Rouen, Opéra de Rouen, DIALOGUES DES CARMÉLITES - Francis Poulenc, IOCO

OPÉRA DE ROUEN: „Blanche, das war ich…“ Die Oper Dialogues des Carmélites nehmen in Francis Poulencs (1899-1963) Produktion einen zentralen Platz ein – und das nicht nur, weil es seine größte Partitur ist....

Rouen, Opéra de Rouen, DIALOGUES DES CARMÉLITES - Francis Poulenc, IOCO
THEATRE DES ARTS - Rouen @ Wikimedia comoons

28.1.2025 - OPÉRA DE ROUEN NORMANDIE / THÉÂTRE DES ARTS / ROUEN - Francis Poulenc: DIALOGUES DES CARMÉLITES (1957) -Oper in drei Akten mit einem Libretto des Komponisten.

von Peter Michael Peters

DAS ZIEL DES MENSCHEN…

Ma pauvre enfant, l‘habitude finit par

détacher de tout. Mais à quoi bon, bon une

religieuse, être détachée de tout, si elle

n’est pas détachée de soi-même, c’est-à-dire

de son propre détachement.

Je vois que les sévérités de notre

Règle ne vous effraient pas ! (Szene der Ersten Prieure / 1. Akt / 1. Szene / Auszug)

„Blanche, das war ich…“

Die Oper Dialogues des Carmélites nehmen in Francis Poulencs (1899-1963) Produktion einen zentralen Platz ein – und das nicht nur, weil es seine größte Partitur ist. Mit einer einzigartigen emotionalen Kraft konzentriert diese Oper die spirituellen Anliegen des Komponisten, bietet eine solide Synthese seiner Sprache und stellt eine Vollendung seines Gesangsstils und seiner dramatischen Meisterschaft dar. Das Schreiben der Oper Dialogues des Carmélites war eine Herausforderung: Keine romantischen Liebes-Intrigen, eine überwiegend weibliche Besetzung und oft mit sehr langen Gegenantworten. Der Gesamterfolg von Poulenc ist der geschickten  Adaption von Georges Bernanos (1888-1948) Text, der Architektur seiner Partitur und die dramatische Kontinuität mit formaler Klarheit vereint und einer natürlichen und abwechslungsreichen Deklamation zu verdanken. Im engeren Sinne sind die Dialogues des Carmélites mit einer tiefen persönlichen Krise von Poulenc verbunden. Nach einer euphorischen Phase wurde das Werk für ihn zum Gegenstand schwerer Qualen und wurde zu einem Spiegel, der seiner eigenen Angst vor dem Tod vorgehalten wurde.

Dialogues des Carmélites youtube Opéra de Rouen

Ein Meisterwerk oder Garnichts…

März 1953: Während einer Italien-Tournee besuchte Poulenc den Direktor Guido Valcarenghi (1893-1967) der Editions Ricordi. Dem von ihm in Auftrag gegebenen Ballett-Projekt würde der Komponist eine Oper vorziehen. „Macht nichts“, antwortete der Herausgeber, „ich bestelle sie gleich bei ihnen. Da sie auf der Suche nach einem mystischen Thema sind, warum machen sie nicht ein Werk mit den Dialogues des Carmélites (1960) von Bernanos?“ Die Idee lässt Poulenc zunächst ratlos und dann aber begeistert zurück. Der Text von Bernanos war ursprünglich ein Filmdialog, den Raymond Leopold Bruckberger (1907-1998) und Philippe Agostini (1910-2001) später umsetzten. Sein Szenario ist von der Novelle Die letzte am Schafott (1931) von Gertrud von Le Fort (1876-1971) inspiriert, die auf einer echten Episode aus der Zeit des französischen Terrors basiert. Nach Bernanos‘ Tod wird sein Testaments-Vollstrecker Albert Béguin (1901-1967) die Filmdialoge in ein Theaterstück umwandeln. Doch es war Bernanos‘ Originaltext und nicht dessen theatralische Adaption, den Poulenc im Juni 1953 selbst in ein Opernlibretto umwandelte. Wenige Wochen später stürzte er sich kopfüber in die Komposition seines Werkes. Dies wird den größten Teil seiner Schaffenskraft bis 1957 in Anspruch nehmen. In dieser Zeit erlebt der Musiker extreme emotionale Zustände. Der Rausch der Schöpfung zuerst: „Ich denke nur daran, lebe nur dafür. Entweder ist es mein Meisterwerk oder ich will sterben. Im Moment neige ich zur ersten Lösung“, vertraute Poulenc seinem Biographen Henri Hell (1916-1991) im Oktober 1953 an.

