Strasbourg, Opéra national du Rhin, DER SCHATZGRÄBER - Franz Schreker, IOCO Kritik, 06.11.2022
DER SCHATZGRÄBER (1920) - Franz Schreker
- Realität und Fantasie finden sich in einer Märchenwelt, begleitet von wunderbarer Musik -
von Peter Michael Peters
Triumph der Schönheit
- Seht, Herr, so lang‘ ich
- die Kappe trug, die
- Narrenkapp‘ – und
- das Schellengewand,
- da glitt ich hinweg
- mit Lachen und Spott
- über all den Gram,
- das Leid dieser Welt.
- Mein Kleid war mein
- Wesen, mein Ich – war tot.
- Das erhielt mich jung.
- Doch nun – dies Jahr –
- dieses eine Jahr –
- Verlebt mit ihr – Der Hofnarr (Nachspiel / Erste Szene)
--------------------------
Ein bitteres Märchen…
Richard Wagner (1813-1883) versetzte der westlichen Musik einen gewaltigen Schock. Mit Tristan und Isolde (1865), Die Meistersinger von Nürnberg (1868) und Parsifal (1882) – ganz zu schweigen von Der Ring des Nibelungen (1876) – forderte er seine Nachfolger auf, die Oper wiederzubeleben und eine andere ethische Struktur für die nächste Generation zu entwickeln. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert nahmen diese Fragen einen immer drängenden Charakter an. Zahlreiche Schriftsteller, bildende Künstler, Architekten und Komponisten hatten sich zum Ziel gesetzt, in einer zunehmend dystopischen Welt eine utopische Gegenwart zu schaffen. Franz Schreker (1878-1934) , ein in Monaco geborener und in Wien sesshafter Komponist, hat diesen Anspruch mit seinen kaleidoskopischen Opern in vielerlei Hinsicht konkretisiert. Rückblickend auf Wagner, aber mit großer Offenheit für die Tendenzen und Formen seiner eigenen Zeit, rang Schreker mit der Frage, was ein Künstler der modernen Gesellschaft bieten sollte. In seiner fünften Oper Der Schatzgräber komponiert zwischen 1915 und 1918 und am 21. Januar 1920 in Frankfurt uraufgeführt – führt dieses künstlerische Dilemma zur Rückkehr in ein mystisches Mittelalter. Aber trotz der märchenhaften Umgebung sind die Fragen, die Der Schatzgräber von Schreker aufwirft, nicht weniger dringend als die Probleme, die von Tristan und Isolde, Die Meistersinger von Nürnberg und Parsifal aufgeworfen werden.
DER SCHATZGRÄBER - LE CHERCHEUR DE TRESORS - Franz Schreker youtube Trailer Opéra national du Rhin, Strasbourg [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Was Wagners Werk so kraftvoll und einflussreich machte, war sein Ehrgeiz, die Art und Weise, wie Kunst funktioniert, grundlegend zu verändern. Die algorithmische Ausrichtung vieler seiner Arbeiten wird durch seine Schriften untermauert, z. B. die Regenerationsschriften (1880/81): Die Parsifal begleitete! Diese neuen Opern, erklärte er, seien keine Verankerungen in früheren Zeiten, sondern hochgradig politische Werke über die dringende Notwendigkeit der Erneuerung in der heutigen Gesellschaft (wenn auch teilweise auf virulentem Antisemitismus und einer zweifelhaften Befürwortung des Vegetarismus beruhend). Sowohl in seinen Opern als auch in diesen Artikeln beschrieb Wagner „den Verfall der menschlichen Rasse und die Notwendigkeit der Bildung eines ethischen Systems“. Diese Philosophie entsprach dem Innovationsdrang, der sich in ganz Europa manifestierte.
