Schwerin, Mecklenburgisches Staatstheater, TANNHÄUSER - Richard Wagner, IOCO Kritik, 25.11.2022
Mecklenburgisches Staatstheater
TANNHÄUSER und der Sängerkrieg auf Wartburg
- Tannhäuser in Schwerin - eine moderne Parabel über Toleranz -
von Thomas Kunzmann
Über diese Inszenierung des Tannhäuser am Mecklenburgischen Staatstheater berichtete IOCO bereits, link hier – doch jede Vorstellung dieser besonderen Inszenierung, so hier die Vorstellung vom 6.11.2022, ist es wert, dass über sie geschrieben wird.
Mit Pauschalverurteilungen von Inszenierungen, allein auf Basis der vom Theater veröffentlichten Bildern, könnte man problemlos Bände füllen. Diese Kommentare findet man allerdings nicht unter den Bildern der Bühnen selbst bei Facebook & Co. – wo der „Unmut“ über die eine oder andere Regiekonzeption wenigstens mit hoher Sicherheit bei Regisseur und Intendanz landen könnte, sondern in einschlägigen Gruppen. „Against Modern Opera Productions“ ist da lediglich die Spitze des Eisbergs. Aber selbst in thematisch interessierten Feeds finden sich die Dauernörgler gern zusammen und demonstrieren Einheit wider jedweden Siegfried ohne Bärenfell, Walküren ohne behörnte Helme, Holländer ohne rotes Segel oder Lohengrin ohne Schwan. Da sich die Werktreue-Verfechter aber nur selten eines Besseren belehren lassen, die Inszenierungen lediglich zu zerreißen gemüßigt fühlen, ohne je die Absicht zu haben, diese überhaupt zu besuchen, kann man sie bestenfalls belächeln, weil sie sich aufgrund ihres Dünkels so manche Perle durch die Lappen gehen lassen.
Richtig ärgerlich wird es allerdings, wenn eine bekannte Lokalredakteurin einer Gerade-so-Großstadt nicht zu schätzen weiß, welch Kleinod ihr dargeboten wurde und mit stoischem Libretto-Inszenierungsabgleich den Sixtus Beckmesser als Waisenknaben dastehen lässt. Schwer zu sagen, ob das Premierenpublikum tatsächlich so geteilter Meinung ob dieser Inszenierung war – Anfang November - jedenfalls schien das Publikum einhellig begeistert: keine Pausenabgänge, strahlende Gesichter, intensive, aber nie vulgäre Diskussionen und langanhaltender Schlussapplaus zeugten von intensiver Auseinandersetzung mit dem Gesehenen und Gehörten.
JA! Wenn man die Oper in- und auswendig kennt und die ersten Inszenierungsfotos des Theaters auf sich wirken lässt, kann einem durchaus der Atem stocken: „Tannhäuser als ‚abgewrackte Tunte‘?“!, wie weit muss man denn bitteschön noch übertreiben? Haben wir ihn nicht schon im Puff x-Mal erlebt? Umgeben von lasziven Nymphen bis hin zur fett-fleischlichen Lust, gesättigt von all der körperlichen Liebe, und dann rückkehrend zur zarten, unschuldigen Verliebtheit – nachdem Man(n) jedwede Exaltiertheit ausgelebt hat? Aber was erregt denn heute noch den gesellschaftlichen Widerstand? Was kann heute noch ureigenstes Verlangen des Individuums sein, und dabei auf gesellschaftliche Ablehnung treffen?
