Saint-Denis - Paris, Basilique Cathédrale, FESTIVAL DE SAINT-DENIS 2023, IOCO Kritik, 13.06.2023

Saint-Denis - Paris, Basilique Cathédrale, FESTIVAL DE SAINT-DENIS 2023, IOCO Kritik, 13.06.2023
CATHÉDRALE BASILIQUE SAINT-DENIS © Peter Michael Peters
CATHÉDRALE BASILIQUE SAINT-DENIS © Peter Michael Peters

FESTIVAL DE SAINT-DENIS 2023

FESTIVAL DE SAINT-DENIS 2023 - Basilique Cathédrale

Ludwig van Beethoven : SYMPHONIE N° 5 in C-Moll, Op. 67 (1808)

                                          AH ! PERFIDO, Op. 65 (1796)

Wolfgang A. Mozart:       BELLA MIA FIAMMA, ADDIO, K. 528 (1787)

Arnold Schönberg:          DIE VERKLÄRTE NACHT, Op. 4 (1919)

von Peter Michael Peters

Das große klassische Konzert dieser Festival-Ausgabe ist: Die Symphonie N° 5 in C-Moll, Op. 67 von Ludwig van Beethoven (1770-1827) unter der Leitung des lettischen Dirigenten Andris Nelsons, einem der grössten Dirigenten der Gegenwart. Dies ist der erste Besuch des derzeitigen musikalischen Leiters des Boston Symphony Orchestra und des Gewandhaus-Orchester Leipzig auf dem Festival Saint-Denis. Dieses Konzert ist auch eine Gelegenheit, in zwei berühmten Konzert-Arien  von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Beethoven die deutsche Sopranistin Christiane Karg zu hören, eine große Mozart-Interpretin, die sich bei den Salzburger Festspielen bereits einen großen Namen gemacht hat. Die verklärte Nacht, Op. 4 ein faszinierendes Werk der Spätromantik, komponiert vom 25-jährigen Arnold Schönberg (1874-1951) weit vor seiner Zwölfton-Periode, rundete dieses von den Ausnahme-Musikern des Mahler Chamber Orchestra getragene Programm ab.

  • VOM LICHT DER FREIHEIT IN DIE VERKLÄRTE NACHT…
  •  
  • Zwei Menschen gehen durch kahlen, kalten Hain,
  • der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
  • Der Mond läuft über hohe Eichen,
  • kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,
  • in das die schwarzen Zacken reichen.
  • Die Stimme eines Weibes spricht:
  • Ich trag ein Kind, und nit von dir,
  • ich geh in Sünde neben dir.
  • Ich hab mich schwer an mir vergangen;
  • Ich glaubte nicht mehr an ein Glück
  • Und hatte doch ein schwer Verlangen
  • Nach Lebensfrucht, nach Mutterglück
  • Und Pflicht – da hab ich mich erfrecht…
  •  Auszug aus Verklärte Nacht von Richard Dehmel (1863-1920)
Festival de Saint-Denis Paris / Mahler Chamber Orchestra mit Christiane Karg, Sopran, Andris Nelsons, Dirigent und Orchester © Edouard Brane
Festival de Saint-Denis Paris / Mahler Chamber Orchestra mit Christiane Karg, Sopran, Andris Nelsons, Dirigent und Orchester © Edouard Brane

Einen Moment des Schwindelgefühls…

Schon bald nach der Fertigstellung der Eroica muss Beethoven mit der Arbeit an der nachmaligen  Symphonie N° 5 begonnen haben. Unterbrochen wurde diese Arbeit durch die Komposition unter anderem der späteren Symphonie N° 4. Nach deren Vollendung dieser kehrte Beethoven zur fünften zurück und schloss diese wohl im Frühjahr 1808 endgültig ab. Die Uraufführung erfolgte am 22. Dezember 1808 am Theater an der Wien. Die doppelte Widmung lautete wie folgt: „Seiner Durchlaucht Monsignore, dem Fürsten Joseph Franz von Lobkowitz und Herzog von Raudnitz (1772-1816) und Seiner Exzellenz dem Grafen Alexei Grigorjewitsch von Rasumowski (1748-1822)“.

