Rostock, Volkstheater Rostock, Tristan XS - mit Live Video, IOCO Kritik, 25.09.2019
TRISTAN XS - konzertante Szenen aus Tristan und Isolde
Spielzeiteröffnung mit TRISTAN XS und Live Video Performance
von Thomas Kunzmann
Am 8. September 2019 eröffnete das Volkstheater Rostock die Saison 2019/20 mit einem Theaterfest zwischen Doberaner Straße und Patriotischem Weg. Es gibt Einblicke in die Kostümschneiderei, der Opernchor tritt auf, für Kinder eine Bastelstraße und die Malerwerkstatt, neue Ensemble-Mitglieder werden vorgestellt und natürlich gibt’s Würstchen vom Grill. Auch das Wetter spielt mit. Und so schaut man allseits in gut gelaunte Gesichter. Die Saison geht sich gut an.
Ralph Reichel, Nachfolger des scheidenden Intendanten Joachim Kümmritz, kann optimistisch in die Zukunft sehen: der neue Bürgermeister der Hansestadt, Claus Ruhe Madsen, hatte zumindest im Wahlkampf verkündet, dass er die Norddeutsche Philharmonie zukünftig mit 99 Musikern sieht. Und auch nach Amtsantritt verkündete er, dass am Theaterneubau nicht gerüttelt werden soll. Am 16.09. sollen drei Modelle des zukünftigen Hauses im Rathaus aus- und zur Diskussion gestellt werden. Dennoch ist bis zur Eröffnung, die aktuell mit 2026 angesetzt wird, noch ein weiter Weg. Das Programm im Volkstheater jedenfalls, so Reichel, soll mutiger werden.
Die Saison-Eröffnung fällt zusammen mit dem „Tag des offenen Denkmals“, auch die Werfthalle 207, die erst einmal für fünf Jahre zur Sommerbespielung für das Volkstheater Rostock angemietet wurde, nimmt an dem Event mit einer Führung teil, die der Technische Leiter und der Musiktheaterdramaturg kenntnisreich und unterhaltsam gestalten. Das online gestellte Programm zu diesem Tag liefert allerdings nicht einmal den Hinweis darauf, was für einen ausgefallenen musikalischen Leckerbissen kaum zwei Stunden später Kulturinteressierte erwarten würde. Dennoch können aus den Besuchern noch einige Abend-Gäste geworben werden. Die Vorstellung ist insgesamt gut besucht, wenn auch nicht komplett ausverkauft.
Tristan XS - Richard Wagner in 90 Minuten
Konzertante Szenen mit Live Video Performance
TRISTAN XS zur Spielzeiteröffnung 2019/20 war ein Wagnis. Mehr als 10 Jahre ist es her, dass in Rostock ein szenischer Wagner lief. Damals war es der Holländer, etwa zeitgleich mit dem Freischütz. Letzterer kam bereits 18/19 wieder auf den Spielplan. Wagner jedoch bleibt rar. Zwar gab es den Tristan konzertant, aufgeteilt auf mehrere Philharmonische Konzerte noch unter Peter Leonard (Intendant in Rostock bis 2014) und auch das Tristan-Vorspiel fand einmal Einzug in der Reihe „Classic light“, dennoch ist Bosch als Conductor in Residence, der auch maßgeblich für das Programm verantwortlich zeichnet und ein erfahrener Wagner-Dirigent ist, nicht nur in dieser Hinsicht ein Glücksfall für Rostock.
Tenor Hans-Georg Wimmer, der das Projekt Tristan XS gemeinsam mit Armin Terzer konzipiert und realisiert hat, übernimmt die Partie des Tristan. Als ausgebildeter Bass-Bariton und Experte für alte Musik wechselte Wimmer vor drei Jahren in das Heldentenor-Fach und übernahm bereits die vollständige Titelpartie in Triest und am Landestheater Niederbayern. Aktuell ist er als Loge in der Ring-Adaption in Aachen zu sehen. Dennoch ist er unter den Wagnerianern eher ein Unbekannter. Anders Isolde: Manuela Uhl ist seit vielen Jahren Weltstar. Senta, Elisabeth, Sieglinde, Elsa, Venus, Irene, aber auch Salome, Feldmarschallin, Chrysothemis führten sie an die bedeutendsten Opernhäuser weltweit. Nun endlich Isolde. Auch in Rostock ist sie schon einige Male aufgetreten. Da war die legendäre Benefiz-Gala mit Klaus Florian Vogt und Roman Brogli-Sacher in der Moderation von Hans-Jürgen Mende mitten im Kampf um den Erhalt der vier Sparten oder die IX. von Beethoven.
Am Volkstheater wird also nun Richard Wagners Oper Tristan und Isolde auf die Soli und Duette der beiden Protagonisten eingedampft und mit einer Live-Video-Performance des australischen Videokünstlers Stephen Hamacek begleitet.
Marcus Bosch eröffnet den Abend mit einer kleinen Inhaltsangabe. Äußerst getragen, dennoch frei von allzu romantischem Schmelz, setzt die Norddeutsche Philharmonie das Vorspiel an, bis nach wenigen Takten bereits das zweite Handy im Publikum dermaßen stört, sodass Bosch unterbrechen muss. Wer auch immer über die enervierenden Hinweise aller Theater lächelt – hier fehlte die Aufforderung zum Abschalten, und schon passiert es.
