Paris, THÉÂTRE GRÉVIN, Lieder - Kantaten - Arien-Abend, IOCO

THÉÂTRE GRÉVIN: Portugal spielte eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der europäischen Musik. Der Musiker am Hof von Lissabon, Francisco António de Almeida unterhielt enge Beziehungen mit Domenico Scarlatti ....

Paris, THÉÂTRE GRÉVIN, Lieder - Kantaten - Arien-Abend, IOCO
Théâtre Grévin Paris © Musée Grévin

TÉÂTRE GRÉVIN, PARIS - 14.10.2024 - Lieder, Kantaten und  Arien-Abend mit Werken von Almeida, Jacinto, Lima, Seixas, Leal und Halffter… Ana Vieira Leite, Soprano, Célia Pradel, Cello, Jorge Silva, Cembalo  

 

EIN GROSSER PORTUGISIESCHER EINFLUSS…

Ai que linda moça

sai d’aquela choça,

loira e engraçada

leva arregaçada

a saia encarnada

de chita grosseira.

 (Ai que linda moça (Auszug) von Ernesto Halffter / Text Anonym)

Portugal spielte eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der europäischen Musik. Der Musiker am Hof von Lissabon, Francisco António de Almeida (1702-1755) unterhielt enge Beziehungen mit Domenico Scarlatti (1685-1757), dem damaligen „Mestre da Capella“ der Königlichen Kapelle. Pedro António Avondano (1714-1782) hinterließ Werke für Cembalo und Vokalwerke, die an den italienischen Meister erinnern. Viele große Komponisten des Barock wurden von den Lusitania-Klängen und -Stilen sehr beeinflusst. Die strahlende junge portugiesische Sopranistin Ana Vieira Leite und ihr Landsmann, der talentierte Cembalist Jorge Silva werden sich bemühen, auf brillante Weise an die herausragende Stellung ihres Landes im barocken Europa zu erinnern.

Musik und mit welcher Pracht…!

Während sich Portugal im 17. Jahrhundert von der weltlichen Musik abwandte und vor allem seine geistliche Musik entwickelte, kam es im 18. Jahrhundert zu einem großen Wendepunkt. Die Regierungszeit von João V. der Großmütige (1689-1750) war von einer wunderschönen Blüte des künstlerischen Lebens im Land geprägt. Es gab eine starke Rückkehr zur weltlichen Musik, obwohl die Kirchenmusik weiterhin florierte. Der Hof stellte hohe Ansprüche an prächtige Werke, die seinem Geschmack entsprachen, zumal der König ein extremer Musikliebhaber war: Wir sahen zum Beispiel das Erscheinen von Zarzuelas zu Texten in portugiesischer Sprache, die zu seiner Unterhaltung bestimmt waren.

Die Komponisten integrieren auch neue Schreibstile, insbesondere unter Scarlatti, der der Tochter des Monarchen das Cembalo beibringen sollte, somit verstärkte er auch den Austausch zwischen den beiden Kulturen. Wie viele andere bedeutende italienische Künstler blieb er von 1720 bis 1728 in Portugal. Umgekehrt verließen viele portugiesische Komponisten das Land, um sich in Italien ausbilden zu lassen, bevor sie in ihr Herkunftsland zurückkehrten.

De Almeida war einer der berühmtesten  von ihnen. Nach Rom von João V. geschickt, blieb er dort von 1722 bis 1726 und studierte möglicherweise bei Alessandro Scarlatti (1660-1725). Nach seiner Rückkehr nach Portugal wurde er zum Hofkapellmeister ernannt und komponierte Musik, die perfekt das widerspiegelte, was er während seiner Reise gelernt hatte. Ihm verdanken wir zum Beispiel eine der ersten Opern im italienischen Stil: La Pazienza di Socrate (1733).

Théâtre Grévin © Wikimedia commons

Im Laufe der Zeit nahm die Oper in Lissabon immer mehr Raum ein, mit teils italienischen, teils portugiesischen Librettos. Es war die Ópera do Tejo, die die Opernaktivitäten des Landes konzentrierte, bis sie 1755 aufgrund des schrecklichen Erdbebens, das Lissabon in diesem Jahr verwüstete, zerstört wurde. Innerhalb der Kirchen wurde immer mehr Musik gemacht, auch mehr und mehr üppig und gewinnt somit im Bild der weltlichen Produktion eine grandiose Dimension. Die Herrschaft des italienischen Stils dauerte bis zum Ende des Jahrhunderts.