Lassen sie uns einige wichtige Urteile über das Werk wiedergeben: Die von Ernst Theodor Amadeus  Hoffmann (1776-1822) verfasste Kritik: „Die Symphonie N° 5 drückt in höchstem Mase die Romantik aus, die das Unendliche offenbart.“ Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) sagte 1830, als Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) ihm die Partitur auf dem Klavier vorspielte: „Sie ist sehr groß, sie ist absolut verrückt! Man hätte befürchtet, dass das ganze Haus einstürzen würde (!).“ Schließlich schreibt Hector Berlioz (1803-1869) in der Gazette Musical während einer Pariser Aufführung im Jahr 1834: „Das Publikum überschüttete in einem Moment des Schwindelgefühls das Orchester mir seinen schrillen Schreien. Ein nervöser Krampf erschütterte den ganzen Saal.“ Beharren wir nicht darauf: Gestern wie Heute „ist“ die Symphonie N° 5 in C-Moll eben Beethoven!

Inhaltlich und vom Charakter her schließt das Werk an die Eroica, nicht an die Symphonie N° 4 an. Da zeigt sich in einer, wie dort besonders deutlich wahrnehmbaren Wirkung einer „poetischen Idee“, man hat diese fast einstimmig in einem heroischen Durchgang „vom Kampf zum Licht“ gesehen und man wird dieser, wenn auch etwas mythos-nahen Deutung wohl zumindest im Kern folgen dürfen. Der erste Satz exponiert unisono sogleich jene intensiven hämmernden Schläge, die wohl durch Anregungen französischer Revolutions-Musik zu erklären sind und in ihrer rhythmischen Prägnanz nicht nur das Haupt-Thema, sondern  auch weite Folgestrecken des ganzen Satzes bestimmen durch den Kontrast eines gesanglicheren zweiten Themas in der Wirkung wohl noch erheblich verstärkt. Der etwas mildere langsame Satz, ruhig voranschreitend, ist hauptsächlich als Variantensatz geführt, geht aber dann vorübergehend in freiere Form über.

Das Scherzo, seiner Ausdehnung nach weit über ein übliches Scherzo hinausgehend, schließt im Charakter wiederum eher an den ersten Satz an: Ähnlich wie dort kehren auch hier Dreiergruppen von Stößen zurück und der Anschluss an die französischen revolutions-musikalischen Vorbilder ist auch hier unverkennbar. Beethoven schiebt auch in diesem Satz Fugato-Partien ein, bevor er zum Angangsgedanken zurückkehrt. Diesen löst er aber vor allem unter durchgehaltenen unheimlichen Paukenschlägen immer mehr auf und lässt ihn in einer gleichzeitigen Aufhellung nach Dur direkt in das Finale münden. Auch dieses steht nun in Dur und greift nicht mehr auf die anfänglichen Moll-Tonarten zurück.

Das Ringen, wie es in den vorangegangenen Sätzen teilweise herrschte, scheint nun völlig überwunden! Fanfarenartige und hymnische Partien, deren auch durch die Einführung von kleiner Flöte, Kontrafagott und Posaunen zustande kommen, in der „I‘èclat triumphal“ nicht zu überhören ist, führen das Werk in unaufhaltsamen Schwung zu Ende: Das vorübergehende Einblenden eines auf das Scherzo zurückweisenden Teils dient zur Steigerung der Wirkung dieses glanzvollen Abschluss!

Festival de Saint-Denis Paris / Mahler Chamber Orchestra hier Andris Nelsons, Dirigent und Orchester © Edouard Brane
Festival de Saint-Denis Paris / Mahler Chamber Orchestra hier Andris Nelsons, Dirigent und Orchester © Edouard Brane

Alles von streichelnder Sinnlichkeit…

Ah! perfido, Op. 65 (1796). Bei dieser 1805, zweifellos nach einigen Überarbeitungen, veröffentliche Konzert-Arie handelt es sich wahrscheinlich um die zehn Jahre zuvor geschriebene Scena, die die berühmte Sängerin Josepha Duschek (1754-1824) am 21. November 1796 in Leipzig sang. Josepha, die Ehefrau des Komponisten Frantisek Xaver Duschek (1731-1799) war eine Freundin von Mozart gewesen, der zwei Konzert-Arien für sie geschrieben hatte: Ah lo previdi, K. 272 (1777) und Bella mia fiamma, Addio, K528 (1787). Beethoven wiederum vertraut ihr eine dramatische Szene für Gesang und Orchester an, wie es sich gehörte für diese Epoche mit einem italienischen Text: Der teilweise der Oper Achille in Sciro (1744) von Pietro Métastase (1698-1782) entlehnt ist – eine typische Szene der verlassenen Liebenden, die erst ihre Wut und dann ihren Schmerz besingt, bestehend aus einem Rezitativ und gefolgt von einer Arie.

