Stralsund, Theater Vorpommern, RIGOLETTO - G. Verdi, IOCO

Stralsund, Theater Vorpommern, RIGOLETTO - G. Verdi, IOCO
Gilda Franziska Ringe copyright Peter van Heesen_

Premiere 24.11.2024: Eindrucksvolles Plädoyer für „neue, große, schöne, abwechlungsreiche, kühne Stoffe“

von Ekkehard Ochs

 Mit einer musikalisch eindrucksvollen „La Traviata“ Giuseppe Verdis hat das Theater VorpommernSpielstätte Stralsund - vor ziemlich genau zwei Jahren starke, bei vielen Besuchern sicher noch heute lebendige Eindrücke hinterlassen.

Hinsichtlich Verdis folgen nun weitere. Es darf angenommen werden, dass sie sich als  ähnlich langlebig erweisen könnten, lebt doch auch die nunmehrige Inszenierung des „Rigoletto“ - ebenfalls in Stralsund – von einem grandios singenden und musizierenden Ensemble, das dem Premierenpublikum am 24. November jede Menge heftigen Beifalls wert war. Rahel Thiel, Hochschuldozentin (Stuttgart) und in Deutschland vielfach erfolgreich präsente Regisseurin, hat das Werk inszeniert, GMD Florian Csizmadia ihm die musikalisch einprägsame musikalische Gestalt verliehen.

Giuseppe Verdi Denkmal in Mailand @ IOCO

Für Bühne und Kostüm zeichnen Jürgen Kirner beziehungsweise Julia Klug verantwortlich, dem Chor stand Jörg Pitschmann vor, und die Dramaturgie verantwortete  in langjährig bewährter Weise Katja Pfeifer. Die Aufführung folgt der kritischen Ausgabe der Partitur von The University of Chicago Press Chicago und London, Ricordi Mailand, Textfassung von Hans Hartleb und Bruno Vondenhoff.

Verdi hat von seinem „Rigoletto“ (nach Victor Hugo und ursprünglich „La Maledizione“ - „Der Fluch“) viel gehalten und dafür „schlagkräftige Situationen, Vielfalt, Brio, Pathos“ ins Feld geführt. Sicher, es ging ihm um „Wirkung“, dies aber nur bei Wahrung seines künstlerischen Gewissens, seines Verantwortungsbewusstseins. Eben die sah er in dem Moment gravierend beschädigt, als ihm die Zensur das Werk in entscheidenden Bereichen beschneiden und inhaltlich umorientieren  wollte . Dahingehend spricht der berühmte und vielsagend ablehnende Protestbrief Verdis an den Direktor des Teatro La Venice in Venedig (14. 12. 1859) Bände. Das Ergebnis war schließlich ein auch für den Komponisten vertretbarer Kompromiss.

Zum Gegenstand und zur Motivation des Handelns der Protagonisten hier nur so viel: Stücktragend bleibt die Funktion des Fluches, die Gleichzeitigkeit von Böse und Gut in der Person Rigolettos. Verdis Sicht: Die äußerliche Häßlichkeit Rigolettos (Buckel) sei unabdingbar als markanter Gegenpol zu seiner Tochterliebe, damit  ebenfalls stücktragend samt der sich daraus ergebenden dramatischen wie psychologisch intendierten Konflikte! Wichtig dies alles, um der Musik – so der Komponist - „einen Charakter zu geben“. Das verweist auf gestalteten Realismus. Ernst Krauses Fazit (Opernführer 1976): „Die Kunst verklärt nicht mehr, sie entlarvt.“

Opernchor, Maciej Kozłowski, Alexandru Constantinescu copyright Peter van Heesen_

Rahel Thiels Inszenierung verdeutlicht diese Thematik mit der Betonung innerer, seelischer  Vorgänge. Äußerliches, Gegenständliches, atmosphärisch Optisches erscheint deshalb weitgehend verzichtbar. Wichtiger wohl, nicht durch Optisches eingeengte Räume für die zu entfaltende Vorstellungskraft des Besuchers zu bieten und damit dezidiert die Konzentration auf das psychologische Geschehen zu lenken. Deshalb bietet die Bühne durchgängig nur drei verschieden große, lediglich als kahle Gerüstkonstruktionen ineinander verschachtelte und drehbare Kuben. Sie verstehen sich als die drei Handlungsorte, die das Stück bietet: den Hof zu Mantua, Gildas Wohnung als Zentrum und die Taverne als Ort des Mordes.

