Rouen, Opéra de Rouen, AIDA - Giuseppe Verdi, IOCO

AIDA in Rouen: Der Triumphmarsch gehört Ihnen, die unvergesslichen Hits und dieses einzigartige Gefühl, gemeinsam in das Herz eines Meisterwerks einzutauchen! Seit seiner Uraufführung im Jahr 1871 überzeugte Aida das internationale Publikum, auch Maestro Giuseppe Verdi ....

Rouen, Opéra de Rouen, AIDA - Giuseppe Verdi, IOCO
Theatre des Arts, Rouen © Wikimedia Commons

OPÉRA DE ROUEN NORMANDIE - THÉÂTRE DES ARTS - 27.09.2024 - Giuseppe Verdi: AIDA (1871) Oper in vier Akten. Libretto von Antonio Ghislanzoni

 von Peter Michael Peters

Giuseppe Verdi - Mailand @ IOCO

AIDA - EINE ZEITLOSE HELDIN…

RADAMES:

Morir! sì pura e belle!

Morir per me d’amore…

Degli anni tuoi nel fiore

Fuggir la vita!

T’avea il cielo per l’amor creata,

Ed io t’uccido per averti amata!

No, non morrai!

Troppo t’amai!

Troppo sei bella!

AIDA:

Vede?... die morte l’angelo

Radiante a noi s’appressa…

Ne adduce a eterni gaudii

Sovra i suoi vanni d’or.

Cià veggo il ciel dischiudersi,

Ivi ogni affanno cessa…

Ivi comincia l’estasi

D’un immortale amor. (4. Akt / 2. Szene /Duett Aida / Radames (Auszug)

AIDA - Opéra Normandie Rouen youtube Theatre l´Arsenal

 Ich werde dieses Land wiedersehen…

Der Triumphmarsch gehört Ihnen, die unvergesslichen Hits und dieses einzigartige Gefühl, gemeinsam in das Herz eines Meisterwerks einzutauchen! Seit seiner Uraufführung im Jahr 1871 überzeugte Aida das internationale Publikum, auch Maestro Giuseppe Verdi (1813-1901) musste zweiunddreißig Mal auf der Bühne den orkanartigen Beifall entgegen nehmen. Die libanesisch-kanadische  Sopranistin Joye El-Khoury verkörpert diese zeitlose Heldin in einer ebenso spektakulären wie intimen Inszenierung des deutschen Regisseurs Philipp Himmelmann. Sie schreitet im Glanz eines solaren Orients und vermittelt uns das Schicksal einer Frau in Bewegung. Das eines Flüchtlings in Kriegszeiten, die sich im Tumult der Geschichte dazu entschließt, eine unmögliche Liebe zu erleben. Getragen von erhabenen Arien und der Energie der Chöre trägt uns diese kollektive Begeisterung mit.

Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes…

In Aida gibt es zwei prägende Elemente: Erstens gibt es das Kammerspiel über eine selbstbewusste junge Frau, die sich einer Vielzahl  unterschiedlicher Herausforderungen stellen muss. Andererseits gibt es große Chorszenen, die zeigen, wie große Gruppen von Menschen durch beschwingte Musik und martialische Sprache zu einem brutalen Krieg inspiriert werden können.

Aidas Herausforderungen liegen auf der Hand: Sie lebt als versklavte Flüchtlingsfrau  unter dem Feind, sie hat sich in den falschen Mann verliebt, sie hat in Amneris eine unversöhnliche Rivalin, sie ist dem brutalsten Druck ihres Vaters ausgesetzt… Wenige Personen auf der Opernbühne sind mit derart großen Problem und so vielen Gefahren ausgesetzt wie die Sklavin Aida! Und was macht sie in dieser Situation? Sie bleibt sich selbst und ihrer Vorstellung von Liebe treu: Geben, Teilen, selbstloses Leben, mit der festen Überzeugung, dass Liebe es ermöglicht, mehr Glück zu schaffen, als jeder Einzelne wohl niemals erreichen kann. Aus diesem Grund entscheidet sie sich freiwillig dafür, mit Radames zu sterben: Es ist besser, gemeinsam mit Liebe zu sterben, als ein Leben in Einsamkeit und Isolation fortzusetzen.