Und als ob seine Adressatin ihn dorthin eingeladen hätte, drückt Beethoven hier im reinsten Mozart-Styl aus: Herzklopfen der Streicher, gesteigerte Farben der Klarinetten, Fagotte und Hörner, aber vor allem in der Übersetzung der verinnerlichten Sätze, diese „contrasti d’affetti“ was die Seele von Donna Elvira / Don Giovanni, K. 527 (1787) von Mozart mit der Schwester des Schmerzes der unglücklichen Verlassenen. Das Rezitativ beginnt in C-Moll (während sich die Arie in Es-Dur entfaltet) und ist selbst Mosaik aus Klang-Ereignissen in scharf gegensätzlichen Tempi, das von schrillen Revolten-Schreien  bis zur sensiblen Umkehrung der Gefühle führt: „Dei vendicativi, risparmiate il suo cuore, colpite il mio!... per lui voglio morire.“ Auf das Cantabile, das die Arie „Per pietà…“ eröffnet, voller streichelnder Sinnlichkeit bei der Beschwörung der Geliebten, folgt die Cabalette „di bravurera“, in einer Intarsien-Einlage aus Episoden, deren Nuancen- und Tempo-Kontraste die Liebes-Störung verraten, heftige Vorwürfe, unterbrochen von Anrufen zur Frömmigkeit, manchmal murmelt er pp und manchmal schreit er ff ins Angesicht des Universums.

Ein neuer stimmlicher Transvestit?

Eine weitere Konzert-Arie, ein weiteres Meisterwerk, Bella mia fiamma, addio, K. 528 (1787), ist ebenfalls mit einer befreundeten Sängerin verbunden. Am 3. November 1787 wohnte Mozart in Prag in der Bertramka, dem Pavillon der Duscheks außerhalb der Stadt, wo er die Komposition von Don Giovanni fertigstellte. Fünf Tage nach der Uraufführung seiner Oper (aber Josepha, die keine Karriere am Theater machte, war an der Produktion nicht beteiligt) bat sie ihn um eine neue Komposition. Den Berichten zu zufolge hätte sie Wolfgang eingesperrt, bis die Arie erklang, aber der Musiker hätte als Gegenleistung verlangt, dass Josepha das Stück offen singe, was die Intonations-Schwierigkeiten erklären würde. Man sagte, dass die Duschek die Arie trotz aller Schwierigkeiten meisterhaft interpretierte!

Mozart entlehnt seinen Text dem von Cerere placata (1772) von Niccolo Jommelli (1714-1774). Verurteilt verabschiedet sich der Held Titan: Von der Geliebten Proserpina, von ihrer Mutter, Königin Ceres, die ihn ablehnt und seinen Freund Alphas. Arie für einen männlichen Sänger, die Mozart für eine Sängerin schreibt: Ein neuer stimmlicher Transvestit der Rollen? Die Form ist dieses Mal die eines begleiteten Rezitativs, gefolgt von einer zweiteiligen Arie. Das Rezitativ (Andante) erklingt als die Klage des Titan mit einem sehr inneren Abschied und ohne die für das Genre typischen Effekten. Auch in dem ersten Teil der Arie, Andante im ¾ Takt in C-Dur, erscheint für einen Moment das traurige Klima der Resignation in der schrecklichen Einsamkeit der Seele. Aber die Rinde bricht unter dem Druck des bisher enthaltenen intensiven Schmerzes: „Grausamer Tod!“ Dann dissonante Akkorde des „Abschieds für immer“ und „dieser letzte Schritt, dieser Schmerz ist für mich schrecklich“, mit einem chromatischen Muster, das in Quarten im Zickzack verläuft. Schematisch in ABA’A‘ organisiert, entkommt dieses Stück jeder konventionellen Zwangsjacke, um einer Logik der Emotionen zu gehorchen und erneuert melodische Profile, Harmonien und Instrumental-Farben für den zerrissenen Titan. Der zweite Abschnitt, Allegro, lässt den Schmerz mit animalischer Gewalt explodieren: Heftige Schreie, atemlose Laut-Äußerungen, zwanghafte Wiederholungen. Donna Anna (Don Giovanni) hatte möglicherweise nie ein so großes Delirium!

Um menschliche Gefühle auszudrücken…

Die verklärte Nacht, Op. 4 (1919). Das im September 1899 für Streich-Sextett geschriebene Werk fällt eindeutig in die Gattung der Kammer-Musik. Schönberg hat jedoch selbst zwei Versionen für Streichorchester angefertigt, die auf 1917 bzw. 1943 datiert sind: Sie rechtfertigen es, sie kurz zu erwähnen. Die Uraufführung der ersten Orchesterfassung fand 1919 in Wien unter der Leitung des Komponisten statt.