Das „Geheimnis“ der Oper: Dialogues des Carmélites…

Doch der Komponist durchlebt auch eine der tiefsten Krisen seines Lebens. Auch Gesundheits-Probleme provozieren bei ihm einen schweren Anfall von Hypochondrie, seine sentimentalen Rückschläge mit seinem Begleiter und Liebhaber Lucien Roubert (1912-1955) zerfressen ihn ebenso wie das Auftreten rechtlicher Probleme im Zusammenhang mit der neuen Oper Dialogues des Carmélites: Es stellt sich heraus, dass der amerikanische Dramatiker Emmet Lavery (1902-1986) die Rechte zur Adaption der Novelle von Le Fort besitzt, aus der der Text von Bernanos stammt. Gegenüber seinem Freund, dem Bariton Pierre Bernac (1899-1979), erzählte Poulenc im Juli 1954 von seinen Qualen: „Ja, ich selbst habe mich nach und nach vergiftet. Das ist sicher. Zu viel Introspektion, sowohl sentimentale als auch intellektuelle nagt seit Monaten an mir. Aber Vergessen Sie auch nicht ein bestimmtes Drama, das mich schon acht lange Jahre besessen macht, meine brennende Liebe zu Lucien, die keineswegs nachgelassen hat, sondern nur noch viel grösser geworden ist. So glaube ich auch, wenn Lucien weiter entfernt ist, mich eine wahnsinnige Panik überfällt und dass auch nichts besser macht, weder meine Angst noch mein Glaube, noch die Behinderung von Le Fort-Bernanos. Die mich vielleicht doch noch dazu bringt, ein unspielbares Werk zu schreiben und auch noch die Möglichkeit endlich bei der Edition Ricordi zu unterzeichnen, usw… usw…“

DIALOGES DES CARMÉLITES - hier Aurélia Legay (Mère Jeanne), Hélène Carpentier ( Blanche de la Force) und Julien Henrich (Chevalier de la Force) © Caroline Doutre

 Am Ende des Jahres unterbricht Poulenc seine Tournee mit Bernac, um eine zweiwöchige Erholungskur in einer Klinik zu absolvieren. Als er endlich die offizielle Genehmigung zur Adaptation der Dialogues des Carmélites erhält, muss er sich einer traurigen aber nötigen Prüfung stellen: Lucien leidet an einer Rippenfellentzündung, die für ihn tödlich sein wird. Poulenc begleitet ihn in seinem letzten Todeskampf, der im Oktober endet. „Wie weit wir im letzten Jahr gekommen sind“, schrieb der Komponist dann, Lucien wurde genau vor zehn Tagen von seinem Martyrium erlöst, das Abschreiben der Dialogues des Carmélites war genau in der Stunde beendet, als mein „armer Großer“ seinen letzten Atemzug tat […]. Wer wird wohl nun das Geheimnis bestimmter Werke verraten?“ Poulenc schloss die Orchestrierung von den Dialogues des Carmélites im Juni 1956 ab. Nach Ansicht von Bernac führte die Identifikation des Musikers mit seiner Heldin Blanche und das eigentliche Thema von den Dialogues des Carmélites zu seiner Depression, was seine schreckliche Angst vor dem Tod und auch Luciens Todes-Qualen widerspiegelte. Blanche, das war ich“, gab Poulenc wenige Jahre nach den Uraufführungen seines Werkes zu und zwar am 26. Januar 1957 in italienischer Sprache an der Scala de Milano und am 21. Juni 1957 in französischer Sprache an der Opéra National de Paris.