 Sie hätte es schaffen können – nach der letzten Schlacht überlebte sie und konnte einfach weiterleben oder Selbstmord begehen – aber sie wählte den Weg eines gemeinsamen Todes: Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes!

AIDA - Szenenphoto mit Joyce El-Khoury (Aida), Adam Smith (Radames) © Fred Margueron

Die großen Chorszenen mit ihren mitreißenden Märschen und der optimistischen Kriegsrhetorik zeigen uns, wie sehr Menschen durch die große Geste manipuliert werden können: Fast niemand kann sich dem Impuls, der Energie dieser überwältigen Kraft entziehen. Unsere Aufgabe ist es, verantwortungsvoll mit diesem Material umzugehen und zu zeigen, wie beeinflussbar wir alle sind. Was macht diese Musik mit uns? Könnten wir uns seiner Anziehungskraft noch entziehen, wenn totalitäre Führer uns missbrauchen wollen, um ihre Ziele zu erreichen?

Quellen der Vergangenheit…

Das alte Ägypten bot schon im 18. Jahrhundert einen beliebten Rahmen für Operngeschehen. Das in diesen Werken präsentierte Ägyptenbild war jedoch immer ein sekundäres. Es beruhte auf klassischen griechischen und lateinischen Quellen oder auf die Bibel. Erst Giuseppe Verdis Oper Aida ist eine Werk, das direkt auf altägyptische Quellen zurückgreift, was durch die „Erfindung“ der Ägyptologie mit der Entzifferung der Hieroglyphen 1822 und durch eine Landeskenntnis aus erster Hand ermöglicht wurde. Als „Geburtshelfer“ der Aida kann deshalb auch ein Ägyptologe angesehen werden: Der Franzose Françoise-Auguste-Ferdinand Mariette (1821-1881).

AIDA - Szenenphoto - Nicoloz Lagvilava (Amonasro), Joyce El-Khoury (Aida) © Fred Margueron

Im Jahre 1870 schrieb Mariette an seinen Bruder Edouard, dass er gerade das Szenario einer Oper beendet habe. Seit 1976 ist in der Bibliothek der Opéra National de Paris  eines von den zehn in Alexandria gedruckten Exemplaren des  verschollenen geglaubten Textes identifiziert worden und die  Urheberschaft des Ägyptologen unumstritten. Obwohl  er großen Anteil auch am weiteren Werdegang der Oper hatte, wie er selbst schrieb: Aida ist ein Produkt  meiner Arbeit; ich hatte beschlossen, dass der Vizekönig davon eine Aufführung anordnet; Aida  - in einem Wort - ist aus meinem Hirn entsprungen“, war es jedoch sein unbedingter Wille, anonym zu bleiben: „… was das Szenario und die gesamte künstlerische Seite des Werkes betrifft, wünsche ich, dass mein Name nicht einmal ausgesprochen wird.“ Wie später beim Entwurf und bei der Überwachung der Ausstattung für Aida suchte Mariette bereits für sein Szenario authentisches ägyptisches Lokalkolorit auf allen Ebenen. Für den historisch-militärischen Rahmen der Handlung kam ihm dabei eine seiner Entdeckungen zu Hilfe, die er 1859 in den Ruinen des großen Amun-Tempel von Karnak (Theben) machte: Die große Siegesinschrift des Pharao Merenptah (1213-1204 v. J. Ch., Sohn von Ramses II. /1304-1213 V. J. CH.). Darin wird berichtet, wie dem ägyptischen König durch einen Boten gemeldet wird, das Libyer die Grenze nach Ägypten überschritten hätten und dort bereits plünderten. Der hierüber erzürnte der König schwört sofortige Rache. Im Traum  erscheint ihm der Gott Ptah, der dem König ein Schwert überreicht , mit dem er erfolgreich gegen die Feinde auszieht. Während der Schlacht flieht der feige Libyer-König und kann sich allein in die Heimat retten. Mit Beute schwer beladen und im Gefolge viele Gefangene, darunter auch die Familie des Libyer-Königs, kommen die ägyptischen Truppen vom Feldzug siegreich zurück und werden beim Vorführen der Kriegstrophäen vor dem König vom Volk bejubelt.

