Wien, Wiener Staatsoper, Ioan Holender: Eckiger Unternehmer - Sensibler Künstler, IOCO Aktuell, 05.12.2011
Ioan Holender: Ikone der Musiktheaterwelt
Rückblick und Würdigung
Ioan Holender, 76, lebende Ikone der Musikwelt, Intendant, österreichisch immer sperrig als "Staatsoperndirektor" tituliert, seit seiner Jahrespressekonferenz vom 2.4.2009 auf Abschiedstour, verließ seine Bühne an der Wiener Staatsoper endgültig am 30. Juni 2010. Mit 19 Amtsjahren war er längstdienender Direktor der Staatsoper (Bisheriger Titelhalter: Wilhelm Jahn mit 16 Jahren, 1881 - 1897). Und formte in dieser Zeit die Wiener Staatsoper zum führenden Musiktheater weltweit. Die Staatsoper wurde durch Ioan Holender zum Richtunggeber und Übervater für große Musiktheater, Künstler und Kulturmanager in allen Ländern der Welt.
Auf der Abschiedspressekonferenz als Staatsoperndirektor am 16.6.2010 (Bild) auf der Probebühne des Eberhard-Waechter-Saales, durchlief Holender, selbstbewußt wie von Zweifeln scheinbar unbelastet, eine Wertung seines Wirkens der vergangenen 19 Jahre:
1959 aus Rumänien mit seiner Mutter in Wien angekommen, begann Holender als Statist am Wiener Burgtheater, sang im Volkstheater an der Seite von Fritz Muliar, begann als "passabler" Bariton am Klagenfurter Stadttheater und trat 1967 in eine Künstleragentur ein, welche er später übernehmen sollte. Dort tröstete er Placido Domingo, welcher nach Vorsingen beim damaligen Staatsoperndirektor Egon Seefehlner durchfiel. Und entwickelte so die sängerfokussierte Vita, welche Holender so sehr für die Wiener Staatsoper qualifizierte und ihn von seinen meist regiedominierten und/oder gesangsunerfahrenen Intendanten-Kollegen unterscheiden sollte. Holender durchlebte als junger Bariton die alltäglichen Leiden, Ängste eines Sängers auf der Bühne. Er kennt deren Nöte, Hoffnungen und Freuden. Mit diesem Wissen schuf er das weltweit einzigartige Gesangsensemble der Wiener Staatsoper, wurde Entdecker, Mentor, Ratgeber ganzer Sängergenerationen. Mit 45 Opern besitzt die Wiener Staatsoper das größte Repertoire aller Musiktheater der Welt. Ganz Unternehmer fühlte sich der Intendant Holender der Wirtschaftlichkeit, Auslastung und den Besuchern des Hauses verpflichtet. Die Wiener Staatsoper erreicht seit Jahren "königliche" Auslastungszahlen.
Ulrich Weinzierl, Redakteur der Welt, beschreibt Ioan Holender als jovialen Despot. Alles hört auf sein Kommando, kein Widerspruch wird geduldet. Für seinen Thron an der Spitze der Wiener Staatsoper sei die Beschreibung "Schleudersitz" blanke Untertreibung. Holender, welcher sich "in aller Bescheidenheit als vollkommen uneitel betrachtet", äußert sich trotzdem gern kontrovers zu Künstlern und kulturellen Ereignissen außerhalb der Wiener Staatsoper. Einige Kostproben:
- Seefestspiele Mörbisch: Es ist das gesellschaftliche Treiben, das die Leute anzieht; der Impressario (NB: Harald Serafin) ist bekannter als das Festival.
- Bregenzer Festspiele: Mit Kunst im Sinne des Werkes und dessen Schöpfer hat es wenig zu tun. Man generiert ein Unterhaltungsereignis und der Vorwand ist die Oper.
- Salzburger Festspiele: Ich fühlte mich dort stets fremd, der gesellschaftliche Anteil überwog der künstlerischen. ...die von Möchtegernern und Wichtigmachern dominierte.....
