Stralsund, Theater Vorpommern, EIN SOMMERNACHTSTRAUM - Benjamin Britten, IOCO Kritik, 18.10.2022

Stralsund, Theater Vorpommern, EIN SOMMERNACHTSTRAUM - Benjamin Britten, IOCO Kritik, 18.10.2022
Theater Vorpommern Stralsund Foto Peter van Heesen
Theater Vorpommern Stralsund Foto Peter van Heesen

Theater Vorpommern

EIN SOMMERNACHTSTRAUM - Benjamin Britten

- Fantastische Traumwelt oder menschliches Drama? -

von Ekkehard Ochs

Gedenkmuschel von Benjamin Britten am Meer von Aldebrough © IOCO
Riesige Gedenkmuschel von Benjamin Britten am Meer von Aldebrough, Brittens Heimat © IOCO

„Mein besonderes Interesse gehört den architektonischen und formalen Fragen der Oper: Ich entschied mich gegen das Wagnersche Prinzip von der `unendlichen Melodie` und für die klassische Form von einzelnen Nummern, die zu gegebenen Augenblicken den seelischen Zustand, den eine dramatische Situation hervorruft, herauszukristallisieren und festzuhalten vermag.“ So einfach und doch zugleich so bekenntnishaft scheint das Statement eines Komponisten, dem Musik für die Opernbühne das vielleicht wichtigste Anliegen war. Und dem jene musikdramatische Veranlagung samt entsprechendem kompositorischen Vermögen zur Verfügung stand, das man brauchte, um auf diesem künstlerischen Felde erfolgreich zu sein.

Opernkenner Ernst Krause hat es einmal in die Worte gefasst: „Zwischen Klassik und Impressionismus, bewegt von einer Ästhetik hellwachen realistischen Geistes, ist Benjamin Britten primär ein Musiker des Theaters, der in der Behandlung des Klanges, in Lyrik, Spaß, Liebessüße und dramatischem Aufruhr mit Phantasie und Können aufwartet“ (Sonntag, Berlin/DDR, 51/1976). Zitieren wir noch Hans Heinz Stuckenschmidt, der von geradezu magischer Gestaltungsfähigkeiten spricht und sagt: „Mit ihm tritt in den Kreis der Novatoren ein schöpferischer Eklektiker von so hohem Rang, so leichtem Gedankenflug und so großer amalgamierenden Kraft, daß man an die Blütezeit der englischen Musik im Elisabethanischen Zeitalter erinnnert wird“ (Schöpfer der Neuen Musik, 1962, S. 197).

Theater Vorpommern / EIN SOMMERNACHTSTRAUM hier Alexandru Constantinescu, Uwe Gottswinter, Franziska Ringe, Amelie Baier © Peter van Heesen
Theater Vorpommern / EIN SOMMERNACHTSTRAUM hier Alexandru Constantinescu, Uwe Gottswinter, Franziska Ringe, Amelie Baier © Peter van Heesen

Solcherart Wertschätzungen fand man in der kürzlich erfolgten Stralsunder Inszenierung des Brittenschen Ein Sommernachtstraum vollinhaltlich bestätigt. Die geradezu ungestüme Zustimmung des Premierenpublikums war ein untrügliches Zeichen dafür, dass dem Theater Vorpommern Wichtiges gelungen war: ein so phantasievoll hintergründiges wie spielerisch handfestes Geschehen auf die Bretter zu bringen, das anspruchsvolle Unterhaltsamkeit ohne Plattheiten garantierte; mit schöner Balance zwischen ernstem Hintergrund und wirksamer Nutzung durchaus naheliegenden Übertreibungspotenzials. Ansonsten schien die Sachlage des Spiels klar, was eine eventuelle Suche nach besonderen Absichtserklärungen des Inszenierungsteams unnötig machte. Den Chef Wolfgang Berthold kann man lediglich mit der Antwort auf die Frage zitieren, warum man das Stück unbedingt gesehen haben sollte: „Es ist ein abwechlungsreiches Stück, inhaltlich überbordend, eine Mischung aus Fantasie, Romanze und Komödie.“ Dramaturgin Katja Pfeifer:Es ist ein Stück, das eine Sogwirkung entfaltet, Es ist nah dran an vier jungen Menschen, die gerade die Liebe für sich entdecken.“ Und: „Shakespeares Ansinnen war es, Personen, die der Liebe nachgehen, in einer Zeit zu zeigen, die von Konventionen geprägt war. Hier macht sich, im übertragenen Sinne, "jede*r schmutzig.“ Letzteres wäre erklärungsbedürftig und zielt wohl auf gewisse, in der Konzeption der Inszenierung betonte soziale Handlungsweisen der beiden jungen Liebespaare (Liebesheirat gegen Konvention als gefährlicher Tabu-Bruch).

