Wien, Das MuTh, PASSION – Pascal Dusapin – IOCO
Regisseurin Ursula Horner entdeckt für ihre Inszenierung in der Geschichte von Lui und Lei tieferliegende Schichten und setzt sich auch mit der Doppeldeutigkeit des Titels auseinander.
von Marcus Haimerl
Pascal Dusapins Kammeroper Passion war ein Auftragswerk des Festivals d’Aix-en-Provence und wurde am 2. Juli 2008 uraufgeführt. Die Oper ist stark von Dusapins persönlichem Interesse an antiker Tragödie, Mythologie und der menschlichen Natur geprägt und von Claudio Monteverdi und der Barockzeit inspiriert. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit mythologischen und biblischen Erzählungen. Er verwob als Librettist in Zusammenarbeit mit Rita de Letteriis Elemente der Orpheus-Sage mit der Geschichte von Lots Frau, die zur Salzsäule erstarrte, als sie sich umblickte und die göttliche Zerstörung der Städte Sodom und Gomorrha erblickte. Jedoch ist die Oper keine konkrete Nacherzählung dieser Ereignisse, sondern untersucht vielmehr die Themen Schmerz, Liebe und Tod im Kontext eines universellen menschlichen Dramas. Die Figuren, die in der Oper auftreten – ein Mann Lui (Bariton) und eine Frau Lei (Sopran) – sind namenlos, was ihnen einen archetypischen Charakter verleiht und die emotionale Universalität des Stücks betont. Die Musik von Pascal Dusapins Kammeroper Passion ist charakteristisch für seinen persönlichen Stil, der sich durch emotionale Intensität, subtile Klangschichtungen und die Erkundung von Klangfarben auszeichnet. Die Instrumentierung ist sparsam und intim. Das Orchester in kleiner Besetzung, bei dem Flöte und Harfe eine prominente Rolle spielen, wird durch Live-Elektronik sowie ein Cembalo und eine Oud ergänzt. Instrumente, die stilecht die barocke Musiktradition reflektieren. Die Musik konzentriert sich auf die expressive Kraft von Klang, oft in dichten, schwebenden Klangflächen, die Spannungen aufbauen und die emotionalen Zustände der Figuren spiegeln. Ein markantes Element ist auch die ständige Veränderung der Klangtexturen. Dusapins Klangflächen entwickeln sich organisch, wobei die Instrumente oft in dichten, aber durchlässigen Klängen miteinander interagieren und auf diese Weise die emotionale Tiefe der Oper verstärken. Die rhythmische Gestaltung in Passion ist eher frei und fließend. Dusapin vermeidet starre Rhythmen und lässt den musikalischen Fluss oft durch die emotionale Intensität und den Ausdruck der Figuren bestimmen. Die Struktur der Oper ist eher episodisch, was die thematische Offenheit und die existenzielle Tiefe unterstützt, die er durch die Musik vermittelt. Insgesamt ist die Musik von großer Feinheit, Ausdruckskraft und einem tiefen emotionalen Sog geprägt. Dusapin setzt die Musik nicht als Mittel zur Nacherzählung einer Geschichte ein, sondern als klangliches Spiegelbild der inneren Zustände seiner Figuren. Ein weiteres wichtiges Element ist das Libretto, das Dusapin selbst geschrieben hat. Es ist poetisch und symbolisch, weniger auf narrative Klarheit als auf emotionale Tiefe und existenzielle Reflexion ausgelegt.
Pascal Dusapin, 1955 in Nancy geboren, studierte Musik an der Sorbonne und wurde stark von Olivier Messiaen und Iannus Xenakis beeinflusst, obwohl er sich bewusst von der strengen seriellen Musik distanziert. Seine Werke umfassen Opern, Orchesterstücke, Kammermusik und Solowerke. Besonders bekannt ist er für sein Opern wie Medeamaterial (1992), Perelà, uomo di Fumo (2003) und Passion (2008).
