Rostock, Volkstheater, TOSCA - Giacomo Puccini, IOCO

TOSCA in Rostock: Es ist nach den sehr gelungenen Produktionen Die Schändung der Lukrezia (09/2020) und Eugen Onegin (04/2022) die dritte Regiearbeit des Regisseurs Christian Poewe am Volkstheater Rostock, der, wie damals schon, in enger Zusammenarbeit mit Ausstatterin Wiebke Horn ...

Rostock, Volkstheater, TOSCA  - Giacomo Puccini, IOCO
Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen

Tosca - Oper in drei Akten von Giacomo Puccini - PREMIERE am Sonnabend, den 28.09.2024 - Musikalische Leitung - Marcus Bosch, Inszenierung - Christian Poewe

von Thomas Kunzmann

Es ist nach den sehr gelungenen Produktionen Die Schändung der Lukrezia (09/2020) und Eugen Onegin (04/2022) die dritte Regiearbeit des Regisseurs Christian Poewe am Volkstheater Rostock, der, wie damals schon, in enger Zusammenarbeit mit Ausstatterin Wiebke Horn in schlichten, aber wirksamen Bühnenbildern ein beglückendes Opernerlebnis schafft.

Das Bühnenbild ist ein klaustrophobisch grauer, fensterloser Raum. Symmetrisch, mit einer mittig angeordneten Treppe, die an der hinteren Wand endet. Mit seiner schmucklosen Dominanz unterstreicht der Raum das Kammerspielartige der Oper. Eine kleine hermetisch abgeriegelte Welt, die lediglich durch einige wenige Requisiten auf die im Libretto benannten Orte hinweist: eine Madonnenstatue und die Leinwand für die Kirche, ein Banketttisch und Kronleuchter für das Büro Scarpias. Klingt spartanisch, funktioniert jedoch vom ersten Bild bis zum dramatischen Höhepunkt, regt die Fantasie an, hat eine zeitlose Dimension und lässt den Zuschauer auf die Musik fokussieren. Im Machtvakuum zwischen verkrusteten Strukturen und der herannahenden Veränderung kann der Despot zum Sadisten mutieren und die sich unpolitisch dünkende Kunst wird zum Spielball der Interessen. Das ist zu allen Zeiten möglich und so lässt sich die Inszenierung auch nicht auf eine Epoche verorten, sondern wird zur Allegorie.  

Tosca hier Leah Gordon als Tosca und Adam Sánchez als Cavaradossi Foto Thomas Ulrich

Die Inszenierung kommt im positiven Sinne ohne regietheater-typische Mätzchen aus. Text und Musik sind völlig ausreichend und werden durch eine intensive Personenführung unterstützt. Ohne sich in alternativen Interpretationsversuchen zu verstricken, gelingt es dem Regisseur, das Augen- und Ohrenmerk des Publikums voll und ganz auf die Intensität der Musik zu richten. Toscas Schwangerschaftsbäuchlein soll die Dramatik zusätzlich unterstreichen.

In der Kirchenszene fallen anfänglich Angelotti (Jaehwan Shim) und der Mesner (Küster) (Grzegorz Sobczak) durch für meinen Geschmack allzu übertriebenes Acting auf. Dafür lässt man Scarpia mit nur wenigen, wirkungsstarken Gesten agieren. Es ist (zumindest, was ich erlebt habe) Kosma Ranuer Kroons dritter Einsatz in Rostock. 2017 spielte er in der Kriminaloper „La Signora Doria“. In der Geschichte ging es um den Tod eines Dienstmädchens im Hause Puccini.

Dem Komponisten wurde eine Affaire mit ihr nachgesagt. Der daraufhin folgende Skandal wird in der Neuzeit aufgerollt und Szenen aus der Entstehung der Oper La Bohème bilden den Rahmen. Kurzum, Ranuer Kroon sang unter anderem „Va, Tosca“, was neben der Rodolfo-Arie (damals Chulhyun Kim) wohl eines der großen Highlights in der Halle 207 war. Zumindest hatte ich die Szene noch im Kopf, als ich seinen Namen auf der Besetzungsliste für die Tosca-Inszenierung las. Sei es, dass die Akustik in der Halle eine andere ist oder dass dort mit Mikroports gearbeitet wird – diese Intensität, diese beißende Boshaftigkeit, dieses schnarrende, aus dem Mundwinkel geifernde Gift in der Stimme – davon kommt im akustisch sicher herausforderndem Großen Haus nicht genug an. Scarpia hier: allzu lyrisch, ohne Durchschlagskraft und ohne die gewohnten musikalischen Akzente.

