Stuttgart, Staatsoper Stuttgart, Der Prinz von Homburg - Hans Werner Henze, IOCO Kritik, 22.03.2019
Der Prinz von Homburg - Hans Werner Henze
- Träume und Visionen - Wirkmächtiger als reales Handeln ? -
von Peter Schlang
Am 17. März 2019 hob sich in der Stuttgarter Staatsoper der Vorhang für die fünfte Neuproduktion der ersten Spielzeit des neuen Leitungs-Duos Viktor Schoner und Cornelius Meister. Zu sehen war - und ist in weiteren Vorstellungen noch bis 4. Mai - als Stuttgarter Erstaufführung Hans Werner Henzes Der Prinz von Homburg, in dessen revidierter Fassung von 1991. Gleichzeitig wurde damit das erste Frühjahrsfestival der Stuttgarter Staatsoper eröffnet, das noch bis zum 15. April 2019 dauert und unter dem Motto "wirklich wirklich" steht. Das Haus am Eckensee widmet sich dabei den Phänomenen von Wirklichkeitskonstruktionen und Realitätsverschiebungen sowie dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. Wie im Weiteren zu zeigen sein wird, war Henzes Prinz von Homburg mit seinem verschiedenen (Traum-)Welten verhafteten Protagonisten der perfekte Auftakt für diese musikalische Versuchsanordnung, die am 13. April von einem „Wirklichkeitskongress“ theoretisch unterfüttert werden wird.
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Das Libretto zu Henzes Musik wurde 1958/59 von Ingeborg Bachmann geschrieben, die sich dazu zwar des gleichnamigen Schauspiels Heinrich von Kleists bediente, die berühmte Vorlage aber einer behutsamen bis deutlichen Bearbeitung unterzog. Diese umfasste nicht nur Kürzungen, eine Zusammenfassung von Details und die Hinzufügung weiteren, vor allem weiblichen Personals, sondern zeichnet sich auch durch die für Ingeborg Bachmann typische, sehr poetische Sprache aus. Diese bildet nicht nur eine ideale Ausgangsbasis für Henzes Musik, sondern ist dieser eine kongeniale wie hilfreiche Partnerin und Begleiterin.
Der aus Stuttgart stammende und durch mehrere Inszenierungen am hiesigen Schauspielhaus bestens eingeführte Regisseur Stephan Kimmig arbeitete mit dieser Henze-Oper erstmals für die Stuttgarter Staatsoper. Er legt von Anfang an Wert auf eine möglichst enge Heranführung des Traums an die Wirklichkeit, ja vermischt, wo es nötig und angebracht ist, sogar die beiden Sphären. Andererseits macht er aber durch zahlreiche Details und eine klare Personenzeichnung auch deutlich, wo sich Traum und Realität ausschließen und entsprechende Handlungen ihre Grenzen haben. Dazu bedient er sich klarer, zum Teil sehr drastischer theatralischer Elemente und gibt seiner Personenführung etwas betont Statuarisches, ja manchmal zu Artifizielles, das den Betrachter immer wieder an die Personenregie in Inszenierungen Robert Wilsons denken lässt.
Katja Haß hat ihm dafür einen weißen Einheitsraum gebaut, der Anklänge an einen Laborraum aufweist, aber auch an eine in die Jahre gekommene Turnhalle erinnert und etwas Hermetisches verkörpert. Darin und an den an den Wänden angebrachten Ballett- oder Turnstangen absolvieren nicht wenige der Protagonisten ihre sie auf die bevorstehenden Kämpfe vorbereitenden Fitness-Übungen. Seine Schäbigkeit - die Farbe blättert ab, Rostspuren „zieren“ die Wände - mag auf die Zustände des historischen Fürstentums Brandenburg wie auf jene aktueller Systeme und Strukturen schließen lassen, ohne klar Position für die eine oder andere Wirklichkeit zu beziehen.
Dazu passen die von Anja Rabes geschaffenen Alltagskostüme, die irgendwo zwischen früher Nachkriegszeit und zeitgeistigem Retro- wie Freizeitlook anzusiedeln sind. Sie zeugen von überraschendem Wechsel, von einer Haltung des Noch-nicht- Bereitseins und auch davon, dass ihre Träger noch ganz andere Schlachten schlagen müssen als die auf dem Feld. Darauf mag auch der übermäßig häufige Einsatz von Unterwäsche bei Obrigkeit und Soldaten hinweisen. Er ist stellenweise sinnenhaft und wohl auch ironisch gemeint, ermüdet aber im Lauf der Zeit genauso wie die immer wieder über die Wände zuckenden Lichtreflexe oder die auf den Zwischenvorhang projizierten Video-Doppelungen. (Videos: Rebecca Riedel, Lichtregie: Reinhard Traub) Beides soll wohl die Traumseite unterstreichen, doch sind die in Handlung und Musik vorhandenen Hinweise darauf so klar und deutlich, dass diese optischen Verstärker eher eine mentale Unterforderung der Zuschauer bewirken. Dies alles sind aber eher Luxus- oder Randprobleme, die Kimmigs Regie nichts von ihrer großen Dichte und dramaturgischen Stringenz rauben.
