ständig verhaspelnd torkelt sie von der Bühne und wirft, gefilmt auf das Bühnenprospekt projiziert, im Foyer ein Glas mit Rotwein nach dem Kellner.
Hoffmanns Erzählungen beginnt (Regie Charles Edwards) bei voller Beleuchtung: Hoffmann betrunken auf dem Boden liegend, die alles steuernde, das Böse verkörpernde Stadträtin Lindorf (Lucia Jones) intrigiert mit schönem weichem Mezzo zunächst aus einer Seitenloge, übertragen auf das Bühnenproskekt. Eine Burschenschaft (Chor der Oper Wuppertal) stürmt in bester Personenführung mit gelben Kappen lärmend die Bühne: "Juvallera, Herr Lutter wir sind da..." und läßt den Besucher durch saubere Intonierung und Klang aufhorchen. Doch ungläubig lauschten wir Hoffmann (Mickael Spadaccini) als er mit seiner Arie des Kleinzack, "Es war einmal am Hofe von Eisenack", breit timbriert, sicher, mit kräftig fülliger Höhe begeistert und trunken von Lieben erzählt, welche alle unglücklich endeten.
Die starke Regie (Regie Nigel Lowery) des zweiten Aktes beginnt im Halbdunkel, vor dem Hintergrundprospekt einer dunkler Altstadtnacht. Eine tote, nackte Frauenfigur wird halb-verdeckt in einem Laken durch die Nacht gezogen: Olympia. Als mechanische Kunstfigur leuchtet sie auch in einem der Fenster auf. Der Physiker Spalanzani (Sangmin Jeon), mit gut geführtem Tenor, Schöpfer der Olympia, möchte mit dem Kunstwesen Geld verdienen. Hoffmann tuschelt mit dem bizarren Coppelius (Lucia Jones) am Bühnerand (Besucher lesen die Übertitel) über den Kauf eine Wunderbrille, die "jeden Gegenstand im Nu belebt". Im folgenden hellen Ballsaal wird das Leichentuch von dem Automaten Olympia (Sara Hershkowitz) gezogen, sie erhebt sich von der Liege und bewältigt ihre schwierige Sopranarie "Les oiseaux dans la charmille" mit lyrischer Sicherheit. Sodann sammelt Olympia für ihren Schöpfer Spalanzani Geld von den Ballgästen und verführt den verliebten Hoffmann auf recht spezielle Weise......
Christopher Alden formte die Regie des dritten Akt um Antonia (Sara Hershkowitz) und ihre mysteriöse Krankheit mit einer weißen Wand als Bühnenhintergrund, darauf die Worte: "Dass nie ein Ton über Antonias Lippen gehen solle." Ihr Vater Crespel (Sebastian Campione) formt eine Geige mit gepflegtem Baßbariton: "Ich werde die perfekte Geige bauen und ihre Deine Stimme geben." Wunderbarer wie lyrisch warm vorgetragener Höhepunkt dieses Aktes das Duett Antonia - Hoffmann "Enfin! Antonia!"......
Inga Levants Gestaltung des vierten Akt um die Kurtisane Giulietta (Sara Hershkowitz) fremdelt etwas in der Gesamtinszenierung: Sie spielt in einer Heilanstalt. Menschen in Krankenkleidung mit Kopfbinden sammeln sich meist im Bühnenhintergrund; sie haben ihren Schatten verloren: Ein Spiegel, sechs Wannen, ein Behandlungsstuhl. Die von David Parry und dem Sinfonieorchester Wuppertal sensibel gespielte hochromatische Barcarole "Belle nuit, ô nuit d’amour" wirkt in diesem Ambiente etwas fremd. Doch Lucia Lucas als verschlagener Magier Dapertutto zunächst in Mönchskleidung, später in schwarzem Domina-Outfit, und die ihm hörige Giulietta, Domina in rotem Leder, geben der Handlung eigene Farbe und Richtung. Hoffmann verliert um der Liebe zu Giulietta seinen Schatten, wird sodann geduscht (Bild) und erhält die Kopfbinde der Schattenlosen; darüber verspottet, tötet, köpft er Giulliettas einzige Liebe, Pitichinaccio (Mark Bowman-Hester).......
Die fantastische Oper endet im fünften Akt: Hoffmann klagt betrunken auf dem Boden liegend: "Drum laßt allen Kummer im Rausch vergessen! Olympia - zebrochen, Antonia - tot, Giulietta - verschwunden." Aus Lautsprechern erklingt das Lied von Kleinzack.
Die Inszenierung der Oper entspricht der psychedelischen Grundstimmung vieler Werke E.T.A. Hoffmanns. Auffällig die starken Stimmen des Ensembles: Mit dem durchgängig kräftigen wie wohl timbriertem Tenor Mickael Spadaccini als Hoffmann, einer Lucia Jones, welche die Teufelspartien überzeugend gestaltete und einer Sara Hershkowitz, welche ihre großen Sopranpartien mit sicherer Stimme und packenden Gefühlsstakkati formte. Hervorragend auch die musikalische Ausführung des Sinfonieorchester Wuppertal unter Dirigent David Parry, welche Komposition, szenisches Geschehen und surrealen Zauber des hochromantischen Werkes mit filigranem Zauber und mächtigem Forte stützte.
Das Publikum feierte die Premiere von Hoffmanns Erzählungen wie den gelungenen Schritt der Oper Wuppertal in die neue Zukunft des Repertoire-Theaters mit lautstarkem Beifall bis das der Vorhang dann endgültig fiel. IOCO / Viktor Jarosch / 20.09.2016
Oper Wuppertal - Hoffmanns Erzählungen: Die nächsten Termine 23.9.2016, 1.10.2016, 9.10.2016, 22.10.2016, 5.11.2016, 18.12.2016.