Sofia, Nationaloper, Richard-Wagner-Festival - LOHENGRIN, IOCO
NATIONALOPER SOFIA - Lohengrin: Die vom Team Hans Kudlich / Nela Stoyanova gekonnt konzipierte Bühne, die von Zach Blane in stimmungsvolles Licht in Blau, Rot und Violett getaucht wird, hätte ....... Mario Dice fand für Richard Wagners romantisches Werk aus dem deutschen Mittelalter ......
von Astrid Petersmann
Das bulgarische Opernhaus Sofia Opera and Ballet, die Nationaloper, richtet 2024 wieder, wie in den vergangenen Jahren, ein Richard-Wagner-Festival aus, bei dem neben dem Ring des Nibelungen eine Neuinszenierung von Lohengrin zu sehen ist.
Im Zentrum der Bühne, die hier besprochene Vorstellung vom 23.6.2024, dominiert ein übergroßer, blätterloser Baum zu dessen beiden Seiten nach griechischer Manier Treppen für die des Öfteren überlauten Chöre errichtet wurden. Die Chöre bleiben in aller Regel statisch, ihre Bewegungen sind auf ein Auf- und Abtreten reduziert.
Die vom Team Hans Kudlich / Nela Stoyanova gekonnt konzipierte Bühne, die von Zach Blane in stimmungsvolles Licht in Blau, Rot und Violett getaucht wird, hätte nicht nur für den Chor, sondern auch für die Hauptpersonen mehr Möglichkeiten geboten. Mario Dice fand für Richard Wagners romantisches Werk aus dem deutschen Mittelalter nicht wirklich die passenden Kostüme. Dass etwa Telramund unter seinem Umhang im 1. Akt einen Herrenanzug der Gegenwart und der Schwanenritter überlange, wie Schwanenflügel anmutende Ärmel zu tragen hat, verzerrt die optische Illusion vom Mittelalter. Das unangenehm ins Auge stechende blaue Kostüm des Königs und seine völlig unpassende Schärpe und Krone ist ebenfalls nicht gelungen.
Wollen Wagnerianer*Innen eine werkgetreue Inszenierung anstatt der teils höchst seltsamen Ideen aus München (Kornél Mundruczó) oder Wien/Salzburg (Jossi Wieler / Sergio Morabito), erleben, müssen sie sich auf die Reise nach dem von Wagner im Lohengrin noch als „öden Osten“ bezeichneten Gebiet machen. Auf der Opernbühne von Sofia inszeniert der Generaldirektor der Oper, Plamen Kartaloff, immerhin ohne eigene krude, das Werk verfremdende Ideen einfließen zu lassen.
In seiner Personenregie allerdings ist er weniger glücklich, denn er degradiert die meisten Darsteller zu statischen Puppen, an deren Fäden er zu ziehen scheint. Dürfen sie sich bewegen, dann irren sie oft – ohne in ihrem Text dafür einen ersichtlichen Grund zu haben – von links nach rechts oder ziehen wieder und wieder Kreise im Halbrund der arenenhaften Bühne. Dies anscheinend nur, um in Bewegung zu bleiben und so wenigstens einen Anschein von Lebendigkeit zu erwecken.
Gefangen in dieser leblosen Personenregie gibt Bjarni Thor Kristinsson den König Heinrich den Vogler, der trotz mächtigem Bass erkennbar mit der Intonation und der Höhe kämpft. Der Heerrufer von Atanas Mladenov fällt mit imponierendem Bariton positiv auf, wobei auch seine schauspielerischen Leistungen auf ein Minimum, nämlich das erwähnte Kreisen, reduziert sind. Ebenso verhält es sich bei Radostina Nikolaeva als Elsa, der die Regie zusätzlich mehrere Zusammenbrüche erlaubt. Ihr dröhnender Sopran macht die brabantische Adelige aber nicht eben attraktiv. Ihre bulgarische Kollegin Gabriela Georgieva als Ortrud nimmt sich erfreulicherweise dann und wann die Freiheit, dämonische Emotionen zu zeigen und beeindruckt durch ihre stimmliche Präsenz und Strahlkraft.