Auch musikalisch bewegt sich die Stuttgarter Erstaufführung von Henzes wichtigem Werk der klassischen Moderne auf allerhöchstem Niveau. Dafür sorgt an erster Stelle Cornelius Meister, der nach Wagners Lohengrin zum Spielzeitbeginn mit dem Prinz von Homburg seine zweite Stuttgarter Premiere dirigierte und auch schon bei mehreren Repertoirevorstellungen und Sinfoniekonzerten seine überaus großen Kompetenzen als Musikgestalter und Leiter musikalischer Kollektive unter Beweis stellte. An diesem Abend ist er auch der komplex-polyphonen Musik Henzes mit ihren so vielschichtigen epochalen, stilistischen und musik-ästhetischen Anspielungen ein leidenschaftlicher wie verlässlicher Sachwalter und steuert das unter seiner Leitung immer souveräner und mitreißender agierende Staatsorchester so hochkonzentriert wie gefühlsbetont durch die verflixt anspruchsvolle Partitur. Henzes höchst klangsinnliche Musik hat den nötigen Raum zu wirken und aufzublühen, gerade auch an den Vor- und Zwischenspielen, die bei geschlossenem Bühnenbild wie filmische Schnitte wirken und eine ganz eigene erzählende wie kommentierende Funktion besitzen.
Bei aller Hingabe an sein Orchester mangelt es Meister nicht an jenem sorgfältigen Blick auf und für die Sängerinnen und Sänger - dazu dirigiert er aus leicht erhöhter Position - die diesen eine sichere und rollengerechte Bewältigung ihrer ja ebenfalls höchst diffizilen Partien ermöglichen. Und so ist das Staatsorchester bis auf ganz wenige Stellen, an denen es vielleicht ein bisschen zu engagiert und damit zu laut tönt, ein wunderbarer und verlässlicher Begleiter und Unter- und Hintergrund-Geber.
Aus der vokalen Solistenriege jemanden hervorzuheben, ist nur wegen der Größe und des Schwierigkeitsgrads der Hauptrollen gerechtfertigt. Die fünf Sängerinnen und neun Sänger bilden nämlich ein Protagonistenteam, das den Abend ohne jegliche Trübung und Einschränkung bereichert und um welches die Stuttgarter Oper von nicht wenigen Opernhäusern und deren Publikum beneidet werden dürfte. Diese Leistung wirkt umso eindrucksvoller, wenn man berücksichtigt, dass die Sänger häufig musikalisch „nahezu nackt“ auftreten, also nur von wenigen Instrumenten „begleitet“ werden, die zudem wie spätestens seit Wagner üblich eine völlig andere, eigene Melodie zu spielen haben.
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Von höchster stimmlicher wie darstellerischer Präsenz und Leidenschaft gestalten Vera-Lotte Böcker die Rolle der Prinzessin Natalie von Oranien und Robin Adams jene des Prinzen von Homburg, dabei wunderbar zwischen den verschiedenen Stimmungen wie Stimmlagen changierend und sehr glaubhaft ihren Emotionen Ausdruck verleihend. Diese inneren Zustände nach außen zu transportieren gelingt aber auch allen anderen Darstellerinnen und Darstellern, vor allem der wundervoll sich zurücknehmenden und fast devot wirkenden Helene Schneiderman als Kurfürstin. Stefan Margita singt deren Gemahl, den Kurfürsten von Brandenburg, mit tief gründendem, Respekt einflößendem und Distanz ausdrückendem Tenor, der aber auch Zerbrechlichkeit und eine gewisse Überforderung im Amt erkennen lässt.
Ein fabelhaftes Rollendebüt gelingt Moritz Kallenberg als Graf Hohenzollern, der nicht nur in der Interaktion mit seinem Freund und Vertrauten Friedrich Artur von Homburg seine große Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt. Mit geschmeidiger, flexibel geführter und in allen dynamischen Abstufungen bewegend eingesetzter Stimme macht er zu jeder Zeit vergessen, dass er erst bzw. noch Mitglied des Opernstudios der Stuttgarter Oper ist und erst zur kommenden Spielzeit in das „große“ Opernensemble übernommen wird.
Weiteren großen Anteil an der überragenden gesanglichen Ausstrahlung dieses Opernabends haben die Sängerinnen der drei Hofdamen Catriona Smith, Anna Wehrle und Stine Marie Fischer, die aber ebenso darstellerisch Großes leisten - auch wenn sie nicht stimmlich im Einsatz sind – wie ihre Kollegen Michael Ebbecke als Feldmarschall Dörfling, Friedemann Röhlig als Obrist Kottwitz und Johannes Kammler als Wachtmeister. Gleiches gilt ohne jede Einschränkung für Mingjie Lei, Pawel Konik und Michael Nagl als die drei Offiziere.
Im Schlussbild präsentieren sich alle auf der Bühne Mitwirkenden mit einer Mischung aus Fan-Schal und Demo-Transparent, auf denen für die Gesellschaft und deren Zukunft wichtige Werte und Einstellungen zu lesen sind. Dies mag etwas plakativ wirken, erscheint aber angesichts der populistischen, ja rechtsextremen Tendenzen in vielen Ländern Europas als ein zulässiges, ja notwendiges Instrument, um Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit und die dortige Willensbildung zu nehmen. Und auch Träume müssen ja befeuert und ins Bewusstsein gerufen werden….
Am Ende gab es vom ausverkauften Haus begeisterten, ja für eine zeitgenössische Oper frenetischen Beifall, der alle Beteiligten einschloss und an keiner Stelle durch eine noch so kleine Missfallenskundgebung getrübt wurde.
Der Prinz von Homburg an der Staatsoper Stuttgart, weitere Vorstellungen am 20., 22. 29. März, 6. April, 4. Mai 2019
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