Stuttgart, Staatsoper Stuttgart, DER LIEBESTRANK - Gaetano Donizetti, IOCO Kritik, 06.11.2022

Stuttgart, Staatsoper Stuttgart, DER LIEBESTRANK - Gaetano Donizetti, IOCO Kritik, 06.11.2022

Staatsoper Stuttgart

Oper Stuttgart © Matthias Baus
Oper Stuttgart © Matthias Baus

L´elisir d´amore - Der Liebestrank - Gaetano Donizetti

- Kurzweilig wie hochklassig - ein Bordeaux bringt die Wende -

von Peter Schlang

Die riesige Flurkarte einer ländlichen Gegend zierte am 30. Oktober 2022 bei der jüngsten Premiere von Gaetano Donizettis Oper L´elisir d´amore, Der Liebestrank den Vorhang der Staatsoper Stuttgart.

Während der vom Staatsorchester Stuttgart süffig und mit wohldosierter Italianita musizierten Ouvertüre werden einzelne Parzellen und ganze Landschaftsabschnitte hell hinterleuchtet. Auf einem solchen Grundstück steht dann wohl !die Agrarfabrik, in der die junge Regisseurin Anika Rutkowsky und ihre Bühnenbildnerin Uta Gruber- Ballehr die Handlung der zweiaktigen Oper ansiedeln: In einer gewaltigen, ganz in klinischem Weiß  gehaltenen Produktionshalle arbeiten Labor- und Hilfskräfte an der Entwicklung von neuem, robustem und an veränderte Klimaverhältnisse angepasstem Saatgut. Dieses wird von den in rosafarbener, gelber und blauer Arbeitskleidung steckender Belegschaft (Kostüme: Adrian Stapf) in Petrischalen herangezüchtet und je nach Größe und Entwicklung in unterschiedlich große Agrarkisten umgepackt und so gelagert.

Der Liebestrank - Staatsoper Stuttgart youtube Trailer Staatsoper Stuttgart [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Allzu gesund scheint die Arbeit in dieser Agrarfabrik nicht zu sein, denn die meisten der dort Tätigen haben fahl-graue Gesichter und graue Haare. Aber die Samenkugeln gehen im Verlauf des Abends auf und sorgen auf der Opernbühne für zunächst sparsamen, dann immer wilderen und üppigeren Wuchs, der zum glücklichen Ende der Oper die vorher sterile Fabrikhalle in ein grünes Paradies verwandelt hat. Damit gelingt dem Regie- und Ausstatter-Team ein so schönes wie überzeugendes Bild für Entwicklung und Reife, ja für die Liebe und das Leben schlechthin.

Als eine diesen Entwicklungsprozess durchlaufende wie beeinflussende Figur ist Adina als Agrar-Ingenieurin die Leiterin dieser Agrarfabrik und überwacht von einer quer über der Bühne eingebauten Kommandobrücke aus und an einem etwas antiquierten Computer die Produktion und das damit betraute Personal.

Auf diesem Posten ist sie natürlich auch für den sie unstillbar liebenden, ja begehrenden und entsprechend anschmachtenden Nemorino leicht auszumachen, der hier ein schüchterner, etwas tapsig-naiver Laborarbeiter ist und von seinen Kolleginnen und Kollegen entsprechend verhöhnt und gemobbt wird.

Adina, in ein zwar auch pinkfarbenes, aber doch den Standesunterschied betonendes Mantelkleid gewandet, befeuert diese Stimmung gegen ihren Möchtegern-Liebhaber, indem sie sich über diesen ebenfalls lustig macht und ihre Unabhängigkeit und Freiheit betont.