In Martin G. Bergers Tannhäuser ist Heinrich ein ganz normaler Junge / Jüngling / Mann, weder sonderlich schön, noch hässlich. Geliebt von den Eltern, behütet aufgewachsen. In seinen Jugendjahren, sich ausprobierend, macht er seine Erfahrungen, küsst einen Mann (Wolfram), eine Frau (Elisabeth) im Spiel, zieht heimlich ihr Kleid an und fühlt darin eine völlig neue Welt. Später heiratet er diese Elisabeth, hat zwei wundervolle Kinder mit ihr – und doch, diese unausgelebte Fantasie, Frauenkleider zu tragen, sich zu schminken wie sie, Schmuck zu tragen, verfolgt ihn. Also zieht dieser Anti-Adonis los, um nachzuholen, was er glaubt, verpasst zu haben, zieht ein in den Venusberg, was ein Transvestiten-Theater ist, bekommt beim ersten Mal ordentlich eins auf die Mütze, um beim erneuten Versuch zum neuen Star der Show zu avancieren. Kein wollüstiger Sex, keine Orgien, einfach nur in die Rolle das anderen Geschlechts zu schlüpfen, ohne sich dafür (dort) schämen zu müssen. Das alles erfolgt so unprätentiös, so selbstverständlich, so frei von Kitsch, so menschlich nachvollziehbar, dass es niemals wie eine Übertreibung wirkt, um anschaulich zu werden. Wie der gestandene Mann sich schminkt, in Kleider zwängt, das wirkt an keiner Stelle unfreiwillig komisch, er wird nicht vorgeführt oder der Lächerlichkeit preisgegeben. Ohne dass man „er“ sein will, möchte man einfach nur, dass er seinen Weg findet. Und wenn er all das für sich ausgelebt hat, wünscht er sich zurück in den Schoß seiner Familie, ohne dieses alternative Erlebnis abzuschließen: so geht sein Weg heimwärts in die IKEA-Wohnzimmer-Idylle seines alten Lebens, die ihm fremd vorkommt, die er aber anzunehmen bereit ist, um seine innere Ruhe finden zu können. Wäre da nicht dieser permanente äußere Druck, der alles verfemt, was nicht dieser deutschtümelnd-pseudokatholischen Idealvorstellung entspricht.
Muss einem in dieser piefigen Enge nicht irgendwann der Kragen platzen? Muss man dieser sich ach so konservativ und moralisch im Recht fühlenden Gesellschaft nicht einmal den Spiegel vorhalten? Den „edlen Rittern“/Gentlemen, die sehr wohl auch ihre „Burgfräulein“/Damen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit begrabschen und fremdgehen? Ist das schon so gewöhnlich geworden, dass es kein Gemüt mehr erregt? Dass es gar von der Gesellschaft, wenn auch nicht gutgeheißen, so doch toleriert, ja verschwiegen wird? Und dann platzt es aus diesem Heinrich heraus, er outet sich vor versammelter Mannschaft und das Geschrei könnte kaum größer sein, als beim ersten schwulen Fußball-Profi. Aber wen geht das eigentlich etwas an? In erster Linie wohl die Ehefrau – und die reagiert souverän: ‚Kümmert euch erst einmal um euren Kram‘ schleudert sie der aufgebrachten Menge entgegen und schickt ihren Gatten in Klausur, sich über seine und ihre gemeinsame Zukunft Gedanken zu machen. Und als Heinrich nicht mit den anderen Pilgern gemeinsam zurückkehrt, wittert ihr heimlicher Verehrer Wolfram noch einmal eine Chance. Doch am Ende – ach nein, das wäre jetzt zu viel gespoilert.
Die Regie ist so verblüffend, wie ausgefeilt und ganz dicht am Text. Sie entschlackt die Oper, ohne an ihrem Kern zu rühren und schält aus den plakativen Wagner-Charakteren liebenswerte Individuen, die ihrer Rolle entfliehen, um Mensch zu sein. Mit all ihren Schwächen und Stärken, mit Leidenschaften, Verletzlichkeiten und Sehnsüchten.
Maßgeblichen Anteil hat – und das schreibe ich äußerst ungern – die hochemotionale, aber nie pathetische Videoinstallation von Daniel M. G. Weiss, die im Vorspiel Heinrichs Werdegang von der Geburt in Super-8-Optik wie aus einem Familienarchiv bis zum Einzug in den Venusberg so passgenau auf die Musik schmiedet, dass man sich wie in der Präsentation der Gewinnerbeiträge eines Kurzfilmfestivals fühlt. Da ist keine Szene zu lang, kein Bild, das nicht auf die Musik passt, kein Schnitt ein Bruch.