Die Parallelen zur Aida-Geschichte sind unübersehbar. In diesem historisch-authentischen Rahmen spielt sich nun in der Oper eine private Tragödie ab, die universeller nicht sein könnte: Ein Mann wird von zwei Frauen geliebt, von denen die eine Macht hat, die andere nicht. Nun liebt der Mann jedoch die machtlose der beiden Frauen und kann dadurch leicht Opfer einer Intrige werden, einer Kriegsspionage, die er mit dem Leben büßen muss. Die Geliebte folgt ihm freiwillig in den Tod und stirbt glücklich in seinen Armen. Die andere Frau, die aufgrund ihrer Macht das tragische Schicksal aller hätte ändern können, lebt unglücklich fort. Diese Geschichte kann überall und zu jeder Zeit spielen, nichts an ihr ist typisch für Ägypten zur Zeit der Herrschaft der Pharaonen! Mariette versuchte nun, den Personen seines Szenario ägyptischen Charakter zu verleihen. Wesentlich war hierbei die Auswahl ihrer Eigennamen. Der Name Aida lässt sich auf einen beliebten altägyptischen Frauennamen zurückführen: Jetet bzw. Jet(j)e. Da die altägyptische Schrift keine Vokale wiedergeben kann, müssen diese modern ergänzt werden. Dem damaligen Wissensstand entsprechend, entschloss sich Mariette, den nur mit dem Konsonantengerüst „JTJ/T“ >  überlieferten Frauennamen folgendermaßen zu lesen: A(j)ita(t) > Aita (das zweite T wurde am Wortende – wie im Französischen heute auch – nicht ausgesprochen). Er erklärte sich selbst: „Erschrecken sie nicht vor dem Titel des Opernszenarios. Aida ist ein altägyptischer Name. Von rechst wegen sollte er Aïta heißen , doch wäre seine Aussprache zu hart und die Sänger würden ihn unvermeidlich in Aida verwandeln“. (Mariette an Camille du Locle (1832-1903) in einem Brief vom 27.04.1870).

AIDA - Szenenphoto mit Solisten und Chor © Fred Margueron

Ein altägyptischer Vorläufer für die gräzisierte Form des Namens des Oberpriesters Ramphis ist nicht belegt, aber einem bekanntem Schema nachempfunden: Ra-em-hetep „(Gott) Ra ist zufrieden“. (vgl. z.B. den bekannten gräzisierten Königsnamen Amenophis, aus Amun-em-hetep Amun ist zufrieden“). Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Mariette 1871, also ein Jahr nach Vollendung des Szenarios, sowohl das Grab einer Jetet als auch das eines Ra-hetep (ohne -em-) finden sollte, aus denen jeweils bedeutende Meisterwerke der ägyptischen Kunst der frühen 4. Dynastie (um 2650 v. J.C.) ins schnell wachsende Museum von Kairo gelangten.

Der Name Radames ist vom wohlbekannten Ramses (eigentlich Ra-mes-su Ra hat ihn hervorgebracht“) abgeleitet, wobei die zusätzliche Silbe -da- einfach einen besser singbaren, dreisilbigen Namen ergeben sollte. Vielleicht hat sie Mariette auch ganz bewusst hinzugefügt, da er bereits in einem anderen Namen eine -d/t- Silbe unterschlagen hatte: altägyptisch Amen-ir-di-s, von Mariette noch fälschlich Amnéritis gelesen, ist nämlich das Vorbild für den Namen der Pharaonen-Tochter Amneris. Hier begegnet uns nun eine reale historische Persönlichkeit: Amenirdis war die Tochter des kuschitischen Herrschers Kashta (760-747 v. J.C.), der von seiner Hauptstadt Napata (in Obernubien am 4. Nilkatarakt gelegen, heute: Gebel Barkal) sein Herrschaftsgebiet über Südägypten ausdehnen konnte. Seine Tochter nahm daraufhin den ägyptischen Namen Amenirdis („Amun ist es, der sie gegeben hat“) an und wurde mystisch  mit dem Gott Amun vermählt, um im ägyptischen Theben die religiösen und politischen Interessen der ausländischen Herrscher zu festigen (ca. 740-720 v. J.C.). In den dortigen Tempeln hatte Mariette 1858 eine knapp unterlebensgroße Alabasterstatue dieser „Gottesgemahlin“ entdeckt, auf die er sehr stolz war und die bis heute als eins der Glanzstücke des Museums von Kairo angesehen wird.