Die Gnade und die Übertragung der Gnade…

Ursprünglich in zwei großen Teilen konzipiert, sind die Dialogues des Carmélites schließlich in drei Akte gegliedert. Jede wird in vier Szenen dargestellt und spielt jedes Mal an einem anderen Ort, der einem Schlüssel-Moment im Schicksal von Blanche entspricht: Dem gewalttätigen Todeskampf der Ersten Priorin, dessen Zeuge sie wird (Ende des 1. Akts), den Revolutionsliedern, die ihr Angst machen und die die Statue des Kleinen Glorreichen Königs zerbrechen lassen (Ende des 2. Akts), ihr Aufstieg auf das Schafott nach dem Martyrium ihrer Schwestern (Ende des 3. Akts). Zu Beginn der Oper schwach und allen Ängsten ausgesetzt, verwandelt sich Blanche in ein williges und gelassenes Opfer. Beruhigt durch die Kraft, die sie aus der Ordensgemeinschaft schöpft, findet sie im Tod der Ersten Priorin eine Form der Befreiung, die sie vom altruistischen Charakter des Opfers überzeugt – gemäß der wesentlichen Bemerkung von Constance: „Wir sterben nicht alle für uns selbst, aber füreinander oder sogar anstelle von einander“ (2. Akt, 1. Zwischenspiel).

DIALOGES DES CARMÉLITES - hier Hélène Carpentier (Blanche de la Force) und Lucile Richardot (Madame de Croissy) © Caroline Doutre).

Das revolutionäre Thema wurde bereits im Text von Bernanos abgeschwächt. Im Libretto von Poulenc ist er lediglich ein Hintergrund, vor dem sich die Psychologie der Figuren abhebt. Das Thema des Dialogues des Carmélites ist sowohl theologischer als auch menschlicher Natur. „Wenn es ein Stück über die Angst ist, ist es meiner Meinung nach und nach vor allem auch ein Stück über Gnade und Gnaden-Übertragung“, erklärt der Musiker. Es ist auch notwendig, das Werk in die religiöse Produktion von Poulenc einzuordnen, die im Jahr 1936 ihren Anfang nahm, „einem entscheidenden Datum in meinem Leben und in meiner Karriere“, so erklärte er nämlich nach seiner ersten Pilgerreise zum Heiligtum von Rocamadour. „Ich kam ein paar Tage später zurück, bevor ich vom tragischen Tod meines Kollegen Pierre-Octave Ferroud (1900-1936) erfuhr […]. Angesichts des geringen Gewichts unserer menschlichen Hülle hat das spirituelle Leben mich erneut angezogen. Rocamadour brachte mich zum Glauben meiner Kindheit zurück“. Obwohl es sich um ein dramatisches Werk handelt, sind die Dialogues des Carmélites durch ihr Thema in den religiösen Korpus von Poulenc eingeschrieben. Mehrere „falsche“ liturgische Seiten, Cousins der zahlreichen geistlichen Chöre des Komponisten findet man dort wieder: Ein Requiem („Qui Lazarum resuscitasti“, während der Trauerfeier, die den 2. Akt eröffnet), ein Ave Maria ( 2. Akt, 2. Szenenbild), ein Ave Verum (2. Akt, 4. Szenenbild) und natürlich das mitreißende Salve Regina (3. Akt, 4. Szenenbild) deren unvermeidlicher Marsch der Carmélites zum Schafott führt…

Dramaturgie, Gesanglinie, Orchestrierung…

Das theatralische Interesse der Dialogues des Carmélites leidet in keiner Weise unter ihrem strengen Thema. Es stimmt, dass das Argument für einen Opernkomponisten eine Herausforderung darstellte. Aber Poulenc gestaltete den Text von Bernanos zu einer genialen Adaption, die „den Anforderungen eines Musikwerks entsprach und dabei dem Geist des Stücks und den Hauptlinien einer sehr filigranen Architektur“, gratulierte Béguin. Die Besetzung birgt unbestreitbar die Gefahr einer Monotonie. Poulenc wählt daher die Stimmlagen der Rollen besonders sorgfältig aus. Der Chevalier de la Force sollte ein „Tenor wie für Opern von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) sein“ sein, die anderen Männerrollen „mehr episodisch aber sehr bunt“. Die fünf großen weiblichen Rollen – Blanche de la Force, Madame Lidoine, die Erste Priorin, Mère Marie und Constance – waren für „genau definierte Aufgaben“ konzipiert, die optimal charakterisiert werden sollten. „Es sind, wenn man so will, nebeneinander: Thaïs aus Thaïs (1), Desdemona aus Otello (2), Amneris aus Aida (2), Kundry aus Parsifal (3) und Zerline aus Don Giovanni (4)“, erklärte Poulenc in Anspielung auf die Heldinnen von Jules Massenet (1842-1912 / 1), Giuseppe Verdi (1813-1901 / 2), Richard Wagner (1813-1883 / 3) und Mozart (4), die ihn in seiner Arbeit begleitet hatten.