Jerónimo Francisco de Lima (1743-1822) wurde in Lissabon geboren und studierte auch in Norditalien, diesmal mit der Unterstützung von König Joseph I. (1714-1777). Ihm verdanken wir mehrere Opern, die in Lissabon kreiert wurden, aber auch ein Dixit Dominus, in Fa majeur (1771) und ein Magnificat in vier Stimmen (1778). Doch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war es vor allem Marcos Portugal (1762-1830), der durchschlagenden Erfolg hatte. Seine Werke wurden in ganz Europa aufgeführt, auch wenn sein Name uns heute nicht mehr sehr bekannt ist. Auch er wurde in Lissabon geboren und verbrachte im Jahre 1792 auch einen längeren Aufenthalt in Neapel. Nach seiner Rückkehr nach Portugal wurde er zunächst Direktor des São Carlos Teatro und reiste dann nach Rio de Janeiro, wo die königliche Familie vor den napoleonischen Truppen geflohen war. Anschließend wurde er zum Maître der königlichen Kapelle von Rio de Janeiro und auch Maître der Musik von Prinz João ernannt: Dem zukünftigen João VI. (1767-1826). Portugal hat uns mehrere Dutzend von Opern hinterlassen.

Ana Vieira Leite, Sopran, Jorge Silva, Cembalo © Philippe Meillard Productions

Es muss jedoch anerkannt werden, dass der Einfluss Italiens in ganz Europa zu dieser Zeit zwar die Blüte des lyrischen Repertoires auf der iberischen Halbinsel förderte, aber doch leider den schädlichen Effekt hatte, dass die Besonderheit des portugiesischen Stils etwas ausgelöscht wurde. Im 19. Jahrhundert beschritten portugiesische Komponisten nach und nach einen neuen Weg, indem sie sich von italienischen Mode emanzipierten und einen neuen musikalischen Nationalismus eroberten. Die Ankunft des Fado im Stil der Volksmusik in der Epoche der Romantik trug zu dieser Bewegung bei. Trotz ihrer ungewissen Herkunft, einer Mischung aus brasilianischer und portugiesischer Kultur wurde sie sehr geschätzt, dass sie in den 1830er Jahren einen überaus großen Aufschwung erlebte. Sie ist zweifellos eines der schönsten Wahrzeichen der Musik dieses Landes.

MUSIK-PROGRAMM:

Francisco Antónimo de Almeida: A quel leggiadro volto

Frei Jacinto (18. Jahrhundert): Zwei Sonaten in D-Moll

 Jerónimo Francisco de Lima: Rabbia furor, dispetto & Dal furor, dall’odio accesa

 Francisco António de Almeida: Un cor ch’a per costume

 Carlos Seixas (1704-1742): Sonate N° 25 in G-Dur

Anonym: Deixa, Dália, flor mimosa (Version Instrumental)

João Francisco Leal (1787-182): Menina voce que tem & Nasci para ser infeliz

Marcos Portugal: Cuidados Tristes Cuidados

João Francisco Leal: O prazer que sinto n’alma

Ernesto Halffter (1905-1989): Ai que linda moça

Traditionell: Fado Robles

Celia Pradel, Cello © Philippe Meillard Productions

 Lieder, Kantaten und Arien - Théâtre Grévin, Paris - 14.10.2024

Portugal und das barocke musikalische Europa:

Wir sind mit großem Erstaunen in einem der berühmtesten Wachsfiguren-Kabinette der Welt: Dem Musée Grévin Paris. Es ist ein riesiges nie erahntes glitzerndes Flimmer-Palast mit wunderschönen Sälen völlig versteckt hinter einer für Paris gewöhnlichen Häuserfassade. Jedoch im Innern vergisst man das hektische Großstadt-Treiben und man kann lustwandeln über mehrere Etagen über gewaltige Freitreppen klettern, in flauschigen Salons aus Samt und Seide flanieren. Für die Grusel-Amateure findet man ein dunkles schauriges Kuriosen-Kabinett mit allerlei verrückten Illusionen und natürlich die Spiegel-Effekte zum Verstecken! Das gesamte Plüschpalast aus falschem Marmor, Goldbemalung und verspiegelten Wänden: Alles in einem Pseudo-Barock der Gründerzeit geschaffen eben für die Sippe der Neureichen. Aber trotzdem ist der kostbare Kitsch schön und man lässt sich freiwillig von dem vielen Plunder verzaubern. Die Feen der Familie Rothschild und Co. müssen nicht mal ihren Zauberstab hochheben, wir sind schon ganz von alleine verzaubert!

Aber natürlich wollen wir nicht das wichtigste vergessen: Wir befinden uns in einem der größten Wachsfiguren-Kabinette mit einer stattlichen Sammlung von nicht weniger als  Dreihundert Figuren, geschweige die restlichen gestapelten Persönlichkeiten in den Vorratskammern des Palastes. Somit sind wir umgeben – ob wir wollen oder nicht – von den großen oder weniger großen Gestalten der Weltgeschichte. Unter all den berühmten Massenmördern oder Kriegsverbrechern oder die Figuren aus Film, Theater, Konzert oder Oper… Man reicht ungeniert der Diva Maria Callas (1923-1977) die Hand, aber bitte ohne einen Wachsfinger abzubrechen. Jedoch raten wir ihnen ihr nicht die Hand zu küssen, denn Wachs ist nichts für Feinschmecker! [sic]. In einem der Salons stierte mich wirklich jemand sehr unangenehm und ungeniert an. Ich fragte ihn ob er ein Foto von mir haben wollte? Die Antwort war nur ein zynischen Lächeln! Übrigens es  war das Konterfei von Adolf Hitler (1889-1945) in großer Gala-Uniform. Also der hat mir auch noch in meiner Raupensammlung gefehlt (berlinisch gesagt!).

