Rendsburg, Stadttheater Rendsburg, Manon Lescaut - Giacomo Puccini, IOCO Kritik, 27.05.2019
Schleswig-Holsteinisches Landestheater
Manon Lescaut - Giacomo Puccini
Puccini entspannt - An einem Nachmittag
von Hartmut Kühnel
Geschätzte 150 Zuschauer verliefen sich an diesem Sonntagnachmittag (Vorstellungsbeginn 16 Uhr) im Rendsburger Stadttheater. Das ist schon frustrierend für diejenigen, die da auf der Bühne und im Orchestergraben ihre Arbeit machen. Aber sie ließen es sich zumindest nicht anmerken und gingen mit einem Engagement zu Werke, als sei das Haus bis auf den letzten Platz ausverkauft. Und die Anwesenden dankten es ihnen am Ende mit lang anhaltendem Applaus.
Das 1901 eröffnete Stadttheater Rendsburg ist mit seinen gut 500 Plätzen zwar nicht groß, aber es ist mit seiner in historisierendem Stil erbauten Fassade und dem großen Foyer mit bemalten Fenstern in 1. Rang ein wahres Schmuckstück, das sich erfreulicherweise auch noch in hervorragendem Zustand befindet - und die ganz sicher nicht von 1901 stammenden Toiletten bieten deutlich mehr Platz als in der Elbphilharmonie.
Seit Mitte der 70er ist das Stadttheater Rendsburg Teil des Landestheaters Schleswig-Holstein, zu dem auch die Theater in Husum, Ithehoe, Schleswig sowie diverse andere Spielstätten gehören. Das Musiktheater hat seinen Hauptsitz in Flensburg, gastiert aber mit einigen (nicht allen) Produktionen auch anderweitig, die Bühnenbilder müssen also nicht nur überall passen, sondern auch relativ einfach transportabel sein, obendrein ist auf die jeweils vorhandene – oder aus Sicht eines die Gegebenheiten der Hamburgischen Staatsoper gewohnten Besuchers manchmal eher auch nicht vorhandene – Bühnentechnik Rücksicht zu nehmen; aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch und „einfach“ kann zwar mitunter schwierig sein, mit ein bisschen Einfallsreichtum und langer Theaterpraxis aber auch sehr wirkungsvoll.
Insofern waren der Regie führende Generalintendant Peter Grisebach mitsamt Ausstatter Michele Lorenzini denkbar simpel zu Werke gegangen; ein Halbrund ansteigender Podeste (als wolle man einen Konzertchor auf der Bühne postieren) dient als Grundaufbau, ein großes, in Falten gelegtes Tuch darüber, dahinter ein Rundhorizont mit Himmel und Wolken, fertig! Die jeweiligen Handlungsorte der ersten drei Akte sind mit ebenso sparsamen Mitteln angedeutet, im letzten Akt reicht allein rotes Licht. Die Kostüme springen ein bisschen durch die Zeiten, vom 18. Jh. des Abbé Prevost im 2. Akt über eine ganze Menge 19. Jh. bis zum in seiner Uniform ziemlich modern aussehenden Schiffskapitän. Aber sie verleihen Personen und Handlung die jeweils passende Atmosphäre und sorgen zusammen mit der Personenführung dafür, dass hier durchgehend eine glaubhafte Geschichte erzählt wird. Allerdings eine, die vielleicht besser „Die Tragödie des Renato des Grieux“ heißen müsste, was durchaus Sinn macht, wenn man weiß, dass der 1731 erschienene Roman des Abbé Prevost, der Puccini als Vorlage diente, eben nicht mit Manons Tod endet sondern eher mit „und die Moral von der Geschicht“, denn der Überlebende des Grieux wird aufgefunden und zurück in ein „sittlicheres“ Leben geführt.
Er ist es, der nach und nach seine gesamten moralischen Grundsätze für eine Frau über Bord wirft, die selbst keine Moral hat, denn sie verrät die Liebe von des Grieux für den Luxus genauso gewissenlos wie sie danach Gerontes Großzügikeit für den erotischen Genuss verrät – aber die Klunkern müssen natürlich trotzdem mit…..
