Stralsund, Theater Vorpommern, MEINE SCHWESTER UND ICH - Ralph Benatzky, IOCO Kritik, 26.10.2022

Stralsund, Theater Vorpommern, MEINE SCHWESTER UND ICH - Ralph Benatzky, IOCO Kritik, 26.10.2022
Theater Vorpommern Stralsund © Foto Peter van Heesen
Theater Vorpommern Stralsund © Foto Peter van Heesen

Theater Vorpommern

MEINE SCHWESTER UND ICH - Ralph Benatzky

- Dolly Fleuriot, geborene Prinzessin Labiche und ihr Mann, Roger Fleuriot, stehen vor dem Scheidungsrichter ..... -

von Ekkehard Ochs

Es ist zwar „nur“ die Wiederaufnahme am Theater Vorpommern, aber da zwischen ihr und der Premiere kurz vor Spielzeitende 2021/22 die lange Sommerpause lag, scheinen auch etwas verspätete Nachrichten über das Stück und seine Wiedergabe gerechtfertigt. Umso mehr, als es sich mit Ralph Benatzkys Meine Schwester und ich (1930) um ein wahrlich gelungenes und sehr unterhaltsames Stück komödiantischen Musiktheaters handelt. Mehr noch! In der Fachliteratur wird ihm gar der Status eines neuen Stils zugeordnet.

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Ralph Benatzky (1884-1957), einst Erfolgsautor von Unmengen an locker flockigen Bühnenwerken und etwa 1.000 Liedern (Songs) – übrigens promovierter Germanist, Literat und genialer Kompositions-Autodidakt – ordnete sich mit diesem Werk selbst musikhistorisch wie folgt ein: “Fort von der `Operette` mit ihremn antiquierten Stil, Platz für den singenden Schauspieler, für aus der Handlung zwangsläufig entstehende, selbstverständliche Musik.“ Wichtige Worte und zukunftsträchtiges Programm; hier realisiert in einer story, die eigentlich Alltägliches so gar nicht alltäglich serviert. Realisiert auch auf eine Weise, die zwischen Prinzessin, akademischem Bibliothekar und Schuhverkäuferin alle Möglichkeiten variabler musikalischer Gestaltung bietet. Für den „Amokläufer der Arbeit“ - so Benatzky über Benatzky – der schon mal „täglich anderthalb bis zwei Kilogramm Chansons aus dem Ärmel“ schütteln konnte, ein sichtliches Vergnügen. Und das wurde auch in der Inszenierung des Theaters Vorpommern (Stralsund) deutlich.

Theater Vorpommern / MEINE SCHWESTER UND ICH hier Franziska Ringe als Dolly © Peter van Heesen
Theater Vorpommern / MEINE SCHWESTER UND ICH hier Franziska Ringe als Dolly © Peter van Heesen

Die Geschichte in der Kurzfassung: Dolly Fleuriot, geborene Prinzessin Labiche und ihr Mann, Roger Fleuriot, stehen vor dem Scheidungsrichter. Grund: „Unüberwindliche Abneigung“. Der Richter glaubt das nicht und will mehr von der Ehegeschichte wissen. Roger erzählt: Dolly verpflichtete ihn, den promovierten Musikprofessor, zur Ordnung ihrer Bibliothek. Sie verliebte sich in ihn, er aber fühlte sich lediglich bedrängt und verließ Schloss samt als bedrohlich empfundene aristokratische Lebensweise. In Nancy, Ort seiner neuen Stelle, übergab er auf letzte Bitte Dollys einer Schuhverkäuferin im Geschäft des Herrn Filosel – angeblich ihre Schwester – ein Päckchen. Diese Schwester aber war Dolly selbst. Sie tauchte dort mit verändertem Outfit auf (Name nun Geneviève Giffard), als Nachfolgerin der für sie entlassenen (und großzügig abgefundenen) Lederwarenfachkraft Irma Leroux. Er verliebte sich in die angebliche Schwester schnell und heftig. Das beruhte auf Gegenseitigkeit und man heiratete. Die Täuschung flog bald auf, Er, dem ein herrschaftliches Leben nicht lag, wollte sich deshalb nun scheiden lassen. Soweit die Sachlage vor Gericht. Der Richter lehnt ab. Er sieht durchaus Chancen für Versöhnung und ein gutes Ende. Denn es ist offensichtlich: Die beiden lieben sich noch!

Der Vermehrung weiterer komödiantisch ergiebiger Möglichkeiten dienen ferner der Kammerdiener Charly sowie Graf Lacy Nagy-Faludi de Buda, ein Anwalt mit Ambitionen auf Dolly, die er allerdings fahren lässt, als ihm in Nancy, wohin er Dolly nachgereist ist, die aufs Exklusive eines Revue- Stars abfahrende Irma trifft und mühelos erobern kann. Schließlich ist er sehr reich. Alles das ergibt gesprochen, gesungen und geschauspielert allerhand Pointen, die auf Stralsunds Bühne lustvoll ausgelebt werden.

