Salzburg, Landestheater in der Felsenreitschule, DER FREISCHÜTZ – Carl Maria von Weber, IOCO
Durch Johannes Reitmeiers präzise Personenführung werden die innere Zerrissenheit von Max und die Verführungskraft des Dämonischen kraftvoll und glaubwürdig inszeniert.
von Marcus Haimerl
Carl Maria von Weber (1786-1826) gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der romantischen Oper. Am 18. November 1786 in Eutin geboren, entstammte er einer musikalischen Familie. Sein Vater Franz Anton von Weber war nicht nur Musiker, sondern auch Theaterdirektor und strebte danach, seinen Sohn zu einem musikalischen Wunderkind zu machen. Er unterrichtete seinen Sohn Carl Maria in den ersten Jahren und legte damit den Grundstein für den späteren Ruhm als einen der bedeutendsten deutschen Komponisten der Romantik. Erste Werke komponierte Carl Maria von Weber bereits als Jugendlicher. 1813 wurde er Kapellmeister in Prag und 1817 Musikdirektor in Dresden, wo er sich für die Entwicklung eines eigenständigen deutschen Opernstils einsetzte und gegen den damals dominierenden Einfluss der italienischen Oper kämpfte. Sein größter Erfolg kam 1821 mit der Oper Der Freischütz, die ihn schlagartig berühmt machte und als erste „deutsche Nationaloper“ gilt. Dieses Werk etablierte Weber als zentralen Vertreter der musikalischen Romantik und gilt als Meilenstein in der deutschen Musikgeschichte. Webers Oper Der Freischütz entstand zwischen 1817 und 1821 und wurde am 18. Juni 1821 im Königlichen Schauspielhaus in Berlin uraufgeführt. Das Libretto von Friedrich Kind (1768-1843) basiert auf einer volkstümlichen Sage, die August Apel und Friedrich Laun in ihrer Sammlung Gespensterbuch veröffentlicht hatten. Die Geschichte greift zentrale romantische Themen auf, wie die Faszination für das Übernatürliche, die Natur und das einfache Leben des Volkes. Ein Freischütze ist ein Jäger, der durch magische Praktiken oder Freikugeln die Fähigkeit erlangt haben soll, jedes Ziel zu treffen. Volkserzählungen von Freischützen und der Vorwurf, ein solcher zu sein, finden sich seit dem 15. Jahrhundert in Sagen und Hexenprozessakten.
Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz spielt im ländlichen Deutschland und erzählt die Geschichte von Max, einem jungen Jäger, der seine Geliebte Agathe heiraten möchte. Um die Hochzeitserlaubnis zu erhalten, muss Max jedoch einen Probeschuss meistern. Da seine Treffsicherheit nachlässt, lässt er sich von Kaspar, einem finsteren Jäger, überreden, magische Freikugeln zu gießen, die unfehlbar ihr Ziel treffen sollen. Kaspar, der mit dem Teufel Samiel einen Pakt geschlossen hat, plant jedoch, Max ins Verderben zu stürzen, um selbst dem Teufel zu entkommen. Beim Probeschuss geht die letzte, vom Teufel gelenkte Kugel auf Agathe los – doch sie wird durch ihren Brautkranz, gewunden aus den Rosen des Eremiten, geschützt und bleibt unversehrt. Stattdessen wird die Kugel auf Kaspar umgelenkt und trifft ihn tödlich. Der Pakt wird entlarvt, und der Eremit des Dorfes vermittelt eine Lösung, die Max und Agathe eine Zukunft ohne dunkle Mächte ermöglicht. Die Oper endet mit einem Happy End und einer moralischen Botschaft gegen Versuchung und übernatürliche Machenschaften. Diese Handlung verbindet Volksglauben und Magie mit einer tiefen moralischen Botschaft und wird von Webers charakteristischer Musik unterstrichen, die Naturklänge und dramatische Spannungen in die Orchestrierung integriert. Die Uraufführung war ein enormer Erfolg und führte dazu, dass die Oper bald auf zahlreichen Bühnen in Deutschland und ganz Europa aufgeführt wurde. Besonders geschätzt wurden Webers atmosphärische Klangwelt und seine Fähigkeit, das Geschehen musikalisch zu unterstreichen. Die Wolfsschluchtszene, die den geheimnisvollen und düsteren Charakter der Romantik perfekt einfängt, sorgte für großes Aufsehen und blieb ein zentrales Thema der Rezeption. Webers Oper beeinflusste zahlreiche Komponisten und wurde von späteren Generationen als ein nationales Kulturgut betrachtet. Das Werk schuf die Grundlage für die Entwicklung der deutschen romantischen Oper und inspirierte Komponisten wie Richard Wagner, der die deutsche Oper mit seinem Konzept des Musikdramas weiterentwickelte.