Die pure Lebensgier dieser Figur ist mir noch in keiner Inszenierung so deutlich geworden. Vielleicht auch, weil genau dies von Anna Schoeck grandios ausgespielt wird, nachdem sie im ersten Akt noch die Schüchterne war um am Ende als Liebende zu sterben. Das ist wunderbar wandlungsfähig gestaltet und mit einer schon ziemlich dramatischen Stimme (sie hat hier auch schon Senta gesungen), der neben kraftvollen Passagen und voluminösen Spitzentönen auch schöne Pianobögen zur Verfügung stehen, ebenso gesungen. Sicher, es ist vom Klang her eher eine deutsche Stimme und die italienische Diktion ist nicht wirklich idiomatisch, aber das schmälert die Gesamtleistung nicht. Und natürlich kann man sich den extra Sprachcoach hier auch nicht leisten, noch viel weniger die zusätzliche Sopranistin für das italienische Fach (die ja deswegen nicht zwangsläufig besser singen würde). Und die Bandbreite, die gerade viele Sänger der kleinen Häuser draufhaben und draufhaben müssen, macht es ja auch wieder interessant.
Das beste Italienisch kommt – wie inzwischen häufiger wenn kein Muttersprachler dabei ist – aus Korea. Der Tenor Chul-Hyun Kim steht erst seit ein paar Jahren auf den Brettern, die die Welt bedeuten und hat bisher vorwiegend Lyrisches gesungen, etlichen Mozart, leichteres italienisches Fach und von Puccini Rinuccio und Rodolfo. Also keiner, der den in Teilen doch deutlich dramatischeren des Grieux mit seiner dafür auch noch extrem hell timbrierten Stimme mal so eben rein über das Material aus dem Ärmel schütteln kann. Aber WIE er ihn singt ist schlichtweg faszinierend. Das Organ sitzt durchgehend perfekt und kann, wenn nötig, ohne zu forcieren so fokussiert werden, dass es in den entsprechenden Passagen eine Durchschlagskraft hat, die man ihm nach dem verhalten gestalteten Beginn nicht zugetraut hätte. Dazu ein tolles Legato, einen langen Atem und sichere Höhen – was will man mehr! Obendrein ist er ein überzeugend verzweifelt Liebender und widerlegt zudem das häufig anzutreffende Vorurteil, dass Asiaten keine Mimik hätten.
Auch nicht rein über das Material prunken konnten GMD Peter Sommerer (der das Theater mit Ende der Spielzeit verlässt) und das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester. Wie spielt man Manon Lescaut mit etwa 35 Musikern? Schon Harfe und Pauken müssen außerhalb des Mini-Grabens platziert werden, bei den Streichern gibt es gerade mal 2 Celli und 2 Kontrabässe, mehr geht nicht! Aber es funktioniert! Keine Spur von „Schmalspur-Puccini“. Und obendrein noch differenziert und mit ordentlich Schwung, bravo!
Bei den anderen Partien (Lescaut / Marian Müller, Geronte de Ravoir / Markus Wessiack, Edmondo / Christopher Hutchinson, Wirt & Kommandant / In-Tack Liem, Musiker / Eva Eiter, Tanzmeister & Laternenanzünder / Fabian Christen, Sergeant / Dmitri Metkin) ging besonders im ersten Akt doch die ein oder andere Phrase im Orchesterklang unter. Ob das an mangelndem Volumen, einem eventuell doch etwas zu lauten Orchester oder schlicht der Akustik des Hauses auf meinem Platz lag, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall wurde durchweg sauber und bombensicher studiert gesungen und überzeugend gespielt; auch am SH-Landestheater müssen kleine Rollen aus dem Chor besetzt werden, der als solcher (samt Extrachor) im ersten und dritten Akt erfreulich homogen klang, ohne störend herausfallende Einzelstimmen (Einstudierung Bernd Stepputtis)
Manon Lescaut am Landestheater Schleswig-Holstein: die beiden letzten Aufführungen am 4.6. und 8.6.2019 19 Uhr 30 im Stadttheater Flensburg.
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