In Wien, wo sich die Familie von Schreker Ende der 1880er Jahre niedergelassen hatte, manifestierte sich dieser feurige Drang in einer Reihe bedeutender materieller, politischer und intellektueller Veränderungen. Nachdem das Habsburger Reich 1848 hier und da mit Revolutionen konfrontiert war, ließ Kaiser Franz Josef I. (1830-1916) die Reichshauptstadt umgestalten. Er riss die Verteidigungsmauern nieder und befahl den Bau einer Ringstraße, die mit ikonischen städtischen Gebäuden entlang gesäumt wurde – eine Sanierung, die nach den Worten des Historikers Philipp Blom (*1970) zu „einem größenwahnsinnigen europäischen Las Vegas führte, das sein Ansehen aus dem Fortschritt der Geschichte bezog.“ Trotz aller durchsichtigen Größe setzten diese materiellen Veränderungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reihe künstlerischer Bewegungen in Gang, auf die die Wiener Sezession (Trennung) reagierte.
Diese Gruppe radikaler Künstler, angeführt von Carl Moll (1861-1945) und Gustav Klimt (1862-1918), setzte sich für einen neuen Stil ein, der dem modernen Leben besser gerecht wurde und übernahm den Ausspruch von Ludwig Hevesi (1843-1910) mit dem Motto: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.“ Gustav Mahler (1860-1911), der zwischen 1897 und 1907 als Musikdirektor an der Hofoper (heute Staatsoper) fungierte, hatte die Hälfte in seinen Händen verschmolzen mit Wagners Regenerationserwartungen und mit den Idealen der Sezession. Er inszenierte in Zusammenarbeit mit dem Künstler Alfred Roller 1864-1935) einige sehr innovative Opernaufführungen. Gleichzeitig zog Arnold Schönberg (1874-1951) an der Wagnerschen Windel, in die seine Verklärte Nacht, Op. 4 (1899) und die Guerrelieder (1913) gehüllt waren und versuchte sich vom „Wind anderer Planeten“, das sein Streichquartett Nr. 2, Op. 10 (1907/1908) durchdringt. Außerdem ließ er sich mitreißen zum mutigen Übergang und durchdringen in das Serialismus-Geflecht. Schreker stand im Mittelpunkt all dieser spannenden Entwicklungen.
Aufgrund der starken Konkurrenz dauerte es einige Zeit, bis sich Schreker in Wien einen Namen gemacht hatte. Dennoch gelang es ihm, seine Werke dort zur Aufführung zu bringen, in der Gesellschaft der Musikfreunde, im Konzertverein, bei den Wiener Philharmonikern und in der Singakademie. Als er erkannte, dass diese wichtigen, aber wenigen Aufführungen kein ausreichendes Einkommen generieren würden, arbeitete Schreker auch als Korrepetitor und Dirigent, mit einer Festen Anstellung am Kaiserjubiläums-Stadttheater (heute Volksoper). Obwohl Schrekers Ambitionen im Theater lagen, fühlte er sich als Mitglied des musikalischen Personals nicht glücklich und beschloss, sich so schnell wie möglich von dieser rein geschäftsführenden Arbeit zu trennen.
Traumbilder und Realismus
Im April 1902 wurde seine Oper Flammen konzertant im Börsendorfer-Saal des Musikvereins aufgeführt und bereits 1903 begann er mit der Arbeit an einem Werk, das seine Visitenkarte in der Opernwelt abgeben sollte. Bis zur Uraufführung dieser Oper Der ferne Klang in Frankfurt im Jahre 1912 waren alle seine Gedanken davon beherrscht. Im Mittelpunkt steht der junge Fritz, der von einem „fernen Klang“ besessen ist und nach dessen Quelle sucht. Das Publikum reagierte sehr begeistert auf diese Mischung aus flacher Erotik und auch mit der Tatsache eines Künstlers, der sich auf der Welt suchte: Schreker hatte eine Goldader angezapft!