Erinnern wir uns hier daran, dass diese Partitur in die stille Tonale-Periode des Musikers fällt (sie löste dennoch einen großen Skandal aus) und dass sie, inspiriert von einem Gedicht von Dehmel ein Programm vorgibt: Das Werk illustriert jedoch weder Dramatik noch Dynamik aber beschränkt sich doch gewissermaßen sehr stark auf die Darstellung und den Ausdruck tiefer menschlicher Gefühle. Es scheint daher, dass es als reine Musik gewürdigt werden kann (Schönberg). An dieser reinen Musik fällt dem Hörer vor allem die überbordende Lyrik auf und sie ist auf jeden Fall nicht ohne den Einfluss von Richard Wagner (1813-1883) und Johannes Brahms (1833-1897) zu spüren. Allerdings gehören die melodischen Wendungen bereits zum Schönberg der zukünftigen Kammer-Symphonie in E-Dur, N° 1 ,Op. 9 (1922): Die Eliminierung, oder fast jegliche Bezugnahme auf den perfekten Akkord sowie die tonale Instabilität (obwohl die Tonalität von D-Moll bestätigt wird) sorgen für eine dynamische Konstante. Ebenso entstehen die harmonischen Spannungen durch das Eindringen diatonischer Elemente in das chromatische Universum… Aber der Beweis ist da: Diese Orchester-Version kann das Sextett nicht ersetzen, das von einer unmittelbareren, reineren Intensität ist, wie der Autor es wünschte.

Festival de Saint-Denis Paris / Mahler Chamber Orchestra mit Christiane Karg, Sopran und Orchester © Edouard Brane
Festival de Saint-Denis Paris / Mahler Chamber Orchestra mit Christiane Karg, Sopran und Orchester © Edouard Brane

Konzert  - 8. Juni 2023 - Basilique-Cathédrale Saint-Denis

So klopft das Schicksal an die Tür…

Die berühmte vielgespielte Fünfte von Beethoven hat wieder einmal ihre überwältigende Kraft und Perfektion unter Beweis gestellt… Sie ist wohl einmalig… Unwiderstehlich! Ja, man kann sagen mit ihr klopft das Schicksal wirklich an die Tür… Sie ist auch heroisch, wild und ungestüm! Sie ist Alles das: Was das innere Wesen einer humanen Seele vereint!

Und wenn sie dazu auch noch von Weltklasse-Musikern interpretiert wird, ist man als Zuschauer unweigerlich in einer Atmosphäre zwischen Himmel und Erde. An diesem Abend waren wir nicht sicher, ob wir diese ungemein revolutionäre Sphären-Klänge schon einmal hörten? Oder war es eine Uraufführung? Auf jedem Fall brachte der talentierte lettische Dirigent Andris Nelsons diese wunderbaren Musiker des Mahler Chamber Orchestra mit leichten… ja mit zärtlichen Zügeln in einen wilden Galopp. Alleine für das Auge war es wunderbar zu sehen, wie diese Musiker mit ihrem  ganzen

Innenleben total alles gaben und dazu mit einem undefinierbaren Lächeln, das uns wohl sagen sollte: Wir lieben diese Musik… wir lieben was wir machen… wir lieben Beethoven! Und das inspirierte unweigerlich den verinnerlichten Zuschauer, des er sich sagte: Auch wir sind jetzt  Götter!

Der Dirigent brachte uns den gigantischen Kampf des strahlenden Lichtes der Freiheit über die tiefe dunkle Nacht der Tyrannei näher als je zuvor: Die berühmten Anklänge an die Französische Revolution, dazu umgeben von den vielen Grabmählern einer zerbrochenen Französischen Monarchie in der Basilique Cathédrale Saint-Denis. Für uns waren es wohl sehr starke emotionelle Momente, denn zusammen mit dieser überwältigen Musik von Beethoven, machten wir in Gedanken eine Art Imaginäre Bilanz über die unzähligen Einzelschicksale beider Seiten.

