Wien, Billrothhaus, BelCanto Arts - Mozart & Salieri meet Zanetto, IOCO Kritik, 27.06.2022
BelCanto Arts präsentieren - Mozart & Salieri meet Zanetto
von Marcus Haimerl
Das Ensemble BelCanto Arts präsentierte im Festsaal des Billrothhauses in Wien zwei selten gespielte Einakter unter dem Titel Mozart & Salieri meet Zanetto. Rimsky-Korsakows Kurzoper Mozart und Salieri über Mozarts letzte Stunden traf hierbei auf Pietro Mascagnis Scena lirica Zanetto.
Beide Opern behandeln auf sehr unterschiedliche Weise das Konzept der künstlerischen Freiheit und deren absoluter Notwendigkeit für geniale Kreativität/kreative Genialität. Das Konzept, diese zwei Opern in einem Abend zusammenzuführen, war dabei von Erfolg gekrönt, und untermauerte das Prinzip aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln, ohne dabei je aufdringlich zu werden.
Die 1898 uraufgeführte Oper Mozart und Salieri des russischen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908) basiert auf dem 1832 veröffentlichten Versdrama von Alexander Puschkin, welcher auch das Libretto für die Oper verfasste. Puschkin nahm darin Bezug auf die nach Salieris Tod laut werdenden Gerüchte, dieser habe Mozart aus Neid vergiftet. Puschkin vertrat auch selbst die These, Salieri habe Mozart ermordet, da er in Mozart eine von Gott gegebene Genialität erkannte, die er selbst niemals erreichen konnte.
Der Inhalt dreht sich um Mozarts fiktive letzte Stunden. Antonio Salieri denkt über sein Leben nach, welches er der Kunst geweiht hat. Neid war ihm stets fremd. Solange bis Mozart kam. Dieser tritt auch in jenem Augenblick ins Zimmer und berichtet vergnügt, dass er eben aus einem Gasthaus einen Geiger Cherubinos Arie „Voi che sapete“ fideln hörte, und bringt diesen auch gleich mit. Dieser kratzt auf seiner Fidel „Batti, batti, o bel Masetto“ aus Mozarts Don Giovanni, für Salieri die Schändung eines Kunstwerks. Salieri lädt Mozart daraufhin zum Abendessen ein. Kaum ist Mozart gegangen, kommt Salieri zum Schluss, dass Mozart sterben müsse, um seine, Salieris, Ruhe wiederzufinden.
Beim Abendessen äußert Salieri Verwunderung über Mozarts ungewöhnliche Schweigsamkeit. Mozart berichtet von seinem Requiem und von einem schwarz gekleideten Mann, der bei ihm diese Totenmesse bestellt habe. Seither muss er immer an ihn denken. Salieri bietet ihm ein Glas Champagner an, um seinen Trübsinn zu vertreiben. Mozart singt eine Melodie aus Salieris Oper, nennt sie genial und fragt unvermittelt, ob das Gerücht, Beaumarchais habe einen Giftmord begangen, wahr sei. Salieri bestreitet, dass Beaumarchais zu so etwas fähig sei, während er, von Mozart unbemerkt, Gift in dessen Champagner leert. Arglos trinkt Mozart das Gift, bevor er dem Kollegen aus dem Requiem vorspielt. Als Salieri in Tränen ausbricht, wünscht sich Mozart, dass doch alle die „starke Kraft der Harmonie“ ebenso empfänden. Plötzlich ermüdet verabschiedet er sich von Salieri, der zurückbleibt mit seiner Tat und dem Gedanken, ob sich Genialität und Verbrechen nicht tatsächlich ausschließen.
Der Wiener Bariton Georg Lehner übernahm die Partie des Antonio Salieri und überzeugte charakterlich ebenso feinfühlig wie mit seinem klaren, lyrischen Bariton. Mit feinen, intimen Tönen gelang ihm der innere Monolog Salieris, und auch die emotionalen Ausbrüche wusste der routinierte Sänger, der bei den Bregenzer Festspielen ebenso schon zu Gast war wie an der Wiener Staatsoper und Volksoper, pointiert zu gestalten. Leider gelang es ihm stellenweise nicht, gegen das Orchester anzukommen, und er benötigte den Dirigenten Ronan Nissan als Souffleur.