Andere Wiener Komponisten verbergen ihren Unmut über den plötzlichen Aufstieg von Schreker nicht! Sogar Alban Berg (1885-1935), der den Klavierauszug lieferte, war bereit die Oper Der ferne Klang gegenüber Schönberg lächerlich zu machen. Bedenkt man, dass sich ein Großteil der damals uraufgeführten neuen Musik – Mahlers Symphonien z. B. – nicht durchgesetzt hatten, musste der Triumph von Schreker für viele eine bittere Pille gewesen sein. Schönberg machte auch Schreker das Leben schwer, besonders während der Vorbereitungen für die Uraufführung der Gurrelieder. Schreker sollte Schönbergs gigantische Kantate dirigieren, aber ein solch kolossales Werk erforderte umfangreiche Vorbereitungen. Außerdem war die Partitur und der Einsatz der Stimmen fehlerhaft notiert und anstatt die Schuld auf sich zu nehmen, spuckte Schönberg seine unverschämte Frechheit gegenüber Schreker aus. Doch während das ganze Tauziehen sehr unangenehm war, wurden die Querelen bald von politischen Ereignissen überschattet. Die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914) am 28. Juni 1914 verursachte in Europa ein großes Chaos. Der darauf folgende Krieg unterstrich die Bedeutung der künstlerischen Fragen, die in Der ferne Klang diskutiert wurden. Nie zuvor war eine radikale Erneuerung so dringend notwendig gewesen. Verblüfft über das, was um ihn herum geschah, schrieb Schreker an einen Freund:
„Diese Zeit richtet sich gegen die Kunst und jede Form von Schaffensdrang. Aber die Welt wird nicht untergehen und das Schöne wird das Schreckliche überleben. Ich selbst kann mich nicht von dem lösen, was mich in der Vergangenheit bewegt hat, noch werde ich die Ereignisse erleiden, die sich auf so unverständliche Weise um uns herum abspielen.“
Trotz Schrekers Optimismus war die Oper, an der er jetzt arbeitete, alles andere als voller Hoffnung. Die Gezeichneten, dessen erste Noten 1913 geschrieben wurden, die aber erst im April 1918 uraufgeführt wurde, spielt auf einer utopischen Insel direkt vor der Küste von Genua, wo die Honoratioren dieser Stadt ihre sexuellen und blutigen Feste feiern. Durch die Kombinationen der verdorbenen Welt von Der ferne Klang mit den fantastischen Elementen seines enttäuschenden Nachfolgers Das Spielwerk und die Prinzessin (1913/1920) konnten Die Gezeichneten seinen früheren Erfolg voll ausnutzen.
Während Schreker diese Themen in Die Gezeichneten auf fast in kompromissloser Weise vertieft, scheint er die Botschaft in seiner nächsten Oper etwas abzumildern. Im Sommer 1915, unmittelbar nach Vollendung der Partitur Die Gezeichneten, begann er mit dem Libretto von Der Schatzgräber. Gleichzeitig entstand der Text für eine weitere Oper Die tönenden Sphären, in der die Themen der Versöhnung als zentraler Mittelpunkt gestellt wird. Am Ende stellte Schreker jedoch die Arbeit an dieser Oper zurück und konzentrierte sich ganz auf seinen „ureigenen Märchenschatz“! Denn die in Die tönenden Sphären (1915) ausgedrückte Hoffnung auf ein harmonisches Wiedersehen hat sich völlig in Der Schatzgräber erhalten. Er begann im Sommer 1916 mit der Arbeit an der Musik, unterbrach dann aber seine Arbeit erneut, diesmal um seine Kammersymphonie (1917) zu komponieren. Am 12. November 1918 (dem Tag der Ausrufung der Deutsch-Österreichischen Republik und der Vereinigung mit dem Deutschen Reich!) stellte er die Oper schließlich fertig.
Angesichts der Dringlichkeit in Der ferne Klang und in Die Gezeichneten und der Kraft der darin geschilderten tragischen Ereignisse, schien Schreker mit seiner neuen Oper einen Schritt zurückzutreten. Seine Erinnerungen daran, als er die Inspiration bekam Die Schatzgräber zu schreiben, sind so etwas wie ein Traum. Und so sehr er sich auch beim Schreiben des Handlungsablaufs von seiner Fantasie leiten lässt, die ursprüngliche Inspiration ist darin doch deutlich zu erkennen. Daraus leitete er auch die Idee für die Dichotomie zwischen Realität und Fantasie in der Oper ab, die sich in einer Märchenwelt voller wunderbarer Musik und ungewöhnlichen Ereignissen abspielt.
