Wuppertal, Oper, ERWARTUNG -DER WALD - Kurz-Opern, IOCO

ERWARTUNG - DER WALD: Wir sehen am 7.4.024, ERWARTUNG, eines der ganz wenigen Bühnenstücke von Arnold Schönberg. Das Stück hat auch nur eine Länge von 30 Minuten. Mit diesem ohnehin schon selten aufgeführtem Stück wird dann die Oper DER WALD kombiniert,

Wuppertal, Oper, ERWARTUNG -DER WALD - Kurz-Opern, IOCO
Opernhaus Wuppertal © Andreas Fischer

PREMIERE: Ein Doppelabend in der Oper Wuppertal bestehend aus zwei selten gespielten Kurz-Opern:

- Erwartung von Arnold Schönberg -  Der Wald von Ethel Smyth

 von Iris Flender / Uli Rehwald

Wir sehen heute, am 7.4.024, ERWARTUNG, eines der ganz wenigen Bühnenstücke von Arnold Schönberg. Das Stück ist nicht als Oper zu bezeichnen, sondern als Monodram, es hat auch nur eine Länge von 30 Minuten. Mit diesem ohnehin schon selten aufgeführtem Stück wird dann die Oper DER WALD kombiniert, ebenfalls eine Kurz-Oper von nur ca. 60 Minuten. Dieses Werk soll seit über 100 Jahren nicht mehr in Deutschland aufgeführt worden sein, sogar etablierte Opernführer geben keine Auskunft darüber. Dank der Experimentierfreude der Oper Wuppertal erleben auch altgediente Opern-Veteranen heute Abend etwas völlig Neues.

Doppel-Abende haben ja Tradition in Opernhäusern. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich Cavalleria Rusticana / Bajazzo. Heute sehen wir einen neu geschaffenen Doppelabend, den es bisher nicht gab. Das Vereinende der beiden ungleichen, düsteren Stücke ist, dass sie seelische Abgründe vor dem Hintergrund des Waldes darstellen.

Da die beiden Werke so gut wie unbekannt sind, zunächst eine Erläuterung zum Inhalt.

-          Das 1. Stück - Erwartung: In der ziemlich kafkaesken Handlung irrt eine verzweifelte Frau allein durch einen Wald, findet dabei auch ihren toten Partner. Und man fragt sich, wie sie in die Situation gekommen ist. Sie besingt dabei die sie hin- und herreißenden Gefühle, die wild durcheinanderwirbeln: Angst, Sehnsucht, Liebe, Eifersucht, Verzweiflung. Es wirkt wie eine Wahnvorstellung.

OPER Wuppertal / ERWARTUNG - DER WALD - Szenefoto c. Bjoern Hickmann

-          Das 2. Stück - Der Wald: Es wird die Geschichte eines kleinen Dorfes im Wald erzählt, wo bäuerliche Holzfäller wohnen. Die Hochzeit von dem jungen Holzfäller Heinrich und seiner Braut Röschen wird vorbereitet. Doch dann erscheint die Hexe Jolanthe, die Geliebte des örtlichen Landgrafen. Sie begehrt den jungen Bräutigam, der sich jedoch nicht darauf einlassen will. Da er zuvor ein Reh gewildert hat, droht ihm nun die Todesstrafe. Jolanthe stellt ihn vor die Wahl, entweder ihr zu dienen oder die Todesstrafe hinzunehmen. Heinrich jedoch widersteht und wählt den Tod. Vor und nach dem Stück gibt es einen kurzen Prolog und Epilog der Waldgeister.

Wie sind diese beiden seltenen Stücke heute von Regisseur Manuel Schmitt inszeniert worden?

Die Erwartung spielt in einer nüchternen Hotellobby, die Rezeption ist nicht besetzt, an der Wand hängt ein großes Gemälde, welches eine kniende Frau in einem Wald oder dichtem Gartenlaub zeigt. Aus dem Bild wird per Projektion eine kurze Zeit die ganze Lobby zu einem Wald, zumindest dicht beblätterte Natur. Die Frau erscheint im Nacht-Negligé und Mantel, wie es scheint. Wie jemand, der sich ungeplant nach draußen in die Natur begibt.

Zwischenzeitlich hat sich der Wald wieder in die Lobby zurückverwandelt. Und die Frau scheint Wahnvorstellungen zu haben: Von einem morbiden, bedrohlichen Clown, von einem wandelnden Toten, von einem toten Reh. Man fragt sich, wie dies alles mit dem Stück in Verbindung steht. Sind es Anleihen bei Stephen King? Oder Edgar Wallace? Zuletzt entflieht sie durch das zerfetzte Bild in einen Nebel hinter dem Bild – dem Nebel des Vergessens? Die Flucht des Geistes vor der nicht aushaltbaren Realität? Oder vor den Wahnvorstellungen?