Nachdem wieder Ruhe eingekehrt ist, beginnt das Vorspiel erneut und nun kommt die Akustik der alten Halle hervorragend zum Tragen. Das Orchester auf der Bühne und die schuhkartonartige, geradlinige Konstruktion ist eine Kombination, die bereits in den Philharmonischen Konzerten positiv auffiel. Wenn die Motive durch die Instrumente wandern, folgen die Augen unwillkürlich dem Klang. Die Farben bleiben zart und durchsichtig, ohne Kraft und Spannung vermissen zu lassen. Ein Erlebnis, das oftmals ein Orchestergraben verhindert.
Der Verzicht auf Steuermann, Brangäne und Kurwenal führt nach der Ouvertüre direkt zur Liebestrankszene. Der Übergang ist ungewohnt, hinterlässt aber zu keinem störenden musikalischen Bruch. Manuela Uhl intoniert sauber, genießt regelrecht das Hinaufschwingen in die Höhen, zischt und spielt ihre Wut und Verletztheit glaubwürdig, wenn sie Genugtuung für Morolds Tod fordert. Tristan nimmt die Herausforderung an und überzeugt bereits mit den ersten Noten. Der dunkle Tenor strotzt regelrecht vor kraftvoller Entschlossenheit, setzt sich sicher auf den Klang des Orchesters und glänzt mit ausgezeichneter Textverständlichkeit. Unwillkürlich denkt man an Andreas Schagers unbändige Kraft. Die bis zu diesem Moment spürbare Anspannung weicht dem Zurücklehnen und purem Genuss. Der Konflikt der Beiden mündet im Trinken des vermeintlichen Todestranks, den Brangäne allerdings ausgetauscht hat. Und tatsächlich greifen die Sänger nach einem Glas unter dem Notenpult. Im Orchester beginnen zarte Harmonien zu leuchten und die Szene wechselt in gefühlvoller Überblendung direkt hinein in den zweiten Akt der Oper, das Liebesduett „Oh sink hernieder, Nacht der Liebe“. Naturgemäß fehlt die Zuspitzung des Konflikts durch das Auftreten Markes und Melots oder auch Brangänes Sorge, dennoch funktioniert die Abfolge. Wimmer legt eine Schaufel Gefühl auf, könnte allerdings in der Szene etwas lyrischer sein. Da letztlich nur wenige Sequenzen aus der Oper nur mit den beiden Titelfiguren möglich sind, hätte man eventuell auf den Tag/Nacht-Strich verzichten können. Vermisst hat hier aber wahrscheinlich niemand etwas. In der Musik deutet sich mit den entfernten Hörnern noch das Auftreten Markes an, die Spannung steigt. Pause.
Die war ursprünglich nicht geplant, ca. 90 Minuten veranschlagte man, dennoch kommt sie dem Bruch zum dritten Aufzug sehr entgegen. Wieder gibt Marcus Bosch einen Überblick über die Entwicklung der Handlung, bevor die Musik einsetzt.
Wie aus dem Nichts erklingt das Englischhorn aus der Höhe der letzten Zuschauerreihe in einer blitzsauberen Zartheit, die die gesamte Tragik der Tristan-Figur an einem einzigen Instrument kondensieren lässt. Luis Blanco Ferrer-Vidal als Gast, ersetzte den erkrankten Solo-Oboisten und gerät zur weiteren Überraschung des Abends. Wimmer gibt dem Tristan die notwendige Verzweiflung und Todessehnsucht bis zur letzten Sekunde. Isoldes Auftritt jedoch gerät zur Sternstunde des Abends. Auch in der Kurzfassung wird überdeutlich, wie die ganze Oper – von der Vorgeschichte, über die möglichen Tode Tristans während des ersten und zweiten Aufzugs – sowohl szenisch als auch musikalisch konsequent auf diesen Moment hinarbeitet. In der ihr eigenen Zartheit und ätherischen Weltfremdheit brilliert Manuela Uhl mit der traumhaft verklärten Schlussarie „Mild und leise, wie er lächelt“, während Tristan – sei es ob des nun erkennbaren gelungenen Experiments, sei es als Spiegel des Textes, versunken zwischen den Notenpulten glücklich strahlt.
Ach ja, eine Live-Video-Performance fand auch statt. Die wenigen, mitunter kaum spürbar bewegten Bilder, die hin und wieder ineinanderflossen, untermalten musikalische Stimmungen, nahmen Irlands Grün und das Blau des Meeres auf. Kann man machen, ohne sie hätte allerdings auch nichts gefehlt. Der Systemabsturz und Neustart hingegen wirkten denn doch etwas störend.
Marcus Bosch lotet, soweit die gekürzte Fassung dazu Raum bietet, die klanglichen Möglichkeiten der Halle vom leisesten Flirren bis zur höchsten Expressivität aus. Auch wenn das Orchester für diesen Abend nur drei Proben hatte, so entfaltet es doch die volle Vielfalt der Partitur und bringt das Publikum einmal mehr auf den Geschmack. Der lang anhaltende Applaus inklusive stehender Ovationen beweist: Das Publikum wünscht, dass Wagner doch bald in voller Länge an das Volkstheater zurückkehrt.
Apropos Neubau des Volkstheater. Am 16. September 2019 wurden die Siegerentwürfe für den Neubau des Volkstheaters präsentiert. Den europaweit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb konnte das Berliner Büro Hascher Jehle Assoziierte für sich entscheiden. Der moderne Bau, der sich im Gegensatz zu den Folgeplatzierten in harmonisch fließenden Formen der Umgebung anpasst, soll nach aktueller Planung 2026 fertig gestellt werden und ca. 110 Mio. Euro kosten, wovon das Land 51 Mio. zugesagt hat.
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