Theater Vorpommern / MEINE SCHWESTER UND IC hier Franziska Ringe als Dolly und Semjon Bulinsky als Musikprofessor © Peter van Heesen
Theater Vorpommern / MEINE SCHWESTER UND IC hier Franziska Ringe als Dolly und Semjon Bulinsky als Musikprofessor © Peter van Heesen

In der Inszenierung Wolfgang Bertholds gibt es viel Tempo und eine ununterbrochene Folge  turbulenter Szenenwechsel. Im Outfit der 30er Jahre und auf einer Drehbühne (Stefan Rieckhoff), die mit drangvoll enger Bank (als Gericht), riesiger Regalwand, die erst Bücher, dann Schuhkartons enthält und mit rollender Leiter als sehr belebendes Handlungselement zählt, lässt man geradezu ausgelassen agieren. Und kostet die vielen Möglichkeiten einer diverse Reibungspunkte bietenden Handlung voll aus. Man flirtet heftig, kokettiert, mißversteht sich, flötet so zärtlich wie hinterhältig, wirkt schüchtern bis pathetisch, auch melodramatisch, schimpft, beleidigt sich, klagt echt und unecht, parodiert, flunkert ohne Ende, prahlt. Und das Ganze als Fox, Shimmy, Revue-Parodie, Marsch, English Waltz, Slow-Fox, Melodram, Tango, Konzertwalzer, Gavotte, und, und, und. Liebe gibt es natürlich auch; ganz echt, ehrlich und real, muss sich aber erst in ungewohnter Praxis beweisen.

Allerhand Kuddelmuddel also, der auf der Stralsunder Bühne mit viel ansteckender Begeisterung präsentiert wird, ohne dass man  Angst davor zu haben scheint, Komik schon mal in Klamauk übergehen zu lassen. Aber es geht ja auch um Vieles, um echte Gefühle und erkaufte Zuneigung, die Unterschiede zwischen arm und reich, natürlich um Amusement, Spielfreude und wohl auch um Emanzipation. Und letztendlich um Unterhaltsamkeit! Nicht alles muss man bierernst nehmen. Und wenn das Team über die Erarbeitungszeit der Aufführung davon spricht, dass man „fürchterlichen Spaß“ dabei hatte, dann dürften die Potenziale des Stückes selbst und  die Absichten der Autoren getroffen worden sein. Punktsiege also auf ganzer Linie. Zumal sich schauspielerisch sehr überzeugende Situationskomik mit nicht minder überzeugendem Gespür für die speziellen sängerischen Anforderungen des Werkes paaren. Gefragt ist dabei nicht der große Auftritt, weit wichtiger sind gestalterische Feinheiten, gefordert in jenen Genres, die weiter oben genannt sind. Und vor allem die vielen Nuancen in Stimmgebung und  Ausdruck, die eine jeweilige Situation erst glaubwürdig machen.

In dieser Hinsicht fehlt auf Stralsunds Bühne nichts. Tolle Typen, die da meist ziemlich sportlich herumspringen und dabei prächtig singen: Franziska Ringe als sehr selbstbewusste, erfolgssicher und dabei gar nicht zimperlich ihr Ziel verfolgende Dolly, Semjon Bulinskys als schüchterner Musikprofessor, der allmählich zum fast leidenschaftlichen Vertreter einfacher Lebensweise (!) wird und sich – so der Richter – vielleicht doch noch umstimmen lassen könnte sowie Pihla Terttunen, deren Irma einem Pulverfass großer (echter?) Emotionen gleicht, ein männerverschlingender Vamp mit Charme und diversen Kanten. Eher Objekt denn Subjekt: Philip Lüsebrink als Graf, standesgemäß besonnen, stilvoll und erst durch Irma aus der rechten Fasson gebracht, fast aus der Bahn gewohnten Anstands geworfen. Brillant der mit Begriffen sprachlich hadernde Schuhsalonbesitzer Filosel, dem Andreas Sigrist auf höchst unterhaltsame Weise den wenig beneidenswerten Status eines quirligen, ja gehetzten, vielfach gebeutelten und mit mannigfaltigen Problemen konfrontierten Unternehmers verleiht. Das Quintett komplettiert Alexandru Constantinescu in Doppelfunktion als Bilderbuch-Kammerdiener Charly und ziemlich unfreundlich behandelter Kunde Camembert.

Musikalisch komplettiert wird das muntere Bühnengeschehen vom Philharmonischen Orchester Vorpommern, das sich unter der Leitung seines 1. Kapellmeisters Alexander Mayer mit Schwung und höchst mitteilsamer Musizierlaune von seiner besten Seite zeigte. Dem Publikum war das alles sehr recht, der Beifall entsprechend zustimmend.

MEINE SCHWESTER UND ICH im Theater Vorpommern, alle Termine hier!

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