Der Weg ist lang und der Pfad unheilvoll…
(Gli altri, Passion 7)
Regisseurin Ursula Horner entdeckt für ihre Inszenierung in der Geschichte von Lui und Lei tieferliegende Schichten und setzt sich auch mit der Doppeldeutigkeit des Titels auseinander: Passion – ein Synonym für Leidenschaft, im ursprünglichen lateinischen Sinn von passio bedeutet es Leiden und Martyrium. In ihrer Inszenierung beginnt die Beziehung von Lui und Lei harmlos, endet aber dramatisch. Während sie ihm aufrichtige Gefühle entgegenbringt, wird er zunehmend zum Gefangenen seiner Leidenschaft. Gli altri, eine Verkörperung seiner inneren Stimme, seiner unkontrollierbaren Triebe, führen ihn in den emotionalen Niedergang. Lei erkennt, dass Lui sie nicht nur liebt, sondern sie vielmehr besitzen will. In Ursula Horners Interpretation der Oper gibt es kein Entkommen. Die Beziehung endet in einem Femizid. Der Brautschleier als Mordwerkzeug und Leichentuch. Optimal ergänzt wird die Inszenierung durch Norbert Chmels düsteres und beengendes Bühnenbild, zwei schräge Wände mit sechs Durchgängen, die fest verschlossen werden können. Gleichzeitig dienen diese Wände auch für Projektionen, die an Schattenspiele erinnern und zunehmend düsterer werden, bis zum Ende rotes Blut die Wände färbt. Herausragend ist auch die musikalische Seite des Abends. Melis Demirays gelingt es, die vielschichtige Gefühlswelt der Lei, einer Figur von subtiler Expressivität und innerer Zerrissenheit, eindrucksvoll zu vermitteln, indem sie ihre klare und ausdrucksstarke Stimme einsetzt, um die innere Spannung und das Verlangen der Figur auf die Bühne zu bringen. Ihre Darstellung der Lei zeugt von großer musikalischer Sensibilität und der Fähigkeit, zeitgenössische Musik mit Leichtigkeit und Raffinesse zum Ausdruck zu bringen. Sie kombiniert eine sichere Stimmführung mit der Fähigkeit die atmosphärische und intensive Klangwelt des Werkes lebendig werden zu lassen.
Wolfgang Reschs Darbietung des Lui ist ein eindrucksvolles Beispiel für seine Fähigkeit, komplexe Charaktere zu verkörpern. Neben seiner technischen Präzision überzeugt Resch durch seine nuancierte Interpretation und seine Ausdruckskraft. Seine Stimme, die von samtigen, dunklen Tönen in den tieferen Lagen bis hin zu klaren, leuchtenden Höhen reicht, ermöglicht ihm, sowohl kraftvolle dramatische Momente als auch zarte, lyrische Passagen mit großer Ausdruckskraft zu gestalten. Beatriz Gaudêncio Ramos (Sopran I), Laure-Catherine Beyers (Sopran II), Justina Vaitkutė (Alt), Valentino Blasina (Tenor), Martin Simonovski (Bariton) und Harald Hieronymus Hein (Bass) formen als Gli Altri ein beeindruckendes Vokalensemble. Ihre Stimmen harmonieren auf hervorragende Weise, wobei jeder Sänger seinen spezifischen Teil mit Präzision und emotionaler Tiefe darbietet. Beatriz Gaudêncio Ramos und Laure-Catherine Beyers beeindrucken mit klaren, strahlenden Soprantönen, die in den hohen Lagen mit technischer Finesse und Ausdruckskraft brillieren. Justina Vaitkutė ergänzt das Ensemble mit ihrem warmen, erdigen Alt, der eine kraftvolle Tiefe schafft und die dramatische Wirkung der Musik intensiviert. Valentino Blasina, Martin Simonovski und Harald Hieronymus Hein sorgen im Tenor-, Bariton- und Bassbereich für eine fundierte vokale Balance, die das Ensemble insgesamt hervorragend klanglich abrundet.
Walter Kobéra führte das amadeus ensemble-wien mit beeindruckender Klarheit und Sensibilität. Unter seiner präzisen Leitung entfalteten sich die komplexen Strukturen des Werks in vollem Umfang, ohne an Transparenz zu verlieren. Das amadeus ensemble-wien (Violine & Konzertmeisterin: Christina Kraushofer-Neubauer, Violine II & Oud: Elisabeth Riedl, Viola: Judith Mc Gregor, Violoncelle: Eva Landkammer, Kontrabass: Jurgis Buinevicius, Flöte & Piccolo: Daniela Lahner, Oboe: Prisca Schlemmer, Englischhorn: Andreas Nell, Klarinette in B: Barabara Haslinger, Bassklarinette: Georg Riedl, Fagott: Edurne Santos Arrastua, Horn: Balduin Wetter, Trompete: Matthias Maderthaner, Posaune: Pablo Marin-Reyes, Cemballo: Sonja Leipold, Keyboard: Benjamin Mc Quade, Harfe: Julia Reth) präsentiert sich mit der bemerkenswerten Fähigkeit, die nuancierten Dynamiken und ungewöhnlichen Klangfarben der Partitur Dusapins souverän umzusetzen. Elisabeth Riedl (Violine II) sei an dieser Stelle nochmals besonders hervorgehoben: eigens für die Produktion von Passion lernte die Musikerin auch die Oud spielen.
Die Stille nach dem Verklingen des letzten Tons zeugte von der Betroffenheit des Publikums in Bezug auf Werk und Inszenierung. Der anschließende Jubel von der Begeisterung über einen großartigen und zutiefst berührenden Abend.
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