Wolfsburg, Scharoun-Theater, Modern Times - Filmklassiker mit Charlie Chaplin, IOCO Kritik, 09.11.2021
- Humoriger Filmklassiker - begleitet vom Staatsorchester Braunschweig -
von Christian Biskup
Es ist schon herrlich, dass dieser alte Humor auch heute noch so grandios funktioniert. Charlie Chaplin und sein Film Modern Times brachten richtig gute Stimmung in das Wolfsburger Scharoun-Theater. Gemeinsam mit dem Staatsorchester Braunschweig und dem Dirigenten Helmut Imig wurde der halb stumm, halb „laute“ Film aus dem Jahr 1936 mit der originalen Musik aufgeführt.
Modern Times ist ein Filmklassiker. Die Geschichte des Tramps (Charlie Chaplin) der wieder einmal auf der Suche nach dem Glück ist und von einem Fettnäpfchen ins nächste gerät, lässt keine Auge trocken. An seiner Seite steht eine Herumstreicherin, gespielt von Paulette Goddard, die nicht nur im Film an der Seite von Chaplin lebte, sondern auch 1936 seine Ehefrau wurde (die Ehe wurde geschieden, sie heiratete später den Schriftsteller Erich Maria Remarque). Gemeinsam versuchen beide Figuren die zahlreichen Steine aus dem Weg zu räumen, die das Leben ihnen in den Weg stellt. Natürlich mit der richtigen Prise Humor! Dabei ist der Film ja auch als Kritik an Massenproduktion, Schnelllebigkeit und den Taylorismus gedacht. Wahrscheinlich trifft man damit in der Volkswagenstadt auf offene Ohren.
Man muss sicher nicht lange suchen, um jemanden zu finden, der auf die Fließbänder schimpft. Aber mittlerweile ist es doch sehr zum Alltag geworden und unsere technisierte Welt hat uns nicht nur auf der Arbeit „im Griff“. Und doch versteht das Publikum nur zu gut die motorischen Störungen und das „Big Brother is watching you“-Getue vom Chef der Fabrik. Im Grunde spiegelt der Film nach wie vor unsere kapitalistische Gesellschaft wieder – mit all ihrem für und wieder. Schließlich existiert auch Wolfsburg meist nur, weil es dort gut bezahlte Arbeit gibt. Trotz aller Kritik, überwiegt dennoch am Ende des Gefühl, einfach gut unterhalten worden zu sein. Man denke an Chaplins mimisches Spiel in der Rauchgift Szene, seine graziös-gefährliche Rollschuhfahrt im Kaufhaus oder sein Rugby-Spiel mit dem gebratenen Hühnchen – das Publikum amüsierte sich köstlich!
Die Aufführung von Modern Times in Wolfsburg wurde im Rahmen des Internationalen Filmfestes Braunschweig ausgerichtet. Dabei ist es mittlerweile auch Tradition geworden, Stummfilme mit Live-Orchester zu präsentieren. Nachdem mit „Der Golem, wie er in die Welt kam“ bereits die Uraufführung einer rekonstruierten Originalmusik vor wenigen Tagen vorgenommen wurde, war Chaplins Komödienklassiker die Nummer zwei auf dem Programm. Dabei traf man auch einige alte Bekannte wieder:
Zwischen dem Staatsorchester Braunschweig und dem Dirigenten Helmut Imig besteht schon eine lange künstlerische Zusammenarbeit. Seitdem er 2010 im Rahmen der Braunschweiger Sinfoniekonzerte die Musik zum Stummfilm Metropolis darbot (was dem damals 16-jährigen Rezensenten in äußerst eindrucksvoller Erinnerung ist), verging wohl kaum ein Jahr, in dem der gebürtige Bonner Dirigent nicht wieder als Gast beim Staatsorchester war. Kein Wunder, gilt er doch als Spezialist für Stummfilmmusik. Ob Charlie Chaplins Klassiker, die großen expressionistischen deutschen Stummfilme oder Disneys Fluch der Karibik – sein Repertoire an begleiteten Filmen ist bemerkenswert. Seine Erfahrung zeigte sich auch in Wolfsburg. Schnitt und Musik stimmten überein und ergab eine herrliche Symbiose. Hier und da hätte man sich ein wenig mehr Ausdrucksgehalt, orchestrale Höhepunkte gewünscht, aber vielleicht sollte die Musik auch nicht zu sehr im Vordergrund stehen.
Obgleich man Charlie Chaplin als Komödiant und Schauspieler ersten Ranges erinnert, so tritt er in dem Film auch als Komponist auf. Zwar komponierte er nicht den ganzen Score, doch kam er mit Melodien und klanglichen Ideen zu seinen Arrangeuren, die schließlich ein packende Partitur entwickelten, die Einflüsse von Gershwin aufzeigt und die große Klangwelt der späteren MGM-Filme vorausahnt. Ein Highlight ist sicherlich die humorvolle Maschinenmusik der Fließbandszene, in der die Schlagzeuger ihr Können präsentieren konnten. Insgesamt zeigt sich das Orchester rythmisch sehr pointiert und kann das Publikum mitreißen – was ja bei sonst eher spätromantisch geprägten Klangkörpern nicht immer bei amerikanischen Werken der Fall ist. Auch wenn das Orchester an der Stelle schweigt, ist auch der Nonsense-Song hervorzuheben.
Man kann sich vorstellen, wie groß das Staunen damals gewesen sein mag, als das Publikum erstmals Chaplins Stimme hörte. Chaplin, der stets ein großer Befürworter des Stummfilms war – auch nachdem mit dem Jazzsänger 1927 der erste Tonfilm in die Kinos kam – führt die ganze Szene jedoch ad absurdum. Zwar hört man Chaplin singen, jedoch – da er sich den Text nicht merken konnte – in bestem Kauderwelch. Sehenswert macht die Szene vor allem die Mimik und kaum jemanden entgeht dabei, dass es eben auch sehr gut ohne die Stimme geht! Da die Tonspur wahrscheinlich nicht getrennt werden konnte, kommt das Lied nur aus den Lautsprechern, was jedoch keinen großen Bruch verursachte.
Obgleich das Scharoun-Theater – trotz 2G-Regelung – nur zu 50% belegt wird und auch die Plätze nicht komplett verkauft wurden (2014 gab es die Aufführung bereits in gleicher Besetzung), breitete sich doch eine ausgelassene Stimmung unter den Besuchern aus. Hier und da wurde gekichert, dann auch mal herzlich gelacht. „Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag“, so ein Lebensmotto Chaplins. Nun, dann hatten die Besucher zweifelos einen gewonnenen Tag – denn gelacht hat jeder!
Am Ende gab es viel Applaus - für Dirigent und Orchester
---| IOCO Kritik Scharoun Theater Wolfsburg |---