Bedauerlicherweise lässt sich auch der weltweit tätige, imponierende Sänger der Titelpartie des Lohengrin, der Neuseeländer Simon O'Neill, durch die einengende, rigide Personenregie einschränken, obwohl man von ihm weiß, wie berührend sein darstellerisches Können gerade in dieser Rolle – wie etwa bei seinem Debüt in Bayreuth – sein kann. In Sofia ist der Gralsritter durch die Regie darauf reduziert, mit seinem leuchtenden Tenor bei jeder Phrasierung ein ums andere Mal zu bestechen. O'Neill erfüllt durch Klangfarbe, Klangfülle und erfreuliche Sicherheit in Artikulation und Stimmführung ohne jede Anstrengung, was sich Wagner von einem Heldentenor erwartet. Abgesehen von einer wunderbaren Verabschiedung des Schwans im 1. Akt und dem gelungenen, innig süßen Bitten um Elsas Verständnis im Brautgemach zählt die Gralserzählung zu seinen überirdisch schönen Glanzleistungen. Als er von Elsa Abschied nimmt, gelingt es ihm sogar, diesen stimmlichen Zenit bei „O Elsa! Nur ein Jahr an deiner Seite“ noch zu toppen.
Wären nur die genannten dramatis personae zu hören, weil kaum wirklich zu erleben gewesen, wäre die Inszenierung von Wagners Werk zu einer verstaubten Oper verkommen.
Dass dies dem Publikum erspart blieb, ist dem Österreicher Thomas Weinhappel zu danken, zumal nur er sich offenkundig der eigenen Rolle und kaum den Regieanweisungen verpflichtet fühlt. Damit beweist er, der hier im Wagnerfach debütiert, dass Oper heutzutage anders funktionieren kann. In puncto schauspielerischer Ausstrahlung, in Anziehungskraft, rollengerecht in Gestik und Mimik und schon allein dadurch überzeugend gibt der Bariton den brabantischen Grafen Telramund.
Möglicherweise verhalfen Weinhappel seine filmischen Erfahrungen in Michael Hanekes „Die Klavierspielerin“ und Mira Nairs „A suitable boy“ zu derart echtem – auch als Telramund – filmreifen Auftreten. Letzteres wird mit ziemlicher Sicherheit im Genre Oper angesichts der großen Konkurrenz, die der Film für die Oper zunehmend ist, immer mehr gefragt sein.
Dazu beherrscht Weinhappel meisterhaft die Symbiose von mitreißend in aller Ehrlichkeit zur Schau gestellten Gefühlen und technisch einwandfreiem Gesang. Man gewinnt den Eindruck, dass er letzteren aus seinen Emotionen heraus entwickelt, diese durch die Musik gewissermaßen krönt.
Mit gestählter Stimme verklagt er, dem Ehre und Ruhm über alles gehen, selbstbewusst mit „Dank König Dir“ Elsa und stellt Lohengrin bei „Den dort im Glanz“ höchst aggressiv zur Rede.
Den ganzen Umfang seiner voluminösen Stimme von sicheren tenoralen Höhen bis zu profunden Tiefen setzt Weinhappel gepaart mit enormer Bühnenpräsenz und größter Wortdeutlichkeit im 2. Akt ein. Seine wütenden Vorwürfe an Ortrud lassen nicht nur sie erzittern. Schauerlich schön personifiziert er mit fast schon ersterbendem Piano bis hin zum furchterregenden Forte den zutiefst deprimierten „von Gott Geschlagenen“ wie es gewaltiger nicht sein könnte!
Kein Wunder, dass diese Leistung Zuschauer*Innen spätestens nach der großen Szene mit Ortrud in der Pause danach offen die Ansicht äußern lässt, dass der heutige Abend viel eher den Titel „Telramund“ anstatt „Lohengrin“ tragen müsse. Sie danken ihm seinen tatsächlich fulminanten Einsatz mit Szenenapplaus bereits nach „mein Ehr' ist hin“. Man bedauert, dass Wagner ihm im 3. Akt keinen größeren Auftritt als den des stummen Attentäters zugedacht hat!
Dank der außerordentlich präzisen, teils kontemplativen, dann wieder besonders temperamentvollen Orchesterführung durch den amerikanischen Maestro Evan-Alexis Christ kann das nun schon 14 Jahre an Wagner erprobte Staatsopernorchester von Sofia zeigen, dass es den deutschen Komponisten beherrscht. Mit echten Wagner-Qualitäten geht Christ mit größter Einfühlsamkeit auf die SängerInnen ein, scheint deren künftige Gesangslinien bereits zu erahnen, lässt das Orchester die Protagonisten niemals unangemessen dominieren und leitet ebenso perfekt die beiden Chöre dieser Produktion, den Chor der Nationaloper Sofia und den Männerchor des Bulgarischen Nationalen Rundfunkchors. So schafft er aus dem Orchestergraben heraus eine von ihm mit behutsamer und dennoch konsequenter Hand vorbereitete musikalische Landschaft, in der sich das Wunder Wagner ereignen kann. Dass nicht nur, aber auch Bayreuth Christ demnächst ein Dirigat und Weinhappel einige Baritonrollen anbietet, wird dem Vernehmen nach vom internationalen Publikum dieser Premiere, das heftig Beifall spendete, ganz deutlich gewünscht.