Wuppertal, Oper Wuppertal, LA TRAVIATA - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 26.03.2023
LA TRAVIATA - Giuseppe Verdi
- Späte, begeisternde „Doch-Noch-Premiere“ von La Traviata in der Oper Wuppertal -
von Uli Rehwald
Da kann ja wirklich nichts schiefgehen, glaubt man, mit einer La Traviata in der Oper Wuppertal. Eine der populärsten Opern überhaupt; ein Meisterwerk von Giuseppe Verdi. Ein Renner in jeder Bestenliste der beliebtesten Opern. Und dann noch mit einer Spitzenbesetzung, besonders für die Violetta. Und auch dabei ein Thema, das jeden berührt: die Liebe. So könnten die Überlegungen für die Planung von La Traviata als Premieren-Glanzlicht der Wupperaler Saison 2021 gewesen sein.
Und doch: die ursprünglich für 2021 geplante öffentliche Premiere von La Traviata musste bis zur Umsetzung viele Hürden überwinden. Erst kam 2021 Corona dazwischen; die Produktion musste ohne Publikum gespielt werden; dafür wurde die Aufführung immerhin gestreamt. Vor dem nächsten Premieren-Versuch flutet Hochwasser der Wupper die Bühne des Opernhauses. Es folgte ein Ausweichen in die Historische Stadthalle von Wuppertal mit einer konzertanten Lösung; immerhin, zumindest vor Publikum.
Und nun, am 25.2.2023, nach fast zwei Jahren, findet dieser La Traviata Premieren-Hindernislauf sein Ende. Und gleich vorweg: Wir sehen den gelungenen Zieleinlauf in diesem Premieren-Marathon. Wuppertal kann große Oper: Künstlerisch überzeugend, große Premieren-Stimmung, volles Haus, büschelweise Ehrenkarten, große Garderobe. Na ja, aber ein Tropfen Wasser muss doch hineingeschüttet werden: Eine wahre ganze Premiere ist es wiederum auch nicht, denn alle Mitwirkenden, vor allem natürlich die Sänger*innen, haben konzertant schon bewiesen was sie können. Heute folgt die „sichtbare“ Inszenierung; neu die Bühne und die Kostüme. Gewissermaßen die alles umfassende „Endlich-Doch-Noch-Komplett-Premiere“.
Die Opernhandlung ist fast „Verdi-untypisch“ unkompliziert und leicht verständlich. Die dem Roman Die Kameliendame von Alexandre Dumas d. J. entnommene Handlung: Die Lebedame Violetta Valery - eigentlich schon todkrank - gibt ein rauschendes Fest. Als Kurtisane lässt sie sich natürlich nie wirklich auf die Herren der Schöpfung ein. Doch auf diesem Fest zeigt ihr Alfredo Germont, dass er es tatsächlich ernst meint mit seiner großen Liebe zu ihr. Das passt eigentlich überhaupt nicht in ihre Welt - und berührt sie dennoch tief. Der 2. Akt zeigt, dass Violetta und Alfredo zusammengekommen sind, sie schwelgen in ihrer Liebe, weit weg von Allem. Aber schon naht das böse Schicksal: Es fehlt an Geld, das Alfredo beschaffen will. Zusätzlich erscheint die bürgerliche Moral in Form des Vaters von Alfredo und nötigt Violetta, dass sie auf die Liebe zu ihm verzichten soll. Dazu ist sie nach verzweifeltem Ringen tatsächlich bereit; eben aus Liebe und verlässt ihn. Der verzweifelte Alfredo findet sie später auf einem weiteren Fest wieder und glaubt, dass sie ihn wegen eines Anderen verlassen hat. Und so demütigt er sie in seiner Wut öffentlich - weiß nichts von ihrem Verzicht aus Liebe. Im dritten Akt ist Violetta allein und schon sterbenskrank. Es erscheint Alfredo, der von seinem Vater Giorgio die Wahrheit erfahren hat. Und sie stirb in seinen Armen.