Sein Partner in dem 45-minütigen Einakter ist der kolumbianische Tenor Julian Henao, der 2016/17 Teil des jungen Ensembles des Theater an der Wien war und seither eine internationale Karriere startet. Der junge Sänger verfügt über einen kräftigen, außergewöhnlich schönen Tenor und schafft in der halbszenischen Umsetzung eine überzeugende Darstellung der Figur des Wolfgang Amadeus Mozart. Mit großem Spaß an „mozartschen Faxen“ brachte er beschwingte szenische Energie in das tendenziell elegische Werk, und vermochte ebenso, mit brillanten Höhen und elegant geführten, eindringlichen leisen Passagen zu berühren.
Auch die bühnentechnische und szenische Umsetzung der Handlung war gelungen. Die Bühne im Billrothhaus ist verhältnismäßig klein, speziell, wenn man sie für eine Opernproduktion mit einem 15-köpfigen Kammerorchester füllt. Dementsprechend blieb den SängerInnen an dem Abend nur verhältnismäßig wenig Platz zur szenischen Umsetzung der Opern, doch dieser war ideal genutzt und szenisch durchdacht verwendet.
Ob das Abrollen einer langen Partitur zur Einspielung von Mozarts „neuestem Werk“, oder die Einbindung der Prim-Geigerin des Orchesters, Elena Rozanova, als der erwähnte Geiger der Handlung – mit cleveren Ideen wurde der Bühnenraum vergrößert und der Fokus auf die Handlung gezogen. Einzig, dass Salieri das Giftfläschchen offen neben den Sektgläsern stehen ließ, wirkte nicht sehr stimmig.
Auch die barock inspirierten Kostüme trugen zur Immersion in der Mozartschen Welt bei. Während der mörderische Salieri mit großer Korrektheit gekleidet in strahlendem Weiß seinen inneren Konflikt rang, war Mozart mit wildem hellgrau gefärbtem Lockenkopf und im schwarzen Gehrock ohne Weste das Bild eines Künstlers, der alle Regeln bricht.
Der Überraschungsstar des ersten Teils des Abends war der Auftritt des Chors: Als gegen Ende der Oper aus dem Nichts der Anfang von Mozarts Requiem von der Empore erklang, war Gänsehaut vorprogrammiert.
Die zweite Oper des Abends war Zanetto, eine einaktige Oper von Pietro Mascagni, das Libretto stammt von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci. Grundlage ist die italienische Übersetzung des Stückes „Le passant“ von François Coppée, in welchem Sarah Bernhardt in der Hosenrolle des Zanetto Berümtheit erlangte. Die Uraufführung der Oper fand am 2. März 1896 im Liceo Musicale Rossini in Pesaro statt. Aufgrund der 45-minütigen Spieldauer bezeichnete Mascagni sein Werk eher als Scena lirica denn als Oper.
Die Handlung spielt in einer Nacht im Florenz der Renaissance. Auf ihrer Terasse verflucht die Kurtisane Silvia die Liebe. Keiner der vielen Männer hat in ihr Empfindungen geweckt, das Leben ist inhaltlos. Sie träumt von einem jungen Mann, dem sie einmal in Florenz begegnet ist. Da ertönt ein Liebeslied und eben dieser junge Mann, Zanetto, tritt in den Garten ohne Silvia zu bemerken. Silvia ist von seinem Gesang berauscht. Ermüdet legt der junge Mann sich auf eine Bank. Silvia betrachtet den Jüngling bewundernd, ehe sie ihn sanft weckt. Sie gibt sich als Wirtin aus und bietet ihm Quartier an.