Besonderes Augenmerk legte der Musiker auch auf die Betonung des Textes. Poulenc war bereits Autor der Oper Les Mamelles de Tirésias (1947), zahlreicher Melodien und Chor-Partituren und er war ein Meister des vokalen Schreibens, als er die Dialogues  des Carmélites komponierte. Kein Wort in dem Libretto, dessen Vertonung nicht sorgfältig durchdacht wurde: „Es ist wahnsinnig stimmlich. Ich beobachte jede Note, auch achte ich auf die guten Vokale in den hohen Tönen und über die Prosodie sollten wir gar nicht erst reden, denke ich. Denn wir sollten auf jeden Fall alles verstehen!“ schwärmte er während seiner Arbeit. Die Deklamation ist sehr vielfältig und reicht von a cappella-Intonationen, rhythmisch natürlich und teilweise an Sprechen erinnernd, bis hin zu lyrischen Kurven, die an Arien erinnern – und das Durchgehen der verschiedenen Zwischenmöglichkeiten.

DIALOGES DES CARMÉLITES - Szenenphoto © Caroline Doutre

Mehr noch als die Vielfalt dieser Gesangsstile fällt vor allem ihre Kontinuität und ihre Adäquatheit in die dramaturgische Situation auf. Sie bilden ein Mosaik, dessen Logik niemals zu beanstanden ist! Poulenc hat die Lektion des revolutionären Pelléas et Mélisande (1902) von Claude Debussy (1862-1918) – strenge Silben, sehr sprechnahe – gelernt, ohne sich jedoch frühere Lösungen zu verbieten. In diesem Sinne müssen wir die Widmung am Anfang seiner Partitur verstehen: „In Erinnerung an meine Mutter, die mich an die Musik herangeführt hat, Debussy, der mir den Geschmack zum Schreiben vermittelt hat, an Claudio Monteverdi (1567-1643), Verdi, Modest Petrowitsch Mussorgski (1839-1881), die mir hier als Vorbilder gedient haben“.

Das Orchester ist sicherlich nicht der originellste Bestandteil der Dialogues des Carmélites, aber es schafft eine raue und lyrische Atmosphäre und spielt seine Rolle, indem es die notwendige Verbindung herstellt und somit unnötige  Übergänge erspart. Die Orchestrierung sollte „sehr klar sein, um den Text durchzulassen“, aber man muss zugeben, dass dies nicht immer gelingt und in den kraftvollsten Passagen einige instrumentale Anpassungen erforderlich sind – zumindest in den klangvollsten Sälen. „Absolut normal, die Orchestrierung ist die eines Verdi, erklärte Poulenc und vergaß auf die Ergänzung des Klaviers durch drei Bläser, vier Hörner, drei Trompeten, drei Posaunen, Tuba, zwei Harfen und zahlreiche Schlagzeuge hinzuweist.

DIALOGES DES CARMÉLITES - Eugénie Joneau (Mère Marie) und Emy Gazeilles (Soeur Constance) © Caroline Doutre).