Mark Rohde, Schweriner GMD und bekennender Wagner-Liebhaber, leitete die Premiere und die ersten Vorstellungen. Den letzten Oktober-Termin übernahm kurzfristig der neue erste Kapellmeister Levente Török, der erst ab November für das Nachdirigat vorgesehen war. Die nachvollziehbar überschwängliche Kritik zu diesem Abend war auf IOCO bereits zu lesen. Auch am 6.11. stand Török am Pult. Ein Tag nach seiner Premiere Powder Her Face. Tannhäuser-Nachmittagsvorstellung. Also eine kurze Nacht und mitten in den Vorbereitungen zur Übernahme der Zauberflöte. Was für ein Pensum! Doch auch, wenn er selbst im Kurzgespräch bescheiden und selbstkritisch bemängelte, dass Sonntag-Nachmittagsvorstellungen genau in den „Verdauungsprozess“ des Mittagessens fallen – am Dirigat gab es nicht nur nichts zu bemängeln, im Gegenteil: hier wurde schon geschmeidiger, was zu seiner ersten Vorstellung auf dieser Plattform angemerkt wurde: weniger Blicke der Sänger auf das Dirigat. Man hat sich offensichtlich schnell eingegrooved. Da passen die Tempi, da bauen Pausen Spannung auf, ohne das Werk zu zergliedern, da donnert es im Graben, wo es donnern muss, da legt das Orchester klangschöne Teppiche, auf denen die Stimmen glänzen können – und das tun sie!
Das Beeindruckende an diesem Ensemble ist tatsächlich die ungewöhnliche Homogenität in der gesanglichen Leistung. Durchweg in jeder Partie großartige Textverständlichkeit und saubere Intonation. Hat man sonst einen guten Titelhelden, steht oft Wolfram tief in dessen Schatten, eine überzeugende Venus (Gala El Hadidi) lässt Elisabeth (Camila Ribero-Souza) verblassen. Nichts dergleichen! Der robuste Tenor von Heiko Börner als Tannhäuser ist die passgenaue musikalische Darstellung des Antihelden, Brian Davis als Wolfram hat die Geschmeidigkeit des Romanciers, ohne gegen die Titelfigur als Leichtgewicht zu wirken, Venus bringt die Strahlkraft ihres Etablissements mit und Elisabeth changiert überzeugend zwischen der Sehnsucht nach familiärer Idylle bis hin zur sich überschlagenden Verteidigung ihres „Gatten“. Apropos „Ehemann“, die Hardliner unter den Wagnerianern dürften maßgeblich über eines stolpern: Elisabeth singt tatsächlich zweimal von ihrem „Gatten“ statt von „ihm“. Aus der Konzeption und der Videoeinspielung heraus war es schon eindeutig – eigentlich wäre dieses „Sakrileg“ nicht nötig. Man darf gespannt sein, inwiefern das Thema "Toleranz" also auch vom Publikum gelebt wird. Dennoch: In der Gesamtheit gibt es ein rundes Bild aus Regie, Kostüm, Bühnenbild, Musik und Gesang, wie man es in dieser Geschlossenheit sehr lange nicht sehen konnte.
Und wenn am Ende Liebe und Versöhnung über den Tod siegt, dann entlässt das Theater sein Publikum nach einem langen, erfüllenden Abend mit einer romantischen Hoffnung auf erlernbare Toleranz. Besser geht’s nicht.
TANNHÄUSER am Mecklenburgischen Staatstheater, Termine, Karten, link HIER
Dirigat, Regie, Bühne, Chor:
- Dirigat – Lebente Törok Regie - Martin G BergerBühnenbild - Sarah-Katharina KarlKostümbild - Esther BialasVideogestaltung - Daniel M G WeißDramaturgie - Philipp AmelungsenChordirektion - Aki Schmitt
Besetzung:
- Hermann - Renatus MészárTannhäuser - Heiko BörnerWolfram von Eschenbach - Brian DavisWalther von der Vogelweide - Marius PallesenBiterolf - Martin GerkeHeinrich der Schreiber - Sebastian KöpplReinmar von Zweter - Young KwonVenus - Gala El HadidiElisabeth - Camila Ribero-SouzaEin junger Hirt - Mary-Louise Tosheva
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