Allerdings hat man während der Aufführung wenig Zeit, solchen oder ähnlichen Gedanken nachzuhängen. Vielfalt im meist turbulenten Bühnengeschehen ist angesagt. Deutlich dabei in der Ausstattung (Kostüm Julia Klug) die Abgrenzungen der verschiedenen Bereiche – Welt der Elfen mit König (Oberon) und Königin (Titania), die der Handwerker, der zwei zentralen Liebespaare (Lysander, Hermia; Demetrius, Helena) und des Athener Hofes (Theseus, Hippolyta). Und da ist dann noch der in der Bühnenpraxis oft genug so häufig bemühte Wald als zentralem „Mitspieler“, als Funktionsraum für allerhand fantastisches und realistisches Geschehen. Den aber gibt es hier gar nicht. Der geschärfte Blick auf die sozialen Komponenten der Personenbeziehungen macht hier wohl eine schillernd bunte, traumhafte, verspielt lockere Fantasiewelt überflüssig, wäre vielleicht gar störend. Und so macht er im Theater Vorpommern in Stralsund Platz für eine durchgängig leere Spielfläche samt rückwandig fensterhöhlenbestückter, düster-betongrauer Häuser-Fassade (Bühne Nathalie Himpel). Da schaut man ins denkbar nüchtern Dunkle und grübelt. Dazu passt: Die Elfenwelt ist farblich ebenfalls dunkel, durchweg flauschig-grau gewandet, das Elfenkönigspaar auch, nur aufwendiger, die vier Liebesprotagonisten dagegen unterschiedslos schneeweiß und damit vor allem im Verlauf turbulenter Szenen nicht anstrengungslos unterscheidbar.

Theater Vorpommern / EIN SOMMERNACHTSTRAUM hier Emma McDermott, Jovan Košcica © Peter van Heesen
Theater Vorpommern / EIN SOMMERNACHTSTRAUM hier Emma McDermott, Jovan Košcica © Peter van Heesen

Der (Sommernachts)-Traum selbst erscheint den beiden Liebespaaren eher wie ein Albtraum, wirkt realistischer und in den Folgen existenzieller. Das Erwachen, die Erlösung, bewirkt bei den Protagonisten weniger echte Erleichterung nach als merkwürdig empfundenem, aber letztlich harmlos erscheinendem Träumen, dafür eher als eine nicht recht einzuordnende Erfahrung mit der Möglichkeit einer durchaus schwerwiegenden Langzeitwirkung. Das Programmheft bemerkt in die gleiche Richtung: Der Schluss „bleibt so offen und unvorhersehbar wie das Leben selbst“. Und er scheint vorbereitet, etwa in und mit jener dramaturgisch so wichtigen Auseinandersetzung der beiden Liebespaare, veranlasst durch Pucks irrtümlich falsch verabreichten Zaubertrank mit seinen verwirrenden Folgen. Diese Auseinandersetzung erweist sich nicht als bloße Irritation schlechthin. Sie offenbart sich in höchst dramatischer, ja offen feindseliger Form, die den Rahmen des Geschehens schon zu sprengen scheint, ehe der ernüchtert seinen fatalen Fehler einsehende Oberon mäßigend eingreift. (Übrigens verzichtet die Inszenierung auf einen Zaubertrank. Stattdessen - und mit gleicher Wirkung -  greift sich Oberon Pucks Herz (!), das dann auch des öfteren als pulsierendes Organ auf den Bühnenhintergrund projiziert wird).

