Stuttgart, Staatsoper, CASANOVA – Johann Strauss, Ralph Benatzky, IOCO

Für ihre äußerst geschmeidige, flüssige, kontrast- und temporeiche wie jederzeit dynamische und transparente Orchesterbegleitung wurden Meister und seinem um etliche von Benatzky eingeführte Instrumente ergänztem Klangkörper zurecht viel Beifall, ja sogar Jubel zuteil.

Stuttgart, Staatsoper, CASANOVA – Johann Strauss, Ralph Benatzky, IOCO
Staatsoper Stuttgart © Matthias Baus

Von der Fragwürdigkeit männlicher Rollenbilder – An der Staatsoper Stuttgart hatte die Revue-Operette CASANOVA auf Musik von Johann Strauss und Ralph Benatzky Premiere

von Peter Schlang

CASANOVA YOUTUBE Staatsoper Stuttgart

Nach langer Pause - die letzte Operettenpremiere im Haus am Eckensee, Offenbachs Orpheus in der Unterwelt, fand im Dezember 2016 statt - bietet die Stuttgarter Staatsoper ihrem Publikum wieder einmal eine Produktion aus dem eher heiteren, leichten und populären Genre der Operette. Dazu hat man den von Ralph Benatzky aus diversen Operetten von Johann Strauss zusammengestellten und bearbeiteten wie um eigene Musik ergänzten „Casanova“ ausgewählt, der zu der Ende der 1920er Jahre höchst beliebten Gattung der Revue-Operette gehört. Diese musikalische wie textliche Koproduktion wurde 1928 im 3.500 Plätze bietenden Großen Schauspielhaus Berlin, dem Vorläufer des heutigen Friedrichstadtpalasts, unter Leitung seines berühmten Leiters, dem „Revuekönig“ Erik Charell, uraufgeführt und dort mit großem Erfolg gezeigt. Die Staatsoper Stuttgart hat diese musikalische Collage zu Texten von Rudolph Schanzer und Ernst Welisch ihrerseits an die heutige Zeit angepasst und u. a. um einen Text der Autorin Judith Schalansky ergänzt. Dieser stammt aus deren Werk „Verzeichnis eigener Verluste“ und widmet sich der antiken Schriftstellerin Sappho aus Lesbos, von der auch einige ihrer Liebesgedichte rezitiert werden. Beides setzt der Männer verherrlichenden und von Macho-Gehabe geprägten Story des angeblichen Frauenhelden und -verführers Casanova ein feministisches, die Würde und Ehre der Frau betonendes Korrektiv entgegen. So bietet dieser Stuttgarter Casanova kein ungetrübtes und schwereloses herkömmliches Operettenvergnügen, sondern ist als eher kritische und mehrschichtige Annäherung an das Prinzip Casanova, sprich des von sich eingenommenen, auf seine (Phallus-)Stärke bauenden Testosteron-Helden zu verstehen. Dieses ziemlich aus der Zeit gefallene Selbstbild kann ja auch nach der #MeToo-Bewegung, den zahllosen Missbrauchs-Skandalen oder zuletzt dem Prozess um die Massenvergewaltigung Gisèle Pelicots nicht unwidersprochen bleiben. Dies passiert in der im Kern klugen Regie Marco Štormans, der an der Stuttgarter Oper und bei deren Publikum mit seinen beeindruckenden Inszenierungen von „Nixon in China“ und der „Götterdämmerung“ in bester Erinnerung ist, auch zu keiner Sekunde. Vielmehr bieten Regie und Ausstattungsteam durch Fortschreibungen, Kontrastierungen, Umdeutungen und (Ent-) Mythologisierung mindestens eine schillernde Mehrdeutigkeit von Männlichkeit und Geschlechterbeziehungen an.

