Stralsund, Theater Vorpommern, LA CENERENTOLA - Gioacchino Rossini, IOCO Kritik, 05.06.2023

Stralsund, Theater Vorpommern, LA CENERENTOLA - Gioacchino Rossini, IOCO Kritik, 05.06.2023
Theater Vorpommern Stralsund © Foto Peter van Heesen
Theater Vorpommern Stralsund © Foto Peter van Heesen

Theater Vorpommern

LA CENERENTOLA - Gioacchino Rosini

- Hinreißend amüsantes Spiel - doch mit tieferer Bedeutung -

von Ekkehard Ochs

Paris / Grab Gioacchino Rossini © I IOCO
Paris / Grab Gioacchino Rossini © IOCO

Nach eigenen Angaben hat Librettist Jacopo Ferretti lediglich 22 Tage gebraucht, um für Rossini einen vertonungswürdigen Text zu erstellen. Dem Komponisten Gioacchino Rossini wiederum reichten 24 Tage, um mit einer Unzahl von Noten daraus eine opulente Oper von gut zweieinhalb Stunden Dauer zu komponieren. Das Ganze geschah um den Jahreswechsel 1816/1817 und bezog sich auf Rossinis inzwischen 20. Oper: La Cenerentola, ein Dramma giocoso in zwei Akten.

Grundlage ist das uralte Märchen vom Aschenputtel, das seit seinem ersten Erscheinen im China des 9. Jahrhunderts vor Christus bis heute in gut 300 Fassungen verbreitet ist. Ferretti / Rossini entschieden sich für Anregungen aus weniger phantastisch märchenhaften Vorlagen (Isouard, Pavese) und damit für eine Erzählung realistischeren Charakters, der allerlei Zauberei und manch liebgewordenes Utensiel (Pantoffel) fehlte. Die damit mögliche Akzentuierung sehr menschlicher Verhaltensweisen und deren feste Verankerung in einer weniger märchenhaften Phantasiewelt waren für Inda Buschmann Motivation für ihre Stralsunder Inszenierung, die sich als „modernes Märchen“ versteht. Modern, weil jegliche steuernde Magie fehlt und das Handeln der zwei Hauptpersonen von rein menschlichen Qualitäten bestimmt ist: einer Liebe, die sich nicht nach Äußerlichkeiten richtet. Prinz Ramiro und Aschenputtel (Angelina) finden sich einzig auf Grund gegeneeitiger Zuneigung, unter Persönliches verschleiernden Umständen (Familienstand, Sozialstatus) und ohne einander näher zu kennen. Inda Buschmann spricht von einer „geschichtlich spannenden Änderung zum klassischen Märchen“. Der Prinz und sein Diener ercheinen in vertauschten Rollen, und Angelina verliebt sich - ganz märchenmäßig - in den Diener, also den Richtigen. Nicht der (falsche) Prinz`ist ihr wichtig, „sondern die wirkliche Begegnung mit einem Menschen, der sie erkennt.“  Und: „So treffen zwei Suchende und Sehende aufeinander und verlieben sich.“ Gleichwohl vermeidet die Inszenierung mögliche Transformationen in unsere Gegenwart und damit zwar denkbare, aber oft verkrampft wirkende Bezüge zu ganz anderen Sichtweisen. Sie vertraut auf textliche wie musikalisch eindeutige Botschaften - und liegt damit richtig. Andererseits verzichtet sie nicht auf Märchenhaftes, ironisiert und überspitzt es aber gleichzeitig. Sichtlich lustvoll ausgespieltes Buffoneskes und theatralisch Spielerisches tun ein Übriges, um einen dreistündigen Abend nicht lang werden zu lassen. Und der besticht schon rein optisch mit jeweils charakterisierend eingesetzter Form- und Farbenpracht hinsichtlich der Kostüme sowie atmosphärisch passenden und sehr praktisch (Drehbühne) nutzbaren Bühnenbildern (Caroline Stauch).

Theater Vorpommern / LA CENERENTOLA hier Pihla Terttunen als Aschenputtel und Ensemble © Peter van Heesen
Theater Vorpommern / LA CENERENTOLA hier Pihla Terttunen als Aschenputtel und Ensemble © Peter van Heesen

Viele Aktionsräume also und damit bestens geeignete „Spielwiesen“ für alle Protagonisten. Für Letztere spricht, dass ihnen die Lust am einfallsreichen Spiel auch über lange Distanzen nicht ausgeht und im Saal nur gelegentlich der Gedanke Raum gewinnt, Rossini hätte das Geschehen  hier und da doch etwas raffen können. Hübsch übrigens die Idee, die lange Ouvertüre dazu zu nutzen, in einer schon sehr einstimmenden Bühnenshow alle Beteiligten mit ihren prägenden Charakterzügen vorzustellen. Nicht weniger passend auch die Aufwertung der Person Alidoros, Lehrer und Berater des sich auf Brautsuche befindenden Prinzen Don Ramiro. Er ist so etwas wie eine leitende und führende Kraft im Hintergrund, gibt Zeichen etwa zum Einsatz des Orchesters, ist in der Gewitterszene ein Blitze schleudernder Gott und sonst natürlich der gute Geist für die Bedrängten (Angelina, Ramiro) sowie der Strafende für die Selbstsüchtigen und Charakterschwachen.