Bisher gab es für die konzertanten Aufführungen gute bis sehr gute Kritiken. Überragend dabei Ralitsa Ralinova in ihrem (konzertanten) Rollendebut in der Titelrolle der Violetta. Und so ist es auch heute auf der Bühne: Ralitsa Ralinova hat einfach alles drauf, was es für diese große Paraderolle braucht: perlend-klare Koloraturen, brillant-mühelose Höhe, spielerische Registerwechsel, lyrisches Mitreißen in der Handlung, große Dramatik und Verzweiflung. Sie zeigt jede Farbe der Seelenzustände einer von der Liebe ergriffenen und vom Tod bedrohten Frau. Der magische Opern-Moment heute war die Sterbeszene im 3. Akt: Gefühlstiefe auch im Piano zum Niederknien. Eine gesungene Begegnung mit dem Tod, der alle Besucher tief ergriff.
Sangmin Jeon in der Rolle des Alfredo Germont steht ihr nicht nach, lässt mit seiner strahlenden Höhe und seinen nahbaren Verzweiflungs-Tönen keine Wünsche offen. Auch Simon Stricker überzeugt in seinem Rollendebut als autoritärer, in der Gesellschaftsmoral gefangenen und am Ende gramgebeugter Vater Giorgio Germont. Die weiteren Sänger (Hyejun Kwon als Flora, Mark Bowman-Hester als Gastone, Zhive Kremshovski als Baron Douphol, Timothy Edlin als Marchese d‘Obigny, Sebastian Campione als Dottore Grenvil) tragen wie schon bei der konzertanten Aufführung zu einem großen Premierenabend bei. Der Chor, von Ulrich Zippelius gut einstudiert, zeigt große Wucht und trägt ausdrucksstark die großen Fest-Szenen.
Das Sinfonieorchester unter der Leitung von Johannes Witt ist sowohl im fein ziselierten Piano als auch im Aufbrausen der großen Gefühle meisterhaft. Und lässt den Sängern auch souverän den Raum, den sie brauchen.
Das Regiekonzept von Nigel Lowery kommt eher traditionell und fast naturalistisch daher. Etwas überraschend bei seinen manchmal auch gewagten Deutungen. Gleichwohl, das Stück kann man durchaus so inszenieren. Er versucht erst gar nicht, die musikalische Größe mit lautem Regietheater zu verdrängen. Auch Bühnenbild und Kostüme (ebenfalls von Nigel Lowery) drängen sich nicht vor, bilden einen angedeuteten Pariser Salon mit den dort zu erwartenden Kostümen. Aber dann sind doch noch zwei kleine Feinheiten der Regie dabei, die als Zusatz-Ideen überzeugen:
- Das Stück beginnt mit einem tanzenden, farbigen Schmetterling, der auch weiter geschmeidig immer wieder durch das Stück tanzt. Ausdrucksstark von Lisenka Milène Kirkcaldy dargestellt. Offenbar der in die Zukunft strebende Gegenpol zur sterbenden Violetta.
- Aus der kleinen Rolle des Arztes wurde etwas Größeres gemacht: Unheilvoll, düster humpelt er von Anfang an mit einem Stock über die Bühne, zeigt Violettas ständige Bedrohung durch den Tod - wie es später im Stück klar wird.
Empfehlung? Ganz sicher, unbedingt empfiehlt sich der Besuch! Um zu erleben, welch großartige La Traviata die Oper Wuppertal bietet; und mit Ralitsa Ralinova als Violetta erst recht.
Das festliche Premieren-Publikum feiert die Premiere von La Traviata mit langem Applaus und Bravorufen. Alle sind heute Abend doch noch mit „bella Figura“ im Ziel des Hindernislaufes angekommen, dem Wuppertaler Kunsthimmel der „Endlich-Doch-Noch-Premiere“.