- Egon Seefehlner: Hat immer geraten, mehr Geld auszugeben, als man bekäme. Damit nachbudgetiert werde.
- Claus Helmut Drese, Operndirektor: Von Sängern wußte er wenig und die Beurteilung von Stimmen zählte nicht zu seinen Tugenden.
- Claus Peymann: ...wurde zu einem Darsteller, der sich durch Provokationen und politische Attacken im Gespräch zu halten versuchte....
- Lorin Maazel: Von rührender Naivität..Beispielsweise verlangte er Bilder, die ihm gefielen, aber der Republik gehörten, für seine Privatwohnung. Dafür versorgte er die genehmigenden Beamten mit Freikarten.
- Neil Shicoff: Besitzt ausgeprägte monomanische Züge....
- Regisseure: Ich halte deren übermäßige Bedeutung, Honorierung und "durch diese" erzeugte Belastungen an Musiktheatern für weit überzogen.
- Sven-Eric Bechtolf, Regisseur: Ist ein Grünschnabel und versteht nichts von Operund sollte sich zurückhalten. (Anlässlich einer anmassenden Kritik des Regisseurs Bechtold zu einer sängerischen Besetzung an der Wiener Staatsoper).
- Der Opernball: Die Gäste seien mehr Schein als sein.....
So kritikfreudig er war, rauer Kritik an seiner Berufung an die Staatsoper begegnet Holender dagegen auffällig dünnhäutig: "Ich kann sie nur so interpretieren, daß man einen rumänischen Juden....".
So begann Ioan Holender die Abschieds-PK mit tiefer Referenz an Eberhard Waechter, damaliger Direktor der Wiener Staats- und Volksoper, der ihn 1991 überraschend fragte, ob er nicht seine Agentur verkaufen und Generalsekretär an der Wiener Staats- und Volksoper werden wolle. Holender wollte und der überraschende Tod Waechters im März 1992 führte dazu, daß der österreichische Kanzler Franz Vranitzky ihn zu dessen Nachfolger vorschlug. So Holender auf der Pressekonferenz am 16.6.2010 selten bescheiden: Ich habe die Position nicht angestrebt, nur durch den Tod von Herrn W...........
Ganz professioneller und gesamtverantlicher Intendant eines großen Musiktheaters, nicht Kunstsektierer, gliederte Holender sodann sein Wirken, seine Erfolge der vergangenen 19 Jahre in folgende Kriterien:
- Auslastung der Staatsoper der letzten 19 Jahre: 96,11% bei 5.473 Vorstellungen; die letzten vier Spielzeiten bereits deutlich über 97%. (NB Die Red: Die deutlich höher subventionierte, kleine Berliner Staatsoper erreicht eine Auslastung von nur 87%). Zu Neu-Inszenierungen entscheiden maßgeblich die Finanzen und das Besucherinteresse. Nicht aber die meist karrieredominierte Regieprotagonisten. So läuft die John Cranko Produktion von Romeo und Julia bereits seit 47 Jahren an der Staatsoper .
- Finanzen: Ich hinterlasse ein Haus mit gesunder finanzieller Basis. Seit 1997 unveränderte Subventionen. (NB: Nachfolger Dominique Meyer forderte, kaum im Amt, bereits höhere Subventionen für die Staatsoper). Der Anteil eigener Staatsopern Einnahmen liegt bei - hohen - 45%. Er habe sich immer als Steuerzahler gesehen und war sich nicht zu schade, die Preise für Suppenteller im Kindertheater zu erfragen. Ob bei Verhandlungen mit Betriebsräte, Sponsoren: Der Steuerzahler war immer sein Hauptgeldgeber. Und so zitierte er: Sängerstars erhalten gutes Geld und wollen dann noch die Taxispesen ersetzt haben. Damit hat er aufgeräumt.
