Stuttgart, Staatsoper Stuttgart, KATJA KABANOVA - Leoš Janácek, IOCO Kritik, 07.03.2023
KATJA KABANOVA - Leoš Janácek
„Der Kampf der sprechenden Namen“ - Wiederaufnahme - legendäre Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito
von Peter Schlang
Man kann sicherlich darüber streiten, ob die Wiederaufnahme einer Operninszenierung der näheren Beachtung und gar des Widerhalls in den Medien bedarf. Bei der jetzt wieder in den Spielplan der Staatsoper Stuttgart zurückgekehrten Katja Kabanova des tschechisch-mährischen Komponisten Leoš Janácek stellt sich diese Frage zu keinem Zeitpunkt.
Das liegt zum einen an der schon seinerzeit legendären Inszenierung des Werks durch das längst ebenso legendäre Regieduo Jossi Wieler und Sergio Morabito aus dem Jahr 2010, zum andern an der musikalischen Qualität der Stuttgarter Produktion, die allerhöchsten Ansprüchen und Maßstäben genügt. Und hier ist noch nicht einmal von dem unverhofften Glück die Rede, das dem IOCO-Korrespondenten zusammen mit dem übrigen Publikum im gut gefüllten Stuttgarter Opernhaus bei der 2. Aufführung am 2. März dadurch widerfuhr, dass die hoch gerühmte und in der Rolle der Katja äußerst gefragte Annette Dasch kurzfristig für die erkrankte Corinne Winters einspringen musste.
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Um es gleich zu Beginn zu sagen: Die Berliner Star-Sopranistin fügte sich ohne jeden Bruch in das Stuttgarter Ensemble ein, ohne dies jedoch zu dominieren oder auftrumpfend zu überragen. Vielmehr zeigten alle Sängerinnen und Sänger im engeren Umfeld der Katja Annette Daschs und zusammen mit dieser eine jederzeit dichte, auf einander abgestimmte, packende und das Publikum mitreißende Leistung – und das sängerisch wie spielerisch-darstellerisch.
Einen erheblichen Anteil daran hat die noch immer frisch wirkende, äußerst detailgenaue, auf den psychologisch exakten Punkt hinarbeitende Inszenierung und vor allem Personenführung von Wieler / Morabito, die von Rebecca Bienek mit einer ohne Ausnahme neuen Besetzung einfühlsam und klug erarbeitet wurde. So schaffen es die Protagonisten - Maria Riccarda Wesseling als tyrannische Kaufmannswitwe Kabanicha, Rainer Trost als ihr unterworfener, willenloser Sohn Tichon, Ida Ränzlöv als unangepasste, eigenständige Pflegetochter Warwara und Kai Kluge als ihr gar nicht so heimlicher Liebhaber - sich diese Regiearbeit so souverän anzueignen, dass wohl keine der ursprünglichen Ideen des Regieteam untergeht und diese Katja Kabanova als detailgenaues, packendes Sittengemälde so aktuell und frisch erlebt wird wie bei ihrer Premiere in 2010, vor fast dreizehn Jahren.
Auch die visuellen Komponenten dieser nach wie vor beispielhaften Produktion, also die kluge und dramaturgisch geniale Bühne des 2015 verstorbenen Bert Neumann, die äußerst aktuellen und noch immer wunderbar anzusehenden Kostüme Nina von Mechows und die so passende Beleuchtung von Lothar Baumgarte, tragen ihren jeweiligen Teil dazu bei, dass dieser Stuttgarter Opernabend nie verstaubt oder aufgewärmt wirkt, sondern sein Publikum noch immer in Atem hält. Hierzu trägt auch wieder der in diesem Fall von seinem stellvertretenden Leiter, Bernhard Moncado, bestens ein- und aufgestellte Chor der Staatsoper bei, der die aufgebrachte, die alten Gesellschaftsregeln borniert verteidigende Landbevölkerung als eine unberechenbare und nicht zu brechende homogene Masse erscheinen lässt.
Das Staatsorchester unter der unaufgeregten, souveränen Leitung von Tito Ceccherini kommt seiner wichtigen musikdramatischen Aufgabe in dieser Janácek-Oper, den Sängerinnen und Sängern deren für Janáceks Tonsprache so typische Sprachmelodien quasi „mundgerecht“ zu servieren, in vorbildlicher Weise nach und wird diesen zum einfühlsamen Begleiter, ja zum Dialogpartner. Mal arbeitet Ceccherini die Täler und Höhen in Janáceks Klanggebirge einfühlsam und kontrastreich heraus, dann wieder lässt er diese „sinnlich-besoffene Musik“ frei atmend fließen, ja strömen. Die Solistinnen und Solisten nehmen dieses Angebot dankbar an und offen-kreativ auf und liefern als Ensemble eine Leistung ab, die ihresgleichen suchen dürfte. Dazu muss man sich erst einmal klarmachen, dass diese Oper nicht weniger als vier Tenöre erfordert und mit insgesamt zwölf Sängerinnen und Sängern ein für eine knapp zweistündige Oper recht ansehnliches Solistenensemble umfasst.
Folgerichtig endete dieser fulminante Stuttgarter Opernabend - eigentlich eine ganz normale Repertoire-vorstellung - mit riesigem Jubel und zahllosen Vorhängen für alle Künstlerinnen und Künstler. Unter ihnen auch die aus Berliner angereiste Annette Dasch, der dann Extra-Beifallskundgebungen galten.