Verona, Arena di Verona, Nabucco von Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 25.08.2011
Nabucco in der Arena di Verona
Die Arena di Verona wurde 30 n.Chr. mit einer Größe von 152 x 123 m erbaut. Von einem Erdbeben im Jahr 1117 schwer zerstört sind die Umfänge heute 138 x 109 m. 45 Stufenränge mit 45 Zentimeter Höhe und Tiefe bieten 22.000 Besuchern Platz. Die Arena di Verona – nach dem Kolosseum in Rom und der Arena von Capua – das drittgrößte der erhaltenen antiken Amphitheater.
Seit 1913, dem hundertsten Geburtstag des populären Komponisten Giuseppe Verdi, finden in der Arena di Verona über zwei Monate dauernde Opernfestspiele statt. Mit 50 Vorstellungen und 600.000 Theaterbesuchern jährlich sind diese Festspiele das größte Opernereignis der Welt und bedeutender Wirtschaftsfaktor der Region. Verona feiert seit fast hundert Jahren sein Opernfestival `mitten im Volk´. Vergleich: Nach Bayreuth zieht es jedes Jahr neben Kanzlerin und Ministern nur 55.000 Besucher. Die Festspiele Bayreuth, 35 Jahre älter als jene in Verona aber mit ähnlichem Kultstatus, feiert nicht `mitten im Volk´, es zelebriert mit seiner `Gemeinde der Gläubigen´.
Die 89. Opernfestspiele, vom 17. Juni bis 3. September 2011, zeigen die Opern: La Traviata, Aida, Der Barbier von Sevilla, Romeo und Julia, La Bohème und Italiens großartige "Nationaloper" Nabucco. Nabucco, Inbegriff einer Freiheitsoper, ist das frühe Meisterwerk des jungen und doch von beruflichen und persönlichen Krisen schwer gezeichneten Giuseppe Verdi. In nur drei Monaten komponierte er seinen Nabucco und schuf darin das Lied der Italiener von gestern und heute: Va, pensiero, sull´ali dorate (zieht, Gedanken, auf goldenen Flügeln), dessen Wiederholung anno 1842 das Premierenpublikum an dem Mailänder Teatro alla Scala lautstark einforderte.
Zehn Nabucco - Inszenierungen gab es bisher in der Arena di Verona. Die Nabucco - Inszenierung des Jahres 2011 hatte ihre Premiere in 1991, von Gianfranco de Bosio entwickelt. de Bosio gestaltet mit Bühnenbildner Rinaldo Olivieri diesen Nabucco entlang der Konflikte zwischen dem monotheistischen jüdischen Glauben, der Kultur des Geistes, des Einzelnen einerseits und andererseits dem Polytheismus und dessen Kultur der Göttervielfalt, in der das Recht des Stärkeren dominiert. Diesen Dualismus zentriert de Bosio um einen spektakulär von Akt zu Akt bis an den Arena-Rand wachsenden und zum Ende, nach de Bosio, "durch die Kraft des Geistes" explodierenden "Turmbau zu Babel": Wie im Libretto von Temistocle Solera geschrieben. Der "Turm zu Babel" als Ikone für kulturelle und religiöse Konflikte zwischen Babylon und Jerusalem. Auf der Bühne, zu "Füßen" des "Turm zu Babel", symbolisieren einheitlich hohe, unterschiedlich gezeichnete Quader die Königsschlösser in Babylon oder Jerusalem. Dazu eine klare Zeichnung der handelnden Charaktere, schlüssige Personenführung. Chor, Gefangene, Statisten in prächtigen Kleidern und klassischen Accecoires. Kein Rampentheater. Ein packend werktreuer Bühnen-Realismus, im Ambiente der antiken Arena di Verona besonders atemberaubend.
Nicht nur Bühnbild und Regie, auch Dirigat, Orchester, Solisten und Chor überzeugen an diesem Abend: Dirigent Julian Kovatchev ließ durchgängig keinen Zweifel an seiner Verdi-Kompetenz aufkommen, dramatische Wahrhaftigkeit und die Ästhetik des Belcanto werden durch kluge Tempodramaturgie und viel Sinn für melodische Feinheiten des Werks wunderbar verschmolzen. Und dazu wird wunderbar gesungen: Leonardo Lopez Linares beweist sich in der Titelpartie des Nabucco mit kultiviertem Verdi-Gesang und Dynamik und Kraft für Stretta-Teile, Lucrezia Garcia´s farbenreicher und sicherer dramatischer Sopran kommt in der großen Partie der Abigaille in der Arena die Verona besonders stark zur Geltung. Aber auch Vitalij Kowaljow überzeugt bassgewaltig als Zaccharia. Lediglich Enrique Ferrer als Ismaele und Eufemia Tufano als Fenena sangen zuverlässig aber nicht mit der in Verona notwendigen Strahlkraft. Höhepunkt des Abends sind die Vokalkultur, Regie und Durchschlagskraft des großartigen, 200 Personen umfassenden Chores. Und das nicht nur im - natürlich da capo gegebenen - Gefangenenchor. Auf monumentaler Bühne, mit facettenreicher großer Klangkultur, in wechselnden Kostümen und szenisch fließenden Positionen glaubt man einen Chor zu erleben, um den herum eine Oper geschrieben wurde.
Die in lauer Sommernacht um 1 Uhr morgens endende Vorstellung wurde von Jubelstürmen der fast 15.000 Besucher begleitet. Verona und Verdi: Wie für einander erschaffen. IOCO / Viktor Jarosch / 29.08.2011