Ein Kreuzungspunkt in der Produktion von Poulenc…

Jedes der zwölf Szenenbilder der Dialogues des Carmélites bildet einen strukturellen Block, in dessen Inneren sich ein relativ kontinuierliches Material entfaltet. Diese formale Wahl bringt dramatische Wahrhaftigkeit in Einklang, ohne auf traditionelle „Nummern“ zurückzugreifen. Poulenc achtete auch darauf, seine Partitur anhand von rund zwanzig musikalischen Motiven zu strukturieren, die oft voneinander abgeleitet waren. Manche kommen nur in einer einzigen Szene vor, andere tauchen in der gesamten Oper auf. Sie als Leitmotive im Sinne Wagners zu qualifizieren, wäre falsch. Sie sind vor allem Klangsignale, die über die Blockgliederung hinaus die Einheit des Werkes gewährleisten. Anzumerken ist auch, dass die Dialogues des Carmélites einen echten „Kreuzungspunkt“ in Poulencs Schaffen darstellen. Seine bisherigen Werke scheinen dorthin zu führen, die folgenden kommen von dort! Denn seine Angewohnheit, sich von anderen Komponisten inspirieren zu lassen, ersetzte Poulenc nach und nach durch eine andere: Die Angewohnheit die Anleihen bei sich selbst zu machen. Nach und nach zirkulieren melodische oder harmonische Fragmente von Partition zu Partition. Poulenc erfindet ein musikalisches Substrat, aus dem er sein Schreiben schöpft. Das Motiv, das die Dialogues des Carmélites öffnet und schließt, stammt also somit aus der Messe in G-Dur, FP 89 (1937) und erscheint auch schon in seinem Klavierkonzert, FP 146 (1949). Das Thema von Blanche stammt aus dem 1. und 8. Nocturne, FP 56  (1929/1938) und das von Mère Marie ist in der Melodie Pablo Picasso, FP 161 (1957) vorhanden, die zur Zeit der Dialogues des Carmélites komponiert wurde. Einige Passagen aus der Oper klingen in La Voix humaine, FP 171 (1959) wieder und der Beginn der 3. Szene des 3. Akts bietet La Reine de coeur, FP 178 (1960) sein Material. Und dies sind nur einige Beispiele für das schwindelerregende Netzwerk, das die Handwerkskunst von Poulenc selbst erzeugt und von dem die Dialogues des Carmélites den dichtesten Treffpunkt darstellen.

Schließlich bietet die Oper eine Synthese der nun stabilisierten Tonsprache des Komponisten, die im zeitlosen Klassizismus der letzten Sonate pour hautbois et piano, FP 185 (1963), das Gloria, FP 177 (1960) und das Répons des ténébres, FP 181 (1961) gipfeln wird. Diese leicht zugängliche Sprache, manchmal sehr rau oder auch überaus wohlklingend, biegt aber immer ab auf die Auswirkungen jeder dramatischen Situation. „Also bis jetzt wurde ich ein kleiner Meister genannt und vielleicht werde ich danach endlich ein großer Meister!“, rief Poulenc kurz nach der Entstehung seines Werkes aus und wagte es sogar, an die Nachhaltigkeit und Unsterblichkeit seiner Musik zu glauben.

Die Popularität der Dialogues des Carmélites gab ihm Recht: Unter allen Werken, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts komponiert wurden, ist das Werk zu einem der weltweit am häufigsten vertretenen Werke geworden…

DIALOGES DES CARMÉLITES - Jean-Luc Ballestra (Deuxième Commissaire / Premier Officier) © Caroline Doutre).

DIALOGES DES CARMÉLITES - l’Opéra de Rouen Normandie - Premiere am 28. Januar 2025

Ein Zeuge des Unsichtbaren…

In Rouen widmet sich die französische Theater-Regisseurin Tiphaine Raffier in ihrer ersten Opernproduktion Poulencs: Dialogues des Carmélites. Das Thema ist nicht das Einfachste, um eine Prüfung zu bestehen. Das Ergebnis ist zwar nicht unbedingt enttäuschend, sucht aber keine wirkliche Ausgewogenheit…

 