Wenn es diesbezüglich passt, werden vertraute und traditionelle Konventionen, Zuschreibungen und Erwartungshaltungen sogar ganz infrage gestellt. Zur Realisierung dieser Absicht lässt sich die Regie allerhand Schlüssiges, Bühnenwirksames und aus dem Show- und Revue-Business Bekanntes und Bewährtes, aber auch manch textliche Zutat einfallen. Dazu gehört neben den erwähnten Einschüben von Texten Sapphos ein jüngst bekannt gewordenes Zitat eines AfD-Politikers, in dem dieser echte Männlichkeit mit einer Tendenz zu rechter Politik und einer entsprechenden militaristischen Einstellung verknüpft. Dies wiederum regt die Kostümbildnerin Yassu Yabara und den für das Bühnenbild verantwortlichen Demian Wohler zu fantasievollen, opulenten und äußerst Revue-affinen Bildern an. Allerdings schießt die Regie an einigen Stellen über das Naheliegende und theatralisch passende hinaus und versteigt sich vereinzelt zu etwas primitiven und allzu plumpen Assoziationen. Dadurch wird die Grenze zu Klamauk und Nonsens einige Male zu mutwillig und allzu billig überschritten, was vermutlich die Erwartungshaltung eines Teils des auf „traditionelle Operette“ eingestellten Publikums enttäuscht haben dürfte. Dabei betont Štorman durchaus stimmig das Revuehafte seiner Inszenierung schon in deren Aufbau, indem er die von Casanova als Verführungsobjekt ausgemachte Tänzerin Barberina als doppelte Conférencière den Abend moderieren lässt und so die einzelnen Szenen miteinander verbindet. Die für den Gesangspart zuständige Maria Theresa Ullrich und die Tänzerin Cassie Augusta Jørgensen, die auch für die choreografische Ausdeutung der Aufführung zuständig ist, machen ihre Sache ausgesprochen gut und sorgen so, umgeben von einem sichtbar queeren Nummernballett, für eine recht authentische varieté- und revuehafte Atmosphäre. Allerdings wirken diese Einlagen mit zunehmender Dauer etwas aufgesetzt und langatmig und bringen zusammen mit den dabei vorgetragenen kommentierenden Texten die ohnehin kaum wahrnehmbare Handlung ziemlich aus dem Tritt und so die dramaturgische Kohärenz zusätzlich ins Wanken. 

CASANOVA - Szenefoto @Matthias Baus

In Zusammenwirkung mit der von manchen Premierengästen vermissten Operettenseligkeit könnte dies eine Erklärung für die recht heftigen und in diesem Ausmaß nicht berechtigten Missfallenskundgebungen gewesen sein, die dem Regieteam am Schluss entgegenschlugen. Deutlich besser kamen da die für die musikalische Seite zuständigen Beteiligten, allen voran das Staatsorchester unter seinem Generalmusikdirektor Cornelius Meister, weg: Für ihre äußerst geschmeidige, flüssige, kontrast- und temporeiche wie jederzeit dynamische und transparente Orchesterbegleitung wurden Meister und seinem um etliche von Benatzky eingeführte Instrumente ergänztem Klangkörper zurecht viel Beifall, ja sogar Jubel zuteil.  Bei den Sängerinnen und Sängern boten neben der bereits erwähnten Maria Theresa Ulrich als vokale Barberina, Esther Dierkes als Laura und Stine Marie Fischer als Trude sowie Moritz Kallenberg als Hohenfels und Johannes Kammler als Waldstein sehr erfreuliche bis überzeugende Leistungen. Die beiden zuletzt genannten Sänger begeisterten zusammen mit Kai Kluge, Elmar Gilbertsson und Florian Hartmann sowie dem Bühnenpianisten Michael Pandya auch als Stuttgarter Ausgabe der Comedian Harmonists, die als Zwischen-Akteure seinerzeit bei der Uraufführung des Casanova ihr Debüt und fortan riesige Erfolge gefeiert hatten. Als gewisse Schwachstelle dieser ansonsten recht homogenen Gruppe an Sängerinnen und Sängern (der man allerdings teilweise anmerkt, dass das Genre Operette für die meisten Neuland ist) muss der ioco-Rezensent leider den Darsteller der Titelrolle, Michael Mayes erwähnen, der in der vergangenen Spielzeit in der Titelrolle der Neuproduktion von Olivier Messiaens Saint François d’Assise so überzeugt hatte.

Wurde er darstellerisch den Anforderungen seines Parts noch gerecht, ließ er stimmlich nicht selten Sicherheit in der Tiefe, baritonalen Glanz und Strahlkraft vermissen. Diese Tugenden legte dagegen der Staatsopernchor in der Einstudierung Bernhard Moncados ohne jede Einschränkung an den Tag. Außerdem präsentierte er sich mit großer Hingabe als lustvolle und spielfreudige Show- und Revue-Truppe. All dies und mehr kann bei den weiteren Aufführungen am 30. Dezember 2024 sowie am 3., 7., 17. und 25. Januar und am 8. Februar 2025 besichtigt und angehört werden.  Überhaupt müsste dieser Stuttgarter Produktion trotz aller vorgebrachten Bedenken ein ziemlicher Erfolg beschieden sein, denn der überwiegende Teil des schwäbischen Opernpublikums dürfte froh darüber sein, dass die operettenlose Zeit an der Stuttgarter Staatsoper zu Ende ist.

Infos und Karten: Link hier