Stavanger, Internationales Kammermusikfestival in Norwegen, August 2014
International Chamber Music Festival Stavanger
Selten Gespieltes und Altbekanntes
Das innovative Programm von Norwegens Internationalem Kammermusikfestival in Stavanger kombinierte mit großem Erfolg Musik von 1914 über 1814 zurück zur Französischen Revolution.
Im Jahr 2014 feiert Norwegen den 200. Geburtstag seiner Verfassung. Anders als viele Veranstaltungen in dem skandinavischen Land in diesem Jahr entschieden sich die künstlerischen Direktoren des Internationalen Kammermusikfestivals, den Fokus nicht allein auf 1814 zu setzen.
Zum Konzept des vielseitigen Programms gehörten auch Kompositionen, die hundert Jahre später, also etwa zur Zeit des Ausbruchs des ersten Weltkriegs 1914 entstanden sind: “Wir wissen, dass Ravel in der Armee als Ambulanzfahrer diente. Debussy war sehr krank. Aber es gibt enorm viele Kompositionen aus dieser Zeit, die es wert sind, aufgeführt zu werden”, erklärte der norwegische Pianist Christian Ihle Hadland, einer der beiden künstlerischen Leiter. “Wir wollten etwas um die Verfassung von 1814 herum zu bauen. Sie war eine der frühesten und liberalsten Verfassungen in Europa und sehr stark von der Französischen Revolution inspiriert, die 25 Jahre davor begann”.
Der große Revolutionskomponist sei natürlich Beethoven gewesen: “Der kam nach der Französischen Revolution. Seine Musik hat etwas fast Politisches. Außerdem war Beethoven in den vergangenen vier Festivals nur wenig präsent. Daher hielten wir das für eine sehr gute Idee: Von 1914 über 1814 zurück zur Französischen Revolution.”
Ein Werk aus dem Jahr 1914 erwies sich dann auch als geeignete Wahl für das Eröffnungskonzert des diesjährigen ICMF: die wehmütige Violinsonate des tschechischen Komponisten Leos Janácek für Geige und Klavier. Mit ihrer Interpretation gelang es Ihle Hadland und seinem norwegischen Landsmann Henning Kraggerud, sowohl die lyrischen als auch die virtuosen Seiten der Komposition einzufangen. Kraggeruds natürliche Musikalität, die sich sowohl in Solo- als auch Ensemble-Aufführungen zeigt, fand mit Ihle Hadland am Piano einen ebenbürtigen Partner. Der Festivaldirektor war im Laufe des Festivals noch bei einigen anderen Höhepunkten zu hören, Griegs Holberg Suite und Mozarts Tripelkonzert, für das mit Kathryn Stott und Silke Avenhaus zwei weitere profilierte Pianisten zu ihm stießen.
Der zweite künstlerische Leiter des Festivals, der schwedische Klarinettist Martin Fröst, spielte Brahms’ Klarinetten-Trio sowie Mozarts Klarinetten-Quintett auf eine Weise, die dem Publikum wieder ins Gedächtnis rief, wie exquisit das Kammermusik-Repertoire für Klarinette ist. In den vergangenen Jahren hat der Klarinettist sich zunehmend auch als Dirigent einen Namen gemacht. Für sein Dollhouse Project integrierte er Tanz und Bewegung in seine Aufführungen. Möglicherweise haben diese Experimente ihm geholfen, die neue Tiefe zu erreichen, die in seinen frischen und poetischen Interpretationen zu hören war.
Fröst dirigierte während des Festivals eine inspirierte Performance des Stavanger Symphonieorchesters (SSO). Die Bläser kämpften ein bisschen mit der Musik und beeinträchtigten damit die Aufführung des Ensembles, dessen Stärke bei den Streichern lag. Aber insgesamt zeigte das SSO unter Frösts Leitung ein solide Interpretation von Beethovens 1. Symphonie.
Mit einer dichten Performance von Debussys Quartett bewies das Van Kuijk Quartet, das es das Zeug für ein gutes Kammermusikensemble haben. Für Mozarts Streichquartett in G-Moll erhielt das neue Streichquartett Unterstützung von dem Newcomer Evind Holtsmark Ringstäd als Bratsche. Ringtstäd war eine spannende Bereicherung des Festivalprogramms und zeigte sowohl einfühlsames Ensemblespiel als auch starke Solo-Performances.
Neben Ihle Hadland waren zwei weitere Pianisten auf dem Festival zu hören. Die englische Pianistin Kathryn Stott war nicht zum ersten Mal hier zu hören. Mit einem breit gefächerten Repertoire von Debussys Cello-Sonate über Haydn-Trios oder Elgars Piano Quintett bewies sie erneut, welche sensible und solide Performerin sie ist. Auch die Interpretation von Schuberts Arpeggione Sonate durch die deutsche Pianistin Silke Avenhaus und den ukrainischen Bratschisten Maxim Rysanov war ein Festivalhighlight. Avenhaus’ natürliche Musikalität und ihr Sinn für Sound wurden zwar geschätzt, gingen aber leider manchmal in den Stavanger-Aufführungsorten etwas unter.
Der finnische Violinist Pekka Kuusisto demonstrierte seine großartige Vielseitigkeit nicht nur in Interpretationen wie Sonaten von De Falla und Poulenc, sondern auch bei Improvisationen mit Martin Fröst und dem schwedischen Jazz-Star-Saxophonisten Magnus Lindgren. Kuusisto leitete zudem mit großer Präzision verschiedene Ensembles bei Performances an, die von seinen sehr individuellen musikalischen Ideen geprägt waren.
Ein erfolgreiches Experiment in der Mitte des Festivals gab Konzertbesuchern die Gelegenheit, ein großes Werk in verschiedenen Orchestrierungen zu hören. Im Rahmen eines Konzerts wurden Griegs Holberg Variationen in drei Versionen gespielt. Neben Ihle Hadlands Performance der ursprünglichen Klavierversion spielte das 1B1-Ensemble die orchestrierte Adaption. Dieses Orchester, das aus zumeist jungen Musikern besteht, präsentierte das Werk beeindruckend auswendig. Das große Engagement, das die jungen Musiker unter Leitung ihres Gründers und künstlerischen Leiters, des Violinisten Jan Bjoranger, zeigten, war allen Applaus wert und ein Beweis dafür, dass in der norwegischen Musikszene Besonderes geschieht.
Im letzten Teil des Konzert kam der Jazzpianist und Komponist Erlend Skomsvoll hinzu. Unter seiner Leitung zeigte 1B1 eine Performance, die die unendliche Inspiration demonstrierte, die in großen musikalischen Werken zu finden ist.
Eine besondere Erwähnung verdienen zudem die Leistungen der Violinistin Karen Gomyo, die in letzter Minute für den erkrankten Henning Kraggerud einsprang.
Das Festival endete mit einer Aufführung von Schuberts Oktett in F-Dur, einem Werk, das selten zu hören ist, vermutlich wegen seiner Länge. Das Oktett, das eine Stunde dauert, ist kein Stück, das sich in der kurzen Zeit eines Festivals leicht auf die Beine stellen lässt. Aber unter der Leitung von Pekka Kuusisto war eine dichte und aufregende Aufführung zu hören, die die langen Standing Ovations, die sie erhielt, wohl verdient hatte. Sie erwies sich als würdiges Finale des diesjährigen Internationalen Kammermusikfestivals, das im kommenden Jahr 2015 sein 25jähriges Bestehen feiern wird.
IOCO / Breandáin O'Shea / August 2014