Weinheim, Burg Wachenburg, DIE MANDOLINE - Instrument des Jahres 2023, IOCO Aktuell, 05.07.2023
DIE MANDOLINE - Das Instrument des Jahres 2023
Projektorchester "Mandoline 2023" - auf der Wachenburg / Weinheim
von Ljerka Oreskovic Herrmann
Der malerischen Bergstraße in Hessens Süden folgt die Badische Weinstraße, die durchaus dem Namen entsprechend Weinberge und hügelige Landschaft präsentiert und genauso reizvoll ist. In Weinheim, einem etwa 18 km nördlich von Heidelberg gelegenen Städtchen, gibt es zwei Burgen zu besichtigen: die Burgruine Windeck und die Wachenburg. In der letztgenannten wohnten niemals edle Ritter und Burgfräuleins, sie ist keine mittelalterliche Burg, auch wenn sie ein Burgtor, Innenhof und (ein für Tagungen genutztes) schmuckes Gebäude aufbieten kann. Gebaut wurde sie von 1907-1928, und oben, wenn man die Straßenwindungen durch einen üppigen Wald zu Fuß bewältigt hat, die natürlich auch mit einem Auto befahrbar sind, entschädigt ein herrlicher Ausblick den Aufstieg. Er lohnt sich, auch wegen der guten Bewirtung, aber insbesondere weil an diesem Sonntagvormittag im Juni einem Instrument die große Bühne bereitet wird, das 2023 zum Instrument des Jahres gewählt wurde: die Mandoline.
Seit 2008 kürt der Landesmusikrat Schleswig-Holstein ein Instrument des Jahres, und nach der Gitarre 2013 und Harfe 2016 erhält erneut ein Zupfinstrument diesen Titel; inzwischen ist dieses Projekt auch in anderen Bundesländern erfolgreich. Der Vormittag auf der Wachenburg verspricht eine musikalische Reise durch die Mandolinenliteratur mehrerer Jahrhunderte. Ein berühmtes Lied – „O sole mio“ aus dem Jahr 1898 – wird nicht gezupft, der Kassenschlager des Neapolitaners Eduardo Di Capua ist zur Genüge bekannt und in der Interpretation von Luciano Pavarotti fast unübertroffen.
Ein „Welthit“ der Opernliteratur fehlt indessen nicht: Don Giovannis Canzonetta „Deh vieni alla finestra, o mio tesoro“, wenn der „Wüstling“ seine Verführungskünste und dabei eine beinahe berührende Wahrhaftigkeit entfaltet, die sich insbesondere dem begleitenden Mandolinenspiel verdankt. Der Spieler oder die Spielerin wird in der Regel im Orchestergraben platziert, ist nur zu hören, was ein bisschen schade ist, da sie nicht nur über einen besonderen Klang verfügt, sondern oftmals mit reichem Dekor verziert ist oder bei den älteren Instrumenten besonders schön geschwungene Muscheln aufweisen. Die klassische Rundmandoline oder auch neapolitanische Mandoline besitzt, wie der erste Name es andeutet, einen runden Korpus. Dass sie mit Neapel eine enge Verbindung aufweist, beruht auf der Tatsache, dass der birnenförmige Korpus mit der auf der Höhe des Stegs abknickenden Decke um 1700 in der damals wichtigen Musikstadt entstand und bis heute dort die Kultur und das musikalische Leben prägt. Die Decke ist aus Fichtenholz, der Hals aus Ahorn gefertigt. Und es gibt wie bei der Geige berühmte Instrumentenbauer, dazu zählten Raffaele Calace, Luigi Embergher oder die aus der Familie Vinaccia stammenden Luthiers, einige ihrer ältesten Exemplare aus dem 18. Jahrhundert werden in Schottland und Belgien aufbewahrt. In Deutschland gehört Alfred Woll zu den profiliertesten Mandolinenbauern. Das Instrument hat vier Doppelsaiten und ist wie die Geige in Quinten (g d’ a’ e’’) gestimmt; zum Spielen benötigt man ein Plektron, womit durch schnelles wiederholendes Spiel ein und desselben Tons das sie kennzeichnende Tremolo erzeugt wird, da auf der Mandoline der Ton nicht anschwellen kann. Die Rundmandoline findet ihren Einsatz im klassischen Musikrepertoire, während die Flachmandoline in der Folk- und U-Musik benutzt wird. In der Barockzeit war die (klassische) Mandoline ein äußerst beliebtes Instrument, viele Komponisten wie Alessandro und Domenico Scarlatti, Niccolò Piccini und Johann Adolf Hasse schrieben für das Lauteninstrument. Im Nachlass von Ludwig van Beethoven fanden sich gleich mehrere Stücke (ohne Opusangaben), komponiert für die böhmische Gräfin Josephine von Clary und Aldringen, die selbst eine sehr gute Mandolinstin war. Die vielleicht am häufigsten aufgeführten Werke, die beiden Mandolinenkonzerte in C-Dur und G-Dur oder auch das Doppelkonzert für zwei Mandolinen, stammen von Antonio Vivaldi.
