Weimar, Deutsches Nationaltheater, Die Göttliche Komödie - Dante Alighieri, IOCO Kritik, 16.10.2021
Deutsches Nationaltheater Weimar
Die Göttliche Komödie - Dante Alighieri
- Unfall mit Dante - Enttäuschend vertanzt Ester Ambrosino Die Göttliche Komödie -
von Hanns Butterhof
Zum 700. Todestag des italienischen Nationaldichters Dante Alighieri (1265 – 1321) bietet sich ein frischer Blick auf sein bedeutendstes Werk, La divina Commedia an. Das Werk hat heute einen prominenten Platz in der Liste der am wenigsten gelesenen Weltliteratur neben dem Ulysses von James Joyce oder dem Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil. Das liegt nur zum einen an den 15 000 kreuzweise gereimten Terzinen der dreiteiligen Dichtung vom Anfang des 14. Jahrhunderts. Auch der Stoff, eine Wanderung des Dichters zu seiner früh verstorbenen jugendlichen Geliebten Beatrice durch Hölle und Fegefeuer bis zum Paradies, ist sperrig. Er enthält nichts weniger als die Summe des christlichen Wissens am Ausgang des Mittelalters und ist in jedem Vers Enzyklopädie, Predigt und dramatisches Epos zugleich.
Diesen frischen Blick auf Die göttliche Komödie bzw. Motive daraus wagte Ester Ambrosino, Chefin des Tanztheaters Erfurt, am Deutschen Nationaltheater Weimar. Es ist ein Wagnis angesichts des Umstandes, dass die „Göttliche Komödie“ bislang nur einen Choreographen von Rang dazu herausgefordert hat, sie zur Vorlage für ein Tanzstück zu erwählen, Xin Peng Wang, Direktor und Chefchoreograph des Balletts Dortmund.
Die Göttliche Komödie - Dante Alighieri - Ballett youtube Trailer Deutsches Nationaltheater Weimar [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Regisseurin Ester Ambrosino, die auch die Choreographien für das internationale Ensemble des „cinematic dance theatre“ entworfen hat, holt die „Göttliche Komödie“ jäh in die Gegenwart. Im Video (Robert Przybyl / Marc Loehrer) sieht man den Autounfall, bei dem die schöne Beifahrerin Beatrice getötet wird, der Fahrer Dante aber kommt auf die Intensivstation. Von da an spiegelt das Bühnengeschehen die Gedanken, die Dantes komatöses Gehirn produziert, während sein Krankenbett auf einem erhabenen Halbrund über der Spielstätte steht (Bühne und Kostüme: Alexander Grüner). Erst suchen ihn die Gespenster seiner quälenden inneren Bilder noch auf dem Krankenlager heim, dann greift er selber aktiv ins Geschehen ein. Die Figur des Dante wird dabei gedoppelt in den Tänzer (Martin Angluli) und den Schauspieler, dem wesentlich zukommt, die Inhalte der Szenen mit den entsprechenden Sünden als Dante-Zitate anzusagen.
Mit Dantes Sprache beginnen aber die Schwierigkeiten, bezeichnet sie doch schon mit „Sünden“ einen nicht mehr ganz selbstverständlichen Begriff, ganz zu schweigen davon, was sich mit ihnen verbindet. Was sich der komatöse Dante darunter vorstellt, erscheint im Tanz des Ensembles manchmal recht banal: Was im Höllenkreis an sündhaft Naturwidrigen geboten wird, atmet bestenfalls die Verworfenheit eines Touristen-Strip-Lokals. Manchmal überzeugt zwar der Tanz, etwa bei den unglücklich Verliebten, deren Zerrissenheit in Sich-Fliehen und von elementarem Verlangen wieder zusammengetrieben zu werden schmerzhaft berührt, aber kaum als sündiges Tun empfunden wird. Auch weitere Figuren bereiten Schwierigkeiten. Vergil tritt zwar als zitiere Figur auf, aber ihre Funktion bleibt so unklar wie die Antwort auf die Frage, wer der Mann mit dem Schneewittchensarg ist, in dem am Ende auch Dante liegen wird. Auch Satan, der für ein Tanztheater nahezu sinnwidrig bis zum Nabel im Höllenboden steckt und nur in Puppenkörper beißt, um sie dann angewidert von sich zu schleudern, ist eher komisch als teuflisch.
Bei oft sehr schönen Bildern, durch die immer wieder Beatrice (Ezra Rudakova) sphärisch unter leichtem weißen Tuch recht konventionell im Spitzentanz schwebt, bleibt der Tanz insgesamt, vor allem aber im Purgatorio, das reinigende Grauen schuldig. Den Tanz begleitet die Staatskapelle Weimar mit Andreas Wolf am Pult und der Musik von Michael Krause. Er bietet eine Mischung aus Elementen der Minimal-Music, die durchaus symphonische Wucht, chorischen Schönklang und höllischen HardRock entfaltet und den Tanz nicht nur begleitet und kommentiert, sondern auch strukturiert. Mit der Beatrice-Sängerin Heike Porstein und dem Dante-Sänger Julian Freibott klingen auch große Oper und Lied an.
Ester Ambrosinos Die Göttliche Komödie in Weimar ist anspruchsvoll und bietet auch viel von allerlei. Die Idee, Dantes Werk ins Heute zu holen, ist zwar ein gut gemeinter Ansatz. Er ist aber nicht mutig und konsequent genug umgesetzt, um die mehr als 700 Jahre schlüssig zu überspielen, die zwischen dem Mittelalter und uns liegen. In Weimar ist das Tanztheater Die Göttliche Komödie verunglückt. Nach fast zwei Stunden großer, teilweise im Stehen dargebrachter Beifall.
Die Göttliche Komödie am Deutschen Nationaltheater Weimar; Der nächste Termin: 24.10.2021 16.00 Uhr
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