Sehr krass dann der Gegensatz zur Welt der Handwerker. Hier lässt die Inszenierung die Zügel locker, erlaubt viel Farbe, Turbulenz, Direktheit und lautstarke Drastik im Handeln. Wenn die OSTSEE-ZEITUNG in ihrer Rezension (vom 27. September) diesbezüglich mit „Mehr Gaudi als Brisanz“ titelt, dann ging das in die genannte Richtung; ungeachtet der Möglichkeit, genau das als beabsichtigt, als legitime Möglichkeit handfest parodierenden, schon mal Übertreibungsgrenzen überschreitenden Bühnengeschehens zu präsentieren. Dazu kann man auch den Regieeinfall zählen, das Athener Herzogspaar (Theseus, Hippolyta), dem die arg dilettierende Handwerker-Schauspielertruppe ihr als Hochzeitsgabe gedachtes Theaterprojekt ja überhaupt erst zu verdanken hat, als (bereits) Uralt-Ehepaar überaus gebrechlich auf die Bühne schleichen und mit humorig-ironischen Kommentaren gute Miene zum bösen Spiel machen zu lassen. Unterhaltsam ist das zweifellos. Wichtiger aber: Die beiden glätten alle Unebenheiten vorheriger Beziehungskatastrophen. Alles gut? Nun ja, siehe obiges Zitat zum offen bleibenden Schluss.

Theater Vorpommern / EIN SOMMERNACHTSTRAUM hier Carolin Schär als Puck © Peter van Heesen
Theater Vorpommern / EIN SOMMERNACHTSTRAUM hier Carolin Schär als Puck © Peter van Heesen

Musikalisch hatte das Theater Vorpommern wieder viel zu bieten. Allen voran ein Sängerensemble, das mit durchweg prächtiger stimmlicher Präsenz überzeugte, ja begeisterte. Und das betraf nicht nur den Countertenor Tobias Hechler (!) als Oberon, Katharina Constanti als Titania oder die beiden Liebespaare Lysander (Uwe Gottswinter, alternierend Daniel Schliewa) und Hermia (Amelie Baier) sowie Helena (Franziska Ringe) und Demetrius (Alexandru Constantinescu). Auch die Handwerker-Truppe war im Gegensatz zur vom Stück geforderten holprig-laienhaften Schauspieldarstellung sängerisch bestens besetzt. Ein männliches Sextett von beeindruckender Qualität und großer Spielfreude. Manchmal schon eine richtige Gaudi! Allen voran Thomas Rettensteiner als buffonesk-dröhnender und auch als skurriles,schräg farbiges Mittelding zwischen Esel und Hirsch beeindruckender Weber Zettel, gefolgt von Maciej Kozlowski (Peter Sequenz), Semjon Bulinsky (Flaut), Aiji Natsume* (Schnock), Bernd Roth* (Schnauz) und Jeremy Almeyda Uy* (Schlucker); die Personen mit Sternchen sind Mitglieder des Opernchores. Schließlich noch Jovan Košcica als Theseus und Emma McDermott* als Hippolyta. Nicht vergessen wollen wir Carolin Schär, die als wieselflink agierender, durchaus vielbeschäftigter Puck allerdings nur sprechen darf.

Großen Anteil am Opernvergnügen hatte auch das Philharmonische Orchester des Theaters Vorpommern. GMD Florian Csizmadia dirigierte mit viel Gefühl für Brittens so abwechslungsreich differenzierende Partitur. Ob geheimnisvoll schwirrendes Waldflüstern – zumindest musikalisch war Wald im Geschehen präsent – dramatische Expressivität in den konflikthaft sehr Menschliches austragenden Szenen oder fröhlich unbekümmerter parodistischer Umgang mit musikdramatischer Kunst zwischen commedia dell´arte und großer Oper des 19. Jahrhunderts – er hatte das leichtfüßig und erfreulich transparent musizierende Orchester fest in der Hand. Eine feine Klinge, die man hier schlug. Und die einen Britten nachvollziehbar machte, der wie kaum ein anderer Komponist mit seiner Musik zu charakterisieren vermochte. Dazu nochmals Hans Heinz Stuckenschmidt:Er kann mit einem Minimum an klingendem Aufwand Stimmungen beschwören, mit einem instrumentalen Einfall Charaktere zeichnen, mit einer rhythmischen, akkordischen und melodischen Wendung die Situation klarstellen“. Recht hatte er. Und das Theater Vorpommern darf sich hinsichtlich seiner zwar punktuellen, dann aber gewichtigen Pflege Brittenscher Opern (mehrmals Sommernachtstraum, Peter Grimes, Tod in Venedig)  über eine weitere erfolgreiche Inszenierung freuen.

EIN SOMMERNACHTSTRAUM im Theater Vorpommern; alle Termine HIER!

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