Eine erfolgreiche Inszenierung von den Dialogues des Carmélites ist eine große künstlerische Herausforderung, eine subtile Mischung aus ästhetischer Nüchternheit, dramatischer Intensität und spiritueller Tiefe, die gleichzeitig die menschlichen Emotion und die Kraft von Poulencs Musik hervorhebt. Raffier und die französische Bühnenbildnerin Hélène Jourdan beschlossen, die Nüchternheit in den Hintergrund zu rücken und die Bühne in abwechslungsreiche Räume zu verwandeln: Bunt, metallisch, aber auch raffiniert oder unbescheiden – zum Beispiel diese gemeinsamen Toiletten und Duschen im Keller des Klosters… [sic] hinter einer riesigen Wand mit einem Gemälde des amerikanischen Pop-Maler Roy Lichtenstein (1923-1997). Warum nicht? Aber es besteht die Gefahr, den Zuschauer vom inneren Drama der Figuren abzulenken. Die Spielflächen werden so zu einer Form symbolischer Äußerung von Emotionen, welche die – wenn auch subtil konstruierte – Erzählung der Regisseurin mitunter überfordert. Die Projektionen von Reden, Dekreten und anderen revolutionären Appellen verstärken den didaktischen Aspekt der Sache. Dann wundern wir uns! Warum wollte sie die Revolutionszeit von der Bühne löschen, wenn sie uns doch durch Effekte außerhalb des Dramas ständig daran erinnern wollte? Und dieser Umgang mit Wasser in all seinen Formen? Wird der Zuschauer die Symbolik im Programm erkennen? Raffier hat dem Zuschauer viel zu sagen und bringt die Dialogues des Carmélites zum äußersten Ausdruck. Dies ist durchaus eine gute Sache und an Ressourcen mangelt es der Regisseurin nicht. Aber vielleicht doch ein wenig zu viel!

Dennoch gelingt es Raffier, über den allgegenwärtigen revolutionären Kontext hinaus mit dieser gewaltigen Bühnenüberlastung hinauszugehen und die universellen Dilemmata der Menschheit anzusprechen. Jeder Charakter ist gut gezeichnet und zeigt eine spürbare innere Entwicklung, die seinen Kampf mit der Angst und seine Suche nach Mut zum Ausdruck bringt. Die Suche nach Aufrichtigkeit im Spiel unterstreicht die Kraft ihrer Regiearbeit, die den menschlichen und spirituellen Themen einen starken Nachhall verleiht. Sterben schien selten so einfach… und doch so schwierig! Die Gruppenszenen der Karmeliten strahlen eine beredte Kraft des Zusammenhalts, aber auch des Ausdrucks von Individualitäten innerhalb der Gemeinschaft aus. Der subtile Einsatz von Licht, Schatten und Stille verstärkt die transzendentale Dimension des Werks. Alles ist präzise und einfühlsam, trotz einiger ungewöhnlicher Bühnenhaltungen, die im Laufe der Aufführung an Natürlichkeit gewinnen werden.

Zu Raffiers Verdienst wird es zudem zählen, dass sie ihre Inszenierung in die Nuancen und Tempi von Poulencs Partitur eingeschrieben hat, die bereits einen großen Teil der Dramaturgie trägt. Die Bewegungen auf der Bühne stehen im Einklang mit der Rede, mit dem Gesang und integrieren subtile und eindrucksvolle Momente der Stille und Ruhe, die die introspektiven Passagen intensivieren.

An der Spitze des Orchestre de l’Opéra Normandie Rouen beweist der britische Dirigent Ben Glassberg Flexibilität, Festigkeit, aber auch Sensibilität in einer Partitur, die zwischen lyrischen Melodiepassagen und strengeren Momenten wechselt, auch wenn einige Variationen in der Klangfarbe willkommen gewesen wären. Die vereinten Instrumentalkräfte wirken wunderbar solide und die Blechbläser – bestens verwöhnt von Poulenc – gewinnen im Verlauf der Aufführung an Kraft und Präzision.

Der Choeur accentus / Opéra Normandie Rouen bleibt seiner gewohnten Stringenz und seinem tadellosen Bühneneinsatz treu, wobei die „Chorschwestern“ eine sehr schöne spirituelle und dramatische Einheit bilden.