Durchsicht, durchaus im doppelten Sinne, ist damit jederzeit gegeben. Es sei denn, hier und da vorhandene Vorhänge werden handlungsbedingt auf- oder zugezogen, was die Gleichzeitigkeit unterschiedlichen Geschehens sichtbar macht. Dieses Bühnenbild wirkt einigermaßen nüchtern. Es ist hinsichtlich seiner Funktionen in der Pressemappe kurz erwähnt, im Programmheft jedoch nicht und hat sich deshalb möglicherweise auch nicht jedem erschlossen. Da es die jeweilige Situation charakterisierende (optische) Unterschiede kaum gibt, ist hinsichtlich zweifelsfreien Verständnisses des Ganzen wie diverser Details einiges an Werkkenntnis angebracht. Da konnten (nur in der Einführung) Hinweise  etwa zu den Kostümen und ihrer hier favorisierten Farbe „pink“ beziehungsweise herausgehobene Form- und Farbgebungen der wichtigsten Protagonisten schon helfen. Und das noch: den für Verdi äußerst wichtigen, weil werk- und konfliktbestimmenden hässlichen (buckligen) Rigoletto gibt es auf Stralsunds Bühne natürlich (!) nicht. Er – physisch offensichtlich in Bestform - und sein Handeln erscheinen vorrangig von der ihn umgebenden Gesellschaft bestimmt und damit (nur!) innerlich, in einem Teil seines Wesen deformiert; was ja nicht falsch ist. Für Verdi aber – der oben zitierte Brief sagt es deutlich – war gerade die stigmatisierende äußerliche Deformation der Kernpunkt für Rigolettos individuellen tragischen Konflikt. Als nicht nur historisch wichtiger Hintergrund sei an dieser Stelle darauf zumindest verwiesen.

Bassem Alkhouri, Franziska Ringe copyright Peter van Heesen_

Auf Stralsunds Bühne war das glaubhaft kompensierbar, da nicht nur der Darsteller des Rigoletto, sondern das gesamte Sängerpersonal mit einer glanzvollen sängerischen Leistung andere Erwartungen gegenstandslos machte. Verdis Musik und ihre auch darstellerisch überzeugende Präsentation ließen eventuelle,  individuell empfundene Defizite an Gewohntem kaum spürbar werden. Zumal die  Protagonisten alle Räumlichkeit und damit auch die archaische Konstruktivität der Bühne mit faszinierendem Gesang und einer darstellerischen Präsenz füllten, die an Stringenz und besitzergreifender Expressivität nichts zu wünschen übrig ließ. Wenn sich „schöner Gesang“ anbot, dann gab es ihn; allerdings nicht ohne den Hintergrund ambivalenter Aussage. Ansonsten dominierte jene dramatisch lebendige, präzise und von oft größter Errregung bestimmte Sprech- und Gesangsgestik, die dem Werk ihre innewohnende Realistik und Glaubwürdigkeit verleiht. Das alles natürlich nicht ohne genügend Platz für die ganz großen Gefühle, für naive, erschütternd selbstlose (Gilda) beziehungsweise dann doch echt entflammte Liebe (Herzog, in Stralsund so gesehen!) und damit für denkbar größte, die Tragik des Grundkonflikts verschärfende Kontraste.

Maciej Kozłowski copyright Peter van Heesen_

Vom noch eher in jeder Hinsicht lockeren Beginn über ständig zunehmende Fokussierung auf den Hauptkonflikt bis hin zur tragischen Kulmination verstand es das Ensemble, mit einer sehr geschlossen wirkenden Leistung voller Intensität, Ausdrucksdichte und Stringenz zu fesseln. Allen voran Maciej Kozłowski als (bunt gewandeter, viel Pink tragender) Rigoletto, ungemein agil und auch ohne Buckel glaubhafter Zyniker wie hemmungslos liebender Vater, sowie Franziska Ringe, deren (vorwiegend rote) Gilda in Staunen, ja atemlos machender Weise unter die Haut ging.

Der (weiß gekleidete) Herzog Bassem Alkhouris, vom Stück her eher ambivalent angelegt, durfte in dieser Inszenierung mit schönem, lyrischen, auch kraftvollen Tenor zum glaubhaft Liebenden werden. Stimmlich makellos besetzte Rollen dann aber auch mit Jovan Koščica (ein Sparafucile in Schwarz), Pihla Terttunen (Giovanna/Maddalena, ebenfalls schwarz), Seung Sik Moon (Monterone, vom Rang aus gesungen), Alexandru Constantinescu (Graf von Ceprano, in rosa), Soobhin Kim (Gräfin von Ceprano, festlich mehrfarbig), sowie  Gökmen Şahin (Marullo) und Semjon Bulinsky (Borsa Matteo). 

Der Chor agierte (teils schwarz, teils rosa, alle mit Köpfen in pink und gegürtet in rote Korsetts) wieder in Bestform (Jörg Pitschmann), ebenso das Philharmonische Orchester Vorpommern.

GMD Florian Csizmadia ließ die ganze Vielfalt der Partitur  lebendig werden, kostete jede Menge Details aus und gab der großen, emphatischen Geste ebenso Raum wie den gern mal überspielten Feinheiten in Arien und Ensembles. Ausdrucksstark auch die Präsenz im fast Rezitativischen und in den fulminant auflodernden Chören. Ein Verdi mit Charakter, besser: mit Charakteren, die – es sei gern nochmals gesagt - am Premierenabend vollauf überzeugten und rechtens wahre Begeisterung entfesselten.