Wenn Musik zur Sinnlichkeit wird…
Die Musik von Elis‘ Laute steht symbolisch für diese Dichotomie. Als Instrument der nackten alten Zeit, als Mittel der Berührung mit der Vergangenheit, bietet diese Laute eine Alternative zu Der ferne Klang aus Schrekers früherer Oper. Diesmal gibt es jedoch keine impressionistische Klangwelt, sondern Schreker blickt durch ein neoklassisches Prisma auf die Vergangenheit und lässt alte musikalische Strukturen in der ansonsten zeitgemäßer Form wieder aufleben. Charakteristisch für diese Welt ist der stark rhythmisierte Dialog zwischen Der König und Der Hofnarr im Vorspiel. Diese Form mag eine hochgeordnete Welt suggerieren, enthält aber auch ein rein rituelles Element. Ebenso kann eine solche Musik nostalgische Episoden ankündigen (ähnlich wie das Lautenlied in Die tote Stadt (1920), an der Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) zur gleichen Zeit arbeitete). Es ist dieses Allheilmittel – oder „die außergewöhnliche Kraft billiger Musik“, um die Worte von Noël Coward (1899-1973) zu verwenden – das Elis sowohl bei der Suche nach dem Schatz der Königin als auch dann einsetzt, wenn er ohne es zu merken, eine Tragödie an das Licht bringt. Der Text von „Abend am Ilsenstein…“ (Impressionen und Gedichte, Op. 63 / 1907/08) von Sigfrid Karg-Elert (1877-1933) steht symbolisch für seine „Suche nach der verlorenen Zeit“ und bringt eine der harmonisch stabilsten Passagen der Partitur hervor.
Trotz der straffen Struktur dieses Liedes macht Schreker uns nur allzu bewusst sein widerspenstigeres Gegenteil. Der musikalische Konflikt zeigt sich bereits in den ersten beiden Takten der Oper, in der Bewegung zwischen H-Dur und einem impliziten Übergang nach B-Dur. Diese mikrokosmische Zelle entspricht der Disparität zwischen den zentralen Charakteren. Im Gegensatz zu Elis‘ Strophenlied ist Els‘ Musik von postromantischer Fluidität, was in den weit ausgezogenen Gesangslinien zu hören ist, während die Partien von Der Vogt und Albi von heftigen Extremen geprägt sind. Außerhalb der verzauberten Welt der Fantasie sehnen sich diese Charaktere nach Erlösung, wie Paul Bekker (1882-1937), einer der größten Fürsprecher von Schreker, schrieb: „Dies wird als religiöse Versuchung dargestellt, als vitaler Drang nach Schönheit oder Katastrophe, als verführerische, berauschende, sinnliche Kraft, die Emotionen vollständig verändern oder neu erschaffen kann. (…) Es ist immer wieder dieses eine Thema, diese eine schöpferische Verzauberung durch das Wunder des Hörerlebnisses, das erhabene, ätherische Klangbild. Schrekers dramatisches Talent kommt voll zur Geltung. Wir sehen hier, wie Dramatik aus einer musikalischen Primärvision entsteht und – sehr suggestiv – aus der nebelösen Verschmelzung von Klängen, dem wahrhaft transzendenten musikalischen Element.“
Els tötet und stiehlt, um dieses ungezähmte Verlangen zu befriedigen. Da aber der gestohlene Schmuck nicht gut gedeiht, drückt sich in einer unverkennbar unsteten harmonischen Sprache der von der Laute begleiteten Lieder von Elis, jedoch fehlt es aber Els‘ Musik an harmonischer Solidität. Erst als sie zu Beginn des 3. Akt in „Als ich noch klein war“ und damit Elis‘ „Es war einmal“-Welt nachahmt, wechselt sie zu einer erkennbaren Liedform. Ihre Welt ist geprägt von langen Passagen unaufgelöster Dissonanzen und unsteten Modulationen, die schnell abdriften. Da ihre Welt auf Blutvergießen, Lügen und gestohlenen Juwelen basiert, lässt Schreker wiederholt den Grundton aufeinanderfolgender Akkorde aus, um ihren wackligen emotionalen Zustand zu betonen.