Erfolgreiche „Dialoge“ wären ohne herausragende „Karmeliten“ nichts, und wir müssen die Qualität und Eignung der hier versammelten Stimmen für ihre Rollen hervorheben. Also ja, die Diktion ist nicht immer tadellos – und auch das Orchester ist manchmal etwas zu laut – aber der Text und seine gewissenhafte Lesart sind aber leider nie wirklich tadellos, dennoch vereinen sie dramatische Kraft und stimmliche Subtilität und spiegeln die emotionale und spirituelle Tiefe des Werks wider.

Die Blanche de la Force von der jungen talentierten französischen Sopranistin Hélène Carpentier interpretiert, ist gelinde gesagt zerbrechlich und gequält. Sie ist eine gewisse Neo-Jeanne d’Arc (1412-1431) und hat außerdem die lästige Angewohnheit, sich bei Bedarf [sic!!!] in Schränken zu verstecken. Man muss allerdings sagen, dass sie in ihrer Familie nicht gerade verwöhnt wird. Ihr Vater, der Marquis de la Force, interpretiert kraftvoll und subtil von dem französischen Bariton-Bass Jean-Fernand Setti, der ist aber beinahe ebenso neurotisch wie seine Tochter. Und ihr Bruder, der junge attraktive Chevalier de la Force wurde von dem französischen Tenor Julien Henric interpretiert, er war wunderbar zärtlich und rebellisch zugleich, aber zu beschützend. Wenn die Sängerin die Spannung eines oft unruhigen Gesangstils meistert, hätten uns dennoch mehr süße Momente nicht missfallen.

Madame de Croissy wird von der französischen Altistin Lucile Richardot gesungen. Auch wenn die Stimme der Sängerin für diese Rolle vielleicht nicht so dramatisch ist wie erwartet, ist die Figur dennoch lebensecht und ihre Sterbensszene ein großartiger theatralischer Moment der Angst vor dem Tode. Sie nutzt ihre Registerwechsel gekonnt mit einem Quasi-Parlando von wunderschöner dramatischer Wirkung. Ihre Priorin, autoritär und verletzlich zugleich, ist eine wirkliche Entdeckung.

Die französische Mezzo-Sopranistin Eugénie Joneau ist eine äußerst autoritäre Mère Marie und alles andere als eine übliche Kloster-Figur des Mitgefühls. Grausam empfiehlt sie der jungen Blanche beim geringsten Zweifel in das Büßergewand zu schlüpfen. Sie ist eine Figur der religiösen Stabilität und des Mutes, und ihr Mezzo-Sopran spiegelt mit einem soliden mittleren Bereich und warmen hohen Höhen ihre innere Stärke und ihr spirituelles Engagement wider.

Als Schwester Constance ist die französische Sopranistin Emy Gazeilles eine junge Novizin, naiv und strahlend zugleich. Ihre frische, jugendliche Stimme mit klaren fließenden hohen Tönen strahlt Unschuld und Leichtigkeit aus, die bis zum Tod erhalten bleibt.

Die französische Sopranistin Axelle Fanyo beeindruckt als Madame Lidoine. Sie verfügt über die Fähigkeit, insbesondere in ihren Ariosos und Dialogen mit ihren Schwestern eine sanfte Autorität auszustrahlen, und ihr lyrischer Sopran erobert die Gesangslinien mit aller Kraft, wenn die Intensität der Rolle es erfordert. Mit ihrer herzlichen und heiteren Art verkörpert ihre Priorin gewissermaßen die Bühnenpräsenz des Künstlers Poulenc!

Der Karmel-Kaplan wird von dem sympathischen französischen Tenor François Rougier gesungen, seine Interpretation ist eine wunderbare Lektion in Sachen Benehmen und Ausdrucksweise. Der Deuxième Commissaire und der Premier Officier wird von dem französischen Bariton Jean-Luc Ballestra mit tadelloser Bühnen- und Stimmautorität gesungen. Aurélia Legay, Matthieu Justine, Alice Grégorio, Audrey Escots und Ronan Airault runden diese hervorragende Besetzung mit ihren jungen wunderschönen Stimmen und ihrem großartigen Talent ab, dass der neuen französischen Sänger-Generation nur zur Ehre reicht… Brava!... Bravo!... (PMP/02.02.2025)

 Auskünfte und Kartenkauf: www.operaderouen.fr   + 33/(0)2 35 98 74 78

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