Johannes Reitmeier verzichtet in seiner Regiearbeit für das Salzburger Landestheater in der Felsenreitschule auf große Ausstattung. Das Bühnenbild von Thomas Dörfler besteht aus einer riesigen Schützenscheibe, die auch in kleinerem Format in den ehemaligen Zuschauerarkaden der Felsenreitschule zu sehen sind, eine Hängebrücke überspannt den Bühnenboden, zu beiden Seiten blühen die weißen Rosen des Eremiten. Die Kostüme von Katja Schindowski halten sich farblich weitgehend an die schwarz-weiß-Ästhetik des Bühnenbilds, nur Samiel, der in dieser Inszenierung auch außerhalb der Wolfsschluchtszene agieren darf, setzt mit seinem wuchtigen, rot gefärbten Webpelz Farbakzente. Durch Reitmeiers präzise Personenführung werden die innere Zerrissenheit von Max und die Verführungskraft des Dämonischen kraftvoll und glaubwürdig inszeniert. Schon vor der Ouvertüre warnt der Eremit, mit Agathe auf der Hängebrücke stehend, vor Gefahr und lässt sie zu ihrem Schutz von seinen weißen Rosen pflücken. Regisseur Reitmeier wertet auch die Figur des Samiel auf. Zwar erhält dieser, wie in manch anderen Inszenierungen, keinen zusätzlichen Text, bestimmt aber als dämonischer Verführer aktiv die Handlung. Auch wenn die Inszenierung der Handlung akkurat folgt, ist das Happy End am Ende offen, wenn Max im letzten Augenblick, dem Probejahr zum Trotz, offensichtlich der Versuchung Samiels aufs Neue erliegt.
In der aktuellen Inszenierung des Landestheaters Salzburg glänzt das gesamte Ensemble mit einer stimmlich wie darstellerisch überzeugenden Leistung, die dem romantisch-mystischen Charakter der Oper vollständig gerecht wird. Athanasia Zöhrer verleiht der Rolle der Agathe eine fein nuancierte Tiefe, die zwischen zarter Sehnsucht und innerer Stärke oszilliert. Mit ihrem warmen, volltönenden Sopran gestaltet sie die emotionalen Höhen und Tiefen der Figur ausdrucksstark und eindringlich. Besonders in der Arie Leise, leise, fromme Weise zeigt Zöhrer ihre Fähigkeit zur lyrischen Gestaltung und bringt Agathes Ängste wie auch ihre Hoffnungen auf berührende Weise zur Geltung. Ihre Stimme strahlt Klarheit und zugleich eine geheimnisvolle Wärme aus, die Agathe als eine romantische Heldin voller Gefühl und Glauben an das Gute erlebbar macht. Luke Sinclair besticht als Max mit einer kraftvollen Tenorstimme, die gerade in den dramatischen Höhen voller Ausdruckskraft und Leidenschaft erstrahlt. Sein Max wirkt durch seine Bühnenpräsenz authentisch und vielschichtig – ein Jäger, der zwischen Liebe und Zweifel hin- und hergerissen ist. Sinclairs Interpretation lässt die Verzweiflung der Figur fühlbar werden und verleiht der Rolle eine packende Tiefe. Andreas Mattersberger überzeugt als Kaspar mit einer markanten, tiefen Baritonstimme und einer unheimlichen Bühnenpräsenz. Seine Stimme trägt die bedrohliche Energie der Figur und macht die dunkle Seite des Geschehens greifbar. Nicole Lubinger bringt als Ännchen mit ihrem lebendigen und klaren, etwas dunkel gefärbten Sopran und ihrem intensiven Spiel Leichtigkeit auf die Bühne. Sie schafft ein charmantes, humorvolles Ännchen, das mit Charme und Temperament als heitere Gegenfigur zur ernsteren Agathe fungiert.