Diamanten sind ewig …
Aber auch in der Nacht, die sie mit Elis verbringt, dominiert Els‘ Musik. Nachdem sie zuerst die fantasierende Seite war, wird sie nun selbst zur Fantasie. Albi hat Elis‘ Laute gestohlen – offensichtlich ist er bereit, alles für Els zu tun – und sie glaubt, dass Elis damit seine Fähigkeit verloren hat, die Juwelen zu finden. Doch die Zauberei hat bereits ihr Werk getan und im Zuge dieses Akt gesteht sie aus Liebe zu ihm, wo sich der Schatz befindet. Ihre Liebesszene wird durch widersprüchliche Impulse wie Geheimhaltung und Offenlegung, Gier, Liebe, Diebstahl und Großzügigkeit untergraben. Komponiert mit der vollen Kraft von Schrekers erotischen Idioms – das „unsere Herzen jetzt mehr je erobert hat“, so Bekker –, ist Elis von dem, was passiert sowohl angezogen als auch abgestoßen:
„Süße Gerüche (…) wiegen mich sanft in Träumen (…) in denen verblasste, uralte Lieder der Vergangenheit erklingen. Ist es ihr Atem, der mich betört ? Ist es ihre Seele, die mich singend umgibt ? Oder ist es ein zauberhaftes Flüstern – um mich zu verführen, zu umgarnen, mich von der ängstlichen Frage abzuhalten, die auf meinen zitternden Lippen zuckt ? Was für ein Geheimnis birgt dieser Raum ? Welches Grauen umschwebt die Gestalt der bezaubernden Frau, die mich bald in Liebe umarmen wird ?“
Diese widersprüchlichen Reaktionen zeigen, auf welch wackeligen Fundamenten ihre Beziehung (und die Musik) aufgebaut ist. Im 4. Akt stürzt die von Els errichtete Fassade ein und erst im beklemmenden Wiegenlied des Nachspiels weist uns Elis – der Künstler – den Weg in die Freiheit.
Anstatt sich von den gewichtigen Themen abzuwenden, die in Der ferne Klang und Die Gezeichneten aufgeworfen wurden, untersuchte Schreker in Die Schatzgräber weiterhin die Position des Künstlers in der Gesellschaft und konzentrierte sich auf die Diskrepanz zwischen eingebildeter Realität und tatsächlicher Imagination. Trotz der äußeren Erscheinung, für die Els nur allzu empfänglich ist, war die Botschaft von Schreker dieselbe geblieben. Eifrig darauf bedacht, diese Ähnlichkeiten hervorzuheben, schloss er sowohl Die Gezeichneten als auch Der Schatzgräber mit der gleichen erschreckenden Mischung aus d-Moll und D-Dur. In einer dystopischen Welt aus Gier, Mord und Entwurzelung (emotional und harmonisch) kann nur die Kunst einen Ausweg bieten! Elis‘ Rückkehr zu Els wirkt wie ein romantisierter Deus ex machina: „Das Schöne“ triumphiert schließlich über „Das Schreckliche“ und Schreker zögert nicht, dies mit seiner einfacheren, naiveren Musik zu umrahmen.
