Salzburg, Salzburger Festspiele, Jedermann - Hugo von Hofmannsthal, IOCO Kritik, 12.08.2016
Jedermann: Inbegriff der Salzburger Festspiele
Als Geburtsstunde der Salzburger Festspiele wird gern der 22. August 1920 angegeben: Der Jedermann, ein Mysterienspiel von Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929), ein Spiel um das Sterben des "Reichen Mannes", des "aus dem Leben gerissen werden", wird seit diesem Tag vor den Eingangsarkaden des Domes aufgeführt. Die Uraufführung des Jedermann fand 1911 in Berlin statt; acht Jahre hatte Hofmannstahl mühsam an seinem Werk geschaffen, in dem er in mittelalterlicher Tradition das Weltgefüge durch Personifikationen (Sensenmann, Gott, Buhlschaft, Glaube, u.a.), nicht durch Individuen beschreibt. Über die Jahrzehnte wurde der Jedermann zum Inbegriff für die Salzburger Festspiele; populär wie Mozart-Kugeln, flüstert mancher.
Der Brite Julian Crouch und der US-Amerikaner Brian Mertes zeichnen für die seit 2013 gezeigte Jedermann-Inszenierung verantwortlich, sie führt uns zurück ins katholisch geprägte Mittelalter. Der Jedermann verkörpert tiefgehende Tradition und Geschichte. Den Jedermann in Salzburg zu spielen ist hohe Ehre; sein Darsteller gehört zu den Besten des Fachs: Der Österreicher Cornelius Obonya (1969), Jedermann für die Jahre 2013 – 2016, spielt in dieser Championsleague! Sein prominenter Großvater Attila Hörbiger hatte den Jedermann in Salzburg 1935 – 37 und 1947 – 51 gespielt. Brigitte Hobmaier war in Salzburg die gefeierte Buhlschaft der letzten 3 Jahre; 2016 ist die Schauspielerin Miriam Fussenegger in die bestehende Inszenierung eingesprungen. Der Tod wird souverän gespielt von Peter Lobmayer.
In der Salzburger Inszenierung wird Gott von einem Jungen in kniekurzen Hosen gesprochen, dem Tod befiehlt der kurzbehoste Gott. Für ein Mysterienspiel irritierend. Denn Jedermann ruht in mühsam entwickelten christlichen Wurzeln und Werten; Gott in der Person eines kleinen Jungen darzustellen ist höchst gewöhnungsbedürftig, locker amerikanisch. Ein Werte kündender Gott, der über Leben; Glauben, Tod richtet, wäre glaubwürdiger gewesen.
Das Geschehen auf dem Vorplatz am Salzburger Dom ergreift dennoch: Zu Anfang zieht laut in bunten Gewändern das "Volk“ auf die Bühne: Gestalten mit übergroßen Masken, großen Hörnern, skurril, schrill, merkwürdig, sehr lebendig. Sie spiegeln das Leben des reichen Jedermann: Cornelius Obonya mit fülliger Stimme sanft wie tobend: Üppig, reich, oberflächlich, ganz auf sein eigenes Wohlergehen konzentriert; "Mein Haus hat ein gutes Ansehn". Reiche Menschen schaffen sich ihr eigenes Umfeld; dazu gehören der Gute Gesell (Patrick Güldenberg) und die Buhlschaft, seine schöne frivole Geliebte. Die Buhlschaft (Miriam Fussenegger) radelt ausgelassen auf die Holzbühne, ihren Geliebten, der sie elegant gekleidet zum Festmahl erwartet, umkreisend. Ihr Auftreten ist verbunden mit wenigen Sätzen, aber großer Wirkung. Als Verkörperung von Verführung, Liebe und Leidenschaft ist die Buhlschaft, in aufreizendes Rot gekleidet, beständiger Blickfang auf der Bühne. Inmitten überschäumender Lebensgefühle meldet sich der Tod. Peter Lobmeyer, groß gewachsen, schlank, ganz in weiß, in eng anliegenden Kleid gekleidet mit Glatze, verkörpert ganz wunderbar aktiv seine Rolle. Jedermann bittet den Tod um Lebensaufschub, der ihm auch gewährt wird. Die große Tafelrunde löst sich in Panik auf; der Tod räumt auch auf, indem er das riesige Tischtuch abzieht. Das Spiel ist vorbei.
Von den Kumpanen seines sündigen Lebens im Stich gelassen, ist Jedermann plötzlich allein: Sein Gott war Mammon (David Bennent). Zu Bittstellern, so zu den Armen Nachbarn (Johannes Silberschneider) war er stets geizig, verhöhnend seinem Schuldknecht ( Fritz Egger), gnadenlos seiner Familie. So gehört das Erscheinen von Mammon zu den Höhepunkten des Stückes. David Bennent verkörpert als Neuzugang, aus einer übergroßen Puppe mit riesigem Maul aufsteigend, Mammon. Mit klarer kräftiger Stimme, gut artikuliert, belehrt er als wahrer "Geldscheißer" die Vergänglichkeit von Reichtum. Jedermanns Gute Werke (Sarah Viktoria Frick) machen sich bemerkbar. Sehr klein, schwach kommt von ihr der Rat zum Glauben (Hans Peter Hallwachs), der über der Bühne thront und dort die frommen wie die Jedermann rettenden Sätze verkündet "von deinen Sünden wasch ich Dich rein!". Christlich reinigend wie einfach wirkend Wasser tröpfelt er hinab.
Jedermann bittet voller Reue weinend um Gnade, er wird schnell erhört, bei seinem Lebenswandel nicht ganz plausibel; es geht schnell, einfach aber nicht ganz plausibel. Jedenfalls hat Teufel hat hier nichts mehr zu suchen, er wird in einem archaisch packenden Tanz abgewiesen. Jedermann stirbt, kleine Engelchen musizieren. Seine inzwischen stark gewordenen Guten Werke begleiten ihn in den Tod.
Das Begräbnis des Jedermann endet unter dem Läuten der Domglocken fast wie ein Spiel: Die Begleiter aus Jedermanns Leben (Buhlschaft, Nachbar, Schuldknecht u.a.) zerren, spielen an seiner Leiche, werfen Erde auf den mit Laken bedeckten Körper. Die begleitende Trauermusik wird fröhlicher. So vermittelt Salzburgs Jedermann Inszenierung das Leben als lockeres "Mach-doch-was-Du- willst" - Event, sei es auch seicht, satt, oberflächlich. Martin Lowe untermalt mit seinem Orchester die unterschiedlichen Stimmungen und gelegentlichen Tanzeinlagen.
Eine widersprüchliche aber erneut mitreißende Jedermann - Inszenierung in Salzburg geht zu Ende; sie irritierte, machte nachdenklich. Doch ist man nun gespannt auf die neue Inszenierung in 2017! IOCO / D. Zimmermann / 13.08.2016
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