Ihr Schauspiel sticht hier besonders hervor und sorgt für einige heitere Momente, die das Publikum begeistern. George Humphreys bringt mit seinem kraftvollen Bariton eine lebendige Energie in die Rolle des Bauern Kilian. Seine klare, resonante Stimme verleiht der Figur eine markante Präsenz. Humphreys kraftvolle Interpretation und sichere Stimmführung sorgen für einen prägnanten Auftakt, der die Vitalität des ländlichen Milieus eindrucksvoll widerspiegelt und das Publikum sofort in seinen Bann zieht. Martin Summer verleiht seiner Rolle als Eremit eine berührende Autorität. Mit sanfter, warmer Bassstimme vermittelt er Weisheit und Güte und sorgt für den moralischen Ankerpunkt des Stückes, was seinem Auftritt eine eindrucksvolle Wirkung verleiht. Yevheniy Kapitula gibt dem Fürsten Ottokar eine ehrwürdige und zugleich präsente Darstellung, während Daniele Macciantelli als Kuno stimmlich solide agiert und als erfahrener Förster, wenngleich in seiner Rolle im Rollstuhl sitzend, die Verantwortung für das Schicksal der Jäger glaubhaft verkörpert.
Die Brautjungfern – Tetiana Dyiu, Kay Heles, Electra Lochhead und Annika Sandberg – überzeugen mit klaren, harmonisch abgestimmten Stimmen, die die Stimmung der Szene wirkungsvoll unterstreichen. Ihr stimmliches Zusammenspiel fügt dem musikalischen Gesamtbild eine sanfte, romantische Klangfarbe hinzu, die Webers Komposition in ihrer Leichtigkeit und Schönheit unterstreicht und das Geschehen stimmungsvoll ergänzt. Georg Clementi beeindruckt in der Rolle des Samiel mit einer intensiven Präsenz, die den Bösewicht verführerisch und bedrohlich zugleich erscheinen lässt. Bereits außerhalb der berühmten Wolfsschluchtszene gelingt es ihm, eine unheimliche Spannung aufzubauen, die sich durch das gesamte Stück zieht. Sein voluminöser roter Webpelz verstärkt die Ausstrahlung des Verhängnisvollen und gibt ihm eine imposante Erscheinung. Clementi verkörpert Samiel nicht nur als das dämonische Wesen, das hinter den Kulissen agiert, sondern auch als meisterhaften Manipulator, dessen Verführungskraft und finstere Energie spürbar sind. Seine Darstellung ist subtil und zugleich eindringlich – ein wahres Highlight der Inszenierung. Insgesamt zeigt sich das Ensemble als stimmlich hervorragend und darstellerisch tief engagiert, was die packende Dramatik von Webers Der Freischütz eindrucksvoll unterstreicht und das Publikum mit einer modernen, aber traditionell geprägten Darbietung begeistert. Der Chor und Extrachor des Salzburger Landestheaters brillierten in ihrer Darbietung durch ihre präzise und kraftvolle Präsenz. Besonders in den dramatischen Momenten des Werkes, wie in der Wolfsschluchtszene, war die stimmliche Intensität und die perfekte Abstimmung zwischen den einzelnen Stimmen bemerkenswert. Der Chor trug zur düsteren Atmosphäre bei und verstärkte den mystischen Charakter der Handlung. Aber auch der Jägerchor (Was gleicht wohl auf Erden) kann zu den Höhepunkten des Abends gezählt werden.
Leslie Suganandarajah führt das Mozarteumorchester Salzburg mit einer beeindruckenden Präzision und einem feinen Gespür für die Romantik des Werks. Das Mozarteumorchester Salzburg überzeugt unter seiner Leitung mit einer klanglichen Brillanz, auch wenn die Hörner streckenweise etwas übermächtig wirkten. Besonders in den ruhigeren, lyrischen Passagen entfaltet sich die zarte, dramatische Tiefe der Partitur, während die kraftvollen Momente – etwa die Szenen der Wolfsschlucht – mit explosiver Energie und Präzision auf die Bühne gebracht werden. Insgesamt zeigt das Orchester eine beeindruckende Flexibilität und ein ausgezeichnetes Zusammenspiel, das Suganandarajahs Interpretation perfekt ergänzt. Das Publikum war sichtlich begeistert und dankte den Künstlern, aber auch dem Leading Team mit Begeisterung und langanhaltendem Applaus. Absolut verdient!