Die einzige historische Gestalt der Oper in Namen und Funktion ist der König der Äthiopier Amonasro. Mariette kannte ihn von einer Inschrift her, die sich auf einer lebensgroßen Löwenskulptur aus Granit befindet. Sie stammt aus Gebel Barkal (Napata) im Sudan und wird seit 1835 im British Museum London gezeigt. Der heute Amanislo gelesene König regierte von ca. 260-230 v. J.C. das nubische Königreich von Kusch (im letzten Jahrhundert noch als „Äthiopien“ bezeichnet) und wurde bei seiner Hauptstadt Mereo in einer Pyramide bestattet. Er hatte sich jedoch niemals in kriegerischer Absicht nach Ägypten gewagt, wo inzwischen die griechisch-stämmigen Ptolemäer fest auf dem Pharaonenthron saßen (zu dieser Zeit: Ptolemäer II Philadelphos, 282-246 v. J.C.). Allein bei den beiden letztgenannten, historisch korrekten Namen fällt ein Anachronismus von rund 400 Jahren auf. Hinzu kommt, dass die übrigen ägyptischen Namen ca. 500 Jahre vor den anderen in Mode waren. Auch wenn Mariette in den Anfängen der Ägyptologie mit der ägyptischen und erst recht mit der nubischen Chronologie, die wir bis heute nur unvollständig kennen, nicht vertraut war, fallen die folgenden Unstimmigkeiten jedoch umso stärker auf: Während er die äthiopische Sklavin mit einem gut dokumentierten, rein ägyptischen Namen bedachte, erhielt die Tochter des ägyptischen Pharaos den Namen einer illustren Nubierin, deren Familie sogar einst über Ägypten herrschte! Andere Ungereimtheiten finden sich auch in den geographischen Situationsangaben der Oper. So sollen sich in der NilS-Szene (3. Akt) die gegnerischen Feldherren am Abend vor jener Entscheidungsschlacht an einem Ort begegnen, 700 km von den kampfbereiten Truppen entfernt! Mariette, der so besessen um Authentizität im kleinsten Detail bemüht war, wird in der Aida-Literatur häufig Nachlässigkeit, sogar Desinteresse an der weiteren Genese der Oper vorgeworfen. Ihm hätte es doch ein Leichtes gewesen sein müssen, als wissender Ägyptologe hier korrigierend einzuwirken. Jedoch scheint es Mariettes primäres Anliegen gewesen zu sein, ein universales Bild vom alten Ägypten auf die Bühne zu bringen. Er wusste genau, dass es unmöglich gewesen wäre, einen bestimmten Punkt aus der dreitausendjährigen Geschichte Ägyptens herauszugreifen und diesen historisch korrekt  und auch für die Zukunft plausibel „bühnenfähig“ zu machen. Der Gefahr, sich in der jungen, schnell voranschreitenden Wissenschaft  vor Kollegen und zukünftigen Ägyptologen-Generationen für immer lächerlich zu machen, war sich Mariette  mehr als bewusst.

AIDA - Szenenphoto - Alisa Kolosova (Amneris) © Fred Margueron

Diese bisher von der Literatur übersehende Möglichkeit, Mariettes angebliche „Fehler“, oder eher: Inkonsequenzen, im Licht eines gewünschten altägyptischen Universalbildes zu verstehen, lässt sich an einem Punkt eindeutig belegen: Ägyptische Geschichtsforschung war bis vor kurzem und ist zum Großteil noch heute die Betrachtung einer reiner Herrschergeschichte. Die Namen der ägyptischen Pharaonen sind uns – seit wir sie lesen können – von den vielen Hinterlassenschaften, den Tausenden von beschrifteten Tempel- und Grabwänden, den Papyri und kleinen Skarabäen, bestens bekannt. Sozial-, Wirtschafts- und Religionsgeschichte sowie Verwaltungs- und Beamtengeschichte basierten darauf und wurden eigentlich erst seit kurzem in der Ägyptologie betrachtet und spielten zu Mariettes Zeiten keine Rolle beim Verständnis des pharaonischen Ägyptens. Diejenige Figur, die nun von allen Persönlichkeiten aus dem alten Ägypten in der Forschung und damit auch Mariette am bekanntesten war, ist die einzige in der Aida, die keinen Eigennamen trägt: Der König Ägyptens, Il Re. Für den Ägyptologen Mariette wäre es einfach gewesen, einen konkreten Pharao beim Namen zu nennen, in dessen Regierungszeit es zu Konflikten mit den südlichen Nachbarn – davon gab es genug – kam. Aber gerade dadurch, dass der König im Libretto anonym bleibt und die Geschichte im Ägypten „zur Zeit der Herrschaft der Pharaonen“ spielt, ist es Mariette geglückt, ein universelles Bild vom alten Ägypten auf die Bühne zu bringen, das bis heute seine Gültigkeit besitzt und über das kein Ägyptologe die Nase rümpfen muss.

