Salzburg, Landestheater, MARTHA – Friedrich von Flotow, IOCO
Mit dieser rundum stimmigen Produktion von Flotows Martha gelingt dem Salzburger Landestheater ein fein ausbalancierter Opernabend zwischen Leichtigkeit und Gefühl.

von Marcus Haimerl
Mit Friedrich von Flotows Oper „Martha oder Der Markt zu Richmond“ hat das Landestheater Salzburg ein großartiges Werk, das lange Zeit aus dem Spielplan der großen Häuser verschwunden ist, mit Charme, musikalischer Eleganz und einem klugen Inszenierungskonzept auf bemerkenswerte Weise neu zum Klingen gebracht. „Martha“ gehört zu jenen Opern, die im 19. Jahrhundert zu den meistgespielten Bühnenwerken zählten. Der Stoff, ursprünglich als Ballet „Lady Harriet ou La Servante de Greenwich“ konzipiert, wurde zur Oper ausgearbeitet und am 25. November 1847 in Wien im Theater am Kärntnertor uraufgeführt. Sie verband die französische Opéra comique mit deutscher Romantik und liedhafter Volkstümlichkeit. Friedrich von Flotow verstand es meisterhaft, eingängige Melodien mit feinsinnigem Humor und gesellschaftlichem Rollenspiel zu verbinden. Kein Wunder also, dass das Werk bald europaweit gefeiert wurde. Allerdings zeigt die Rezeptionsgeschichte auch den Schattenwurf des Zeitgeschmacks: Was einst als liebenswert galt, wurde später als seicht belächelt. Die Produktion des Salzburger Landestheaters tritt nun mit dem Anspruch an, diese Oper nicht nur museal, sondern lebendig und reflektiert neu zu erzählen – und erfüllt diesen Anspruch auf eindrucksvolle Weise.

Regisseurin Christiane Lutz gelingt das Kunststück, das komödiantische Potential des Werks mit der psychologischen Ernsthaftigkeit der Figuren zu verweben. Sie verlegt die Handlung in die Gegenwart, aus der Adelsgesellschaft werden Studenten eines Nobel-Colleges in London, Lyonel und Plumkett sind Inhaber einer Fahrradwerkstatt. Wenn die vier Protagonisten nun singen „Wie lustig sich das Rädchen dreht“ geht es also nicht mehr um die ursprünglichen Spinnräder. Lutz erzählt das Stück als Spiel mit Identitäten und gesellschaftlichen Fassaden, wobei der ironische Ton nie zum Selbstzweck wird, sondern das emotionale Zentrum der Handlung betont. Die Figurenzeichnung ist detailreich und auch die Personenführung des Chores zeichnet sich durch Detailverliebtheit aus. Jede Nebenhandlung wird sorgfältig geführt, ohne den Fluss der Erzählung zu überfrachten. Der klassische Rollentausch wird hier nicht bloß belächelt, sondern als subtile soziale Spiegelung inszeniert – mal mit einem Augenzwinkern, mal mit spürbarer Melancholie. Das Bühnenbild von Natascha Maraval fügt sich hervorragend in die moderne Fassung ein und zeigt das nüchterne Luxusapartment mit eigenem Aufzug und Ausblick auf den Swiss Re Tower („The Gherkin“) oder der in einem Bogen eines Viadukts nebst dem Job Center gelegenen Fahrradwerkstatt. Auch die Kostüme von Dorothee Joisten spiegeln das heutige London in all seinen Facetten wider und vervollständigen hervorragend das Gesamtbild des Regiekonzepts, wie auch die Videoprojektionen von Tobias Witzgall, die die Handlung um Videokonferenzen oder Chatnachrichten gekonnt ergänzen.

