DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - Richard Wagner
- Wiederaufnahme - Inszenierung 2021 - Vorstellung 14.08.2023 -
von Uli Rehwald
Richard Wagner - aber in Venedig © IOCO
Gott sei Dank ist das Gesamtwerk von Richard Wagner ja sehr vielgestaltig. Und heute steht mit dem Fliegenden Holländer eine spielfreudige Publikums-Oper auf dem Programm. Eine Repertoire-Perle eines jeden Opernhauses, in der Gunst normalerweise ganz weit vorne, auch nicht so überlang. Mit gut verständlichen Figuren und einer leicht einleuchtenden Handlung fast ohne metaphysische Themen (nun ja, nur die Unsterblichkeit). Vielleicht die Wagner-Oper mit der verständlichsten Handlung. Mit dem Ruf von etwas „Bayreuth light“.
Die Inszenierung von Dmitri Tcherniakov zeigt bereits eine Vorgeschichte während der Ouvertüre, wie der Holländer als Kind traumatisiert wurde. Aha, Regietheater. Schiffe sehen wir heute jedenfalls nicht, weder traditionelle noch symbolische. Auch keine Spinnräder. Sondern einen Dorfplatz mit Kneipe als Zentrum des Geschehens. Diesem Regie-Ansatz ist erst mal nur gemäßigtes Wohlwollen entgegen zu bringen.
Aber es wird mit jeder Szene besser. Und um es gleich zu sagen: Es liegt klar an den Gesangs-Heroen, die hier heute auch sensationell spielen. Wer vor diesem Abend geglaubt, dass Georg Zeppenfeld (in der Rolle des Daland) unerreicht ist, der muss die heutige Performance von Michael Volle als Holländer auf sich wirken lassen. Ihr Duett, in dem sie sich gegenseitig weiter hochsteigern ist schier
fast nicht zu glauben, lässt keinerlei Wünsche offen.
Und auch die Nebenrollen sind heute bestens besetzt: Tomislav Muzek gibt einen ungewöhnlich kämpferischen, entschlossenen Erik. Nadine Weissmann die traditionell strenge Mary. Als Steuermann ist heute Tansel Akzeybek erfolgreich eingesprungen.
Aber all das übertrumpft heute Elisabeth Teige (in der Rolle der Senta). Sie setzt tatsächlich sängerisch und erst recht spielerisch noch mal einen drauf, gleich schon in ihrer Ballade. Von der Regie her ist sie erfrischend anders konzipiert: Eine über-selbstbewusste rauchende End-Teenagerin mit großspuriger Gestik und ordentlicher Anti-Haltung. Kein leichtes, verträumtes Opfer. Spätestens im großen Liebesduett Senta / Holländer im 2. Akt sprengen die beiden Sänger die normalen Bühnenfesseln. Das ganz große Besteck an Tönen und Gefühlen wird ausgepackt, das Duett wird ein Juwel. Und es geschieht ein zusätzliches Wunder: Oksana Lyniv führt das Paar und auch ihr Festspielorchester zielsicher in eine eigene Realität. Hier gelingt wirklich Großes.
Ab dem 3. Akt nimmt das Stück weiter unglaublich Fahrt auf. Der Geisterchor-Szene ist genial als Handgemenge inszeniert. Die musikalische und körperliche Auseinandersetzung der beiden Chöre endet mit einem leeren Schlachtfeld, auf dem sich Senta auf einmal allein wiederfindet. Und in aller dramatischen Klarheit erkennen muss, auf was sie sich hier eingelassen hat. Was für ein Bild, was für
eine Bühnensprache. Das sind die Erlebnisse, für die wir alle nach Bayreuth gehen. Die Quälgeister in den hölzernen Rückenlehnen der Publikumsbestuhlung haben jetzt keine Chance mehr. Zu heiß im Festspielhaus? Ach was, nur noch Kapazität für den Akustik-Rausch, wie ihn Oksana Lyniv dirigiert.
Atemlos reißt die Musik die Handlung weiter in den Schlussdialog. Die Kulisse geht in Flammen auf. Wir vergessen, dass wir in der Oper sind - jeder fühlt sich selbst mitten auf der Bühne, erlebt direkt, ist selbst Senta oder Holländer. Schmilzt, wütet, stirbt mit. Wir erleben einen magischen Opern-
Moment, etwas Wirkliches. Der Rezensent muss zugeben, oder besser, begeistert ausrufen: So packend hat er den Holländer seit Jahrzehnten nicht gesehen.
Und noch eine Überraschung am Ende: Der unsterbliche Holländer wird einfach erschossen. Aberangesichts von so viel Magie und Begeisterung will niemand kleinlich sein.
Begeisterter Applaus, langanhaltendes Bravo, lautes Trampeln: Das ist ein Bayreuth-Begeisterungssturm. Was für ein gelungener Opern-Abend. Eine Referenz-Aufführung, wie es besser nicht sein kann. Nur leuchtende Augen. Bei allen.