Winterthur, José Cura - Argentinische Lieder - Liederabend, IOCO Kritik 24.02.2021
José Cura – Argentinische Lieder Musikkollegium Winterthur - Barbora Kubiková, Gitarre
Klanggewordene Passion - 9. Februar 2021
von Renate Publig
Es sind sowohl für kunstaffine wie für kunstschaffende Menschen herausfordernde Zeiten. Für beide Seiten ein kompletter Lockdown … quasi der „geistigen Gastronomie“. Streaming muss uns darüber hinweghelfen, auch wenn es, wenn mir ein Verweilen in diesen Analogien gestattet sei, dem Abholen der lukullischen Genüsse aus dem Lieblingsrestaurant gleicht. Und dennoch: Sich an derartigen Genüssen zu erfreuen, ist Balsam für die Sinne – hier für die Geschmacksknospen, da für die Musikseele.
Reisebeschränkungen, Lockdown, müßig zu erwähnen, was diese Einschränkungen für einen Künstler bedeuten. Nicht nur in finanzieller Hinsicht. Verheerend, Musik nicht ausüben zu dürfen und der Kontakte zum Publikum beraubt zu sein. So war es – pandemiebedingt – das erste Konzert seit März letzten Jahres, das José Cura geben durfte. Und welches Programm könnte diese spezielle Stimmung besser transportieren als Lieder aus Curas Heimat Argentinien? Die Werke von Hilda Herrera, Carlos Guastavino, Felipe Boero, Carlos Lopez Buchardo und Alberto Ginastera sind der Inbegriff von Wehmut und Melancholie. Eine Erklärung dafür hat Cura sofort parat: „Bei diesen Stücken sprechen wir von einer Generation Argentinier, die entweder selbst noch Emigranten oder deren erste Nachkommen waren. Die Mentalität der heutigen Bevölkerung hat sich verändert, aber die Menschen damals waren von einer großen Sehnsucht nach ihrer ursprünglichen Heimat geprägt. Sie empfanden Traurigkeit, ihr Land zu verlassen, geliebte Menschen zurücklassen zu müssen und gleichzeitig versuchten sie einen Neubeginn in einem fremden Land. Das erklärt, warum die Nation sehr nostalgisch gestimmt war, was sich in der Musik widerspiegelt.“
José Cura - Argentinischer Abend in Winterthur - LIVE Link HIER!
In all den Melodien schwang jedoch auch etwas Versöhnliches, ja, manchmal sogar ein Augenzwinkern mit. Das lag nicht zuletzt an Curas luxuriösem Samt-Timbre, mit dem er dieses Kaleidoskop an Emotionen selbst via Bildschirm vermitteln konnte. Zudem war der unbändige Wille regelrecht greifbar, aus der kulturellen Lage nicht nur das Beste zu machen, sondern an diesem Abend etwas Einzigartiges entstehen zu lassen. Kein Publikum? Doch, freilich! Sich gegenseitig Zuzuhören, miteinander Klänge zu verschmelzen, Gleichklang und Einklang, und wo nötig, etwas Würze durch Rhythmen – darum geht es in der Musik. Schließlich leitet sich das Wort „Komposition“ aus dem Lateinischen „componere“ ab, was so viel bedeutet wie „zusammenstellen, -setzen, -bringen.“ Es gelang Cura gemeinsam mit dem Musikkollegium Winterthur, der Pianistin Elaine Fukunaga und der Gitarristin Barbora Kubiková vortrefflich, die Menschen „da draußen“ an ihrer Passion für Musik teilhaben zu lassen – und somit alle zusammenzubringen.
Cura führte charmant durchs Programm, erzählte von Carlos Guastavinos Faible für Zyklen – und sang fünf Lieder aus dessen Blumenzyklus. Er berührte mit seinen Interpretationen von u.a. „Postal de Guerra“ von Maria Elena Walsh oder mit „Canción al arbol del olvido“ (vom Baum des Vergessens / Alberto Ginastera), La rosa y el sauce (Die Rose und die Weide) und Se equivocó la paloma – von der Taube, die sich täuschte (beides Carlos Guastavino). Und Vertonungen von José Cura selbst, die auf Texten von Pablo Neruda basieren, "klassische Lieder mit einem folkloristischen Touch“, so der auch in Komposition ausgebildete Sänger.
Die Bearbeitungen für Kammerorchester stammen von Cura selbst, verständlich daher, dass er dem hervorragend disponierten Musikkollegium Winterthur nuancierte Klangfarben in mal tröstenden, mal schmunzelnden, mal tieftraurigen Schattierungen entlocken konnte. Trotz der enormen akustischen Herausforderung, war doch das rund 20köpfige Kollektiv auf einer Fläche verteilt, auf der sonst ein volles Symphonieorchester Platz findet.
Es sind sowohl für kunstaffine wie für kunstschaffende Menschen herausfordernde Zeiten. Für beide Seiten ein kompletter Lockdown … quasi der „geistigen Gastronomie“. Streaming muss uns darüber hinweghelfen, auch wenn es, wenn mir ein Verweilen in diesen Analogien gestattet sei, dem Abholen der lukullischen Genüsse aus dem Lieblingsrestaurant gleicht. Und dennoch: Sich an derartigen Genüssen zu erfreuen, ist Balsam für die Sinne – hier für die Geschmacksknospen, da für die Musikseele.
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