 Staatsoper Stuttgart / L’elisir d’amore - Der Liebestrank hier Giulio Mastrototaro (Dulcamara), Staatsopernchor Stuttgart Foto: Martin Sigmund
Staatsoper Stuttgart / L’elisir d’amore - Der Liebestrank hier Giulio Mastrototaro (Dulcamara), Staatsopernchor Stuttgart Foto: Martin Sigmund

Schon in diesen Anfangsszenen beweisen die Darsteller dieser beiden Hauptrollen, dass sie dafür die ideale Besetzung sind. Claudia Muschio gibt die Adina als jugendhafte, noch nicht immer selbstsichere, suchende, stellenweise entsprechend zickige und deshalb ihre berufliche Stellung psychologisch ausnutzende Frau. Auch für die stimmliche Umsetzung und Darstellung dieser Charaktereigenschaften verfügt sie über alle Fähigkeiten und Voraussetzungen und meistert alle Anforderungen dieses hohen Soprans in allen dynamischen Entwicklungen, in jedem Register und mit fast spielerischer Leichtigkeit, dazu in allen Szenen ohne Ermüdung und ohne jede Schärfe und Härte.

Der wie Claudia Muschio aus dem Internationalen Opernstudio der Stuttgarter Oper hervorgegangene, ebenfalls noch recht junge Tenor Kai Kluge ist stimmlich vom gleichen Kaliber und verleiht seinem Nemorino mit feinem italienischem Schmelz, betörendem Timbre, absoluter Höhensicherheit und feinsten dynamischen wie klanglichen Abstufungen die oben angedeutete fast kindliche Naivität, Reinheit und sehnsuchtsvolle Liebe. Diesem Nemorino nimmt man ab, dass er sich vor Liebeskummer krank fühlt. Zudem wird man auf eindrucksvolle Weise Zeuge, welch enorme Entwicklung dieser Underdog nimmt und welch gesellschaftlicher Aufstieg ihm gelingt.  Die Soli dieser beiden verheißungsvollen Nachwuchssänger, erst recht aber ihre Duette, gehören zu den Höhepunkten dieses Stuttgarter Belcanto-Festes.

Staatsoper Stuttgart / L’elisir d’amore - Der Liebestrank hier Adina und Musiker*innen des Staatsorchesters Stuttgart Foto: Martin Sigmund
Staatsoper Stuttgart / L’elisir d’amore - Der Liebestrank hier Adina und Musiker*innen des Staatsorchesters Stuttgart Foto: Martin Sigmund

Zu diesem trägt aber auch ein anderes Mitglied des jungen Stuttgarter Ensembles bei, der Bariton Björn Bürger, der als Belcore, hier Chef einer wahrlich nicht kriegstauglichen Operettentruppe, die Richtigkeit seines Namens ("Schönes Herz") mit aller spielerischer Macht und Übertreibung widerlegt. Seine ihm unterstellte, aus lauter Fußkranken bestehende und direkt aus einem Karikaturenband entsprungen scheinende Kompanie verleiht seinem Auftritt von Anfang an die Prophetie des Misserfolgs, ja des Scheiterns. Sie bietet diesem begnadeten Sänger-Darsteller aber auch die passende Bühne, den von ihm verkörperten Charakter zwischen jugendlichem Gegockele, vereinnahmenden Charme und abstoßendem Prahlen drall und blutvoll lebendig werden zu lassen.

Für weiteren komödiantischen Reiz, höchsten gesanglichen Genuss, vor allem aber auch für die nötige Beschleunigung der Handlung sorgt der im letzten Drittel des ersten Aktes auf die Bühne stürmende Dulcamara. Er ist Quacksalber, gewiefter Geschäftsmann, gewandter Verführer und charmanter Unterhalter und macht seinem aus der Botanik entlehnten Namen (Solanum dulcamara ist die lateinische Bezeichnung für den bittersüßen Nachtschatten.) alle Ehre. Mit allen Künsten des Marketings und seines freundlich-einnehmenden Wesens, aber auch einer gehörigen Portion Überredungskunst preist er der ihn sofort umringenden Kundschaft seine Wundermittel gegen und für was auch immer an. Kein Wunder, dass Dulcamara in dem tief verzweifelten und scheinbar hoffnungslos leidenden Nemorino seinen besten und höchst dankbaren Kunden findet. Tatsächlich verleiht der von Dulcamara verabreichte Liebestrank Nemorino ungeahntes Selbstvertrauen, neuen, ungeahnten Mut und bisher unbekannte Überzeugungs- und Verführungskraft – und dies, obwohl es sich bei dem angeblichen Wunder-Elixier, wie sein Hersteller und Verkäufer frei zugibt, nur um einen gepanschten Bordeaux handelt. Dieser Placebo-Trank schafft es sogar - in Form einer Mikroskop-Aufnahme - auf den Zier-Einband des äußerst gelungenen Programmbuchs!