AIDA - Szenenphoto - Joyce El-Khoury als Aida © Fred Margueron

AIDA - l’Opéra de Rouen Normandie - Théâtre des Arts - 27. September 2024

Zwischen Intimität und Spektakulärem…

Nicht weniger als drei Rollen-Debuts in dieser neuen Aida, die die Saison 2024/25 in Rouen eröffnet. Die erste ist die Titelrolle, die Sopranistin El-Khoury, deren Eleganz und edle Verkörperung mit großartigen hohen Tönen geschmückt sind, die aber leider in den kraftvoller projizierten Passagen dazu neigen, säuerlich und schrill zu werden. Im ersten Teil etwas schüchtern, wird die lyrischen Sopranistin ihren Gesang im zweiten Teil durchsetzen, während das Schicksal der äthiopischen Prinzessin, die in die Sklaverei gezwungen wird und sich zwischen der Liebe zu ihrem ägyptischen Eroberer, ihrer naiven Loyalität hin- und hergerissen fühlt, das tragische Ende erreicht, das sie selbst gewählt hatte, indem sie sich mit ihrem Helden einmauern lässt.

 

Es handelt sich um niemand anderen als Radames, der vom hohen Amun-Gericht dazu verurteilt wurde, bei lebendigem Leibe eingemauert zu werden, weil er seiner Geliebten militärische Geheimnisse verraten hatte: Mit einem angenehmen Ton verleiht der britische Tenor Adam Smith dem ägyptischen Kriegshelden Radames eine Haltung, die eher intim als martialisch ist. Nahe an dem Stil des italienischen Tenor Franco Corelli (1921-2003), in dessen Fußstapfen er zu treten behauptet! Aber er muss jedoch seine Höhen noch verstärken und sich weiter um seinen „Verdi-Stil“l zu kümmern. Tatsache ist, dass die beiden auf der Bühne ein besonders attraktives Paar bilden, was es der Inszenierung ermöglicht, sie von Anfang an spärlich bekleidet ins Bett zu schicken. Aber wir werden darauf zurückkommen!

 

Zu den beiden „unmöglichen“ Liebhabern gehört natürlich auch Amneris, die Tochter des Pharaos, unsterblich verliebt in Radames und auch die machtbesessene Rivalin von Aida, die von der russischen Mezzo-Sopranistin Alisa Kolosova mit Autorität aufgedrängt wird. Eine kraftvolle und üppige Stimme, die über den gesamten Tonumfang hinweg imperial ist, wären da nicht die verstohlenen Ausweichmanöver der hohen Töne in der Urteilsszene. Doch die junge Frau überzeugt und beeindruckt mit ihrer Bühnenpräsenz und ihrem stimmlichen Engagement. Vielleicht rutsch ihre Interpretation mitunter ein wenig ins Vulgäre? So wird es auch beim georgischen Bariton Nikoloz Lagvilava als Amonasro sein, einer fanatischen „Kriegsmaschine“ mit zerstörischer Kraft, deren erschreckende Prosodie an einer Karikatur grenzen könnte. Wie hält der Rausch der Rache den besiegten König von Äthiopien davon ab, seiner Tochter etwas Zärtlichkeit zu schenken, wenn er sie findet, bevor er sie dringend drängt ihre Reize zu nutzen, um seinem Feind strategisch Information zu entlocken? Jedoch hat dieser brutale König einen gewaltigen Tonumfang, vielleicht der größte und stimmlich schönste an diesem Abend?

