Salzburg, Festspielhaus, Ungebaute Feentempel in Salzburg - eine Story, IOCO Aktuell, 06.08.2020
„Der Traum von einem Feentempel“
Ideen und Pläne - Nie gebaute Salzburger Festspielhäuser
Ein zerknittertes Blatt Papier am Wegesrand, ein riesiger weißer Tisch mitten im Buchenwald, gestempelte Pflöcke im Nashorngehege des Hellbrunner Zoos in Salzburg und ein golden lackierter Portalrahmen im Mirabellgarten – all diese Kunstwerke im Grünen erinnern ab heute an verworfene Ideen und Pläne zur Erbauung eines Festspielhauses in Salzburg. Von Anfang an war die Idee von Festspielen eng verbunden mit der Idee, ein Festspielhaus zu errichten. In den vergangenen 130 Jahren sind zahlreiche Bauplätze und Planungen angedacht worden. Vier dieser historischen Bauplätze wurden nun durch künstlerische Interventionen im Zuge des 100-Jahr-Jubiläums der Salzburger Festspiele wiederbelebt.
Schlosspark Hellbrunn, Mönchsberg, Kapuzinerberg, Mirabellgarten
Den ältesten dieser Entwürfe haben das seinerzeit führende, auf Theaterbauten spezialisierte Architekturbüro Fellner und Helmer (sie erbauten 48 Theater, ua in Wien, Rijeka, Wiesbaden, Bratislava, Prag, Salzburg, Gießen) im Jahr 1890 erdacht. Am Mönchsberg hätte ein Mozart-Festspielhaus als Gegenentwurf zum Wagner-Weihetempel Bayreuth fern vom Lärm der Stadt entstehen sollen. Künstlerin Esther Stocker hat an eben dieser Stelle eine dreiteilige Knitterskulptur erschaffen. Wie achtlos zerknülltes Papier liegen die Skulpturen aus Aluminium in der Wiese; auf ihnen zu sehen sind der überdimensionierte Grundriss des Festspielhausentwurfes, eine weitere Seite aus der Broschüre des ActionsComites.
Das Mozart-Festspielhaus in Salzburg von 1890 und dessen Deckblatt. „Ich habe mit dieser Utopie und mit dieser visionären Idee künstlerisch gespielt. Mich hat vor allem die Frage beschäftigt, was von dieser Idee heute übrig geblieben ist und was weitergewandert ist“, sagt Esther Stocker. Die Hingabe, mit der die Schrift verfasst wurde, habe sie besonders fasziniert, das internationale Denken der Architekten und deren Wunsch, schon so früh eine Einladung an die Welt auszusprechen. Die Blätter, so nennt sie die Skulpturen, bestehen aus Aluminium, die oberste Schicht aus einer bedruckten Außenplane. Die Knitterung verkörpere, dass mit den Ideen gearbeitet wurde, sie aber am Ende wieder verworfen wurden. Überresten gleich liegen sie nun wie zufällig hingeworfen auf der Wiese und sollen die Menschen, die daran vorbeilaufen, zum Nachdenken anregen.
Der Theatermagier und Festspielmitbegründer Max Reinhardt schwärmte bereits in seiner Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Hellbrunn 1917 von einem durch die Trambahn gut erschlossenen Ort „abseits vom städtischen Alltagsgetriebe“. In der südlichsten Kurve des Hellbrunner Parks gehen heutzutage Menschen spazieren oder betätigen sich sportlich. Wären die damaligen Pläne des Berliner Architekten Hans Poelzig umgesetzt worden, stünde man an dieser Stelle mitten im Orchestergraben des Festspielhauses. Die Architekten Maria Flöckner und Hermann Schnöll haben zusammen mit Projektleiter Norbert Mayr eine sehr konkrete Intervention geschaffen, die dem heutigen Besucher auf direktem Weg die Ausmaße des Bauvorhabens vor Augen führt. Über 1000 Pflöcke haben sie per Hand gestempelt (Foto unten) und damit die Umrisse des 160 Meter langen und 110 Meter breiten Gebäudes markiert. Darauf zu lesen sind Zitate aus der Rede Poelzigs, die er vor der Festspielhaus-Gemeinde in Salzburg gehalten hat. Die Pflöcke dürfen im Übrigen als Erinnerungsstücke mitgenommen werden. Das Konzept der Architekten sieht die schrittweise Auflösung des Projektes im Laufe des Jahres vor, sodass nur die Achse in Erinnerung bleibt.
