Ulrichshusen, Schloss, WINTERKONZERTE DER FESTSPIELE MECKLENBURG-VORPOMMERN, IOCO

Ulrichshusen, Schloss, WINTERKONZERTE DER  FESTSPIELE MECKLENBURG-VORPOMMERN, IOCO
Maximilian Kromer (Pianist), Emmanuel Tjeknavorian (Geige), Benedict Mitterbauer (Viola), Jeremias Fliedl (Cello) copyright FMV

Musizieren in seinen schönsten Erscheinungsformen

14.- 15.12.2024

  

Der „Festspielfrühling“ auf Rügen im März, der dreimonatige „Festspielsommer“ zwischen Juni und September landesweit und nun, im Dezember, ein „Festspielwinter“, der am zweiten und – hier in Rede stehend – am dritten Adventswochenende in Ulrichshusen das wieder beeindruckend erlebnisreiche Jahresprogramm der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern beendete. Nun  ja, winterlich war es mit diversen Plusgraden und teils ungemütlichem Nieselregen gerade nicht. Aber was zählt das schon gegenüber einem selbst bei solchem Wetter idyllischen landschaftlichen Ambiente, einem ausgesucht anspruchsvollen, wieder magisch Massen anziehenden Weihnachtsmarkt in der großen Konzertscheune und – vor allem – einer zweitägigen Konzertfolge im Schloss, die künstlerisch so hochkarätig wie herzerwärmend mal wieder keine Wünsche offen ließ.

Als Summe langjähriger Erfahrungen war das gewählte Konzept auch dieses Mal  d e r  Erfolgsgarant: ein in MV bereits bestens bekannter namhafter Interpret gestaltet eine „kleine residence“ mit von ihm eingeladenen Freunden samt selbst ausgewähltem Programm. Das sichert gestalterische Authentizität und nicht selten auch auf Individualität basierende Originalität. Was am Freitag des letzten Wochenendes mit einem Konzert im Gutshaus Stolpe (bei Anklam) und fünf weiteren am Wochenende im Schloss Ulrichshusen  überzeugend bewiesen werden konnte.

Der „Chef“ im Ring war Meistergeiger Emmanuel Tjeknavorian, der um seine mitgebrachten Freunde nur zu beneiden war. Tolle Musiker, begeisternde Musikanten, als da wären Benedict Mitterbauer (Viola), Jeremias Fliedl (Violoncello), Dominik Wagner (Kontrabass) und Maximilian Kromer (Klavier). Sie alle kamen aus Österreich, zumeist aus der „Musikhauptstadt“ Wien, womit der thematische Schwerpunkt des vom Österreichischen Kulturforum Berlin unterstützten  Wochenendes – Musik und Musiker aus Wien - vorgegeben war.

Benedict Mitterbauer, Maximilian Kromer, Emmanuel Tjeknavorian, Dominic Wagner, Jeremias Fliedl copyright FMV

11 Komponisten kamen mit insgesamt 17 Werken zu Wort. Allen voran Johannes Brahms, der mit einem Klaviertrio (c-Moll op. 101) , zwei Klavierquartetten (g-Moll op. 25; c-Moll op. 60), einer Violin- (A-Dur op. 100) und einer Cellosonate (F-Dur op. 99) sowie einem Arrangement der 2. Klavier-Rhapsodie (g-moll aus op. 79) für Kontrabass und Klavier repräsentativ Berücksichtigung fand, gefolgt von Beethoven (Hornsonate F-Dur op. 17, arrangiert für Kontrabass, Streichtrio C-Dur op. 3) und Einzelwerken sehr unterschiedlicher Prägung. Das waren Haydn (Klaviertrio G-Dur op. 82/2, mit Kontrabass statt Cello), Mozart (Klavierquartett g-Moll KV 478), Schubert („Forellenquintett“ A-Dur op. posth.), Rachmaninow (Trio élégiaque g-Moll, auch hier Kontrabass statt Cello), Ernst von Dohnányi (Serenade C-Dur für Streichtrio op. 10), RalphVaughan Williams (c-Moll-Klavierquintett), George Gershwin (Rhapsody in Blue für Kontrabass und Klavier), Fritz Kreisler (Viennese Rhapsody Fantasietta für Violine und Klavier) sowie  - als Zeitgenosse der sehr besonderen Art – Georg Breinschmids „Impressionen für Klavierquintett.

