Wien, Volksoper, Into the Woods - Musical Stephen Sondheim, IOCO Kritik, 04.06.2021
Rotkäppchen, Aschenputtel, Rapunzel, Hans, Hexe .... Alle haben Wünsche, die sie sich erfüllen möchten
von Marcus Haimerl
Mit pandemiebedingter Verspätung fand die Premiere von Stephen Sondheims Erfolgsmusical Into the Woods erfreulicherweise noch in dieser Spielzeit statt.
Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit von Stephen Sondheim und James Lapine bei Sunday in the Park with George schlug Sondheim ein Musical im Stil von Der Zauberer von Oz, hier link zur Volksopern Produktion, vor. Entstanden ist ein abendfüllendes Stück in der Tradition eines klassischen Märchens. Die Uraufführung fand am 4. Dezember 1986 statt, die Erstaufführung am Broadway am 5. November 1987.
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„Es war einmal…“ ein Bäcker und seine Frau, Rotkäppchen, Aschenputtel, Rapunzel, Hans (und die Bohnenranke), zwei Prinzen und eine Hexe: alle haben sie Wünsche, die sie gerne erfüllt hätten. Am Ende des ersten Akts erfüllen sich diese Wünsche, im zweiten Akt haben die Charaktere mit den Konsequenzen ihrer Handlungen zu kämpfen. Aschenputtel möchten zum königlichen Gala-Ball gehen, Hans und seine Mutter wünschen sich, dass ihre Kuh Milchweiß endlich wieder Milch gibt, und der Bäcker und seine Frau wünschen sich ein Kind. Die Hexe von nebenan erscheint und verheißt den Bäckersleuten ein Kind, sofern sie ihr eine Kuh so weiß wie Milch, ein Mäntlein so rot wie Blut, Haar so gelb wie Mais und einen Schuh aus purem Gold bringen. Und so machen sich alle, auch Rotkäppchen, auf den Weg in den Wald. Nach einer ereignisreichen Suche und vielen Verwicklungen gelingt dem Bäcker und seiner Frau die Aufgabe.
Die Hexe wird wieder jung und hübsch, Aschenputtel und Rapunzel bekommen ihre Prinzen, die Bäckersleute bekommen das ersehnte Kind und Hans und seine Mutter sind reich, aber niemand bemerkt die zweite Bohnenranke, die in den Himmel wächst. „Es war einmal, später“ und alle Charaktere haben neue Wünsche: der Bäcker und seine Frau wollen ein größeres Haus, Aschenputtel langweilt sich im Luxus und Hans sehnt sich nach dem Reich der Riesen. Plötzlich fällt das Haus der Bäckersleute in sich zusammen und ein riesiger Fußabdruck verwüstet den Garten der Hexe. Auch Rotkäppchens Haus ist zerstört, sie will zurück zum Haus der Großmutter. Schließlich ist auch das Königsschloss zerstört und alle gehen wieder in den Wald. Die Witwe des Riesen, ihr Gatte stürzte nach dem letzten Diebeszug von Hans in seinen Garten, sinnt auf Rache. Sie fordert die Auslieferung von Hans, die Hexe opfert den Erzähler, der Kammerdiener des Prinzen erschlägt die aufbegehrende Mutter von Hans und Rapunzel gerät auf der Flucht unter den Fuß der Riesin. Währenddessen verführt Aschenputtels Prinz die Bäckersfrau, die auf dem Rückweg von einem Baum erschlagen wird. Nachdem Hans, der Bäcker, Aschenputtel und Rotkäppchen die Riesin besiegt haben, ermutigt die Erscheinung seiner Frau den Bäcker, die Geschichte seinem kleinen Sohn zu erzählen…
Olivier Tambosi und Simon Eichenberger lassen in ihrer Inszenierung (Kostüme Lena Weikhard) keine Wünsche offen. Dominiert wird das Bühnenbild Frank Philipp Schlößmanns von mehreren verschieden großen Märchenbüchern die immer wieder als Kulisse zwischen den Stämmen des Waldes dienen. Für die Begegnung zwischen Rotkäppchen und dem bösen Wolf tut sich mitten im Wald ein rauschhaftes Blumenmeer auf und im Hintergrund eindrucksvolle Videos, für die sich Roman Hansi verantwortlich zeigt, der seine beeindruckende Kunst bereits bei der Volksoper-Produktion von Marius Felix Langes Oper Das Gespenst von Canterville, link HIER!, unter Beweis stellen konnte.
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Auch die Besetzung hätte nicht besser gewählt werden können. Die sicherlich beeindruckendste Leistung ist jene von Oliver Liebl in der Partie des Hans, der vor allem mit seinem Song „Riesen über uns“ und seiner Darstellung des naiven Burschen nachhaltig begeistert. Eine sensationelle Leistung auch von Laura Friedrich Tejero als liebenswertes, sympathisches Aschenputtel mit schöner Stimme. Als Hans‘ Mutter beweist Ursula Pfitzner Mut zur Hässlichkeit. Auch das Bäckerehepaar ist mit Peter Lesiak und Julia Koci optimal besetzt und überzeugen gesanglich ebenso wie darstellerisch. Großartig Juliette Khalil als resolutes und stimmgewaltiges Rotkäppchen, das nachhaltig in Erinnerung bleibt. Über eine ebenso gewaltige Stimme verfügt die besonders sexy Hexe von Bettina Mönch, besonders beeindruckend bei ihrem gewaltigen Abgang („Mitternachtsstunde“). Als Aschenputtels Stiefmutter konnte Martina Dorak ebenso überzeugen wie Elisabeth Schwarz (Florinda) und Theresa Dax (Lucinda) als ihre vom Schicksal gebeutelten Stiefschwestern. Regula Rosin begeistert sowohl als Rotkäppchens Großmutter als auch in der Partie von Aschenputtels Mutter. Drew Sarich, als Wolf überzeugender denn als Aschenputtels Prinz, löste beim Publikum Jubel aus. Weitaus überzeugender in seiner royalen Rolle ist Martin Enenkel als Rapunzels Prinz, der besonders im Prinzen-Duett („Liebesqual“) glänzt. Als Rapunzel kann Lauren Urquhart begeistern. Besonders luxuriös Erika Pluhar als die vom Band eingespielte Stimme der Riesin. Christian Graf verleiht der eher kleinen Partie des Kammerdieners auf humorvolle Weise eine nachhaltige, enorme Bühnenpräsenz. Und last but not least Robert Meyer der sowohl als Erzähler als auch als geheimnisvoller Mann mit trockenem Humor voll in seinem Element ist.
Eigentlich hätte der britische Dirigent James Holmes die Premierenserie dirigieren sollen, als gleichwertiger Ersatz fand sich Wolfram-Maria Märtig, dessen erstklassiges Dirigat das Orchester der Wiener Volksoper zu Höchstleistungen antrieb.
Ein musikalisch herausragender Abend, der vom Publikum mit entsprechendem Applaus honoriert wurde und so viel Vergnügen macht, dass man nicht einmal das ständige Tragen einer FFP2-Maske bemerkt.
Wer sich dieses bis in die kleinste Partie gut besetzte Musical nicht entgehen lassen möchte, hat dazu im Juni 2021 noch fünf Mal die Gelegenheit; hoffentlich auch in der kommenden Saison.
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