Wuppertal, Oper Wuppertal, DIE KRÖNUNG DER POPPEA - Claudio Monteverdi, IOCO Kritik, 16.05.2023
DIE KRÖNUNG DER POPPEA - Claudio Monteverdi
- Sex und Crime - aber mit wunderbaren Koloraturen in Wuppertal -
von Uli Rehwald
Claudio Monteverdi gilt als Schöpfer dessen, was wir heute unter Oper verstehen. Vor fast 400 Jahren schrieb er mit Orfeo das erste Werk der Operngeschichte. Wir hören heute in Wuppertal seine letzte Oper, die Krönung der Poppea. Und gleich vorweg: Es soll ein absolutes Unikum werden, dieser Abend.
Die Handlung in Kürze: In einem Prolog wetteifern die 3 Götter Tugend, Schicksal und Liebe, wer am wichtigsten ist. Die Göttin der Liebe will gewinnen und so beginnt das Spiel. Der Kaiser Nero begehrt Poppea und will seine aktuelle Frau Ottavia, die Kaiserin, verstoßen. Poppea benutzt ihre Verführungskünste jedoch nur, um Kaiserin zu werden, jede Intrige ist ihr dazu recht. So verleumdet sie Seneca beim Kaiser, erwirkt den Befehl zum Selbstmord des Philosophen. Die Noch-Kaiserin Ottavia leidet, kämpft dann um ihre Macht und beauftragt Ottone, Poppea zu ermorden. Gott Amor verhindert dies. Schließlich haben Nero und Poppeaaber alle Hindernisse höchst intrigant aus dem Weg geräumt und kriegen sich tatsächlich. Amor scheint den Wettstreit gewonnen zu haben. Aber wer könnte das als moralisch wertvolle Liebesgeschichte sehen?
Wer fürchtet, eine langweilige Barock-Oper zu hören, bestehend aus ewigen Koloraturen auf einem Vokal ohne fortschreitende Handlung zu besonders fromm-weltfremden Themen, wird heute, 12. Mai 2023, in Wuppertal auf das Angenehmste enttäuscht. Monteverdi wagte sich, obwohl Mitglied des geistlichen Standes, als Alterswerk ein mehr als weltliches Werk über Sex, Crime und Intrigen aus der Taufe zu heben. Fast ausschließlich schäbige Charaktere hängen ihren zutiefst menschlichen Abgründen nach: Mord, Eifersucht, Machtgier, Verleumdung, Erpressung. Eine echte Räuberpistole, sogar mit einer Selbstmord-Arie. Man kann wohl sagen, dass dies bei sonst durchweg mythischen Opern-Stoffen die erste Räuberpistole der Operngeschichte ist. Und es wird noch ungewöhnlicher: Die Original-Partitur gilt als verschollen, einige Komponisten haben sich später an einer erneuerten Fassung versucht. Heute in Wuppertal hören wir die zeitgenössische Fassung des Belgiers Philippe Boesmans (Premiere 2012 in Madrid). Und damit die deutsche Uraufführung dieser Version. Das Orchester wird dabei phasenweise fast „entbarockisiert“. Aktuelle Tasteninstrumente, Marimba, Vibraphon, Schlagzeug und Synthesizer führen zu ganz ungewöhnlichen Klangerlebnissen, die phasenweise nicht mehr an die klassische Barockmusik erinnern. Das wird sofort schon mit dem 1. Akkord des heutigen Abends klar. Mit modernen Instrumenten wird direkt farbig-markant klargestellt: Heute läuft das anders.
Ungewöhnlich ist heute Vieles. Die klassische Geschichte von Kaiser Nero wird in der Inszenierung von Immo Karaman in die 80er Jahre verlegt. Die grell-plakativen Kostüme und die Fönfrisuren, die die Serien-Filmstars aus dieser Zeit getragen haben könnten. Wir sind offenbar bei Dallas und Denver gelandet. Geht das bei Barock und Monteverdi? Und um das Maß des Ungewöhnlichen voll zu machen: Das Bühnenbild besteht vollständig aus reinem Grau, vom großflächigen Hintergrund bis hin zur letzten Weintraube. Dieses Bühnenbild ist - fast nicht zu glauben - von einer anderen Produktion übriggeblieben, die dem Hochwasser 2021 zum Opfer fiel und „untergebracht“ werden sollte. Und abschließend ist es zwar für Barock-Musik nicht ungewöhnlich, aber für den „Gelegenheits-Opernfreund“ doch nicht alltäglich: Nero wird von einer Frau in Männerkleidern gesungen (das Liebesduett also von Sopran und Mezzo-Sopran) und es gibt heute auch den eher ungewöhnlichen Countertenor (die Männerstimme im Sopran).