Emmanuel Tjeknavorian copyright FMV

Diese Vielfalt war keiner Planlosigkeit geschuldet. Teknavorian hatte sich zu den sechs Konzerten jeweils orientierende „Themen“ einfallen lassen, die für bestimmte Absichten standen und dem Ganzen Struktur verliehen. Im Übrigen scheint die vorstehende umfangreiche Aufzählung der Progamminhalte gerechtfertigt, da sie die stilistische und gestalterische Bandbreite des in zeitlich recht großer Gedrängtheit Gebotenen demonstriert, nicht wenig über die immense und bis zum letzten Ton gewahrte hochkonzentrierte Leistungsfähigkeit der Ausführenden aussagt und – nicht zuletzt – den kaum hoch genug zu veranschlagenden künstlerischen Gewinn für das Publikum markiert. Wer Festspielkonzerte in MV besucht, der weiß, dass er sich um höchste Qualitätstandards keine Sorgen machen muss. Er kann zudem stets mit Überraschungen konzeptioneller oder auch gestalterischer Art rechnen – bis hin zu ungewohnten, schon mal unorthodoxen und nicht selten auch recht unterhaltsam ausfallenden Darbietungen.

Überraschend diesmal etwa der häufige Einsatz des Kontrabasses, und zwar dort, wo man ihn nicht vermutet: als Cello-oder Horn-Ersatz, Zusatzstimme in einer entsprechend arrangierten Klavierrhapsodie oder gar als ein das ganze Sinfonieorchester „ersetzendes“ Duo mit Klavier. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn man einen Kontrabassisten hat, der – wie Dominik Wagner – nicht nur arrangieren sondern die Stück dann auch spielen kann: hochvirtuos, mit unglaublicher Lockerheit und Leichtigkeit sowie einem Ton, der ob seiner Klangqualität schon einigermaßen sprachlos machte. Da hatten sich die Programmplaner wohl gedacht: wer so eine Perle besitzt, muss sie einfach häufiger, also nicht nur (original!) bei Schuberts „Forellen-Quintett“ glänzen lassen. Warum auch nicht, wenn das Ganze so professionell wie künstlerisch hochkarätig geboten werden kann! Bei einem Cello-Ersatz könnte man sich allerdings das Original eher dann wünschen, wenn nicht, wie teils geschehen, der Kontrabass in hohen Lagen und damit „original“ gespielt wird. Der Klangcharakter des Kontrabasses bleibt aber stets ein eigener, anderer (wenn auch berückend schöner), ist also nicht immer der ideale Partner etwa der Violine.

Spannend wurde es auch immer dann, wenn sich ein Programmpunkt jenseits traditioneller Angebote bewegte. Das traf etwa für Beethovens sechssätziges Streichtrio op. 3 zu, das für den, der das Werk noch nie gehört hatte, sicher zu den Überraschungen gezählt haben dürfte: „nur“ drei Stimmen (keine 2. Violine), aber was kann ein Meister wie Beethoven selbst einem Frühwerk an Erfindung, Verarbeitungsraffinessen, Bedeutsamkeit und individuellem Musiziergeist angedeihen lassen! Ein Gleiches träfe für von Dohnánys Serenade op. 10 (1902) für die gleiche Streichtriobesetzung zu. Auch dieses (fünfsätzige) Werk überrascht mit höchster Klangattraktivität und mitreißendem spielerischen Gestus; als Großes im nur scheinbar Kleinen eine wahre Bereicherung jeden professionellen kammermusikalischen Programms!

Wer es dezidiert gefühlvoll mochte, vielleicht auch noch spezifisch russisch-melancholisch, hatte mit Rachmaninows Trio (1892) den Joker gezogen: mehr Empathie, Pathetik und melodischer Schmelz gehen kaum. Um beim Besonderen zu bleiben: Auch Vaughan Williams  Klavierquintett(1903) – im Konzertsaal unbedingt eine Rarität - bedient jede Sehnsucht nach erregt leidenschaftlicher, mitnehmender, ja mitreißender Musik. Sie ist vollgriffig, voluminös, schwerblütig und voller Emphase auf der einen Seite, melodisch weiträumig, von nahezu schmerzvoller klanglicher Intensität, aber auch kontrapunktischer Dichte auf der anderen – ein Kosmos unterschiedlichster Gefühlslagen und dynamisch ungemein differenzierter Farbigkeit. Der Verweis auf  Brahms und Fauré scheint nicht unangebracht.