Der Schatzgräber, der das Verhältnis von Materialismus und Liebe untersucht, erwies sich im Nachkriegs-Europa als besonders erfolgreich. Nach seiner Uraufführung in Frankfurt im Januar 1920 wurde da Werk in allen großen Städten Europas aufgeführt und Schreker wurde zu einem der meistgespielten Komponisten seiner Zeit. Obwohl seine Hauptkonkurrenten Richard Strauss (1864-1949) und Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) mit ihrer Oper im unverhüllten Wagner-Stil Die Frau ohne Schatten – Uraufführung in Wien im Oktober 1919 – einen ähnlichen Weg eingeschlagen hatten, fehlte es ihrer „letzten romantischen Oper“ an allegorischer Energie. Strauss suchte sein Heil in der „Gemütlichkeit“, während Schreker weiterhin mit dem Dilemma kämpfte, ein Untersetzer in einer modernen Welt zu sein.
Dieselben zentralen Themen dominieren auch in seinen späteren Opern. Der singende Teufel (1928) war eine Rückkehr ins Mittelalter, wo die Musik wieder Erlösung bietet. In Christophorus oder die Vision einer Oper (geschrieben zwischen 1925 und 1929, aber erst 1978 uraufgeführt), bleiben die Interessen von Schreker ungebrochen. Der Schmied von Gent schließlich aus dem Jahr seines Todes kann als Sammlung der Spannungen und Widersprüche gesehen werden, die in Schrekers Leben und Werk eine dominierende Rolle gespielt haben. Doch als diese Werke auf die Bühne kamen, war eine andere Ära angebrochen, die „gegen die Kunst und jede Form der Schöpfung“ war. Heute, wo der Primat der Kultur in der eigenen Gesellschaft durch eine Finanzkrise und staatliche Eingriffe bedroht ist, hat die Hoffnung auf künstlerische Erlösung nichts von ihrer Beredsamkeit verloren. „Sie retten vor der Fahndung des Lebens höchsten, schönsten Schatz“.
Vom Ruhm zum Niedergang
1920 verließ Schreker Wien, wo er ein prominenter Künstler und renommierter Kompositions-Professor war, um sich in Berlin niederzulassen, wo er zum Direktor der Hochschule für Musik ernannt wurde. Während Deutschland in den 1920er Jahren mit schweren Krisen konfrontiert war (Hyperinflation, Putschversuche, aufständige Streiks), wurde Berlin zum Schmelztiegel großer künstlerischer Gärungen. Maler, Musiker und Regisseure entwickeln eine engagierte, experimentelle, radikale und ikonoklastische Kunst als Antwort auf das Trauma des Ersten Weltkriegs. Obwohl Schreker diesen ästhetischen Neuerungen durchaus aufgeschlossen gegenübersteht – er steht Schönberg, dem Vater der Zwölftonmusik, nahe und ermutigt seine Schüler, ihren eigenen Weg zu gehen -, fiel er als Repräsentant einer vergangenen Epoche in diesem neuen künstlerischen Kontext auf, der von den Promotoren der Neuen Sachlichkeit dominiert wird. Nach der Uraufführung von Irrelohe im Jahre 1924 begannen sich die Musikpresse und die Theater-Direktoren von ihm abzuwenden und er hatte große Schwierigkeiten, seine nächste Oper Der singende Teufel aufzuführen. Seine Situation verschlechterte sich in den folgenden Jahren weiter. Als die Nazis an die Macht kamen, musste er wegen der jüdischen Herkunft seines Vaters seinen Posten am Konservatorium aufgeben. Aus dem kulturellen Leben verbannt, wollte er ins Exil gehen, jedoch im Jahre 1934 verstarb er an einem Herzinfarkt. Seine Opern wurden verboten und dann in der in Düsseldorf eröffneten Ausstellung im Jahre 1938 Entartete Musik verunglimpft und seine Musik verteufelt, denn sie widersprach dem neuen rassistischen Kanon der offiziellen Kunst des Dritten Reichs. Erst Ende der 1970er Jahre begannen seine Werke langsam wieder aus der erzwungenen Vergessenheit herauszukommen.