Beethoven _ hier lebte er in Wien Foto IOCO
Beethoven - hier in Wien Foto IOCO

Übrigens das gesamte Programm des Abends war eine sehr intelligente und imaginäre gewissermaßen neu ausgedachte Schöpfung: Uns wurde eine gewaltige Messe zelebriert! Ja, wir sahen es so… Das Publikum zur Zeit des Komponisten war sehr gespannt auf Premieren. Deshalb hatte Beethoven, da seine Konzert-Arie Ah! Perfido!..., ein Werk aus seiner frühen Jugend, sehr gut zu seiner Fünften passte, bei der Entstehung seiner Symphonie schlicht und einfach bei der Opus-Zahl der Arie geschummelt. Nelsons erweckt diesen Abend teilweise wieder zum Leben! Ursprünglich dauerte Beethovens Konzert vier Stunden, die Länge einer Wagner-Oper. Nelsons kürzte es und bereicherte es mit einem überaus romantischen aber doch sehr bittersüßen Stück: Die verklärte Nacht von Schönberg in seiner Fassung für Streichorchester.

Wie wir schon sagten, es wurde eine Messe zelebriert: Das heißt auch der gesamte Abend wurde ohne Pause gespielt und das verstärkte auch noch das atemlose Hören, indem Beethoven, Schönberg, Mozart in einander verflochtet waren und sich auch noch ungeniert hemmungslos unter ihres Gleichen tummelten.

Die verklärte Nacht zeigt uns (oder besser gesagt lässt uns hören) wie gewissermaßen zwei Menschen, die wahllos in einem mondüberschatteten Wald ihres Weges gehen. Der wunderbare Text von Dehmel wird für uns ein sogenannter Wegweiser der Schuldgefühle, des Vergebens und der Versöhnung. Die traumhaften musikalischen Etappen dieser unerlässigen überfließenden Töne mit ihrer goldfarbenen Mondschein-Sonate à la Schönberg ist einfach umwerfend. Und jede Etappe wird intensiver… intensiver… intensiver und jedes Mal stockt dem verblüfften Zuschauer ein wenig mehr der Atem. Die Musik-Massen werden dichter, geballter, ja intensiver und jeder wartet nur auf den Moment der Erlösung: Jetzt sind wir auf dem höchsten Grad angelangt: Langsam… sehr langsam vergeht die Spannung, verblasst der Ton, alles fällt auseinander und  unser Atem wird wieder normal. Ein sphärischer Trip der tausend Ängste und Gefühle hat uns endlich in Frieden verlassen!

Wolfgang Amadeus Mozart in Wien Foto IOCO
Wolfgang Amadeus Mozart in Wien Foto IOCO

Zwischen den beiden großen Musik-Massen Beethoven und Schönberg hat Nelsons geschickt  zwei Konzert-Arien eingelegt. Die Sopranistin Christiane Karg mit ihrer an Mozart geschulten Stimme brachte wahre Wundermittel für ihre Interpretationen der beiden Arien mit. In der mit vielen akrobatischen Schwierigkeiten bestückte Arie Bella mia fiamma, addio scheint die Sängerin vollständig in ihrem Element zu sein. Sie packt diese große gewaltige Szene wie eine Oper an mit der nötigen Dramatik besonders in den Rezitativen, aber es bleibt auch genügend Rache-Feuer für die Arie. Karg hinterließ einen ausgezeichneten Eindruck mit ihrer Interpretation, indem sie mit ihren klaren intensiven Tönen und den äußerst klangsicheren Intonation ein wenig die Donna Anna heraus lockte und dass auch aus gutem Grund.

In der noch sehr an Mozart inspirierten Arie des jungen Beethoven Ah! Perfido! war die Sängerin mit ihrem unerschöpflichen Reserven einmal mehr als gut. Es war einfach umwerfend und gewaltig: Wie sie innerhalb der Arie am Anfang noch mit dem leichten Mozart-Ton und dann am fürchterlichen Ende mit einer derartig hochdramatischen furchterregenden Stimme ihre Ganze Wut und Rache herausschleuderte. Dass war Gesangskunst! Auch hörte man schon ohne Anstrengung die Anklänge der späteren  Leonore aus Fidelio (1805).

Es war ein atemberaubendes begeisterndes Konzert… besser wie schon gesagt… eine zelebrierte Messe in einem großem Wurf. Man könnte sagen, dass das zusammen geflickte Patch-Work eine neue Kreation von größter Qualität geworden ist. Nicht nur das Publikum zur Zeit von Beethoven liebte Premieren, auch das das heutige findet es amüsant ein wenig zu schummeln der Effekte wegen. Jawohl, Herr Beethoven!  Mit einfachen Worten gesagt: Es war eine der wenigen Sternstunde *****

Information: Das FESTIVAL SAINT-DENIS 2023 wird bis zum 27. Juni 2023 fortgesetzt. Für alle Details, Daten und Preise  siehe unten den Teaser der Festspiele!   (MPM/11.06.2023)