Wien, Theater an der Wien, Elegie für junge Liebende, IOCO Kritik, 15.05.2017
Elegie für junge Liebende - Hans Werner Henze
"Wenn Kunst über Leichen geht"
Von Marcus Haimerl
Die Uraufführung der im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks komponierten Elegy for young lovers fand 1961 im Rahmen der Schwetzinger Festspiele statt, Dietrich Fischer-Dieskau sang die Partie des Gregor Mittenhofer. Das englische Libretto stammt von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman. Die deutsche Übersetzung von Ludwig Landgraf, dem Komponisten und Werner Schachteli. Henze hat in seiner Musik jedem der Protagonisten ein Instrument zugeordnet: für die jungen Liebenden Violine (Elisabeth) und Bratsche (Toni), die Koloraturen der Hilda Mack werden begleitet von Flöte, Celesta, Harfe und idiophonem Schlagwerk, Englischhorn für die Gräfin, Fagott und Altsaxophon für Dr. Reischmann und schließlich Horn, Trompete und Posaune für den Dichterfürsten Mittenhofer.
Die Handlung spielt im Jahr 1910. Der Dichter Gregor Mittenhofer, ein in die Jahre gekommener, egozentrischer Dichter, der seine Umgebung maßlos ausbeutet und manipuliert, reist mit seinem Gefolge in ein Berghotel in den österreichischen Alpen. Zum Gefolge gehören die Gräfin Carolina von Waldstetten, die ihm als Sekretärin dient, sein Hausarzt Dr. Reischmann, der ihn medizinisch betreut, um seine junge Geliebte Elisabeth Zimmer sexuell befriedigen zu können. Diese Reise unternimmt er alljährlich um die Visionen der verrückten Witwe Hilda Mack, die seit 40 Jahre auf die Rückkehr ihres in den Bergen vermissten Bräutigam wartet, als Grundlage für seine Gedichte zu verwenden. Mit dem Auftauchen von Toni, dem Sohn von Dr. Reischmann, gerät diese Struktur ins Wanken als sich dieser in Elisabeth verliebt. Schließlich gibt auch der Gletscher den Leichnam von Hilda Macks Bräutigam frei und die Witwe kehrt in die Realität zurück. Seiner Inspiration beraubt, gibt Mittenhofer seine Geliebte frei, schickt beide aber noch auf eine Bergtour, um ihm Edelweiß vom Hammerhorn zu holen. Die beiden geraten in einen Schneesturm, der Dichter verhindert jedoch deren Rettung. Im Epilog liest Mittenhofer während einer Soirée sein jüngst vollendetes, dem Andenken der Verstorbenen gewidmetes Gedicht: Die Elegie für junge Liebende.
Keith Warner hat diese Kammeroper in Szene gesetzt. Bühnenbildnerin Es Devlin schuf dazu eine riesige Arbeitsfläche. Um eine riesige Schreibtischlampe kreisen eine Schreibmaschine, ein Torso, ein Bücherstapel, eine Büste, alles in leuchtendem Weiß. Mit riesigen Leintüchern bedeckt zur Berglandschaft verwandelt, in welcher Elisabeth und Toni den Tod finden. Die Handlung findet also genau dort statt, wo Mittenhofer - im wahrsten Sinn des Wortes „Schreibtischtäter“ - alles ersonnen hat.
Eine großartige Leistung der Wiener Symphoniker unter Marc Albrecht, welche Henzes Musik zwischen Dissonanz und Harmonie hervorragend umsetzten. Und auf gleichem Niveau die gesanglichen Leistungen. Eine grandiose Leistung von Laura Aikin als tragisch komische Witwe Hilda Mack, die mit Intensität und fulminanten Koloraturen für Gänsehaut sorgte. Johan Reuter schafft es sowohl darstellerisch als auch stimmlich die ambivalente Figur des Gregor Mittenhofer, zwischen ausbeuterischem Ekel und einnehmendem Künstler, glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Angelika Kirchschlager ist eine intensive, packende Gräfin, die aus Angst vor dem Versagen des von ihr finanzierten Künstlers selbst zur Mittäterin wird. Eine herausragende Leistung kam auch vom jungen Liebespaar – Paul Schweinester und Anna Lucia Richter – die sowohl gesanglich als auch schauspielerisch vor allem im dritten Akt, intensiv berührten. Höchst beeindruckend auch Martin Winkler als Dr. Reischmann.
Das Theater an der Wien beweist mit dieser Produktion, dass dieses Werk völlig zu Unrecht von den Spielplänen der Opernhäuser verschwunden ist.