Sogenannte „Platzanweiser“ (Foto) geben auf der Längsachse an, wo im Haus man sich befunden hätte. Der Eiserne Vorhang wird durch einen 24 Meter langen Bretterstapel verortet, der die Besucher wie eine Bank zum Verweilen einlädt. „Wir wollten die Ausmaße und Dimensionen dieses Gebäudes zeigen und darstellen, welche Auswirkungen der Bau letztendlich auf das Parkgelände hier gehabt hätte“, sagt Hermann Schnöll. „Das Projekt arbeitet mit Elementen der Baustelleneinrichtung, beispielsweise Vermessungspflöcken für das erste Einmessen des Gebäudeumrisses“, ergänzt Maria Flöckner. Es habe damals noch eine Grundsteinlegung gegeben, Gelder wurden gesammelt, aber die Inflation habe letztlich dazu geführt, dass das Projekt nicht umgesetzt werden konnte. Die gelben Platzanweiser führen nicht nur durch den südlichsten Teil des Hellbrunner Parks, sie ragen hinein bis ins heutige Nashorngehege des Hellbrunner Zoos. Wo heute Nashörner, Gazellen und Zebras leben, hätten sich der Eingang und das Foyer des Festspielhauses befunden,.
Ausgangspunkt der Intervention von Werner Feiersinger ist das Gipsmodell für das – in ein größenwahnsinniges Gauforum integriertes – Festspielhaus von Architekt Otto Reitter aus der Sammlung des Salzburg Museum, das den vorletzten Projektstand 1942 zeigt. Adolf Hitler hatte 1942 bei der projektierten Gauanlage auf dem Salzburger Kapuzinerberg entschieden, dass eine neue Lage für das Festspielhaus zu erarbeiten sei. So sollte dieses seinen Platz gegenüber dem von Architekt Otto Strohmayr entworfenen Gauhaus auf dem südöstlichen Abschluss des massiven Verbauungskomplexes bekommen. Otto Reitter richtete die Gebäudeachse auf die Festung Hohensalzburg aus, um damit die Präsenz der NS-Diktatur im Stadtbild zu erhöhen. „Ich wollte diesem gigantomanischen Entwurf ein möglichst kleines Modell entgegensetzen“, sagt Werner Feiersinger. Mit dieser bewusst einfachen und reduzierten Arbeit habe er die kritische Auseinandersetzung mit dem Projekt ausdrücken wollen, um der Falle einer Legitimierung aus dem Weg zu gehen. Der Tisch gebe dem Modell die entsprechende Bühne und lade gleichzeitig Besucher zum Verweilen ein. Die Oberflächengestaltung spiele eine große Rolle in seiner Arbeit, sagt der Künstler. Nichts sei glatt und perfekt, er spricht von einer Orangenhaut, an der auch im Laufe der Zeit die Natur anhaften darf.
„Ich wollte meine Arbeit nicht am markantesten Punkt präsentieren“, sagt Werner Feiersinger. „Ich war öfter hier oben am Kapuzinerberg, ehe ich die für mich passende Stelle entscheiden konnte.“ Ein permanentes Ausprobieren, ein Vor und Zurück, so beschreibt er seine Arbeitsweise. Sowohl die Frage, wo der Tisch situiert sein solle als auch die Frage, wo auf dem Tisch das Modell stehen solle, habe er nicht mit intellektuellen Überlegungen beantwortet, sondern durch fortwährendes Ausprobieren. Er habe eine Arbeit schaffen wollen, die gleichzeitig kritisch ist, aber dennoch anziehend wirkt, eine offene Arbeit, die verschiedene intuitive Zugänge ermögliche.
Der Entwurf für die künstlerische Intervention am Rosenhügel im Mirabellgarten greift Clemens Holzmeisters Überlegungen zur Einheit von Bühne und Zuschauerraum und zur Überwindung der Grenze zwischen Natur und Architektur auf. Mit ihrem dreiteiligen, gold lackierten Portalrahmen abstrahiert die Künstlerin Isa Rosenberger die Umrisse jener HinterbühnenPortale, die Holzmeister für ein Festspielhaus am Rosenhügel geplant hat: Der Blick über den Mirabellgarten und auf die Festung Hohensalzburg wird „gerahmt“. Die Stadt wird damit selbst zur Bühne, so wie es sich Festspielgründer Max Reinhardt immer gewünscht hat.
Der Rosenhügel hätte für den Bau abgetragen werden müssen. Isa Rosenberger berechnet diesen Faktor in ihr Kunstwerk mit ein: Ihr Rahmen ist 19,5 Meter breit und 7,5 Meter hoch, der Holzmeister-Bau wäre 9,5 Meter hoch geworden (also minus die 2 Meter des Rosenhügels). Der Firma Stahlbau Ziegler, langjähriger Partner der Salzburger Festspiele, ist es zu verdanken, dass der Portalrahmen nun in den Originaldimensionen (entsprechend dem geplanten Bau von Holzmeister) realisiert werden konnte. Das Festspielhaus von Holzmeister wäre nur 10 Meter vom Schloss Mirabell entfernt gewesen; vom Portalrahmen aus hätte sich der Bau 110 Meter nach hinten bis zur Auerspergstraße hin erstreckt. „Der Portalrahmen soll eine Einladung an die Besucher zur Selbstinszenierung sein“, sagt die Künstlerin. Die Position habe sie so gewählt, dass das klassische Salzburg-Bild geframed wird. Sie hoffe dadurch verschiedene Sichtweisen auf die Stadt möglich zu machen.
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