Jorge Silva, Cembalo (© Philippe Meillard Productions)

Jetzt aber zurück zum Schönen: So ein nachgemachtes Versailles in Miniformat müsste doch auch ein Theater haben, so dachten wir. Und schon standen wir davor: Ein kleines Hoftheater ausgeborgt von Louis XIV. (1638-1715), der übrigens am Eingang die Gäste begrüßte. Wir haben uns geschickt hineingeschlichen ohne dem Sonnenkönig die Hand schütteln zu müssen. Denn das geht zu weit, wir werden auf keinen Fall einen Hofknicks vor einem Potentaten aus Wachs machen, geschweige vor dem Echten!

Wenn auch im Neo-Barock, so ist es doch ein ganz kleines „Öperchen“ mit viel Prunk und Pomp. Wahrscheinlich das kleinste Theater in Paris! Natürlich muss man auch hier mit einigen wächsernen Nachbarn seinen Platz teilen. Auf jedem Fall ist es eine glückliche und auch originelle Idee ein so hochkarätiges Konzert  in Wachsumgebung zu veranstalten.

Wir sind natürlich überglücklich, das unsere Interpreten inzwischen nicht zu Wachs geworden sind:

Die bezaubernde Sopranistin Ana Vieira Leite haben wir schon vor einiger Zeit in l’Opéra National de Paris im Palais Garnier in der Rolle der Créuse in der Oper Médée (1693) von Marc-Antoine Charpentier (1643-1704) gehört. (Siehe IOCO-Kritik). Wir waren damals sehr überrascht über diese einmalige wunderbare Stimme und auch über die phantastische schauspielerische Präsenz der Künstlerin. Deshalb sind wir umso mehr neugierig über dass, was sie uns heute Abend mit ihren beiden Partnern  anzubieten hat: Die französische Cellistin Célia Pradel und wie schon gesagt ihr Landsmann, der Cembalist Jorge Silva.

Dieser Lieder- und Arien-Abend wird uns in die Zeit der Barock-Musik bringen, um eine kleine Reise durch die besonders reiche aber noch immer verhältnismäßig unbekannte portugiesische Musik-Welt zu bringen. Im ersten Teil hören wir Ausschnitte aus Kantaten und Opern und auch einige instrumentale Musik. (Siehe detailliertes Programm) Im zweiten Teil hören wir dann mit viel Begeisterung populäre Liebeslieder und natürlich die so berühmten Fados, das alles mit anonymen Texten. Mit Bewunderung hörten wir, wie die Sängerin von den grossen verzierten Koloraturarien mit Leichtigkeit zu den volkstümlichen Liedern wechselt! Man könnte vielleicht an Crossovers denken, aber das wäre zu einfach gesagt, denn in diesem Fall sind die Melodien schon teilweise um die 1830er Jahre komponiert worden.

Ana Vieira Leite, Sopran - Autographe-Stunde © Peter Michael Peters

Man muss nicht unbedingt ein Spezialist in dieser Musik-Gattung zu sein, auch ist es nicht unbedingt notwendig die Sprache zu verstehen: Denn die Musik alleine und natürlich auch die Interpretation genügen völlig als Übersetzer! Dieses Konzert war äußerst stark an Emotionen und strahlte eine übernatürliche sinnliche Sensibilität aus. Die knapp anderthalb Stunden mit zwei Zugaben vergingen wie im Rausch. Dieser Abend wurde umso mehr von den drei überaus talentierten Interpreten getragen, die jubilierend sangen und spielten, um uns diesen melodischen Zauber zu überreichen….

Trotz unserer neugierigen manchmal störenden Wachsnachbarn haben wir ein einmaliges und seltenes Musik-Erlebnis begeistert genossen. Der Besuch dieses von Wachs-Geistern bewohntem Palast hat sich am Ende doch sehr gelohnt, denn die zierliche Ana Vieira Leite mit ihren zwei Partnern hat mit viel Charm lebendige Schönheit in dieses doch sehr dekadente und morbide Museum gebracht. Sie war die ersehnte und erwartete Fee des Abends (PMP/17.10.2024)

Eine Philippe Maillard Production   -www.philippemaillardproduction.fr  33/01 48 24 16 07

 

 

 

 

 

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