Wien, Theater an der Wien, Castor et Pollux - Jean-Philippe Rameau, IOCO Kritik, 28.01.2011
Castor et Pollux von Jean Philippe Rameau
Musikalisch: Olymp des Barock - Szenisch profan
Von Viktor Jarosch
Das Theater an der Wien ist speziell: Ältestes Opernhaus Wiens, herrlicher Zuschauerraum für 1.200 Besucher, ganzjähriges Stagione-Theater, monatlich eine Premiere. Spezifikum des Hauses: Führende Adresse der Welt für Barockmusik!
Jean Philippe Rameaus Barockoper Castor et Pollux über selbstlose Bruderliebe prägte den Spielplan des Theater an der Wien im Januar 2011. In der Inszenierungs-Hitliste der etwa 200 großen Barockkomponisten liegt Jean-Philippe Rameau etwa auf Platz 8. Platz 1 nimmt unangefochten Georg Friedrich Händel ein. Rameau, 1683 - 1764, folgte Jean-Baptiste Lully als markantester französischer Protagonist der Barockmusik. Erst spät, 1733, gelang ihm mit seinem ersten Operndrama Hippolyte et Aricie der Durchbruch: Rameau wurde von Ludwig XV in den Adelsstand erhoben, zum Kabinettskomponisten ernannt, erhielt eine Pension. Seine stark am französischen Idiom angelegte Tonsprache gilt gemeinhin als schwierig zu realisieren.
Mariame Clément inszenierte die Göttersage von Castor et Pollux als konfliktreiche Familiengeschichte im französischem Original mit deutschen Übertiteln. Die Sage beschreibt den Tod als unfreiwilligen Abschied vom Leben, den die Götter jedoch, sofern ihr Herz erweicht wird, widerrufen können. Im Theater an der Wien ist von der üppigen alten Götterwelt nichts zu sehen. Die französische Regisseurin Clément profanisiert die Sage, indem sie diese in ein herrschaftliches Haus des 20. Jahrhunderts überführt.
Eine prächtige Herrenhaustreppe bietet den szenischen Mittelpunkt der Inszenierung. Diese Verweltlichung mag mit dem mystischen Inhalt des Libretto von Pierre-Joseph Bernard nicht wirklich homogen wirken und so auch nicht jedermanns Geschmack treffen. Die für Tanznummern vorgesehenen Intermezzi zeigen Castor und Pollux gewagt und wenig barock als spielende Kinder in einer Art Rückblende mit ihren Bezügen zu Vater Jupiter.
Das halbwegs glückliche Ende der Sage, die Vereinigung von Castor und Pollux als Sternzeichen am Firmament, ging in dieser Produktion etwas verloren. Trotzdem entspricht die moderne Zugangsweise der Inszenierung von Miriame Clément dem geltenden Mainstream für Barockopern: Die Umkehrung klassischer Konstellationen soll kreative Freiräume schaffen. Und fordert so vom Besucher aktive Teilnahme statt stiller Kontemplation.
Stimmlich und darstellerisch überragend wiedergegeben war die Télaire von Christiane Karg, welche mit klangvollem Timbre und weichen Koloraturen in ihrer Partie begeisterte. Maxim Mironow stellt einen stimmlich schönen aber etwas leichten Castor dar. Dietrich Henschel beherrscht die aufwendige von Götterbruder Pollux rollengerecht. Auch Anne Sophie von Otter überzeugte als Phébé mit sicher und kräftig geführtem Mezzosopran.
Auch Nicolas Testé überzeugte als Jupiter. Ausnehmend beeindruckend der Arnold Schönberg Chor, der unter der Leitung von Erwin Ortner seinem Ruf als vielseitigstes und meist-beschäftigtes Vokalensemble Österreichs mit unglaublicher Präzision und Ästhetik mehr als gerecht wurde. Das Orchester, die wunderbaren Les Talens Lyriques, unter ihrem Dirigenten Christophe Rousset verzauberten aus dem Orchestergraben mit der tänzerischen Handschrift von Jean-Philippe Rameau. Sie beherrschten die heute bevorzugten Stilmerkmale der Barockmusik: Verzicht auf Vibrato oder gebundene Noten. Und erzeugten gekonnt die spezielle ästhetische Polyphonie des Barock, den Zusammenklang individueller Stimmen.
So galt für diese Inszenierung im Theater an der Wien was für die meisten Barockopern heutzutage gilt: Aus dem Orchestergraben ertönt wunderbarer historischer Klang während auf der Bühne moderne Regie zu sehen war. Und Volkes Stimme im ausverkauften Hauses entschied eindeutig: Jubelnder Beifall für Ensemble und Orchester. Besonders viele Bravos für Christiane Karg, Chor und Orchester. Zur Einstimmung eine barocke Aufnahme mit Orchester und Tanzintermezzi