- Künstlerisches: Die Verbesserung der künstlerischen Potenz der Staatsopermit einem leistungsfähigen Ensemble. 725 Künstler(-innen) gaben in dieser Zeit ihr Debut an der Staatsoper, darunter das gesammelte Who-is-who der heutigen Sängerelite: Falk Struckmann, Jochen Kowalski, Diana Damrau, Anne Sofie von Otter, Natalie Dessay, Johan Botha, Renée Fleming, Deborah Voigt, Deborah Polaski, Erwin Schrott, Adrian Eröd, Ingo Metzmacher, Elina Garanca, Milagros Poblador, Maria Guleghina, Bo Shovkus, John Tomlinson.......und starteten von Wien aus ihre Weltkarriere. Kein anderes Musiktheater der Welt reizte, gestaltete und engagierte derart intensiv Gesangs- und Ensemblekompetenz wie das Haus am Ring, so Holender. Welcher sich in diesem Zusammenhang auch nicht scheut darauf hinzuweisen, daß viele Opernleiter dieser Welt nicht den Violinschlüssel von einem Bass-Schlüssel unterscheiden können und trotz dieses fehlenden Basiswissens Gesangspartien großer Opern selbstherrlich besetzen. Starallüren bei Regisseuren und Sänger-(innen) waren ihm immer ein Graus (siehe Bechtolf-Kritik oben).
- Was wurde neben der Kerntätigkeit der Staatsoper im Haus am Ring verändert: Holender: schaffte - live-Übertragungen per Video-Leinwand auf den Karajan-Platz, - installierte die Kinderoper, zur Zeit noch, auf dem Dach; - errichtete, gegen starken Widerstand, den Probenraum; - gründete die Opernschule für Kinder; - baute das Opernmuseum auf; - förderte das Leistungsprinzip beim Staatsopernpersonal ( Prinzip: Die Oper sei kein Sanatorium; nicht dem Personal soll es gut gehen, sondern dem Publikum); - förderte Sponsorenverträge mit der Maßgabe, daß diese keinen Einfluß auf den künstlerischen Bereich haben dürfen; - änderte die Praxis, daß im Orchester keine Frauen spielen dürfen (NB die Red.: Allerdings haben hier die amerikanischen Frauenverbände dem Musikverein auch etwas "nachgeholfen"); - öffnete den riesigen Staatsopern Fundus an Büchern und Aufnahmen der Öffentlichkeit.
Rundherum wohltuend war, daß Holender die Wiener Staatsoper als Unternehmer mit kulturellem Mandat ganzheitlich betrachtete, leitete: Als gesellschaftlich relevantes Gebilde, welches finanziell verantwortlich, operativ effizient und künstlerisch anspruchsvoll geführt werden muß. Dem Steuerzahler verpflichtet und der Kunst; eine Lieblingskommentierung. Eine Einstellung mit der er zumindest in Europa ziemlich alleine steht.
Das künstlerischen Finale Holenders an der Staatsoper erfolgte am 26. Juni 2010 mit Auszügen aus Premieren und vielen Weltstars. Am 30. Juni endete die Ära mit Wagners
Parsifal.Stephen Gould sang die Titelpartie, im dritten Aufzug sang Placido Domingo den - einfacheren - geläuterten Parsifal.
Ein Buch hat Holender natürlich auch bereits herausgegeben: "Ich bin noch nicht fertig", erschienen im Paul Zsolnay Verlag. Was wird Holender zukünftig unternehmen? Wiener Zeitungen lieferten reichlich Spekulationsproben ab: Musikkrieg Wien-Ungarn tönte die Tageszeitung Österreich zur Vermutung, Holender werde an die Budapester Oper wechseln. So äußerte sich denn auch Holender selbst: Nach München geht er nicht, in Budapest wird er künstlerischer Berater, in Tokio macht er ein Frühlingsfestival, lehren wird er an der Donau-Universität in Krems, in New York und auch sonst wird er als Berater tätig werden. Daneben möchte er mehr Tennis spielen; IOCO wünscht dazu harte Aufschläge und starke Volleys.
IOCO / Viktor Jarosch / Dezember 2011