Mit ihm, dem stimmlich großraumfüllenden, oft enorm klangstabil wirkenden und dennoch hier auch mit  locker-buffoneskem Parlando daherkommenden Bass Thomas Rettensteiners wären wir beim Musikalischen. Und da kann auch mit dieser Inszenierung das Theater Vorpommern wieder gewaltig punkten. Eine starke Besetzung aller Rollen, was bei den bekanntermaßen spezifisch gearteten sängerischen Anforderungen Rossinis so selbstverständlich nicht ist. Das lief, das perlte, das plapperte in rasanten staccati, funkelte in halsbrecherischen Koloraturen und geriet in den Ensembles zu grandiosen Höhepunkten. Rossinis originäres Komponieren – nicht nur in den berühmten Flächencrescendi - wirkte wie ein Sog; bis in den Saal hinein und natürlich gleichermaßen mit dem ganzen Charme Rossinischer Kunst zu Herzen gehender Melodien. Dass da musikalisch nicht immer nur eitel Sonnenschein ist, sollte dennoch nicht vergessen werden (Was beim so betörenden wie emotional fesselnden Klangkünstler Rossini schnell mal möglich scheint). Es lohnt also, eine verführerisch problemlos scheinende Oberfläche zu hinterfragen und den Klangkulinariker Rossini auf ernstere, ambivalentere Hintergründe abzuklopfen.

Theater Vorpommern / LA CENERENTOLA hier Alexandru Constantinescu, Jovan Košcica, Franziska Ringe, Emma McDermott © Peter van Heesen
Theater Vorpommern / LA CENERENTOLA hier Alexandru Constantinescu, Jovan Košcica, Franziska Ringe, Emma McDermott © Peter van Heesen

Nicht ohne Grund ist schon im Titel von der „Herzensgüte“ und ihrem Triumph über deren Gegenteil die Rede. Verhandelt wird demnach nicht lediglich über ein unterhaltsames Verkleidungsspiel mit positivem Ausgang, vielmehr ist – wie bereits eingangs erwähnt - von gewichtigen menschlichen Qualitäten die Rede. Wenn man Gesellschaftspolitisches einbezieht, dann landet man bei Heinrich Heine, dem die „funkelnden Schmetterlingsträume“, die Rossini in ihm auslöste, deutlich zu ahnende Gedanken zur politisch prekären Situation im seinerzeitigen Italien nicht zu verdecken vermögen. Freiheitsgedanken in musikalischer Form, da anders nicht möglich! Solche Überlegungen im Hinterkopf, können Charakterzeichnungen durchaus an gestalterischem Profil gewinnen. Zumindest lebt die Inszenierung sängerisch wie gestalterisch von deutlichen Verhaltens-Kontrasten; auch ohne gleich jene Beziehungen zu verdeutlichen, die einem Heine als politische Gegenwart eher ins Gesicht springen mussten. Insofern prägen das „Aschenputtel“ Angelina, der eine Braut suchende Don Ramiro sowie sein Lehrer, der Philosoph Alidoro auf  der einen und der geltungssüchtige Don Magnifico samt zweier zickig aufgeplusterter, oberflächlicher Töchter Clorinda und Tisbe auf der anderen konträre Ebenen. Dazwischen steht Don Ramiros Kammerdiener Dandini als durchaus clownesk angelegter und sich in seiner ungewohnten Rolle sehr gefallender falscher Prinz. Musikalisch (und in der Ausstattung sowieso) ist  das alles sehr sinnfällig.

Theater Vorpommern / LA CENERENTOLA hier das Ensemble © Peter van Heesen
Theater Vorpommern / LA CENERENTOLA hier das Ensemble © Peter van Heesen

Pihla Terttunen als seriöse, bescheidene, aber leidenschaftliche Sehnsüchte verkörpernde „Herzensgüte“, sängerisch in allen technischen wie gestalterischen Ausdrucksbereichen von großer Überzeugungskraft in ihrer großen Partie als Angelina. Franziska Ringe (Clorinda) und Emma McDermott (Tisbe) in jeder Weise auf Augenhöhe und damit nicht weniger stücktragend und als viele Facetten fantasievollen Spielens ausreizende Stiefschwestern Angelinas äußerst belebende Personen. Dazu ein Bryan Lopez Gonzales (Don Ramiro) mit prächtigem, mühlos alle Schwierigkeiten meisterndem Tenor und durchweg glanzvollen Auftritten, herrlich konterkariert vom Don Magnifico Jovan Košcicas. Auch er überzeugend in Spiel und Gesang, in der geforderten Variabilität eines Charakters von turbulent ausgelebter Selbstironie.  Bleibt Alexandru Constantinescu als Diener und „falscher“ Prinz Don Ramiro, sichtlich begeistert von seiner Doppelrolle und sängerisch auf jedem geforderten Level. Von Thomas Rettensteiners Alidoro hatten wir schon weiter oben gehört. Der Opernchor des Theaters (Csaba Grünfelder) war, wie immer, bestens und passgenau füe eine Klangwelt vorbereitet, die nicht selten vom vollen Krafteinsatz, immer aber von rasanter Musikalität lebte. Dafür sorgte am Pult des Philharmonischen Orchesters Vorpommern der 1.Kapellmeister des Hauses und Stellvertretende GMD Alexander Mayer. Er verlieh Rossinis Partitur sehr überzeugend vibrierende Spielfreude und faszinierende Stringenz, durch permanentes metrisch-rhythmisches Variieren zudem fesselnde gestische Prägnanz und Kraft; nicht nur im flotten Parlando der Rezitative oder den hinreißenden Ensembles. Gleichwohl dominierten stets klangliche Transparenz und eine Elastizität, die selbst die Rossini eigene, auch auf  manches sehr geläufige „Versatzstück“ setzende Musiksprache immer wieder interessant erscheinen ließ.

Lebendigkeit und Spannung also bis zum Ende.  Und Riesenapplaus für einen höchst erfreulichen Opernabend.

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