Als Nachfolgerin der Laute wurde die Mandoline zuerst an den adligen Höfen gespielt, fand anschließend im bürgerlichen Milieu und später als Volksinstrument Verbreitung, was ihr eine nicht unbedingt musikalisch stimmige Apostrophierung als „Geige des kleinen Mannes“ eintrug – dabei verfügt dieses Instrument über eine nicht zu unterschätzende Qualität: auf der Mandoline ist beinahe alles darstellbar, so dass sie heute eine Brücke zwischen Volks- und Kunstmusik schlägt. Das Konzert auf der Wachenburg lieferte dafür den besten Beweis: der musikalische Bogen reichte vom Barock bis zu Klassikern der Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts und sogar neukomponierte Werke gelangten zur Aufführung.
Das 1. Weinheimer Mandolinen Orchester 1929, dessen Gründung auf das Jahr 1929 zurückgeht und aus 31 Mitgliedern besteht, eröffnete den Vormittag mit einem Stück von Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges. Das bewegende Leben des Komponisten, Geigenvirtuosen und Fechter erzählt der 2003 entstandene kanadischer Spielfilm Le Mozart noir. Während der Französischen Revolution war er „Kommandeur de Légion des Américains et du Midi“, dem damals einzigen Regiment mit schwarzen Soldaten, berühmt wurde Chevalier de Saint-Georges zu Lebzeiten als Geiger. Es folgte selbstverständlich auch Vivaldi: das Solo aus dem C-Dur Mandolinenkonzert spielte Denise Wambsganß, die auch die musikalische Leitung übernommen hatte. Ebenjene Canzonetta begleitete sie im Staatstheater Darmstadt bei der Neuinszenierung des Don Giovanni in dieser Spielzeit 2022/23. Wambsganß ist nicht nur eine national wie international gefragte Virtuosin und tritt sowohl kammermusikalisch und als auch solistisch auf; sie hat mit zahlreichen Orchestern, Ensembles und Dirigenten gearbeitet, stellvertretend zu nennen sind zuvorderst die Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado und Sir Simon Rattle, das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, das hr-Sinfonieorchester mit den Dirigenten Eliahu Inbal, Jukka-Pekka Sarastre, Arturo Tamayo und Sir Andrew Davis oder auch das Ensemble Modern und das Klangforum Wien. Sie wirkt zudem als Instrumentalpädagogin in der Nachwuchsförderung, dazu zählt auch ihr Engagement für das Mandolinenprojekt. Ihre Begeisterung für das Instrument ist jedenfalls ansteckend, und der Brückenschlag zur Volks- oder U-Musik gelang mit der nachfolgenden Nummer mühelos.
Ein Evergreen des 20. Jahrhunderts erklang: My Way. Die Interpretation Frank Sinatras ist zweifellos die bekannteste, die Älteren werden sich vermutlich an Harald Juhnke, einem großen Verehrer des Amerikaners, erinnern, der diesen Klassiker auf Deutsch sang. Während Sinatra mit selbstbewusstem Stolz und nicht ohne Selbstgerechtigkeit seinen eigenen Weg unerschütterlich bis ins Alter besungen hatte, enthielt die Interpretation des Weinheimer Mandolinenorchester etwas von jener Melancholie, den spürbaren Anklängen von Traurigkeit und Enttäuschung, die im französischen Original „Comme d’habitude“ von Claude François und Gilles Thibaut über die zur bloßen Routine erstarrte Zweisamkeit beklagt werden. Einer der musikalischen Höhepunkte des Konzerts, wofür Wambsganß und das Weinheimer Mandolinenorchester mit besonders kräftigen Applaus belohnt wurden.
Die oben erwähnte Vielseitigkeit der Mandoline demonstrierte das Orchester mit der Unterstützung der Solo-Flöte so schwungvoll, dass es einige im Publikum nicht mehr auf den Bänken hielt und sich vom Rhythmus der lateinamerikanischen Hits „Tico-tico no Fubá“ von Zequinha de Abreu und „The Girl from Ipanema“ – der große Hit der kürzlich verstorbenen Astrud Gilberto – mitreißen ließen.
Eine besondere Pflege der Mandolinenmusik findet insbesondere – keineswegs nur im Pub – in Irland und Schottland statt, was mit einigen Stücken der irischen und schottischen Volksmusik beglaubigt wurde und auf eine lebendige und reiche Tradition verweist; doch nicht nur dort, so Tanja Schmitt, Leiterin des Weinheimer Mandolinenorchester und Moderatorin des Konzerts, existiert eine große Liebe zum Instrument, zum Abschluss waren drei Stücke aus Japan zu hören. Damit endete ein rundum gelungener Konzertvormittag, zugleich ein musikalisches Plädoyer für ein Instrument, das durch das Wirken bekannter Künstler wie Avi Avital und in Deutschland vor allem durch die jahrelange Arbeit von Denise Wambsganß eine größere Aufmerksamkeit erfährt. Dem alle vier Jahre ausgetragenen „eurofestival zupfmusik“, im Mai 2026 wird es in Bruchsal ausgetragen, sollte es großen Zulauf sichern.