Alle beschriebenen Eigenschaften und Verführungskünste werden von Dulcamara, Giulio Mastrototaro, Foto oben, dem einzigen Gast im so homogenen Solistenquintett dieser unterhaltsamen Oper, stimmlich wie darstellerisch in Perfektion und hinreißend verkörpert. Er ist ein höchst erfahrener wie gewandter und sympathischer Bass-Buffo der Extraklasse und singt-plappert sich in einem Tempo durch seine Rezitative, Arien und Parlando-Passagen, dass einem fast schwindlig wird und man Angst haben muss, der Sänger könnte sich dabei auf die Zunge beißen. Das passiert ihm natürlich nicht, und Dulcamara kann sich zum Schluss, als der inzwischen auch noch durch ein Erbe zu unverhofftem Reichtum gekommene Nemorino endlich seiner heiß ersehnten Adina in den Armen liegt, dieses Happy End und die dazu nötige wirklich wunderbare Entwicklung durchaus auf seine Fahnen schreiben.

Staatsoper Stuttgart / L’elisir d’amore - Der Liebestrank hier Nemorino und Staatsopernchor Stuttgart Foto: Martin Sigmund
Staatsoper Stuttgart / L’elisir d’amore - Der Liebestrank hier Nemorino und Staatsopernchor Stuttgart Foto: Martin Sigmund

Am Ende dieser kurzweiligen und hochklassigen Donizetti-Premiere gilt der uneingeschränkte, kaum enden wollende Jubel nicht nur der schon ausführlich gewürdigten Primadonna Claudia Muschio und ihren drei ebenso wunderbaren Kollegen, sondern auch der noch im Opernstudio der Staatsoper zu weiterer Perfektion heranreifenden Laia Valles. Die ist als Adinas jüngere Schwester Gianetta nicht nur eine wichtige Vorantreiberin der Handlung, sondern auch eine große stimmliche Offenbarung und beweist, um welch großartige Talentschmiede es sich beim Nachwuchs-Atelier der Stuttgarter Oper handelt.

Großen Anteil am makellosen Erfolg und uneingeschränkten Gelingen dieser Neu-Produktion hat neben dem Vokal-Quintett und dem eingangs erwähnten Regieteam der erneut auch darstellerisch sehr geforderte Stuttgarter Opernchor, der von seinen beiden Direktoren Bernhard Moncado und Manuel Pujol in gewohnt perfekter Weise vorbereitet worden ist.

Ebenso überzeugend und sicher präsentierte sich am Premierenabend - wie schon in den letzten, auch hier bei ioco besprochenen neuen Stuttgarter Produktionen - das Staatsorchester. Unter dem blutjungen italienischen Dirigenten Michele Spotti hält es nicht nur den ganzen Abend über sicher die Balance zwischen Graben und Bühne und ist dem jungen Solisten-Ensemble wie auch dem Chor ein einfühlsamer, zuverlässiger und inspirierender Begleiter. Spotti bringt auch jederzeit, an den begleiteten Vokalpassagen wie bei den rein orchestralen Stellen, die ganze Fülle und Klangpracht von Donizettis farbiger, phantasievoller und mitreißender Partitur zum Strahlen. Dazu überzeugt der Dirigent durch eine äußerst ansprechende   Dynamik und wählt überzeugende, die Sänger nie überfordernde wie die Zuhörer begeisternde Tempi.  Besonders im Ohr bleiben etliche der ausgesprochen delikat gestalteten Bläserstellen, auch und gerade im Blech, die den typisch italienischen Charakter von Donizettis Musik aufs Lebhafteste hörbar werden ließen.

Insgesamt stellt dieser Liebestrank, nach dem Don Pasquale die zweite Donizetti-Oper in der Intendanz Viktor Schoners, eine enorme Bereicherung des Stuttgarter Repertoires dar, dessen Breite und Vielfalt in der deutschen Opernlandschaft wohl seinesgleichen suchen dürfte.

---| IOCO Kritik Staatsoper Stuttgart |---

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