DER SCHATZGRÄBER - 28. Oktober 2022 - Opéra national du Rhin, Strasbourg
Wie der Intendant Alain Perroux von der Opéra du Rhin in einem Interview äußerte, würde er gerne in jeder Saison ein noch nicht oder ein nur selten gespieltes lyrisches Werk vorstellen und besonders liegt ihm daran: Die verbotenen Opern aus der Zeit des Faschismus, die sogenannte Entartete Musik wie es die Nazis nannten, wieder zu entdecken! Nach Die Vögel von Walter Braunfels in dieser Saison: Der Schatzgräber von Franz Schreker… Interessant ist dabei zu sehen, dass in gleicher Zeit in der Staatsoper und im National Theater Prag eine Zyklus programmiert ist: MUSICA NON GRATA. Auch hier wird über mehrere Jahre die verbotene Musik von jüdischen Komponisten programmiert. Wir haben auch über dieses Ereignis schon mehrere Male ausführlich berichtet: Erwin Schulhoff Flammen, Paul Abraham Ball im Savoy und Jaromir Weinberger Der Dudelsackpfeifer…
Ein wiedergefundener Schatz…
Es war einmal… So könnten viele Opern beginnen, aber bei Schrekers Die Schatzgräber trifft es wirklich zu. Schreker begann 1915 mit der Ausarbeitung dieser Märchenoper – zu seinem eigenen Libretto – und bediente sich dabei der neuartigen Freud’schen Assoziationen der Zeit. Es betrifft die Gier nach Gold und den menschlichen und metaphysischen Drang nach erotischer Anerkennung, der in allen Gesellschaften stattfindet und den Einzelnen ins Verderben führt.
Einer Königin wird ihr Schmuck gestohlen und sie fällt in eine tiefe Depression. Ihre Schönheit ist dahin, ebenso ihr Lebenswille und ihre Fruchtbarkeit. Der Hofnarr rät dem König, den Troubadour zu suchen. Elis, der seine Laute als Wünschelrute benutzen kann, um verborgene Schätze zu finden! Gesagt, getan! Der Troubadour findet den Schmuck im Walde bei der Leiche eines Adligen und übergibt ihn der schönen Wirtstochter Els. Sie ist es aber, die den Adligen als Zeichen seiner Ergebenheit beauftragt hatte, ihr den Schmuck zu stehlen und ihn dann ermorden ließ. Und das geschah nicht nur einmal. Dennoch gelingt es dem Hofnarr, Els zu überzeugen, den Schmuck der Königin zurückzugeben. Doch die Wahrheit über Els‘ Intrigen kommen an das Licht und sie wird durch die Heirat mit dem Hofnarren vor dem Galgen gerettet, desgleichen vom Hof verbannt. Im Nachspiel verkümmert Els langsam siechend dahin, als Elis noch einmal auftaucht und ihr ein Wiegenlied zu ihrem nahen Tode zu singen. Um dann wieder auf mysteriöse Weise für immer zu verschwinden!
Der deutsche Regisseur Christof Loy widmet sich diesem vergessenen Opern-Schlager aus den 1920er Jahren, immerhin wurde Der Schatzgräber nach seiner Uraufführung im Jahre 1920 in Frankfurt 354 Mal an über 50 Opernhäuser in ganz Europa aufgeführt. Loy lässt diese Geschichte von seinem deutschen Bühnenbildner Johannes Leiacker in einem einheitlichen Bühnenbild, das mit edlem schwarzen Marmor an Art-Deco-Paläste erinnert. Die deutsche Kostümbildnerin Barbara Drosihn hat elegante Roben für die Damen und Dinnerjackets und Uniformen für die Herren des Chors entworfen, der äußerst eindrucksvoll von dem italienischen Chordirektor Alessandro Zuppardo einstudiert war. Auch hatte der Chor ziemlich dramatisch im Laufe des Abends in die Handlung kommentierend eingegriffen.