Kaum alltäglich auch ein Gershwin in zunächst schwer vorstellbarer Bearbeitung für Kontrabass und Klavier. Sie klang – das Original mal gedanklich an die Peripherie gedrängt - fast „normal“ - wobei hier die Aufmerksamkeit des Konzertbesuchers nicht zuletzt (vielleicht gar vorzugsweise) dem optisch attraktiven, artistischen Moment des Musizierens gegolten haben dürfte. Dass man mit einem solchen gewaltig punkten kann, bewies das in Hochform agierende Ensemble mit Georg Breinschmids (*1973) „Impressionen“  für Klavierquintett. Breinschmid, wie zu lesen „eine der spannendsten Persönlichkeiten Österreichs“, ist begnadeter Kontrabassist (zeitweise bei den Wiener Philharmonikern), Komponist,  Arrangeur, Liedschreiber, Schauspieler, Wortakrobat – und seit langem kultisch verehrter Jazzmusiker auf seinem Instrument. Ein stilistischer Grenzgänger, der in jeder Besetzung, zwischen Wiener Lied, ungarischer Folklore, Klassik, Dadaismus, Kabarett und sensationell vertontem Klang-Chaos, so ziemlich alles kann. Nach Fritz Kreislers schwärmerisch ausschweifendem, als Emigrant in den USA geschriebenen Plädoyer für Wien sowie Gershwins erwähnter „Rhapsody in Blue“ beendeten die Musiker ein Spätabendkonzert mit Breinschmids fünfsätzigem Werk: anfangs recht unverfänglich, leicht jazzig, mit improvisatorischer Note, dann ersten „schrägen“ Akzenten und (natürlich „komponierten“) munteren verbalen Diskussions-Einlagen (!) der Protagonisten. So frech wie witzig gehandhabte Klassik-Zitate, Walzer-und sonstige Parodien, Jazz-Soli und sich harmonisch-chaotisch augenzwinkernd und ungeheuer stringent aufbauende Klangkakophonien ergossen sich dann nach weiteren, Staunen machenden, rasanten Entwicklungen ungeahnten Ausmaßes geradezu sturzbachartig in den Saal. Dort war ein nicht geringes Verwundern mit Händen greifbar. Aber: Sonderbeifall. Denn: Brillant war das Ganze, ungeheuer einfallsreich, überbordend fantasievoll und mit sichtbarem Vergnügen serviert! Und grandios unterhaltsam!

Maximilian Kromer, Benedict Mitterbauer, Jeremias Fliedl, Emmanuel Tjeknavorian, Dominic Wagner copyright FMV

Dies alles ein notwendiger Kontrast zu den bedeutsamen Klassikern mit ihren großen Botschaften. Schubert, natürlich, und vor allem Brahms. Egal, was das fünfköpfige Ensemble in welcher Besetzung auch immer unter die Finger nahm, es geriet ihm durchgängig zum jeweils großen Wurf. Das waren keine Projekt-Ergebnisse für den speziellen Moment. Spürbar war in und mit jedem Ton eine substantielle Gemeinsamkeit von Absichten und Vorstellungen, eine auf  langer, intensiver Zusammenarbeit basierende innige Vertrautheit mit Stilen und Darstellungsweisen, sowie die ausgeprägte Fähigkeit, auch die feinsten dynamischen Nuancen zur fesselnden, kontrastreichen Gestaltung großer, stringenter Komplexe zu nutzen. Und wo schon wäre solches als besonders zwingend und wirkungsvoll angebracht als bei Schubert und Brahms. Ein Musizieren also in seinen schönsten Erscheinungsformen! Glücksmomente – man darf sie rechtens so nennen – für die sich die Reise nach Ulrichshusen mehr als gelohnt hatte.              

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