Und dann die entscheidende Frage: Wie soll dieses Bündel aus „Ungewöhnlichem“ heute zusammenwirken? Kann das so überhaupt funktionieren? Und die Antwort gleich mit: Ja, es funktioniert bestens. Geradezu mit freudiger Wollust stürzen sich die Sänger hemmungslos in die Koloraturen und schwelgen dabei die Koloraturbögen auf und ab singend in den dunkelsten und schäbigsten Winkeln ihres Charakters.
Ralitsa Ralinova, zuletzt auch als überragende Violetta in der Traviata hier in Wuppertal gefeiert, gewinnt in ihrer Rolle als intrigante Poppea darstellerisch völlig neue Charakterzüge. Sängerisch wie immer über alle Zweifel erhaben zeigt sie uns heute feinste, perlende Koloraturen bei höchst unfeinen, bösartigen Absichten. Mit phänomenaler Beweglichkeit ihres hohen Stimm-Registers. Himmlisch-entrückt zaubert sie die Klänge ihres großen Liebes-Duetts mit ihrer kongenialen Partnerin Catriona Morison am Schluss der Oper.
In der Rolle des Nero wird Catriona Morison als abgewirtschafteter männlicher Beau mit Bauch und Halbglatze karikiert, zeigt wilde erotische Zügellosigkeit, u.a. auch im halb geöffneten Bademantel. Sängerisch auf höchstem Niveau, voll von leidenschaftlichen Tönen, die Bühne manipulativ und explosiv-sängerisch beherrschend.
Anna Alàs i Jové zeigt in der Rolle der Noch-Kaiserin Ottavia tatsächlich eine Kombination aus Koloratur und sportlicher Einlage auf der Yogamatte: Sie bringt es fertig, bei ihrer bösartigen Mord-Anstiftungs-Koloratur konzentriert Fitnessübungen zu machen, die auf einem Sportvideo auffällig gut wären (mehrere überzeugend ausgeführte Beinscheren zur Seite im liegen – die Älteren erinnern sich bestimmt an Jane Fonda). Das dürfte sicher eine Opern-Fitness-Premiere gewesen sein. Und für einen handfesten Schlagabtausch im Zickenkrieg ist sie sich auch nicht zu schade.
Immo Karaman auch als Countertenor mit klar viriler Ausstrahlung, wird in der Rolle des Ottone von Immo Karaman u.a. auch in das Fitness-Studio gestellt, hier mit Boxsack. Verzweifelt schlägt er auf den Boxsack ein und kann doch nicht verhindern, dass er von Ottavia, die dort auf ihrer Yogamatte neben ihm trainiert, zu einem Attentat erpresst wird.
Der Philosoph Seneca, die einzige moralisch integre Figur, wird zum Selbstmord gezwungen. Mit welcher tiefen Ruhe Sebastian Campione das (auch mit ganz viel Theater-Blut) darstellt und vor allem, wie er das singt, ist wirklich ergreifend. Wenn sich der heutige Philosophie- und Opernfreund fragen sollte, mit welcher Arie Sokrates seinen Schierlingsbecher ausgetrunken haben könnte, dann wird er hier fündig.
Insgesamt zeigt die Oper Wuppertal eine starke Ensemble-Leistung mit über zwanzig Rollen. Spielfreudig, oft auch witzig pointiert mit Sinn für das gute Detail.
Matthew Toogood hat die schwierige Aufgabe, das Symphonieorchester Wuppertal durch diese moderne Barockversion zu führen. Das gelingt im durchaus gut, oft kammermusikartig aber auch mit eindrucksvollen Neuklängen. Die Inszenierung von Immo Karaman geht in der Kombination von grell und grau tatsächlich sehr gut auf und wird mit ihrer ausgezeichneten Personenführung sicher in starker Erinnerung bleiben. Schon allein die „Szene im Fitness-Studio“ hat Potential für eine Wuppertaler Legende.
Zum Schluss nur zwei Tropfen Wasser in den Wein: Insgesamt sind leider nur fünf Aufführungen geplant. Und der Abend ist zu schwach besucht. Der Aufruf darf gewagt werden: Kölner, Düsseldorfer, Dortmunder, Essener, kommt nach Wuppertal für diese farbenfroh-pralle Barock-Räuberpistole.