Sie fragt ihn, ob er nicht das Wandern aufgeben möchte und in einem Heim mit einem jungen Mädchen Ruhe finden möchte. Doch er liebt die Freiheit. Er habe immer ein freies und glückliches Leben gehabt und wisse nicht einmal, wer seine Eltern sind. Als er jedoch Silvias Stimme gehört habe, wäre in ihm eine Sehnsucht nach einer Schwester erwacht. Wenn sie ihm das böte, wolle er gerne bleiben. Obwohl sie in Liebe zu ihm entbrannt ist, gibt sie vor, eine arme Witwe zu sein und sendet ihn weg, um ihm die Freiheit nicht zu nehmen. Er kommt auf Silvia zu sprechen. Sie soll reich und schön sein. Vielleicht hat er dort mehr Glück. Sie rät ihm von der Suche ab. Er solle weiterhin durch die Welt ziehen, bis er eines Tages ein Mädchen mit schwarzen Augen und goldenem Haar gefunden habe. Dort solle er bleiben. Er glaubt, dass sie Silvia aus Eifersucht schlecht macht, doch sie versichert ihm, dass dies nicht wahr sei. Er verspricht, Silvia nicht zu suchen. Er lehnt einen Ring als Geschenk ab, nimmt aber als Erinnerung eine Blume aus ihrem Haar. Er bittet sie, ihm die Richtung für seinen weiteren Weg zu weisen und geht singend seines Weges. Allein zurückgeblieben preist Silvia die Liebe, denn nun kann sie wieder weinen.
Mit ihrem prächtigen, strahlenden Sopran berührte die Wiener Sopranistin Isabella Kuëss als Kurtisane Silvia. Die Sopranistin, die in der Vergangenheit bereits als Tosca und Madama Butterfly für Furore sorgte, überzeugte in der Darstellung der einsamen, nach Liebe sehnenden Frau. Ihr warmer dramatischer Sopran fühlt sich offensichtlich im Verismo zu Hause und sie meisterte die anspruchsvolle Partie mit Leichtigkeit. Von sensiblen Piano-Passagen bis zu brillanten dramatischen Spitzentönen in den eruptiv-emotionalen Momenten überzeugte sie stimmlich wie technisch und nahm das Publikum mit auf eine tief berührende emotionale Reise.
Neben den turbulenten, hochdramatischen Ausbrüchen der Silvia bringt die Hosenrolle des Zanetto lyrische Eleganz in die Oper, die die Wiener Mezzosopranistin Christiane Marie Riedl mit viel Feingefühl und schmelzender Stimme liefert. Dem Wiener Publikum unter anderem aus der Volksoper bekannt, begeisterte ihr warmer Mezzo mit feinen lyrischen Passagen und kräftiger Mittellage ebenso wie mit schönen, runden Höhen. Als charmanter, noch weltfremder Troubadour bot sie immer wieder komische Momente, die die Tragik der Handlung unterstrichen, welche auch das sehnsüchtige Thema von Zanettos florentinischem Auftrittslied aufgreift.
Auch dieser zweite Teil des Abends war szenisch mit viel Liebe zum Detail inszeniert und man merkte den beiden Sängerinnen die Freude am gemeinsamen Spielt deutlich an. Auch die Stimmen harmonierten hervorragend und die Energie des Abends erhöhte sich während dem zweiten Teil deutlich. Die farbenprächtigen Kostüme waren auch in diesem Teil an das Barock angelehnt, was dem Abend einen angenehmen visuellen Rahmen bot und die zeitlose Handlung würdig umrahmte. Der pointierte Höhepunkt des Abends waren am Ende der Oper die sichtbaren Tränen der Sopranistin, während Zanettos Abschied, bevor Silvia endgültig schluchzend zusammenbricht.
Der israelische Dirigent Ronan Nissan, der auch selbst den Orchestersatz der beiden Werke für 15-köpfiges Kammerorchester bearbeitete, stand am Pult des hochmotivierten BelCanto Arts Orchesters.
Mit großer Musikalität und einem selbstsicheren Dirigierstil entlockte er dem Orchester in den Solopassagen feine Klänge und führte mit großem Feingefühl durch die Chorpassagen. Gemeinsam mit dem Solisten-Ensemble sorgte er für einen feinnuancierten und musikalisch farbenprächtigen Abend.
Mit diesem Abend gelang dem Ensemble BelCanto Arts ein ebenso spannender wie unterhaltsamer Abend, der zwei seltene Werke zu Gehör brachten, die man durchaus einmal gehört haben sollte. Das anwesende Publikum zeigte sich begeistert, war doch sowohl für Raritätenjäger ebenso etwas dabei wie für Freunde des italienischen Schmelzes. Es ist zu hoffen, dass solche Abende in der Zukunft öfter gelingen.
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