Loy erzählt die Geschichte als ein raffiniertes Salonstück, eher als Psychodrama denn als dunkles böses Märchen. Ganz nach dem Motto „Jeder mit Jedem“ wird auch eine ästhetische Massenorgie in Zeitlupe inszeniert. Es ist eine durchdachte, aber manchmal sehr eintönige Produktion, bei der es wirklich sehr darauf ankommt, dass das Publikum dem Libretto gut folgt (dank der Übertitel) um die vielen Wendungen, unziemlichen und unklaren Handlung zu erfassen.
Die Partitur von Schreker erinnert mit einer sehr großen Orchestrierung an die aufwühlende Romantik des späten 19. Jahrhunderts. Wogende chromatische Harmonien fließen unaufhörlich durch die gewaltigen musikalischen Fluten! Bei einer äußerst hochtemperierten Atmosphäre, die immer ganz am Rande eines hysterischen Anfalls ist, werden alle Energien und Emotionen überlaut gespielt. Der slowenische Dirigent Marko Letonja ist völlig im Stande, die ganze Bandbreite an starken Emotionen äußerst transparent und farbenfroh in das Orchester musikalisch umzusetzen. Allerdings immer einen klitzekleinen Hauch zu laut, sodass es für die Besetzung geradezu legitim war, mitunter hinter der Bühne zu singen. Trotzdem ist Letonja für dieses Werk ein Glücksfall, denn er meistert den Spagat zwischen opulenter Klangsinnlichkeit und impressionistischer Lyrik.
Die Sänger-Besetzung wurde diesem Werk homogen gerecht, ohne dass ein Sänger als absolut herausragend gelten konnte. Die finnische Sopranistin Helena Juntunen verlieh der Els, einer der schwärzesten Frauenfiguren der Opernliteratur, eine fast banale vulgäre Ausstrahlung, die jedoch oft sehr beängstigend war. Der belgische Tenor Thomas Blondelle verkörperte den mysteriösen Troubadour Elis mit Eleganz, obwohl er in den Höhen einige Schwierigkeiten hatte. Der König, der seine Königin wieder glücklich sehen will, wurde überzeugend von dem australischen Bass-Bariton Derek Welton gesungen. In der stummen Rolle der Königin glänzte die holländische Tänzerin Doke Pauwels mit ihrer außergewöhnlichen Eleganz und körperlicher Beweglichkeit. Als Der Hofnarr stach vor allem der österreichische Tenor Paul Schweinester mit einem markanten Timbre und sehr guter Diktion hervor. Da der für die Rolle des Vogt vorgesehene deutsche Bass-Bariton Kay Stiefermann an Covid erkrankt war, wurde er von dem deutschen Bass-Bariton Thomas Johannes Mayer ersetzt. Dieser sang die Rolle schon in der gleichen Produktion an der Deutschen Oper in Berlin: Er war stimmlich und auch darstellerstark dieser komplexen Rolle völlig gerecht. Die weiteren Sänger in den kleineren Rollen waren auf dem gleichen Niveau: Damian Arnold (Der Kanzler), Damien Gastl (Der Graf), Daniel Dropulja (Der Hofarzt), James Newby (Der Schreiber), Glen Cunningham (Der Wirt), Tobias Hächler (Albi) und Fabien Gaschy (Ein Landsknecht).
Es ist der Opéra national du Rhin zu verdanken, dass sie immer wieder eine echte Rarität auf die Bühne bringt und nicht nur im Konzert aufführt. Das hat natürlich auch mehr Reiz für das Publikum, etwas Neues und Unbekanntes zu sehen, besonders erfreulich, wenn Regisseur und Dirigent das Werk ernst nehmen und eine spürbare Zusammenarbeit zwischen Bühne und Graben entsteht.
Anmerkung: Siehe weitere Artikel von Autor Peter Michael Peters - Folgende Produktionen:
Braunfels: DIE VÖGEL / Opéra du Rhin / Strasbourg
Schulhoff: FLAMMEN / Staatsoper Prag
Abraham: BALL IM SAVOY / Staatsoper Prag
Weinberger: SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER / National Theater Prag (PMP/03.11.2022)
---| IOCO Kritik L´Opéra national du Rhin |---