 

Abgesehen von einem Pharao, der kurzatmig und praktisch „sprachlos“ war! Aber vielleicht war der italienische Bass Emanuele Cordaro an diesem Abend in schlechter Verfassung? Der südamerikanische Tenor Néstor Galvàn war ein solider und mit schönen Tönen versehender Bote, sowie auch die Hohepriesterin mit einer wunderschönen kristallenen Stimme interpretiert von der ukrainischen Sopranistin Iryna Kyshliaruk. Einmalig war auch die dunkle satte und voluminöse Stimme des italienischen Bass Adolfo Corrado als Amnon-Priester.

Wie üblich stellten sich die Chöre l’Opéra de Rouen und Accentus einer Herausforderung, die die Messlatte der Qualität äußerst hoch legte und die sie auch erfolgreich übersprangen. An der Spitze der gewaltigen Kräfte des Orchestre de l’Opéra de Rouen Normandie und  des Orchestre Regional de Normandie lenkte der französische Dirigent Pierre Bleuse mit besonderem Augenmerk die verschiedenen Klang-Ebenen und treibt den musikalischen Fluss in einer Vision voran, die die Architektur gegenüber expressiver Dramaturgie bevorzugt. Während es den Streichern manchmal an Sinnlichkeit mangelt, sind die Bläser von großer Schönheit, insbesondere in der berühmten Fanfare der Siegestrompeten, die oben auf der Bühne verteilt wurden.

Die Inszenierung von Himmelmann hat einen doppelten Vorzug: Sie hält sich sowohl von der Vergangenheit als auch von der Gegenwart fern und erspart uns die endlosen Ikonographien der antiken Ägyptologie sowie die kriegerischen Auseinandersetzungen, die diesen Teil der Welt noch immer heimsuchen. Dabei passiert alles auf sehr intellektueller und sparsamer Weise auf einem in der Mitte der Bühne manchmal drehenden Felsbrocken mit einem Bett darauf. Es wird als quasi Mittelpunkt des Bühnen-Geschehens sein: Es wird als Bett der Liebenden, als Thron für die Triumphszenen und das Grab von Aida und Radames sein, ohne die Altäre für die  Feier der Götter zu vergessen.

Die Szenografie  des deutschen Bühnenbildners David Hohmann ist in einem Amphitheater, bis zur Hälfte des hinteren Teils der Bühne, mit schwenkbaren Paneelen angeordnet, die jeweils mit vielen Lichtpunkten in Bernsteintönen ausgestattet sind. Die in Position und Intensität sich je nach Variation im Rahmen der Dramaturgie von mehr  oder weniger spektakulären Effekten verwandelt, die in der Schluss-Szene eine echte Dimension annehmen werden – die Verschiebung der Tafeln, die ein Labyrinth schafft, in dem die im Tod wiedervereinten Liebenden im Dunkeln nach einander suchen. Oben befindet sich eine dunkle halbkreisförmige Plattform, die überraschend wenig genutzt wird, abgesehen von der Anrufung der Priesterin oder dem Ertönen der Trompeten der ewigen Herrlichkeit.

Eine manchmal krampfhaft zeitgenössischen Choreographie des deutschen Choreografen Kristian Lever, die Kostüme mit zeitloser Modernität der deutschen Kostümbildnerin Lili Wanner entworfen. Es ist eine bewusst konzentrierte Schauspielerführung rund um die geopferte Heldin herum! Wir stehen hundertprozentig hinter dieser tiefgründigen und emotionellen Inszenierung: Es ist „nur“ eine intime tragische Geschichte zweier Liebenden, wie sie an jeden Ort und zu jeder Zeit in dieser Welt vorkam und weiter vorkommt. Auch werden diese sogenannten „Alltagsgeschichten“ gegenüber den  allgewaltigen Machtherrschaften in unserer langen traurigen Menschheitsgeschichte immer im Schatten stehen und bleiben. Es ist „nur“ eine intime Kammeroper für zwei Liebende ohne Pomp und trallala, ohne gewaltige Aufzüge und Elephanten-Gebrüll à la Verona… (PMP/04.10.2024)

Eine Produktion Savonlinna Opera Festival in Kollaboration mit l’Opéra de Rouen Normandie.