Auch die musikalische Seite dieser Produktion besticht durch überzeugende vokale Leistungen. Nicole Lubinger beeindruckt als Lady Harriet Durham mit einer leuchtkräftigen Sopranstimme, die lyrische Wärme mit stilistischer Klarheit verbindet. Mit feinem darstellerischem Gespür gibt sie der Rolle psychologische Tiefe und Glaubwürdigkeit. Besonders eindrucksvoll gelingt ihr dies in der berühmten Arie der „Letzten Rose“, in der sie große Innigkeit mit klanglicher Subtilität verbindet. Mit fein gezeichnetem Legato, sorgfältigen Phrasierungen und emotionaler Durchdringung berührt sie auf direkte, aber nie sentimentale Weise. Lubinger gestaltet ihre Partie mit stimmlicher Souveränität und darstellerischer Präsenz – eine überzeugende, tragende Leistung des Abends. Mona Akinola ergänzt als Nancy diesen Eindruck auf wunderbare Weise. Mit klangvollem, farbenreichem Mezzosopran und lebendiger Ausstrahlung verkörpert sie den quirligen Gegenpol zur zurückhaltenden Lady Harriet. Akinola versteht es meisterhaft, die komödiantische Seite der Oper mit pointiertem Spiel und charmanter Leichtigkeit zur Geltung zu bringen, ohne jemals ins Chargenhafte zu kippen. Ihr Mezzo überzeugt durch Wärme, Kraft und Ausdrucksvielfalt, und sie nutzt jede Szene, um ihrer Figur Kontur und Charakter zu verleihen. Die lebendige Darstellungskraft und sängerische Präzision, mit der Akinola ihre Rolle ausfüllt, machen sie zu einem zentralen Bestandteil des gelungenen Ensembles – und zu einem Publikumsliebling des Abends. Daniele Macciantelli sorgt als Lord Tristan Mickleford für eine herrlich schräge Note im Geschehen – mit köstlich überzeichneter Noblesse und feinem Gespür für komische Wirkung. Auch stimmlich überzeugt er mit baritonaler Würze und tragfähiger Klanggebung. In den Ensembles bleibt seine Stimme präsent und fügt sich zugleich angenehm in das Klangbild ein. Macciantelli versteht es, mit kleinen szenischen Details große Wirkung zu erzielen – ein rundum gelungener, amüsanter Auftritt, der das komödiantische Profil der Inszenierung auf charmante Weise unterstreicht. Luke Sinclair begeistert als Lyonel mit strahlkräftigem Tenor, technischer Brillanz und einer bemerkenswerten stilistischen Reife. Vom ersten Einsatz an überzeugt er durch eine klare, leuchtende Höhe und eine Stimme, die stets mühelos geführt und klanglich ausgewogen bleibt. Seine Interpretation des romantischen Außenseiters Lyonel ist von großer innerer Spannung getragen – Sinclair verleiht der Figur Würde, Verletzlichkeit und leidenschaftliche Entschlossenheit in gleichem Maße. Besonderer Glanzpunkt ist seine Darbietung der berühmten Arie „Ach, so fromm, ach, so traut“, die bei ihm weit über bloße Virtuosität hinausgeht. Mit durchdachter Phrasierung, subtiler Dynamik und emotionaler Tiefe formt er daraus ein ergreifendes Seelenbild – ein musikalisches Bekenntnis, das zwischen Stolz, Verlangen und beginnender Verzweiflung pendelt. Sinclair gelingt hier ein Moment von berührender Intimität und gesanglicher Exzellenz zugleich – ein wahrer Höhepunkt des Abends. George Humphreys überzeugt in der Rolle des Plumkett mit kraftvollem Bariton, und markanter Bühnenpräsenz. Seine Stimme trägt mühelos durch den Raum, mit kerniger Durchsetzungskraft und gleichzeitig einer warmen, natürlichen Färbung, die der Figur eine authentische Bodenständigkeit verleiht. Humphreys gestaltet Plumkett als klugen, humorvollen Charakter mit Herz und Haltung. Mit sängerischer Klarheit bildet er einen wirkungsvollen Kontrapunkt zum empfindsam-schwärmerischen Lyonel.

Besonders in den gemeinsamen Szenen sorgt er für Spannung und Ausgleich, ohne dabei je die emotionale Tiefe seiner eigenen Figur zu vernachlässigen. Eine überzeugende, tragende Leistung – sowohl gesanglich als auch darstellerisch. Michael Schober als Richter zu Richmond rundet das Ensemble mit warm timbriertem Bassbariton ab und überzeugt in den kleineren Szenen mit feiner darstellerischer Nuancierung. Der Chor des Salzburger Landestheaters überzeugt mit stimmlicher Homogenität, präziser Artikulation und eindrucksvoller Bühnenpräsenz. Unter der Leitung von Mario El Fakih Hernández präsentiert sich das Ensemble als klanglich geschlossene Einheit, die sowohl musikalisch als auch darstellerisch ein hohes Niveau hält. Mit frischer Spielfreude und klarer Diktion prägt der Chor viele szenische Momente entscheidend mit und verleiht ihnen Energie und Farbe. Auch in den lyrischen Passagen gelingt eine bemerkenswerte Ausdruckstiefe, die nie ins Pathos kippt, sondern stets atmosphärisch fein abgestimmt bleibt. Der Chor ist damit weit mehr als ein Hintergrund – er wird zu einem lebendigen, gestaltenden Element des Bühnengeschehens. Das Mozarteumorchester Salzburg unter der Leitung von Tobias Meichsner überzeugt mit klanglicher Transparenz, stilistischer Genauigkeit und gestalterischer Sensibilität. Meichsner führt das Orchester mit sicherer Hand durch Flotows farbenreiche Partitur und findet eine ausgewogene Balance zwischen Leichtigkeit und Dramatik. Die Musikerinnen und Musiker des Orchesters zeigen sich in bester Form: rhythmisch präzise, dynamisch differenziert und stets im Dienst des musikalischen Ausdrucks. Das Orchester trägt wesentlich zur emotionalen Spannweite des Abends bei – und unterstreicht mit feinem Gespür die musikalische Sprache dieser romantischen Oper. Mit dieser rundum stimmigen Produktion von Flotows Martha gelingt dem Salzburger Landestheater ein fein ausbalancierter Opernabend zwischen Leichtigkeit und Gefühl. Gesanglich wie szenisch auf hohem Niveau, getragen von einem spielfreudigen Ensemble, einem präzise geführten Chor und einem hervorragend musizierenden Orchester, wird das Werk als lebendige Mischung aus Romantik, Humor und berührender Menschlichkeit erlebbar. Ein Abend, der zeigt, wie viel Charme und Tiefe in dieser heutzutage unterschätzten Oper stecken.