OPER Wuppertal / ERWARTUNG - DER WALD - Szenefoto c. Bjoern Hickmann

Bei dem Stück Der Wald wird die Dorfgemeinschaft in zeitlosen Kostümen dargestellt. Die Bühne zeigt, wie Raum in Raum übergeht, vorne sauber und gepflegt, dahinter fleckig und abgenutzt und zuletzt eine Öffnung zu dem Wald. Düster, nebelig, Bäume wie tote Äste, Angstgebilde ohne Leiblichkeit. Die beiden Protagonisten, der Holzfäller Heinrich und der Hausierer erscheinen in derselben Ausstattung wie im Stück Erwartung (dort als wandelnder Toter und als Clown), jedoch hier sehr belebt und natürlich. Man fragt sich, warum? Das tote Reh aus dem 1. Stück erscheint auch wieder, gehört diesmal aber zum normalen Ablauf des Stückes. In der letzten Szene taucht die Frau (aus dem 1. Stück) im Nebel auf. Soll sie den vollstreckenden Henker darstellen, der den Wilderer im Auftrag des Landgrafen tötet? Sie umfängt Heinrich aber eher wie eine Liebende - und ersticht ihn dann. Im ersten Ansatz ist man als Zuschauer etwas verwirrt, ratlos.

Dann aber offenbart sich wie bei einem guten Krimi im letzten Moment, wie alles zusammenhängt. Offenbar soll in dieser Inszenierung das 2. Stücks eine Rückblende zum 1. Stück sein. In dem 2. Stück wird also erzählt, wie die Frau in ihre kafkaeske Situation allein im Wald gekommen ist. Sie hat, wie wir im 2. Stück sehen, ihren Geliebten aus Eifersucht ermordet. Und irrt daher im 1. Stück wie wahnsinnig allein durch den Wald. Das ist wirklich gut kombiniert, völlig schlüssig und gibt zusammen eine starke Handlung ab.

Sehr interessant sind auch die 4 Frauenrollen: Das Mädchen, die unschuldige Braut, die eifersüchtige verlassene Geliebte, die machtversessene kraftvolle Hexe. Alle vier Rollen scheinen zu einer Frau zu gehören, die verschiedenen Seiten der Frau. Alle haben sie rotblonde, lange Haare, aber das Mädchen, die Braut, die Geliebte tragen reines Weiß in fließenden Kleidern, unschuldig und dem Manne angepasst. Jolanthe jedoch als Machtperson trägt Hosen und Schwarz sowie einen Mantel in klerikalem Violett.

Die heute fast vergessene Komponistin Ethel Smyth hat als engagierte Suffragette die alten, geltenden gesellschaftlichen Regeln umgedreht. Jolanthe ist die Herrscherin, die sich den Jüngling vor der Hochzeit zu eigen machen will. Der Landgraf hat nur die wenig männliche Rolle des verschmähten und abgelegten Geliebten. Was für ein Wagnis in der Zeit um 1900. Kein Wunder, dass ihre Kurz-Oper zunächst nicht aufgeführt werden konnte.

Die Besetzung der Erwartung ist schnell beschrieben. Es gibt nur eine einzige Person, die Frau, die von HJanna Larissa Naujoks gesungen wird. Ihr Sopran trägt gut durch das dunkle Stück, zeigt beeindruckend die Zerrissenheit und Verzweiflung.

Die Besetzung von Der Wald ist dagegen umfangreicher. Sangmin Jeon in der Rolle des Heinrich und Marya Taniguchi als Röschen geben ein bedrohtes Paar ohne Glück, aber mit tiefer Verzweiflung. Edith Grossmann in der Rolle der Hexe Jolanthe versucht mit mächtiger Stimme impertinent alles, um sich Heinrich gefügig zu machen. Verhöhnt auch den Landgrafen Rudolf (Samueol Park), der verzweifelt an ihr festhalten will. Erik Rousi in der Rolle des Peter und Zachary Wilson als Hausierer runden die gute Ensembleleistung ab.

Der Opernchor der Wuppertaler Bühnen unter der Leitung von Ulrich Zippelius zeigt sich heute spielfreudig. Und bildet mit der einzigen fröhlichen Szene den Gegenpol zur düsteren Grundstimmung des Abends. Das Sinfonieorchester Wuppertal unter Leitung Patrick Hahn bewältigt den großen Bogen beginnend mit der atonalen Musik hin zur spätromantischen Musik gut. Man atmet geradezu auf, wenn nach dem atonalen 1. Stück auf einmal wieder klangvolle Harmonien der Romantik zu hören sind.

Und abschließend kann die Frage gestellt werden, was von diesem einzigartigen Experiment zu halten ist. Das Wuppertaler Publikum dankt jedenfalls mit herzlichem Applaus. Die romantische Oper von Ethel Smyth ist auf jeden Fall sehenswert und hat ihre Wiederentdeckung verdient. Und der überraschende Plot des Doppelabends wird sicher in guter Erinnerung bleiben. Auf jeden Fall kann man die Oper Wuppertal dafür anerkennen, dass es neue, eigene Wege geht und damit vielleicht eine Lücke im großen Opernangebot füllt.

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