Umso mehr fokussiert man sich auf die beiden Protagonisten. Tosca selbst verliert sich nicht in allzu übertriebener Koketterie und Selbstmitleid, keine unnahbare Diva, sondern - hinter den Kulissen ihrer eigenen Auftritte zumindest – zutiefst menschlich, verunsichert, eifersüchtig und liebesbedürftig. Leah Gordon als Gast ist genau diese vielschichtige Tosca, inniglich liebend, eifersüchtig aufbrausend, in allen Farbschattierungen leuchtend, nie schrill, zärtlich ausphrasierend und sicher in allen Tonlagen. Mit angenehmer Tonfülle flutet sie sich durch den Saal, ohne je gegen das Orchester ankämpfen zu müssen, sitzt anschmeichelnd auf dem Klangteppich, der ihr vom Orchester ehrerbietig ausgerollt wird und hinterlässt das warm-weiche Gefühl, das einen zwischen in der Kehle aufsteigenden Brava-Ruf-Ambitionen und andächtigem Schweigen schwanken lässt. Mehrfach erhält sie wohlverdienten Szenenapplaus. Insbesondere nach ihrem „Vissi d’Arte“, dargebracht als innige Selbstreflektion, entlädt sich die kumulierte Bewunderung des Publikums in tosenden Beifallsbekundungen.

Tosca hier Szenefoto hier Ranuer Kroon, Sánchez, Shin, Gordon Foto Thomas Ulrich

Nicht minder wird Adam Sánchez, der neue Tenor im Ensemble, als Cavaradossi gefeiert. Bereits in Carmen fiel er positiv auf. Heldnisch stählern und darstellerisch überzeugend nimmt er das Publikum vom ersten Ton an für sich ein. Nur selten muss er gegen die sehr dynamisch aufspielende Norddeutsche Philharmonie forcieren und lässt die wunderbaren Momente der Partitur strahlen. Hier erhält nun ein Diamant seinen Feinschliff.

Marcus Bosch dirigiert ein äußerst diszipliniert aufspielendes Orchester. Dass der Raum akustisch nicht optimal ist (und jeder Musikliebhaber in Rostock auf das neue Haus hofft), mag eine Sache sein – gar nicht auf den Klang zu vertrauen und dem Haus mit straffen Tempi und Wucht zu begegnen, ist eine andere. Sicher verleitet Puccini zu lautmalerischen Übertreibungen, dennoch: gerade in diesen sehr innigen Momenten, wie dem „Vissi d’Arte“, zeigt sich, dass das Haus durchaus im piano und pianissimo wirken und epische Momente entfalten kann, wenn Orchester, SängerInnen und eine durchdachte Bühnengestaltung Hand in Hand gehen. Besondere Erwähnung verdienen die wieder einmal glänzend aufgelegten Celli um Daniel Paulich und der scheidende Flötist Sylvain Barrès – viel Erfolg an der Komischen Oper Berlin an dieser Stelle gewünscht!

Trotz kleinerer Abstiche eine äußerst gelungene Produktion und völlig zu Recht hielt es nach dem letzten Takt fast niemanden auf den Sitzen. Knapp 10 Minuten Standing Ovations im nahezu ausverkaufen Haus sprechen für sich. Die folgenden Vorstellungen leitet der Erste Kapellmeister Eduardo Browne Salinas und es wird interessant zu vergleichen sein, wo er die Akzente setzt.

Marcus Bosch, Inszenierung - Christian Poewe, Bühne und Kostüme - Wiebke Horn, Choreinstudierung  - Csaba Grünfelder, Dramaturgie - Stephan Knies, Floria Tosca - Leah Gordon, Baron Scarpia - Kosma Ranuer Kroon, Mario Cavaradossi - Adam Sánchez, Cesare Angelotti - Jaehwan Shim, Il Sagrestano - Grzegorz Sobczak, Spoletta - Hyunsik Shin, Sciarrone / Un carceriere - José Gallisa, Un Pastore - Agostina Migoni